Man stelle sich vor: Eine Lehrerin begibt sich jeden Nachmittag zu den Stammtreffpunkten ihrer Schüler, z.B. zu dem abgelegenen Spielplatz, der Skaterbahn, dem Bolzplatz oder der schönen Liegewiese im Park, um dort ein wenig Smalltalk zu halten und mögliche Probleme bei den Hausaufgaben zu besprechen. Dann pinnt sie für die Schüler, die es in der Schule nicht mitbekommen haben, die aktuellen Hausaufgaben an den nächstgelegenen Baum, den Torpfosten oder an die Skaterramp, verabschiedet sich freundlich und fährt wieder nach Hause, um den Unterricht für den nächsten Tag vorzubereiten.
Die meisten Menschen würden sie sicherlich für übermotiviert und urlaubsreif halten, und niemand würde sich wundern, wenn die junge Frau nach einigen Wochen ihre Schüler nicht mehr an den gewohnten Plätzen finden würde, weil diese genervt den Treffpunkt geändert hätten.
So ungefähr ergeht es gerade Facebook, folgt man Daniel Miller, Professor am University College London und Leiter der Global Social Media Impact Study:
This month my focus has been on the sixth formers, that is 16-18 year olds at schools in The Glades, our UK fieldsite. For this group Facebook is not just falling, it is basically dead, finished, kaput, over. It is about the least cool thing you could be associated with on the planet. It has been replaced by a combination of four media, Twitter, Instagram, Snapchat and WhatsApp. (Quelle)
Miller sieht die Gründe darin, wie folgt:
Pretty much everyone remembers the shock of that moment when ‘my mother just asked to friend me on Facebook‘, and that is probably the single major reason that it lost status. You just can’t be young and free while all the time Mum is watching you.
Und es dürften nicht nur die Mütter sein, die ihren Teenagern Facebook vermiesen. Das Gleiche dürfte für Lehrer gelten.
Schüler da abholen, wo sie sind
Aber bitte, mögen eifrige Netzdidaktiker entgegenhalten, man muss die Schüler doch abholen, wo sie sind. Wenn die Schüler sich auf Facebook aufhalten, dann muss der up-to-date Lehrer auch auf Facebook sein. Facebookgruppen sind der letzte Schrei, völlig ungeachtet dessen, dass man nur Teile seiner Lerngruppe erreichen kann und uneingedenk der wider- und allgegenwärtigen Datenschutzproblematik.
Schüler abholen, wo sie sind. Gemeint ist damit, dass Schüler im Unterricht inhaltlich nicht über- oder unterfordert werden und dass Themen so aufbereitet werden, dass sie einen möglichst nahen Lebensweltbezug zu den Schülern aufweisen, dass Schülerinteressen beachtet werden. In den didaktisch-digitalen Netzdebatten jedoch hat man diese Wendung oft missverstanden und sich daraus das Recht gestrickt, als Lehrer möglichst in die digitalen Räume der Schüler einzudringen und diese in die Gestaltung des Unterrichts einzubeziehen. Dass das, wie die Studie nun andeutet, auf Dauer keine Werbung für gewisse soziale Netzwerke sein dürfte, war abzusehen. Schon 2011 hatte ich prophezeit:
Seht euch also vor, ihr sozialen Netzwerke. Wir haben [den Schülern] das Bücherlesen vermiest, wir werden ihnen auch soziale Netzwerke vermiesen können… (Lehrer2.0: Mediale Heuschrecken)
Verlässliche Orte schaffen
In der schnellen Web2.0-Welt kann aus dem „Abholen“ schnell ein rastloses Hinter-den-Schülern-her werden, gestern die siechende FB-Gruppe, heute WhatsApp und morgen Snapchat, übermorgen mit Sicherheit schon der nächste Dienst. Sinnvoller, auch im Sinne eines selbstständigen Lernens ist es, die Schüler nicht „abzuholen“ (bzw. ihnen hinterherzulaufen), sondern den Schülern einen verlässlichen und zuverlässigen Ort zu bieten, an dem sie Hilfe, Aufgaben etc. finden können. Der fehlt uns häufig noch. Wir sollten lieber daran arbeiten, als unsere Energie für das Hinterherhecheln hinter kurzlebigen Webmoden zu vertändeln.
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