Werdet nicht Lehrer.

Ich erinnere mich an das Ende meines Referendariats. Mein Fachleiter empfahl mir, einen kleinen Vortrag vor den Lehramtsstudenten zu halten, die kurz vor dem Abschluss ihres Studiums standen und einen kleinen Einblick in das Leben eines frischgebackenen Lehrers bekommen sollten. Die Dozentin, die das Seminar leitete, drängte mich im Vorfeld, besonders herauszustellen, wie anspruchsvoll und belastend der Lehrerberuf sei. Damit war sie ganz nah dran am öffentlichen Diskurs, der ja auch keinen Beitrag über den Lehrerberuf liefern konnte, ohne auf die hohe Burn-out-Rate unter Lehrern hinzuweisen. Und das flankiert von der unseligen Rauin-Studie, zu der ich hier schon genug geschrieben habe. „Werdet nicht Lehrer“, so musste man das Konzert der Kritiker wohl verstehen.

Ich habe mich damals sehr dagegen gewehrt, weil ich diese Botschaft für falsch hielt und immer noch halte. Aber wenn das umgesetzt wird, was nach den jetzigen Berichten die Vorstellungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) sind, dann werde ich meine Meinung ändern müssen.

Was sind das für Vorschläge? Schlicht: Nicht nur gute! Ich beziehe nun auf den Artikel „Lehrermangel: Empfehlungen der SWK bedeuten Mehrbelastung für Lehrer“ (Paywall) von Heike Schmoll in der FAZ und das Dokument der SWK. Spoiler: Keine der Lösungen lautet: Mehr Geld, mehr Zeit oder Entschlackung von Aufgaben.

Zunächst empfiehlt man „den Ausbau von Initiativen zur Beschäftigung von Lehrkräften im Ruhestand“. Das ist durchaus lobenswert, denn wenn Kolleginnen freiwillig über die Altersgrenze hinaus arbeiten wollen und sich das geistig und körperlich zutrauen, ist dagegen nichts einzuwenden. Die Erleichterung der Anerkennung ausländischer Lehrkräfte ist ebenso ein richtiger Schritt wie die Nachqualifizierung von Lehrkräften in Mangelfächern. Bedenklich ist allerdings die damit einhergehende fachliche Entwertung des Unterrichts, sei es sprachlich oder fachlich. (Ich selbst bin ein solcher Nachqualifizierter im Fach Informatik und kann einem ausgebildeten Informatiker bei weitem nicht das Wasser reichen). Der Quereinstieg als Reservoir für Top-Leute sollte dringend gestärkt werden.

Damit ist der positive Teil dann auch im Wesentlichen abgearbeitet. Teilzeit? Ein Ärgernis! Die SWK empfiehlt, „die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit [insbes. auf unter 50%, Anm. d. A.] zu begrenzen“, dazu „flankierende Maßnahmen wie Kinderbetreuung, Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge […] und eine Unterstützung der Lehrkräfte im Unterricht […]) auszubauen“ und ansonsten „eine maßvolle Aufstockung“. Sabbatmodelle möchte man befristet einschränken. Ich brettere ja Vollzeit, aber ich weiß, dass alle Kolleg:innen gute Gründe für ihre Teilzeitentscheidung haben, seien es eigene Kinder, pflegebedürftige Eltern, das harte Single-Mom-Dasein oder schlicht die Hoffnung, mit 75% doch die 100% Anforderung bewältigen zu können. Denn machen wir uns nichts vor: Die meisten Teilzeitkräfte stecken, dank Konferenzen, Elterngesprächen, Arbeitsgruppen, Korrekturen usw. mehr Zeit ins System als die Reduktion auf dem Papier vorgibt. Weniger Teilzeit macht den Lehrerberuf nicht attraktiver.

Laute Alarmglocken schrillen bei dem Wort „Vorgriffsstunden“. Auch das schlägt die SWK vor, und das heißt nichts anderes, als dass alle für ein paar Jahre eine sogenannte „Vorgriffsstunde“ mehr arbeiten müssen, die dann irgendwann, vielleicht, eventuell wieder abgebaut werden kann. Das ist aber sehr unwahrscheinlich, wie die SWK selbst feststellt: „Einschränkend sieht die SWK aber, dass der anhaltende Lehrkräftemangel es in den kommenden 20 Jahren schwer machen wird, Vorgriffsstunden durch Deputatsreduktion auszugleichen, weshalb die finanzielle Abgeltung realistischer zu sein scheint.“ Nennen wir es also lieber bei der Wahrheit: Erhöhung des Stundendeputats.

Nach den Berichten der letzten Wochen ist es nicht verwunderlich, dass die SWK über befristete Abordnungen an andere Dienststellen und auch an andere Schularten nachdenkt. So könnten Gymnasiallehrer demnächst an Grundschulen eingesetzt werden, für die sie in keiner Weise ausgebildet sind und dafür unter Umständen weite Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen. Welche Auswirkungen das auf die Motivation sowie die Qualität des Grundschulunterrichts haben wird, wird uns die OECD schonungslos vor Augen halten.

Auch die unmittelbare Qualität des Unterrichts bleibt nicht unangetastet. Die SWK stellt sich vor, dass Lehrkräfte zukünftig auch ohne Quarantäne ganz regulär Hybridunterricht machen: In der Oberstufe sollen dann Kurse vor Ort unterrichtet werden, während andere Kurse per Videokonferenz zugeschaltet werden. Dazu fahren die Lehrer mal an die eine, mal an die andere Schule und unterrichten abwechselnd beide Kurse vor Ort und per Video. Das spart Lehrerstellen und mindert Motivation, Qualität des Unterrichts und die Gleichbehandlung der Schüler drastisch.

Zudem sollen sogenannte „Selbstlernzeiten“ erhöht werden. Schüler*innen sollen sich „Themen zunächst über geeignete Video-, Audio- oder Textmaterialien selbstständig und im eigenen Tempo aneignen“ und im Präsenzunterricht nur noch Verständnisfragen klären sowie vertiefen. Die Idee ist ja immer toll, aber wann und wo eignen sich die Schüler_innen das alles an? Wer bietet ihnen ruhige Orte? Oder soll das alles zuhause stattfinden? Wie das, wenn doch der Ganztag ausgebaut werden soll und Hausaufgaben am Nachmittag nicht erlaubt (und irgendwann auch schlicht kontraproduktiv) sind? Wer kümmert sich um die SchülerInnen, die damit ganz sicher überfordert sind? Was die Damen und Herren Professoren da vorschlagen, ist nichts anderes als ein Rezept, um die schon weit geöffnete Bildungsschere erst richtig weit aufzureißen!

Was für mich dann dem Fass den Boden ausschlägt, ist die schon vorweggenommene Schuldzuweisung und Geringschätzung, die sich hinter dem Punkt „Vorbeugende Maßnahmen zur Gesundheitsförderung“ verbirgt, womit man keine eigentlichen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung meint, sondern diesen ganzen Pseudo-Resilienzquatsch. „Achtsamkeitstraining“ empfiehlt man den Lehrerinnen – die überforderten Lehrkräfte sind schlussendlich also selbst schuld, wenn sie ausbrennen. Da haben sie halt nicht genug auf sich selbst geachtet, was soll man nur machen? Auch ein „Kompetenztrainig“ wird vorgeschlagen, damit diese inkompetenten Subjekte endlich (endlich!) lernen, mit Unterrichtsstörungen angemessen umzugehen. Damit das richtig gut klappt, setzt man fürsorglich unter dem Schlagwort „eMental-Health“ auf „[v]ideobasierte Trainingsformate“. Dazu informiertes Geschwätz zur „Gesundheitsförderung als Organisationsaufgabe“. Man kann sich nur vorstellen, dass dieser ganze Wischiwaschi-Gesundheitsquatsch der Gewissensberuhigung dient, wo die SWK sich gerade ganz handfest anschickt, mit ihrem Vorschläge-Würgegriff auch die letzte Luft aus dem Lehrkörper herauszupressen.

Werdet nicht Lehrer. Der Burn-out ist euch sicher, denn dass sich schnell etwas bessert, daran glaubt die auch SWK nicht: „Das Problem des Lehrkräftemangels wird aller Voraussicht nach in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben.“

Weniger Bundesrechnungshof, mehr Panama wagen!

In der letzten Woche sind mir zwei Meldungen untergekommen, an denen ich nicht vorbeikomme, ohne sie zu verbloggen.

Eine wunderschöne Meldung aus Panama erreichte uns am Donnerstag: „Panamaischer Politiker stürzt mit Helikopter ab – und meldet sich per Video“. Der Spiegel erläutert dazu: „Wie unter anderem die Zeitung »Panamá América« berichtete, sendete Flores anschließend selbst einen per Video aufgezeichneten Hilferuf von der Unglücksstelle und alarmierte Retter.“

Wir halten fest: Du kannst im panamaischen Dschungel mit einem Flugzeug abstürzen und danach mit einem Video(!) um Hilfe rufen. Solltest du dagegen in einer deutschen Großstadt in eine Notlage geraten, stehen die Chancen ziemlich gut, dass du mit einem gebrochenen Bein im Hinterhof liegst und kein ausreichendes Netz hast.

Eine weitere Meldung, die bei mir erheblich Blutdruck verursacht hat, war diese: „Kritik an Bildungspaket: Bundesrechnungshof fordert Ende des Digitalpakts Schule“. Zusammengefasst: Der Bundesrechnoungshof kritisiert die Finanzierung des Digitalapaktes scharf und fordert, „auf die Verlängerung … zu verzichten“. Bemängelt wird, dass der Bund Gelder für Aufgaben ausgibt, die eigentlich den Ländern zugewiesen sind. Und: „Der Bund beteilige sich an einer Verbesserung des digitalen Lernens, ohne dass deren [sic] Erfolg feststellbar sei.“

Das platzt mir wirklich gerade die Hutschnur, bei all diesem Komptenzenquatsch! Solche Äußerungen versauern mir den Föderalismus von Jahr zu Jahr mehr.

Ich muss an dieser Stelle betonen, dass der Digitakpakt Schule das einzige mir bekannte wirklich sinnvolle Maßnahmenpaket ist, das ich in meiner bisherigen Schullaufbahn kennengelernt habe. Denn der Digitalpakt wurde von meinem chronisch unterfinanzierten Schulträger, der Stadt Bielefeld, dankend angenommen und umgesetzt. Aktuell werden alle (über 80!) Schulen des Schulträgers mit moderner digitaler Infrastruktur ausgestattet. Dabei hat die Stadt sehr wohl darauf geachtet, die Gelder nicht für Fotoprojekte (Smartboards) auf den Kopf zu hauen, sondern Praktikabilität und Infrastruktur in den Vordergrund gestellt (Glasfaser, Stromanschlüsse, einheitliches WLAN sowie Beamer + Lautsprecher oder große Displays und jeweils Apple-TV als Konzept für die ganze Stadt). Diese Ausstattung wird nun für jeden Unterrichtsraum in jeder einzelnen der über 80 Schulen plus Nebenstandorte angeschafft und installiert. Das erscheint mir alleine für unsere Schule mit gut 1.000 Schülerinnen ein Wahnsinn, aber das Ganze auf über achtzig Schulen hochgerechnet ist eine Mammutaufgabe, der sich der Schulträger hier in Bielefeld gestellt hat. Chapeau!

Noch hängen die Beamer nicht in meiner Schule und noch sind die Displays nicht installiert. Aber dank Digitalpakt weiß ich, dass die Fördergelder bei uns ankommen werden! Wie gesagt: Ein Schulträger, aber 80 Schulen, dabei ein Mangel an Handwerkern, ggf. Lieferschwierigkeiten – und auch in den Schulen ändern sich jährlich die Rahmenbedingungen durch neue Räume, Umbauten oder Neubauten. Ich habe ganz große Demut vor dem, was die Menschen in der Verwaltung gerade leisten. Dass eine „Verbesserung des digitalen Lernens“, wie die Damen und Herren auf den Bürostühlen des Bundesrechnungshofes bekritteln, nicht anhand der abgeflossenen Mittel gemessen werden könne, ist wohlfeil argumentiert. Ich behaupte: Ohne die digitale Mindestausstattung aufgrund des Digitalpaktes müssten wir auf die erhoffte Verbesserung noch lange warten.

Vielleicht sogar noch länger als auf ein zuverlässiges Mobilnetz in deutschen Großstädten. Mehr Panama, weniger Bürokratie!

Plötzlich Präsenz

That escalated quickly. Heute Mittag wurde es bekannt gegeben: Präsenzunterricht in voller Stärke in NRW ab dem 31. Mai. Für die nächste Woche legen wir aber doch noch eine ganz kurze Schicht „Wechselunterricht“ ein, um dann vermutlich wieder voll durchzustarten? Fragezeichen. Denn offiziell ist bei uns gar nichts, solange die Mail nicht angekommen ist. Im lokalen Radiosender kolportiert man sogar, dass es in Puddingstadt ggf. noch im Wechselmodell weitergehen soll, die Inzidenz in Bielefeld ist ja relativ hoch (ca. 114).

Nun bald volle Präsenz. Was soll man davon halten? Ich weiß es mittlerweile nicht mehr. Ist das nun okay, weil die Alten nun (überwiegend) geimpft sind oder ist es schlecht, weil dadurch Mutanten in Umlauf oder jüngere Jahrgänge und Kinder in Gefahr gebracht werden? Die meisten Kolleg:innen dürften mittlerweile erstgeimpft sein, die Kinder sind es nicht. Was ist mit den Eltern? Überwiegt dort die Sorge vor Infizierung oder die Erleichterung, nicht mehr Homeschooling betreiben zu müssen? Als Vater einer Grundschultochter bin ich auch nicht amused über den Distanzunterricht (oder dem, was die lokale Grundschule dafür zu halten scheint).

🤷🏻‍♂️

Limit.

Habe mir gerade zum ersten Mal seit Jahren einen kompletten Blogbeitrag ohne Hoffnung auf Wiederkehr gelöscht, und das, wo ich hier doch nur noch so selten schreibe. Ich versuch’s einfach noch einmal, obwohl der „Drive“ jetzt raus ist.

Es ging um Inklusion in einem Blogbeitrag bei der FAZ, und der Autor beobachtet, dass die Inklusion sich in vielen Bundesländern im Rückbau befindet. Das langsam Langeweile ansetzende Credo lautet: Es fehlt an Ressourcen.

Im Tagesspiegel berichtet eine Berliner Referendarin, wie sie durch den hohen Numerus Clausus ins Studium nach NRW gedrängt wurde, dort mit dem Mathestudium kämpfte, sich das Studium selbst finanzierte und nach sechs Jahre erfolgreich abschloss, nur um bei ihrer Rückkehr nach Berlin  festzustellen, dass in ihrem Seminar nun mehr Quereinsteiger als Lehramtsstudenten sitzen, diese aber mehr Geld bekommen, den Gang des Seminars bestimmen und vom Wissen der ausgebildeten Studenten profitieren. Auch den Einsatz der Quereinsteiger sieht sie kritisch:

Unter ihnen waren Kollegen, die wurden Leiter einer ersten Klasse, ohne je Erfahrungen in Alphabetisierung oder Elementarmathematik gesammelt zu haben. In der Grundschule zählt die Schuleingangsphase aber zur Königsdisziplin, die sich sogar nicht alle erfahrenen Kollegen fachlich und organisatorisch zutrauen.

Statt Lehrereinstellung am Limit zu betreiben, um Kosten zu sparen, sollten die Verwaltungen vielleicht einmal vorausschauend planen, denn die Kosten schlecht ausgebildeter Kinder werden am Ende höher ausfallen:

Die aktuelle wie die alte Berliner Regierung verantworten es, wenn es in ein paar Jahren normal ist, dass Kinder sogar mit den basalen Grundfertigkeiten Schwierigkeiten haben werden.

Richten werden das Ganze dann die Elternhäuser – und ratet mal, zu welchem Ergebnis dann die OECD-Studien („Soziale Herkunft entscheidet über Bildungserfolg“) kommen werden…

G9.

Mal wieder was aus der Abteilung „Rin inne Kartoffeln, raus aus de Kartoffeln“: „Der Weg ist frei für die Rückkehr zu G9“ Das sollte ich eigentlich mal zu einer eigenen Kategorie machen.

So kartoffelige Sachen hatten wir ja schon öfter mit diversen Curricula und dem Hü und Hott bei den Kopfnoten. Jetzt also wieder (vielleicht!) G9, wenn sich die Schulkonferenz dafür ausspricht. Und der Träger damit einverstanden ist, wenn ich das richtig sehe.

Es ist also auf Schulebene noch nix klar und es bleibt spannend.

Waffen.

Mann, das war heute ein Schultag, den ich so nicht hätte haben müssen.

Aber immer noch besser, als sich bewaffnete Lehrer in Schulen vorstellen zu müssen. Dass Trump sich nicht zu blöde ist, diese Schnapsidee der NRA in den öffentlichen Diskurs einzubringen, verwundert ja mittlerweile niemanden mehr. Bewaffnete Lehrer – was für ein Irrsinn!

Das müsste man sich mal vorstellen: Statt pädagogischer Tage zur Schulentwicklung abzuhalten, ginge es dann einmal im Halbjahr gemeinsam auf den Schießstand. Man bräuchte Waffenschränke im Schulgebäude und müsste sicherstellen, dass man immer ausreichend Abstand zu seinen Mitmenschen hält: Wer weiß, ob nicht jemand einem die Waffe aus dem Holster zieht?

Man kann es kaum begreifen. Vielleicht müssen erst die Kinder der Generation „School Shooting“ in die Parlamente einziehen, um dem Irrsinn Einhalt zu gebieten?

Wir sind schon „Flexi-Schule“

Ich mache eine kurze Pause in meiner Unterrichtsvorbereitung für die Inklusionsklasse, während ich über eine Schlagzeile stolpere: „Löhrmann will jetzt die Flexi-Schule“.

„Flexi“ scheint das neue Zauberwort der Politik zu werden. Immer dann, wenn man Verantwortung und feste Standpunkte umgehen, die unangenehme argumentative Auseinandersetzung mit dem Bürger vermeiden will, dann bietet man ihm „Flexi“ an. Nach der „Flexi-Rente“ kommt nun der Vorschlag meiner der NRW-Bildungsministerin Löhrmann, das Gymnasium abzuschaffen eine „Flexi-Schule“ einzurichten.

„Flexi“ beschreibt vielleicht auch das Rückgrat der Ministerin. Da wehte ihr nun offensichtlich einiges an Gegenwind aus der Ecke der G8-Gegner entgegen und anstatt standhaft zu bleiben, biegt sie sich zur Landtagswahl 2017 selber wie ein Gummibaum. Nichts bleibt mehr von der harten Pro-G8-Haltung, jetzt geht plötzlich alles.

Wir sind schon flexi

Es ist ja nicht so, dass die Schullandschaft seit Jahrzehnten erstarrt wäre. Als ich von der Uni an meine Ausbildungsschule kam, war ich durchaus erstaunt, wie sich das Arbeiten in der Oberstufe verändert hatte. Viel mehr Präsentationen der Schüler, weniger Frontalunterricht und eine Stärkung des wissenschaftspropädeutischen Arbeitens, da nun jeder Schüler in einem Fach seiner Wahl eine Facharbeit zu einem Thema seiner Wahl schreiben musste. Einen bilingualen Zweig bieten wir überdies auch noch.

Nichtsdestotrotz kann es der Schulpolitik ja nie genug sein. So war meine erste (und zwar die allererste!) Amtshandlung an meiner Schule nach der Festanstellung die Umarbeitung eines Curriculums. Es sollten noch einige folgen, denn es stand, nachdem gerade das Zentralabitur eingeführt worden war, der Wechsel auf das G8 bevor. Damit nicht genug, entschied man sich dafür, dass kurz darauf alle Lehrpläne kompetenzorientierte Lehrpläne sein sollten.

Gleichzeitig haben wir unser Gymnasium auf den gebundenen Ganztag umgestellt, mit allem, was dazugehört: Angepasste Stundentafeln, Pausenkonzepte, Raumkonzepte, Umstellung auf ein Doppelstundenraster, dauerhaftem Nachmittagsunterricht, zusätzlichen Aufsichten, Vertretungskonzepte, die direkte (und großartige) Intergration von Schulsozialarbeit und was noch alles so dazu gehört. Eine Qualitätsanalyse durften wir bei all dem auch noch über uns ergehen lassen. Ein Neubau wurde geschaffen (wir müssen ihn jedoch „dank“ der lokalen Schulpolitik bald schon wieder verlassen) und das bestehende Schulgelände durch den Einsatz weniger Engagierter gehörig aufgewertet.

Kaum war das geschafft und halbwegs in gefestigten Bahnen, brach die Inklusion über uns herein. In einem verdammt kurzen Zeitrahmen mussten plötzlich „Fortbildungen“ wahrgenommen werden (frei nach dem Motto: „friß oder stirb eben ohne Fortbildung“), die Förderung von emotional-sozial auffälligen, geistig behinderten oder Kindern mit sehr niedrigem Intelligenzquotienten vorbereitet werden, der Aufbau von Förderplänen diskutiert werden, und wir als Gymnasium übernehmen nun ganz nebenbei noch das, was bis vor kurzem noch spezialisierte Förderschulen geleistet haben. Es sitzen nun Kinder in meiner gymnasialen 5. Klasse, die von Klasse 1 Grundschule über Hauptschulniveau bis hin zur gymnasialen Eignung (und diversen Verhaltensauffälligkeiten) alles abdecken, was die Schullandschaft so zu bieten hat. Noch mehr flexi?

Geht! Wir unterrichten schließlich (ebenfalls trotz unfassbar kurzer Vorlaufzeit) auch die Kinder der Integrationsklassen. Auch da sind die Kolleginnen mit diversen Schwierigkeiten befasst: nicht vorhandene Alphabetisierung, traumatisierte Kinder, unterschiedliche Ausgangssprachen, heterogene Altersgruppen usw. Wir schaffen das. Und das ist keine Ironie. Ich glaube das. Woran ich jedoch nicht mehr glaube, das ist die durchideologiesierte Schulpolitik in NRW.

Energie schonen

„Flexi-Schule“ wird, wie jede Reform, zum schlechten Schluss bedeuten, dass die Schülerschaft und die Lehrerkollegien an dem zu Knappsen haben werden, was Frau Löhrmann am Schreibtisch an grünen Ideen gebiert. Wieder wird eine Menge Papier mit Konzepten bekritzelt werden, die nach einem Jahr über den Haufen geworfen werden. Wieder werden Nachmittage nicht mit der Planung von Unterricht, sondern mit der Erfüllung ministerieller Wünsche verbracht werden. Und wieder wird alles in kürzester Zeit hinfällig sein.

Ich entziehe mich nun diesem Spiel. Ich habe nach nur sieben Dienstjahren als „echter“ Lehrer reichlich die Schnauze voll von ständig geänderten Lehrplänen, unvollständigen Reformen, dem sinnlosen schulpolitischen Herumgebastel und Gewurschtel, dem lapidaren Abtun unserer Sorgen und Befürchtungen und verabschiede mich jetzt in die innere Emigration. Gut genug ist das, was wir machen, ja offensichtlich nie. Soll Frau Löhrmann sich doch irgendwas ausdenken, ausbaden muss ich es ja so oder so. Aber ich werde es ab jetzt auf die denkbar energieschonendste Art und Weise ausbaden.

Alleine schon wegen der „Flexi-Rente“.

600 Euro mehr

Ich habe mir ja für 2014 vorgenommen, hier positiver zu schreiben, weniger zu meckern, eher produktiv zu wirken! In diesem Sinne:

Wie schön, mit NRW endlich mal wieder Schlusslicht in einem Ranking zu sein!

(Es geht darum, was die Länder sich ihre Schüler kosten lassen. Würde man in NRW die 600€ drauflegen, die bis Niedersachsen fehlen, hätten alle Schüler ein prima Notebook. Oder alle Klassen Beamer. Oder pro zehn Schüler ein Smartboard. Wir haben aber auch recht viele Schüler in NRW, muss man zugeben…)

Sinkendes Schiff

Ich ärgere mich gerade über das „Bildungsprogramm“ der Piraten. Nebst einigem Schwachsinn (Rauschkunde? Wie tief sinkt das Piratenschiff noch?) stößt man aber auch auf Aussagen wie diese, die man in den letzten Wochen ja häufiger vernommen hat:

„Wir haben doch oft die Situation, dass jemand zum Beispiel in Mathe schlecht ist, in Sprachen aber super – und dann bleibt er nur wegen der 6 in Mathe komplett sitzen, obwohl er in anderen Fächern locker eine Klasse weiter könnte“, sagt Benjamin Stöcker, der ebenfalls für den Landtag kandidiert. (SZ)

Kennt jemand von euch solche Schüler? Mir ist – obwohl man die Situation ja ach so oft hätte – niemand bekannt, auf den das je zugetroffen wäre.

„Jeder ist seines Glückes Schmied“

Maik Riecken und Herr Rau haben per Twitter auf einen Strauß spannender Texte verwiesen, die mich gehörig ins Grübeln gebracht haben. Dass der Bologna-Prozess einen Widerspruch zu allem darstellte, was ich pädagogischerseits über das Lernen gelernt hatte und eine Wende hin zu einer universitären Form des Neoliberalismus darstellte, war schon zu Uni-Zeiten zu beobachten. Dass eben dieser Prozess nun mit Verspätung auch in den Schulen ankommt, mit dieser These beschäftigt sich der Text von „Gebattmer“ im GBlog (und gibt dabei auch einen ersten Einblick in den Diskussionsstand).

Mehrere Größen einer modernen Schule werden dort und in den verlinkten Artikeln einer Untersuchung unterzogen: So wird der Trend zur Individualisierung ebenso kritisiert wie die Funktion von Qualitätsanalysen oder die Kompetenzorientierung der Lehrpläne. Der Blick auf Schule ist dabei ein politischer, kein pädagogischer, dadurch natürlich auch perspektivisch gefärbt, was aber den Überlegungen und Beobachtungen keinen Abbruch tut. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Text von Andreas Hellgermann, Lehrer und Theologe an einem Berufskolleg.

Machtausübung durch Individualisierung

Alle die oben genannten Kennzeichen einer Schule spiegeln, folgt man den Autoren, nichts anderes als eine Form von Machtausübung, die auf direkten Zwang oder Gewalt verzichtet, aber im Ergebnis einen Schüler garantiert, für dessen „Marktförmigkeit der erworbenen Qualifikationen und Kompetenzen“ man garantieren kann; „der von Richard Sennet beschriebene »flexible Mensch«, der handeln kann, wo immer man ihn hinstellt, der funktioniert“ (Andreas Hellgermann).

Macht ohne Gewalt wird dadurch ausgeübt, dass man die Akteure (und das können sowohl die Schulen als auch die Schüler sein) durch den Zwang zur Selbstständigkeit lenkt, weil diese sich durch den Drang zur Individualisierung Beratern ausliefern, eigene Ziele formulieren und sich damit gleichzeitig der Kontrollinstanz der Standardisierung unterwerfen müssen:

»Jeder ist seines Glückes Schmied« ist eine so banale wie entscheidende Losung des neoliberalen Projektes, die immer dann aus der Tasche geholt wird, wenn es darum geht, die Ungerechtigkeit von Strukturen auf den Einzelnen abzuwälzen. Da dies in der Regel nicht zu einer Lösung, sondern tendenziell zur Überforderung des Subjekts in Schul-, Universitäts- und Arbeitszusammenhängen führt und der Einzelne nun damit beschäftigt ist, mit den jeweiligen Anforderungen klarzukommen, kann (…) die gesellschaftliche Grundordnung, nicht mehr in den Blick kommen und kritisch hinterfragt werden. (…)

An dieser Stelle wird nun auch deutlich, wozu die Standardisierungen in der Schule gebraucht werden: Sie sind die entscheidende Kontrollinstanz in Bezug auf das Handeln, weil nur mit ihnen überprüft werden kann, ob »richtig« gehandelt wurde. Und sie sind zugleich der Hinweis auf das Misstrauen gegenüber wirklicher Individualität und wirklicher Heterogenität, die möglicherweise doch zu »falschem« Handeln führen könnten.  (Andreas Hellgermann)

Erziehung zur Selbstkritik

Das klingt alles sehr theoretisch, aber ich habe meine Verwunderung noch gut vor Augen, als ich frisch von der Uni kommend, die gerade mit Anwesenheitszwängen und vorgefertigte Modulen die Freiheit des Lernens massiv beschränkte, ins nordrhein-westfälische Schulsystem wechselte, voller Ideen von offenerem Unterricht, freiem Lernen und der Erziehung zur Mündigkeit. Was mich dann erwartete, war ernüchternd. Pisa hatte mit seinen Schockwellen die Bildungsministerien erschüttert und nun erwarteten mich Vera 8, Vergleichsprüfungen in der damals noch existierenden zehnten Klasse und das Zentralabitur. Gleichzeitig sollten Schüler aber selbstbestimmt lernen, Lehrer möglichst nur als „Lerncoaches“ unterstützend zur Seite stehen, alle in ihrem eigenen Tempo lernen – letztlich aber bestens präpariert sein für die turnusmäßigen Disziplinierungs… äh… Prüfungen.. äh… Lernstandsmessungen. Weiterhin sollten die Schüler sich selbst bewerten, in Portfolios die eigene Entwicklung dokumentieren und sich zu Entwicklungsgesprächen (man nennt es Schülersprechtag) mit ihren Lehrern treffen.

Führt man dieses Vorgehen vom einzelnen Schüler und Lehrer weiter auf die institutionelle Ebene, so kommt man zwangsläufig auf das neu eingeführte Instrument der schulischen Qualitätsanalyse (gefühlt jede Schule meiner Twitter-Timeline hat aktuell eine vor oder hinter sich). Auch hier vereinbaren Schulen nach „wertfreier Evaluation“ bezüglich bestimmter „Qualitätsstandards“ (man zählt z.B., wie oft schulweit die Meldekette eingesetzt wurde!) „eigene“ Ziele und Lösungen, benötigen dafür „Coaches“, führen „Portfolios“ und müssen ferner dafür sorgen, dass neue Evaluationen stattfinden. Die Unterwerfung unter den neoliberalen Wirtschaftssprech ist bezeichnend, von einer Sprache der Pädagogik keine Spur. Bezugnehmend auf Foucaults Konzept der Pastoralmacht folgert Hellgermann, dass „Macht- und Disziplinierungstechniken in das Subjekt hinein verlagert“ werden und damit auch der Begriff der „Kritik“ sich wandele, indem er sich wesentlich nur auf Subjekte beziehe. Kritik gibt es dann nur noch an falschen Arbeitsabläufen, an falsch handelnden Subjekten, an fehlender Evaluation etc. Das System selbst entziehe sich der Kritik.

Ich finde die Beobachtungen Hellgermanns sehr bedenkenswert, wenn auch vieles in der Realität (zunächst?) weniger dramatisch erscheinen mag, und es zu bedenken ist, dass Schule nicht stromlinienförmig funktioniert und Lehrer sehr wohl nicht nur kompetenzorientiert, sondern immer auch inhaltlich arbeiten und eigenständiges Denken einfordern. Aber die Tendenz der Beobachtung ist bedenkenswert und wirft ein anderes Licht auf vieles, was auf den ersten Blick so nett und hilfreich wirkt.