Ich mache eine kurze Pause in meiner Unterrichtsvorbereitung für die Inklusionsklasse, während ich über eine Schlagzeile stolpere: „Löhrmann will jetzt die Flexi-Schule“.
„Flexi“ scheint das neue Zauberwort der Politik zu werden. Immer dann, wenn man Verantwortung und feste Standpunkte umgehen, die unangenehme argumentative Auseinandersetzung mit dem Bürger vermeiden will, dann bietet man ihm „Flexi“ an. Nach der „Flexi-Rente“ kommt nun der Vorschlag meiner der NRW-Bildungsministerin Löhrmann, das Gymnasium abzuschaffen eine „Flexi-Schule“ einzurichten.
„Flexi“ beschreibt vielleicht auch das Rückgrat der Ministerin. Da wehte ihr nun offensichtlich einiges an Gegenwind aus der Ecke der G8-Gegner entgegen und anstatt standhaft zu bleiben, biegt sie sich zur Landtagswahl 2017 selber wie ein Gummibaum. Nichts bleibt mehr von der harten Pro-G8-Haltung, jetzt geht plötzlich alles.
Wir sind schon flexi
Es ist ja nicht so, dass die Schullandschaft seit Jahrzehnten erstarrt wäre. Als ich von der Uni an meine Ausbildungsschule kam, war ich durchaus erstaunt, wie sich das Arbeiten in der Oberstufe verändert hatte. Viel mehr Präsentationen der Schüler, weniger Frontalunterricht und eine Stärkung des wissenschaftspropädeutischen Arbeitens, da nun jeder Schüler in einem Fach seiner Wahl eine Facharbeit zu einem Thema seiner Wahl schreiben musste. Einen bilingualen Zweig bieten wir überdies auch noch.
Nichtsdestotrotz kann es der Schulpolitik ja nie genug sein. So war meine erste (und zwar die allererste!) Amtshandlung an meiner Schule nach der Festanstellung die Umarbeitung eines Curriculums. Es sollten noch einige folgen, denn es stand, nachdem gerade das Zentralabitur eingeführt worden war, der Wechsel auf das G8 bevor. Damit nicht genug, entschied man sich dafür, dass kurz darauf alle Lehrpläne kompetenzorientierte Lehrpläne sein sollten.
Gleichzeitig haben wir unser Gymnasium auf den gebundenen Ganztag umgestellt, mit allem, was dazugehört: Angepasste Stundentafeln, Pausenkonzepte, Raumkonzepte, Umstellung auf ein Doppelstundenraster, dauerhaftem Nachmittagsunterricht, zusätzlichen Aufsichten, Vertretungskonzepte, die direkte (und großartige) Intergration von Schulsozialarbeit und was noch alles so dazu gehört. Eine Qualitätsanalyse durften wir bei all dem auch noch über uns ergehen lassen. Ein Neubau wurde geschaffen (wir müssen ihn jedoch „dank“ der lokalen Schulpolitik bald schon wieder verlassen) und das bestehende Schulgelände durch den Einsatz weniger Engagierter gehörig aufgewertet.
Kaum war das geschafft und halbwegs in gefestigten Bahnen, brach die Inklusion über uns herein. In einem verdammt kurzen Zeitrahmen mussten plötzlich „Fortbildungen“ wahrgenommen werden (frei nach dem Motto: „friß oder stirb eben ohne Fortbildung“), die Förderung von emotional-sozial auffälligen, geistig behinderten oder Kindern mit sehr niedrigem Intelligenzquotienten vorbereitet werden, der Aufbau von Förderplänen diskutiert werden, und wir als Gymnasium übernehmen nun ganz nebenbei noch das, was bis vor kurzem noch spezialisierte Förderschulen geleistet haben. Es sitzen nun Kinder in meiner gymnasialen 5. Klasse, die von Klasse 1 Grundschule über Hauptschulniveau bis hin zur gymnasialen Eignung (und diversen Verhaltensauffälligkeiten) alles abdecken, was die Schullandschaft so zu bieten hat. Noch mehr flexi?
Geht! Wir unterrichten schließlich (ebenfalls trotz unfassbar kurzer Vorlaufzeit) auch die Kinder der Integrationsklassen. Auch da sind die Kolleginnen mit diversen Schwierigkeiten befasst: nicht vorhandene Alphabetisierung, traumatisierte Kinder, unterschiedliche Ausgangssprachen, heterogene Altersgruppen usw. Wir schaffen das. Und das ist keine Ironie. Ich glaube das. Woran ich jedoch nicht mehr glaube, das ist die durchideologiesierte Schulpolitik in NRW.
Energie schonen
„Flexi-Schule“ wird, wie jede Reform, zum schlechten Schluss bedeuten, dass die Schülerschaft und die Lehrerkollegien an dem zu Knappsen haben werden, was Frau Löhrmann am Schreibtisch an grünen Ideen gebiert. Wieder wird eine Menge Papier mit Konzepten bekritzelt werden, die nach einem Jahr über den Haufen geworfen werden. Wieder werden Nachmittage nicht mit der Planung von Unterricht, sondern mit der Erfüllung ministerieller Wünsche verbracht werden. Und wieder wird alles in kürzester Zeit hinfällig sein.
Ich entziehe mich nun diesem Spiel. Ich habe nach nur sieben Dienstjahren als „echter“ Lehrer reichlich die Schnauze voll von ständig geänderten Lehrplänen, unvollständigen Reformen, dem sinnlosen schulpolitischen Herumgebastel und Gewurschtel, dem lapidaren Abtun unserer Sorgen und Befürchtungen und verabschiede mich jetzt in die innere Emigration. Gut genug ist das, was wir machen, ja offensichtlich nie. Soll Frau Löhrmann sich doch irgendwas ausdenken, ausbaden muss ich es ja so oder so. Aber ich werde es ab jetzt auf die denkbar energieschonendste Art und Weise ausbaden.
Alleine schon wegen der „Flexi-Rente“.
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All diese bunten Kühe, die durch die Schuldörfer getrieben werden. Und meist verdeckt das
pädagogische Mäntelchen nur unvollständig das Gespenst des Sparwillens. Förderschulen auflösen, Lehrerstundenzahl hoch setzen, Arbeitszeiten ausweiten. Mit den Jahren durchschaut man, was so mit einem gemacht wird. Dann die Lust am Unterrichten und den Kindern nicht zu verlieren, das ist die Kunst. Dazu muss man sich leider von dem Gedanken verabschieden, durch Arbeit im administrativen Bereich etwas verändern zu können.
Der Eindruck entsteht nämlich, durch die übergeordneten Behörden einfach nur missbraucht zu werden. Um vergnügt den Lehrkörper gesund bis zur Pensionierung durch die Schule zu manöverieren, muss der Plan gut sein. Keine nervigen Arbeitskreise mehr, keine Qualitätssicherungssitzungen mehr, dafür die Energie in das stecken, wofür man Lehrer geworden ist: Kindern die Welt zu öffnen. Dafür muss man aber in vielen Konferenzen zum Fenster hinausgucken und sich auf seine Hände setzen, dass man sich nicht aus Versehen meldet. Und aufpassen, dass man nicht befördert wird, dann hat man nämlich den Salat.
Viel Erfolg Ihnen!
Du sprichst es aus. :-/
Bedauerlich, dass es (immer wieder) so kommt.