Ich erinnere mich an das Ende meines Referendariats. Mein Fachleiter empfahl mir, einen kleinen Vortrag vor den Lehramtsstudenten zu halten, die kurz vor dem Abschluss ihres Studiums standen und einen kleinen Einblick in das Leben eines frischgebackenen Lehrers bekommen sollten. Die Dozentin, die das Seminar leitete, drängte mich im Vorfeld, besonders herauszustellen, wie anspruchsvoll und belastend der Lehrerberuf sei. Damit war sie ganz nah dran am öffentlichen Diskurs, der ja auch keinen Beitrag über den Lehrerberuf liefern konnte, ohne auf die hohe Burn-out-Rate unter Lehrern hinzuweisen. Und das flankiert von der unseligen Rauin-Studie, zu der ich hier schon genug geschrieben habe. „Werdet nicht Lehrer“, so musste man das Konzert der Kritiker wohl verstehen.
Ich habe mich damals sehr dagegen gewehrt, weil ich diese Botschaft für falsch hielt und immer noch halte. Aber wenn das umgesetzt wird, was nach den jetzigen Berichten die Vorstellungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) sind, dann werde ich meine Meinung ändern müssen.
Was sind das für Vorschläge? Schlicht: Nicht nur gute! Ich beziehe nun auf den Artikel „Lehrermangel: Empfehlungen der SWK bedeuten Mehrbelastung für Lehrer“ (Paywall) von Heike Schmoll in der FAZ und das Dokument der SWK. Spoiler: Keine der Lösungen lautet: Mehr Geld, mehr Zeit oder Entschlackung von Aufgaben.
Zunächst empfiehlt man „den Ausbau von Initiativen zur Beschäftigung von Lehrkräften im Ruhestand“. Das ist durchaus lobenswert, denn wenn Kolleginnen freiwillig über die Altersgrenze hinaus arbeiten wollen und sich das geistig und körperlich zutrauen, ist dagegen nichts einzuwenden. Die Erleichterung der Anerkennung ausländischer Lehrkräfte ist ebenso ein richtiger Schritt wie die Nachqualifizierung von Lehrkräften in Mangelfächern. Bedenklich ist allerdings die damit einhergehende fachliche Entwertung des Unterrichts, sei es sprachlich oder fachlich. (Ich selbst bin ein solcher Nachqualifizierter im Fach Informatik und kann einem ausgebildeten Informatiker bei weitem nicht das Wasser reichen). Der Quereinstieg als Reservoir für Top-Leute sollte dringend gestärkt werden.
Damit ist der positive Teil dann auch im Wesentlichen abgearbeitet. Teilzeit? Ein Ärgernis! Die SWK empfiehlt, „die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit [insbes. auf unter 50%, Anm. d. A.] zu begrenzen“, dazu „flankierende Maßnahmen wie Kinderbetreuung, Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge […] und eine Unterstützung der Lehrkräfte im Unterricht […]) auszubauen“ und ansonsten „eine maßvolle Aufstockung“. Sabbatmodelle möchte man befristet einschränken. Ich brettere ja Vollzeit, aber ich weiß, dass alle Kolleg:innen gute Gründe für ihre Teilzeitentscheidung haben, seien es eigene Kinder, pflegebedürftige Eltern, das harte Single-Mom-Dasein oder schlicht die Hoffnung, mit 75% doch die 100% Anforderung bewältigen zu können. Denn machen wir uns nichts vor: Die meisten Teilzeitkräfte stecken, dank Konferenzen, Elterngesprächen, Arbeitsgruppen, Korrekturen usw. mehr Zeit ins System als die Reduktion auf dem Papier vorgibt. Weniger Teilzeit macht den Lehrerberuf nicht attraktiver.
Laute Alarmglocken schrillen bei dem Wort „Vorgriffsstunden“. Auch das schlägt die SWK vor, und das heißt nichts anderes, als dass alle für ein paar Jahre eine sogenannte „Vorgriffsstunde“ mehr arbeiten müssen, die dann irgendwann, vielleicht, eventuell wieder abgebaut werden kann. Das ist aber sehr unwahrscheinlich, wie die SWK selbst feststellt: „Einschränkend sieht die SWK aber, dass der anhaltende Lehrkräftemangel es in den kommenden 20 Jahren schwer machen wird, Vorgriffsstunden durch Deputatsreduktion auszugleichen, weshalb die finanzielle Abgeltung realistischer zu sein scheint.“ Nennen wir es also lieber bei der Wahrheit: Erhöhung des Stundendeputats.
Nach den Berichten der letzten Wochen ist es nicht verwunderlich, dass die SWK über befristete Abordnungen an andere Dienststellen und auch an andere Schularten nachdenkt. So könnten Gymnasiallehrer demnächst an Grundschulen eingesetzt werden, für die sie in keiner Weise ausgebildet sind und dafür unter Umständen weite Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen. Welche Auswirkungen das auf die Motivation sowie die Qualität des Grundschulunterrichts haben wird, wird uns die OECD schonungslos vor Augen halten.
Auch die unmittelbare Qualität des Unterrichts bleibt nicht unangetastet. Die SWK stellt sich vor, dass Lehrkräfte zukünftig auch ohne Quarantäne ganz regulär Hybridunterricht machen: In der Oberstufe sollen dann Kurse vor Ort unterrichtet werden, während andere Kurse per Videokonferenz zugeschaltet werden. Dazu fahren die Lehrer mal an die eine, mal an die andere Schule und unterrichten abwechselnd beide Kurse vor Ort und per Video. Das spart Lehrerstellen und mindert Motivation, Qualität des Unterrichts und die Gleichbehandlung der Schüler drastisch.
Zudem sollen sogenannte „Selbstlernzeiten“ erhöht werden. Schüler*innen sollen sich „Themen zunächst über geeignete Video-, Audio- oder Textmaterialien selbstständig und im eigenen Tempo aneignen“ und im Präsenzunterricht nur noch Verständnisfragen klären sowie vertiefen. Die Idee ist ja immer toll, aber wann und wo eignen sich die Schüler_innen das alles an? Wer bietet ihnen ruhige Orte? Oder soll das alles zuhause stattfinden? Wie das, wenn doch der Ganztag ausgebaut werden soll und Hausaufgaben am Nachmittag nicht erlaubt (und irgendwann auch schlicht kontraproduktiv) sind? Wer kümmert sich um die SchülerInnen, die damit ganz sicher überfordert sind? Was die Damen und Herren Professoren da vorschlagen, ist nichts anderes als ein Rezept, um die schon weit geöffnete Bildungsschere erst richtig weit aufzureißen!
Was für mich dann dem Fass den Boden ausschlägt, ist die schon vorweggenommene Schuldzuweisung und Geringschätzung, die sich hinter dem Punkt „Vorbeugende Maßnahmen zur Gesundheitsförderung“ verbirgt, womit man keine eigentlichen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung meint, sondern diesen ganzen Pseudo-Resilienzquatsch. „Achtsamkeitstraining“ empfiehlt man den Lehrerinnen – die überforderten Lehrkräfte sind schlussendlich also selbst schuld, wenn sie ausbrennen. Da haben sie halt nicht genug auf sich selbst geachtet, was soll man nur machen? Auch ein „Kompetenztrainig“ wird vorgeschlagen, damit diese inkompetenten Subjekte endlich (endlich!) lernen, mit Unterrichtsstörungen angemessen umzugehen. Damit das richtig gut klappt, setzt man fürsorglich unter dem Schlagwort „eMental-Health“ auf „[v]ideobasierte Trainingsformate“. Dazu informiertes Geschwätz zur „Gesundheitsförderung als Organisationsaufgabe“. Man kann sich nur vorstellen, dass dieser ganze Wischiwaschi-Gesundheitsquatsch der Gewissensberuhigung dient, wo die SWK sich gerade ganz handfest anschickt, mit ihrem Vorschläge-Würgegriff auch die letzte Luft aus dem Lehrkörper herauszupressen.
Werdet nicht Lehrer. Der Burn-out ist euch sicher, denn dass sich schnell etwas bessert, daran glaubt die auch SWK nicht: „Das Problem des Lehrkräftemangels wird aller Voraussicht nach in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben.“
Ich muss erstens irgendwie zwangsläufig an die Grundzüge des Konzepts der „Mangelwirtschaft“ denken:
„In einer Mangelwirtschaft besteht der Mangel an Waren oder Dienstleistungen, während genug Geld zum Kauf dieser Waren vorhanden ist.“ (Wikipedia)
(Ersetze Waren und Dienstleistungen durch Lehrkräfte…)
Zweitens ist der Vorschlag für das Herumdoktorn an Symptomen (z. B. Achtsamkeitstrainings zur Stressreduktion) statt die Bekämpfung der systemischen Ursachen ein Schlag ins Gesicht der meisten Lehrkräfte, die ich kenne.
Da bin ich ganz bei dir. An allen Stellschrauben den Druck zu erhöhen, erscheint mir kontraproduktiv. Wir werden nun alle aufmerksam beobachten, was die Kultusministerien daraus machen werden.