Ganztag. Doppelstunden. Halbtag?

Immer wieder beklagt man in der Öffentlichkeit die Unbeweglichkeit des Schulsystems. Dabei ist es die ganze Zeit in Bewegung. Zwar leider nur drei Schritte vor und dann wieder zwei zurück, aber in Bewegung ist es die ganze Zeit. Mal gibt es Kopfnoten, dann wieder nicht. Mal gibt es Inklusion, dann wieder nicht. Mal gibt es G8, dann wieder G9. Und mit dem Wechsel zu G9 steht auch die von der vorigen Regierung besonders propagierte Idee der Ganztagsschule wieder in Frage. Das erhöhte Stundenvolumen durch ein zusätzliches Schuljahr ermöglicht es den Gymnasien theoretisch, sich wieder fast vollständig nur als Halbtagsgymnasien zu präsentieren. Aber ist das sinnvoll?

An meiner Schule sind wir seit einigen Jahren im Ganztag – und auch für uns stellt sich die Frage, ob und wie wir diesen unter G9-Bedingungen weiter fortsetzen wollen. Ich möchte im Folgenden beschreiben, welche Vor- und Nachteile ich im Ganztag aus Lehrersicht wahrnehme.

Ganztag an meinem Gymnasium

Ein vollständiger, langer Schultag erstreckt sich bei uns von 7.50 Uhr bis 15.35 Uhr. Es gibt (mit Ausnahme für die fünften Klassen) eine Mittagspause von 13.05 bis 14.05 Uhr. Ganztag ist bei uns nicht zu denken ohne das Doppelstundenmodell. Wir haben an langen Tagen vier Lernphasen, die jeweils 90 Minuten umfassen, also immer von einer Doppelstunde Unterricht abgedeckt werden. Schülerinnen und Lehrerinnen haben also immer höchstens vier Fächer, auf die sie vorbereitet sein müssen.

Da wir die zusätzlichen Ganztagsstunden nicht schlicht für mehr Unterricht nutzen dürfen, verwenden wir sie für eigenständige Lernphasen sowie Wahlpflicht-AG-Stunden oder Klassenprojektstunden, in denen die Klassenleitungen Gelegenheit haben, sich um organisatorische und pädagogische Belange ihrer Klasse zu kümmern. Besonders letztere befreien Klassenleitungen davon, Teile ihres Fachunterrichts opfern zu müssen, und sie helfen dabei, sinnvolle Einrichtungen wie den Klassenrat zu institutionalisieren. In einem 45-Minuten-Modell hätte der wenig Chancen.

Aufgrund des Ganztages ist es uns möglich, eine Schulsozialarbeiterin direkt vor Ort zu haben, die neben ihren pädagogischen Aufgaben auch für Angebote in den Mittagspausen und bei Schulveranstaltungen sorgt. Als Klassenleitung bin ich dieser Kollegin schon mehr als tausend Dank schuldig, weil sie in harten Zeiten viel Last von meinen Schultern genommen hat. Schule ohne Schulsozialarbeit mag ich mir nicht mehr vorstellen.

Vorteile des Doppelstundenmodells

Als wir über das Doppelstundenmodell debattierten, hatte ich als neuer, frisch aus dem Referendariat stammender Kollege, die Befürchtung, dass es sehr anstrengend sein könnte, jede Stunde als Doppelstunde planen zu müssen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Statt – wie zuvor an einem „normalen“ sechsstündigen Tag fünf bis sechs Lerngruppen – muss ich nun nur maximal vier Lerngruppen vorbereiten.

90 Minuten reichen im herkömmlichen Unterricht für fast alles. Man kommt nicht in Zeitprobleme bei Klassenarbeiten (wie man die je in 45 Minuten sinnvoll schreiben lassen konnte?) und Arbeitsphasen können sinnvoll zu Ende geführt werden. Referendare können immer die von den Fachleitern geschätzte Auswertungsphase zeigen, auch wenn die Schülerinnen einmal etwas länger brauchen. Nahezu alle Arbeitsformen, die etwas mehr Zeit beanspruchen, können jederzeit durchgeführt werden und auch Filme können gezeigt und direkt nachbesprochen werden. Die unsinnigen Zwänge eines 45-Minuten-Rasters sind nicht mehr existent und das ist gut so.

Als Ganztagsgymnasium müssen wir logischerweise mehr Stunden abdecken als Halbtagsgymnasien. So kommt es, dass ich nicht jeden Tag meine sechs Schulstunden „herunterreiße“, sondern an manchen Tagen acht Stunden. Das wiederum hat zur Folge, dass ich an anderen Tagen ggf. nur vier Stunden unterrichten muss – und diese teilweise erst um 9.40 Uhr beginnen. Mitten in der Woche am Morgen entspannt im Arbeitszimmer arbeiten zu können, ist eine Errungenschaft des Doppelstunden-Ganztags.

Negativer Nebenaspekt des Doppelstundenmodells sind die sogenannten „Springstunden“. Das sind regelmäßige Freistunden, in denen man mitten im Schultag nicht eingesetzt werden kann (z.B. montags in der 3./4. Stunde). Was einem in den ersten beiden Stunden einen langen Morgen beschert, sorgt mitten am Schultag für Leerlauf. Wichtig ist darum, dass man eigenständig dafür sorgt, dass die Zeit sinnvoll genutzt wird: So kann man bei guter Planung Korrekturen, Klassen-Orga, Gesprächstermine, Vorbereitung etc. in diese Phasen legen und so seinen Nachmittag etwas entlasten.

Das klingt nun alles ganz prima, doch so einfach ist es nicht. Entlastend ist der Ganztag auf seine Weise schon, aber…

Nachteile

… wenn ich nachmittags nach Hause komme, bin ich im wahrsten Sinne des Wortes „durch“. In der Regel ist das gegen 16.00 Uhr, wenn nicht noch andere Termine hintendranliegen. Danach geht außer Vorbereitung nicht mehr viel, Korrekturen schiebe ich darum konsequent ins Wochenende oder in die Ferien. Habe ich eine Klassenleitung, lege ich telefonische Elterngespräche und E-Mails in die Abendstunden

Habe ich hingegen kurze Tage (also sechs durchgehende Vormittagsstunden), kommen diese mir vor wie Urlaub.

Die Mittagspause

Die einstündige Mittagspause – so wichtig sie vor dem Nachmittagsunterricht für Schülerinnen und Lehrerinnen ist – frisst auch eine Stunde Zeit, die man sich im Halbtagsmodell sparen kann. Eine „echte“ Pause ist es meist sowieso nicht, weil man dann ja (fast) alle Kolleginnen über eine Stunde hinweg erreichen kann und immer dringend irgendwelche Dinge klären muss. Drängen die Korrekturen, dann nehme ich mir meine Arbeit auch mit in die Mittagspause – und unser Korrekturraum ist immer gut besetzt.

Zudem hat der Schulträger uns mit dem Bau der Mensa einen schönen Kuckuck ins Nest gesetzt: Niemand möchte da gerne essen. Lehrerinnen zweier Schulen meiden es gänzlich, dort zu essen. Lediglich einige Schülerinnen, überwiegend aus den unteren Klassen, nutzen das Mensaangebot. Ein Gefühl von Entspannung mag dort nicht so recht aufkommen – dazu und zu dem Irrsinn der Architektur dieses jungen Gebäudes mal in einem anderen Beitrag.

A- und B-Wochen

Das Doppelstundenmodell erfordert, dass Fächer, die in ungerader Stundenzahl unterrichtet werden, derart auf zwei Wochen verteilt werden, dass sie ins Modell passen. Also wird ein Oberstufengrundkurs mit drei Stunden so auf zwei Wochen verteilt, dass er in einer Woche mit zwei und in der Folgewoche mit vier Stunden vertreten ist. Deshalb haben wir „A- und B-Wochen“, sprich: jede Klasse, jede Kollegin hat zwei Stundenpläne, damit alle Stunden ins Doppelstundenraster passen. Das ist nicht wirklich schlimm, aber ich weiß grundsätzlich nie, in welcher Woche ich gerade bin und welche Stunden ich morgen habe. Einen einwöchigen Plan hat man sich im Gegensatz dazu schnell gemerkt.

Ungünstig ist diese Aufteilung auch, wenn man das Pech hat, dass viele Feier- oder Brückentage, ggf. auch Klausurtermine auf bestimmte Tage fallen: Dann kann es passieren, dass meine achte Klasse mich in Geschichte nicht so häufig sieht, weil ja immer gleich alle beiden Wochenstunden gleichzeitg ausfallen – und nicht nur eine, wie es im Halbtagsmodell der Fall wäre.

Auch Referendare kämpfen oft mit unserem Doppelstundenmodell, da dieses es ihnen sehr erschwert, (Oberstufen)kurse zu finden, die nicht an ihrem Seminartag oder parallel zu ihrem eigenen Unterricht liegen. Auch die Terminierung von Unterrichtsbesuchen ist etwas komplizierter, und die meisten Fachleiter kommen nur sehr ungerne für eine Doppelstunde.

Also ist leider nicht alles Gold, was glänzt! Was tun? Wieder zurück zum Halbtag?

Lösung Halbtag?

Ich finde nicht. Es gibt ja zum Glück Erfahrungen von Kolleginnen. Eine, die ihren Weg an eine Halbtagsschule gemacht hat, berichtet, dass ihr die Rückkehr an ein Halbtagsgymnasium durchaus als stressiger erscheint; besonders die Vorbereitung der Einzelstunden würde viel Zeit beanspruchen und für „Arbeitszeitfraß“ sorgen. Dazu komme die volle Schultasche und nur kurze Pausen zwischen den Stunden.

Würden wir zum Halbtag zurückkehren, gäbe es keine AGs mehr, keine wertvollen Klassenprojektstunden und ein Rückbau der Lernzeiten und Förderstunden wäre die Folge, was mehr als bedauerlich wäre. Ich habe oben schon zum Ausdruck gebracht, dass ich mir Schule ohne unmittelbare Schulsozialarbeit nicht mehr vorstellen mag und das wäre leider die Konsequenz einer Halbtagsschule. Die Doppelstunden entlasten den Schultag und ermöglichen ergiebige Arbeitsphasen. Ein Halbtag könnte so nur eine Verschlechterung pädagogischer Arbeit bedeuten.

„Jeder ist seines Glückes Schmied“

Maik Riecken und Herr Rau haben per Twitter auf einen Strauß spannender Texte verwiesen, die mich gehörig ins Grübeln gebracht haben. Dass der Bologna-Prozess einen Widerspruch zu allem darstellte, was ich pädagogischerseits über das Lernen gelernt hatte und eine Wende hin zu einer universitären Form des Neoliberalismus darstellte, war schon zu Uni-Zeiten zu beobachten. Dass eben dieser Prozess nun mit Verspätung auch in den Schulen ankommt, mit dieser These beschäftigt sich der Text von „Gebattmer“ im GBlog (und gibt dabei auch einen ersten Einblick in den Diskussionsstand).

Mehrere Größen einer modernen Schule werden dort und in den verlinkten Artikeln einer Untersuchung unterzogen: So wird der Trend zur Individualisierung ebenso kritisiert wie die Funktion von Qualitätsanalysen oder die Kompetenzorientierung der Lehrpläne. Der Blick auf Schule ist dabei ein politischer, kein pädagogischer, dadurch natürlich auch perspektivisch gefärbt, was aber den Überlegungen und Beobachtungen keinen Abbruch tut. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Text von Andreas Hellgermann, Lehrer und Theologe an einem Berufskolleg.

Machtausübung durch Individualisierung

Alle die oben genannten Kennzeichen einer Schule spiegeln, folgt man den Autoren, nichts anderes als eine Form von Machtausübung, die auf direkten Zwang oder Gewalt verzichtet, aber im Ergebnis einen Schüler garantiert, für dessen „Marktförmigkeit der erworbenen Qualifikationen und Kompetenzen“ man garantieren kann; „der von Richard Sennet beschriebene »flexible Mensch«, der handeln kann, wo immer man ihn hinstellt, der funktioniert“ (Andreas Hellgermann).

Macht ohne Gewalt wird dadurch ausgeübt, dass man die Akteure (und das können sowohl die Schulen als auch die Schüler sein) durch den Zwang zur Selbstständigkeit lenkt, weil diese sich durch den Drang zur Individualisierung Beratern ausliefern, eigene Ziele formulieren und sich damit gleichzeitig der Kontrollinstanz der Standardisierung unterwerfen müssen:

»Jeder ist seines Glückes Schmied« ist eine so banale wie entscheidende Losung des neoliberalen Projektes, die immer dann aus der Tasche geholt wird, wenn es darum geht, die Ungerechtigkeit von Strukturen auf den Einzelnen abzuwälzen. Da dies in der Regel nicht zu einer Lösung, sondern tendenziell zur Überforderung des Subjekts in Schul-, Universitäts- und Arbeitszusammenhängen führt und der Einzelne nun damit beschäftigt ist, mit den jeweiligen Anforderungen klarzukommen, kann (…) die gesellschaftliche Grundordnung, nicht mehr in den Blick kommen und kritisch hinterfragt werden. (…)

An dieser Stelle wird nun auch deutlich, wozu die Standardisierungen in der Schule gebraucht werden: Sie sind die entscheidende Kontrollinstanz in Bezug auf das Handeln, weil nur mit ihnen überprüft werden kann, ob »richtig« gehandelt wurde. Und sie sind zugleich der Hinweis auf das Misstrauen gegenüber wirklicher Individualität und wirklicher Heterogenität, die möglicherweise doch zu »falschem« Handeln führen könnten.  (Andreas Hellgermann)

Erziehung zur Selbstkritik

Das klingt alles sehr theoretisch, aber ich habe meine Verwunderung noch gut vor Augen, als ich frisch von der Uni kommend, die gerade mit Anwesenheitszwängen und vorgefertigte Modulen die Freiheit des Lernens massiv beschränkte, ins nordrhein-westfälische Schulsystem wechselte, voller Ideen von offenerem Unterricht, freiem Lernen und der Erziehung zur Mündigkeit. Was mich dann erwartete, war ernüchternd. Pisa hatte mit seinen Schockwellen die Bildungsministerien erschüttert und nun erwarteten mich Vera 8, Vergleichsprüfungen in der damals noch existierenden zehnten Klasse und das Zentralabitur. Gleichzeitig sollten Schüler aber selbstbestimmt lernen, Lehrer möglichst nur als „Lerncoaches“ unterstützend zur Seite stehen, alle in ihrem eigenen Tempo lernen – letztlich aber bestens präpariert sein für die turnusmäßigen Disziplinierungs… äh… Prüfungen.. äh… Lernstandsmessungen. Weiterhin sollten die Schüler sich selbst bewerten, in Portfolios die eigene Entwicklung dokumentieren und sich zu Entwicklungsgesprächen (man nennt es Schülersprechtag) mit ihren Lehrern treffen.

Führt man dieses Vorgehen vom einzelnen Schüler und Lehrer weiter auf die institutionelle Ebene, so kommt man zwangsläufig auf das neu eingeführte Instrument der schulischen Qualitätsanalyse (gefühlt jede Schule meiner Twitter-Timeline hat aktuell eine vor oder hinter sich). Auch hier vereinbaren Schulen nach „wertfreier Evaluation“ bezüglich bestimmter „Qualitätsstandards“ (man zählt z.B., wie oft schulweit die Meldekette eingesetzt wurde!) „eigene“ Ziele und Lösungen, benötigen dafür „Coaches“, führen „Portfolios“ und müssen ferner dafür sorgen, dass neue Evaluationen stattfinden. Die Unterwerfung unter den neoliberalen Wirtschaftssprech ist bezeichnend, von einer Sprache der Pädagogik keine Spur. Bezugnehmend auf Foucaults Konzept der Pastoralmacht folgert Hellgermann, dass „Macht- und Disziplinierungstechniken in das Subjekt hinein verlagert“ werden und damit auch der Begriff der „Kritik“ sich wandele, indem er sich wesentlich nur auf Subjekte beziehe. Kritik gibt es dann nur noch an falschen Arbeitsabläufen, an falsch handelnden Subjekten, an fehlender Evaluation etc. Das System selbst entziehe sich der Kritik.

Ich finde die Beobachtungen Hellgermanns sehr bedenkenswert, wenn auch vieles in der Realität (zunächst?) weniger dramatisch erscheinen mag, und es zu bedenken ist, dass Schule nicht stromlinienförmig funktioniert und Lehrer sehr wohl nicht nur kompetenzorientiert, sondern immer auch inhaltlich arbeiten und eigenständiges Denken einfordern. Aber die Tendenz der Beobachtung ist bedenkenswert und wirft ein anderes Licht auf vieles, was auf den ersten Blick so nett und hilfreich wirkt.

Beobachtungen zur Motivation

(Ein Beitrag zur Blogparade bei Fontanefan)

„Er ist nur nicht richtig motiviert, da müssten Sie mal was dran machen!“

Worte eines studierten und beruflich erfolgreichen Elternteils beim Elternsprechtag, angesichts der Tatsache, dass das eigene Kind mit dem gymnasialen Stoff und Tempo insgesamt überfordert ist. Kubiwahn spricht in seinem Beitrag zum Thema ähnliche Erfahrungen an:

Wogegen ich mich aber immer verwehre ist diese Haltung […]: dass man in der Schulklasse nur die “richtigen” Knöpfe drücken muss, um motivierte Schüler zu haben – respektive: dass unmotivierte Schüler nur ein Zeichen eines unfähigen Lehrers ist.

Motivation „erzeugen“ zu wollen, erinnert mich an die hilflosen Versuche von großen Firmen und Konzernen, Motivation per Bestellung mithilfe von „Motivationsprofis“ á la Jürgen Höller zu generieren, indem man seine Angestellten möglichst motiviert über glühende Kohlen schickte. Und  – „Tschaka!“ – wer das geschafft hatte, war von nun an ein dauerhaft motiviertes Mitglied der Abteilung. Nicht wirklich. Und trotzdem gibt es heute noch Eltern, die ihre Kinder zu genau solchen Seminaren schleppen.

Ein schillerndes Chamäleon
Dieses Verständnis von Motivation greift  zu kurz und lässt vereinfachend die Rahmenbedingungen von Motivation außer Acht. Motivation hängt von zahllosen Faktoren ab und ist ein ziemlich fragiles Gebilde. Das fängt schon mit dem morgendlichen Aufstehen an:

  • Starte ich motiviert in meinen den Tag oder nicht?
  • Habe ich gut geschlafen oder schlecht?
  • Bin ich gesund?
  • Scheint die Sonne, drückt mir graues Wetter aufs Gemüt?
  • Treffe ich in der Schule auf nette Menschen oder nicht? Habe ich Freunde oder befürchte ich Mobbing?
  • Wie geht es meinen Eltern, Freunden, Geschwistern? Ist alles in Ordnung oder liegt Ärger in Form von Scheidung oder ähnlich schweren Streitigkeiten in der Luft?
  • Stecke ich in der Pubertät? Habe ich vielleicht Liebeskummer?
  • Habe ich überhaupt ausreichend Energie, um motiviert zu sein? Frühstück vergessen reicht schon…
  • usw.

Und das war gewiss nur ein kleiner Teil der möglichen Faktoren, die Motivation beeinflussen können und die Möglichkeit, auf diese als Lehrer von außen einzuwirken, erscheint mir sehr gering – will man nicht auf Höller-Hokus-Pokus setzen. Ich kann mir als Lehrer nur denken, was möglicherweise Schüler (de-)motiviert, aber wissen kann ich es nur in den seltensten Fällen. Aufgrund der Komplexität ist eines sicher: Motivation ist ein schillerndes Chamäleon, und welche Farbe ich gerade sehe, hängt davon ab, wo ich mich befinde, aber in den seltensten Fällen davon, wo der Schüler gerade wirklich steht. Gründe für (De-)Motivation sind immer nur meine Hypothese, wirklich wissen tue ich nichts (und schon gar nicht bei 150 Schülern).

Kann man den unmotivierten Lerner abschaffen?
Diese Frage stellt Fontanefan in seinem Einstieg in die Blogparade. Es wird ja gerne biologistisch argumentiert. Der Mensch sei von Natur aus Lerner, das Gehirn eine brutale Lernmaschine und dergleichen mehr. Schule verhindere nur diesen Prozess. Herr Rau setzte sich in seinem Beitrag mit dieser These kurz auseinander. Ein Mensch ist mehr als ein Hirn. Genauso gut kann man sagen, der Mensch ist evolutionsbiologisch betrachtet ein barfußlaufender Langstreckenjäger, dessen Stoffwechsel auf eine relativ geringe Nahrungsaufnahme ausgelegt ist. Trotzdem tun die meisten Menschen den Teufel, statt den ganzen Tag barfuß durch die Gegend zu rennen. Und einige sind auch ganz schön fett, obwohl sie theoretisch durchaus mit ziemlich wenig Nahrung auskämen (wo sie doch nicht einmal barfuß herumrennen). Und obwohl so ziemlich alle wissen, dass ihr widernatürliches Verhalten langfristig nachhaltig ungesund ist, ändern sie nichts daran. Menschen verhalten sich eben nicht so, wie wissenschaftliche Idealvorstellungen es gerne hätten. Das gilt auch in der Schule.

Will sagen: Wir sollten als Lehrer unser Bestes geben unsere Schüler zu motivieren, aber wir müssen uns auch nicht alles ans Bein binden, was die anderen so krähen. So wenig alle Menschen begeisterte Jogger werden, obwohl ihre Körper doch dafür wie geschaffen sind und man bei jedem beobachten kann, wie die Muskeln sich nach und nach kräftigen, der Körperfettanteil sinkt und die allgemeine Befindlichkeit sich verbessert, so wenig werden wir es schaffen, jedes Hirn für unsere Fächer, Inhalte, Themen und Problemstellungen zu motivieren.

Zeit für Abgehängte
Was ich mir wünschte, wäre Raum und Zeit für scheinbar unmotivierte Schüler, die Freiheit, andere Aufgabenstellungen verteilen zu dürfen (Daniel Pennac beschreibt in seinem Buch „Schulkummer“, wie er einem unmotivierten Schüler alternative Aufgaben stellte. Ich glaube, er sollte ein komplexes Buch lesen und musste dafür keine Klassenarbeit schreiben). Oft lassen wir Schüler mit ihren Schwierigkeiten zurück und diese verlieren den Anschluss, das demotiviert sowohl sachlich (ich kann es ja immer noch nicht!) als auch persönlich (die anderen sind schlauer als ich!) und sozial (die anderen kümmern meine Schwierigkeiten nicht!).

Letzte Woche hatte ich die einmalige Gelegenheit, mit einem Latein-Praktikanten im Grammatikunterricht Team-Teaching zu machen. Das war grandios! Ich habe mir die Unmotivierten an meinen Tisch geholt und wir haben zu Fünft Grammatik wiederholt, dass die Schwarte krachte. Und ich konnte alles fünf Mal erklären, ohne dass fünfundzwanzig andere gelangweilt die Augen rollten, und das Beste war, wenn ich aus jedem der fünf Münder dieses erleichterte „Ach so funktioniert das!“ hören konnte, und am Ende jeder einzelne die Übungsaufgaben selber an seinem Platz weiterarbeiten konnte. Mehr Zeit für individuelle Betreuung, die hätte ich manchmal gerne, damit niemand abgehängt wird.

Start ins Schuljahr 2012/13

Geschafft! Der Start ins neue Schuljahr ist geglückt und ich bin, wie Jan-Martin Klinge, stolzer Klassenlehrer einer neuen Fünf, obwohl ich sagen muss, dass ich mich von meiner vorherigen siebten Klasse schon mit zwei weinenden Augen verabschiedet habe – es ist doch sehr schade, dass man „seine“ Klasse gerade in dem Moment abgeben muss, in dem sich alle richtig gut kennen und überwiegend auch sehr gut verstehen. Die hätte ich gerne bis zur Oberstufe unterrichtet.

Und jetzt geht alles wieder von vorne los. 32 neue Schüler, mir völlig unbekannt und die spannende Frage: Wie wird das nun die nächsten drei Jahre werden? Welche Schüler werden auf die eine oder andere Weise besonders herausstechen und mit welchen Kollegen wird es Reibungen geben? Wie wird sich die Arbeit mit den Eltern gestalten? Wird es auch wieder diese eingängige Phase geben, in der Eltern wegen Nichtigkeiten abends anrufen wie „XY hat den Bleistift meines Kindes zerbrochen.“ oder „Es könnte sein, dass mein Sohn vielleicht irgendwann einmal gemobbt wird…“? Werde ich wieder den Typus der Übermutter treffen, der Mücken zu Elefanten (oder eine nette Klasse zu Monstern) macht und dem eigenen Kind kaum Luft zum Atmen lässt?

Überhaupt die Angst vor Mobbing. Das war meiner Beobachtung nach in der letzten Anfangsphase die größte der Eltern, und sie hat sich zum Glück nicht manifestiert. Ich glaube, dass die Institutionalisierung des Klassenrates viel dazu beigetragen hat, unbotmäßiges Verhalten abzufangen, und irgendwie hat es in dieser speziellen Klasse gut funktioniert, dass die guten Schüler auch die peer-group-leader waren. Es musste sich niemand wegen guter Leistungen verstecken, das ist wichtig für ein unverkrampftes Klassenklima. Ich erlebe gerade in einer anderen Klasse das genaue Gegenteil, und es ist schwer, dagegen anzugehen.

Viele Weichen werden sich schon in den nächsten Wochen stellen und darum heißt es, aufmerksam sein. Ich bin gespannt, ob die neue Klasse am Ende auch so viel Spaß machen wird, wie die letzte.

Blogparade: Reflektierende Praktiker

Hach! Eine Blogparade, wie lange habe ich das schon nicht mehr mitgemacht! Zuletzt wahrscheinlich, als mein Ursprungs-Blog noch bei 20six gehostet war. Herr Larbig lädt zu dieser Parade mit dem Tiel „Reflektierende Praktiker (Lehrende und Co.)“ ein und fordert auf:

Schreibe einen Blogartikel zu der Frage, wie für dich als reflektierender Praktiker im Beruf die Reflexionsroutine aussieht. Schreibe zu dieser Frage als Lehrende oder Lehrender – egal ob Lehrer, Professorin, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Mitarbeiterin an einer päd. Hochschule, als Fortbildner etc. – Oder als reflektierender Praktiker aus einer anderen Branche.

Im Gegensatz zu vielen Bloggern schreibe ich fast immer spontan und nicht notizengestützt oder vorstrukturiert, wie Herr Rau oder Herr Larbig und haue gleich mal in die Tasten.

Wie reflektiere ich denn nun meinen Unterricht? Jemand schrieb im Rahmen dieser Parade von „routinierter Reflexion“. Davon bin ich weit entfernt, zu sehr reflektiere ich zu unstet und aus dem Bauch heraus. Aber wie reflektiere ich denn nun und was gibt mir Anstoß zur Reflexion?

Rückmeldung durch Schüler
Evaluation per Sefu. Ich benutze seit meinem Referendariat einen doppelseitig bedruckten, sehr detaillierten Bogen, den ich in Oberstufenkursen einsetze. Allerdings nicht regelmäßig, sondern eher sporadisch. In Unterstufenklassen verwende ich eine abgespeckte Variante aus einem ansonsten recht nutzlosen Methodenband von Wolfgang Mattes (empfehle aber seinen Band „Routiniert planen – effizient unterrichten“). Diese Rückmeldungen dienen mir dann als Anstoß für die Reflexion meines Unterrichts in der betreffenden Lerngruppe.

Rückmeldung durch Referendare
Ich habe fast immer Referendare in irgendeiner Lerngruppe. Referendare sind meiner Erfahrung nach kritische Beobachter, die mir auf zweierlei Art und Weise helfen, meinen Unterricht zu reflektieren: Zum Ersten, indem sie in meinem Unterricht hospitieren und wir hinterher natürlich auch meinen Unterricht reflektieren. Oft merke ich sogar schon während einer Unterrichtsstunde, dass ich meine Planung stärker hinterfrage, wenn Referendare mit dabei sind, weil man ja auch über seine eigene Außenwirkung nachdenkt.

Zum Zweiten hilft es ungemein, wenn man selber hinten drin sitzt und die Referendare beobachten kann. Man überlegt automatisch, wie man selber in bestimmten Situationen vorgegangen wäre und man hat mehr Zeit direkt über Fehler in der Stundenplanung nachzudenken und kann sich Gutes abschauen.

Sporadische Reflexion
Eine geregelte Reflexionsphase habe ich nicht, ehrlich gesagt sind die Tage oft schon ausgefüllt mit teilweise bis zu neun Stunden Unterricht am Stück inklusive nachmittäglicher Unterrichtsvorbereitung und den kleinen Extras wie Korrekturen, Konferenzen etc. Da bin ich froh, wenn ich irgendwann abschalten kann. Während der Fahrt von oder zur Schule finden sich jedoch Gelgenheiten, am hilfreichsten jedoch sind die Reflexionen oft schon während der Stunden, wenn ich während einer Arbeitsphase gleich über Notizen in meinem Stundenentwurf festhalten kann, was gut oder was schlecht funktioniert hat.

Das Web2.0 als Anstoß für Reflexion
Zu guter Letzt reflektiere ich manchmal hier, in diesem Blog. In immer größeren Abständen, aber immerhin. Auch fremde Blogbeiträge, wie der aktuelle von Herrn Larbig, oder zahlreiche Tweets stoßen immer wieder Reflexionsprozesse in mir an und wenn ich recht überlege, dürfte das Web2.0, abseits des Unterrichts, die größte Quelle an Erfahrungen sein, die Reflexion erzeugen. Zuletzt gestern z.B. der Beitrag von Christian Spannagel bzw. die Diskussion in den Kommentaren.

 

An der Säge

Jedes Halbjahr aufs Neue: Ein etwa 11-jähriges Mädchen schaut mich zweifelnd an, die große Säge in der einen, das Bambusrohr oder Sperrholz in der anderen. Ein Schwirrholz soll es dann meist werden oder eine Panflöte. Die ersten Züge gelingen noch recht grob, die Säge rutscht ab. Sie zweifelt sichtbar. Dann ist der Anfang gemacht, das Blatt zersägt leichtlaufend das Holz. Geschafft. Stolz. Von nun an werde ich nicht mehr gebraucht.

Die Arbeiten meiner letzten Mädchengruppe waren sehr schön, sehr sorgfältig und oft präziser gesägt als die der Jungen. Die sind manchmal zu ungestüm. Manche gestehen traurig, dass sie noch nie gesägt hätten. Die Sorgen der Väter sind dabei unbegründet: Verletzt hat sich in drei Jahren noch niemand. Sie sollten lieber sehen, mit welchem Feuereifer ihre Kinder zu Werke gehen, wenn sie mit eigenen Händen eigene Instrumente bauen dürfen. Ohne Notendruck, einfach nur mit einem Ziel.

Wann habe ich eigentlich das letzte Mal mit meiner Tochter gesägt?

Acta, der zweite Teil

Heute sollte es dann so weit sein, heute wollten zwei Schüler einer siebten Klasse, wie schon beschrieben, den anderen ACTA präsentieren und ehrlich gesagt war ich mehr schlecht als recht vorbereitet. Zumindest gefühlt hatte ich noch nicht genug gelesen und die Abiturvorbereitung nebst Organisation eines Förderkurses raubte dann doch die Zeit, die ich für eine gründliche Recherche benötig hätte. So harrte ich gespannt der Dinge, die da kommen sollten – im Zweifel hätten wir alles Unklare gesammelt und zur weiteren Bearbeitung vertagt. Es kam letzlich aber doch sowieso ganz anders.

Das Monster ACTA
Einer der beiden Referenten war nämlich erkrankt und so mussten wir den Vortrag verschieben. Während ich mit dem verbliebenen Referenten das weitere Vorgehen abklärte, ging aber ein Raunen durch die Klasse: Was ist eigentlich dieses ACTA? Wir müssen unbedingt über ACTA reden! ACTA muss gestoppt werden. Der Gesprächsbedarf lag so deutlich in der Luft, dass ich mich entschloss, erst einmal die Stimmung einzufangen, das Vorwissen abzuklopfen sowie Sorgen und Ängste aufzunehmen.

Auf meine Nachfrage schossen gleich um die zwölf Finger in die Luft: Die meisten Schüler hatten sich über die Anonymous-Video per Youtube informiert und zu Beginn gab ausgerechnet mein stillstes(!) Mädchen ein anderthalbminütiges, emotionales Statement ab, warum ACTA gefährlich sei. Sie wiederholt das aus dem Anonymous-Video bekannte Bild des Rezepts, das man zuhause nur noch unter Gefahr einer Strafe der Mutter weitersagen dürfe. Beliebte Webdienste wie Google, Facebook oder Youtube müssten abgeschaltet werden, sollte ACTA in Kraft treten. Sogar die Sprache würde sich durch ACTA verändern.

Eine der häufigsten Formulierungen in der folgenden Runde war „das wird dann an ACTA geschickt“. ACTA existiert in den Köpfen dieser Siebtklässler als Akteur, als Instanz, fast als Monster. Die Sorge vor der Überwachung des gesamten Lebens wurde formuliert; Angst davor, dass eine per Reply-Knopf kopierte Mail zur Strafe führen könnte, auch die Sorge vor Gefängnisstrafe wurde artikuliert.

Der verbliebene Referent trat dann erstaunlicherweise als besonnene Stimme im Anti-ACTA-Orkan auf: Es handele sich um ein Abkommen verschiedener Länder, und er wies sehr reflektiert darauf hin, dass Anonymous ‚Hacker‘ seien, denen etwas wie ACTA besonders ungelegen komme, weshalb man nicht einfach deren Sichtweise folgen dürfe. Er verwies aber auch auf das „three-strikes“-Modell mit der Konsequenz einer Netzsperre.

Zuletzt entwickelten sich die Äußerungen dahin, dass jede Kultur erstickt werden müsse, wenn das Kopieren völlig verboten werden würde. Wie sollte man noch Songs covern? Was wäre mit eigenen Videos, bei denen das Radio im Hintergrund liefe? Unschlüssig war man sich bei der Frage, ob ACTA „den Händlern“ eher nütze oder schade, da es doch für den Internethandel eigentlich das Ende bedeuten müsse.

Fazit
Es war das Ende einer neunten Stunde in einer siebten Klasse, und es war die ganze Zeit mucksmäuschenstill, die Beteiligung engagiert und hoch. In den Äußerungen der Schüler kommt vieles zusammen, das aufgearbeitet werden muss. Manchen Schülern scheint nicht klar zu sein, wann eine Kopie unter Umständen wenig erfreulich für den Urheber sein kann und auf viele wirkt ACTA wie ein abstraktes Wesen (vielleicht kommt mir das aber auch nur so vor, weil Dreizehnjährige sich noch nicht auf gewohnte Weise politisch ausdrücken können). Die Verbindung mit politischen oder wirtschaftlichen Gruppen haben die Schüler nicht vorgenommen, für sie gibt es nur dieses böse ACTA. Das Verlagswesen ist ihnen logischerweise unbekannt, Vertriebswege, Verwertungsketten unklar. Die Rolle der Provider wurde nicht erwähnt. Es wird Zeit, dass wir dem unscharfen Monstrum bald mal ein Gesicht verleihen. Fürs zweite Halbjahr dürfte sich dann logischerweise eine intensive „Medienerziehung“ (‚Erziehung‘ klingt hier furchtbar, oder?) anschließen.

Falls jemand von euch noch eine Ergänzung oder Anregung für mich hat, bin ich ihm mehr als dankbar!

Appetit bekommen

Die letzten Wochen sind wie ein Schleier an mir vorbeigezogen. Im Netz bin ich gar nicht mehr so aktiv, Twitter lese ich vielleicht ein- bis zweimal am Tag, Blogs sehr sporadisch auf dem Mobiltelefon, vor dem Computer sitze ich eigentlich nur noch  zum Arbeiten. Oft ärgere mich über „verpasste“ Blog-Artikel – werde dem heute mit einem neuen Feed-Reader-Konzept entgegenzutreten versuchen, denn nach wie vor sind Blogs für mich die wahren Perlen des Internets, was auf Twitter an mir vorbeirauscht, interessiert mich nicht.

Habe in dieser Zeit viel mit Referendaren und Praktikanten gearbeitet und bin sehr froh über manche neue Impulse. Erst letzte Woche hat eine Referendarin ein einfaches Konzept zur Binnendifferenzierung eingesetzt. Paradoxerweise hatte ich es ihr vorgeschlagen, aber selber noch nicht in dieser einfachen Form eingesetzt: Zur Erschließung eines literarischen Textes haben wir ganz simpel zwei Arbeitsblätter entworfen, eines mit der Schwierigkeitsstufe „normal“ und eines „anspruchsvoll“. Der Effekt war, dass die meisten Schüler sich auf das anspruchsvollere Material stürzten (was so nicht gedacht war), einige aber durchaus und realistischerweise das einfachere Material nahmen. Nichtsdestotrotz war erstaunlich, wie motiviert auch ansonsten weniger fleißige Schüler waren, das anspruchsvolle Material zu bewältigten.

Warum mache ich das eingentlich nicht öfter und warum nicht schon seit einer halben Ewigkeit? Einfach: Ich verbringe meine Nachmittage mit dem Korrigieren von Klassenarbeiten und dem Vorbereiten von Unterricht im Groben (und eher selten im Detail). Das Erstellen von guten binnendifferenzierten Arbeitsaufgaben ist einfach so zeitaufwändig, dass ich immer wieder froh bin, wenn motivierte Referendare dabei sind, die sich Zeit dafür nehmen können und wollen. Gelobe aber Besserung und werde meine Unterrichtsreihen nun insgesamt stärker auf Differenzierung ausrichten. Wie so oft kommt der Appetit beim Essen und man kocht bekanntlich immer besser, je öfter.

Dahinüberlegt: Ein schulinternes „Curriculum“ für Referendare?

Betreue aktuell mal wieder eine Referendarin im ersten Quartal und dabei fällt mir auf, dass es mir immer wieder schwerfällt, „richtig“ mit Referendaren umzugehen. Nicht im zwischenmenschlichen Sinne. Natürlich nehme ich gerne Referendare mit und zeige meinen Unterricht und bin auch immer ganz glücklich, wenn jemand sich entscheidet, eine meiner Lerngruppen übernehmen zu wollen, aber irgendwie…

Ich sitze dann oft hinten in der Klasse und notiere mir Beobachtungen zum Unterricht. Wir reflektieren den Unterricht dann hinterher und ich teile ich den Referendaren dann in einer kurzen Nachbesprechung meinen Eindruck mit. Damit ist das Reflektieren aber nicht vorbei, denn dann kommt es bei mir zur Reflexion der Reflexion: Habe ich überhaupt auf das Richtige geachtet oder mich an Nebensächlichkeiten festgehalten? Bin ich überhaupt kompetent, Rückmeldungen zu geben, die den Referendaren dann bei ihren Unterrichtsbesuchen weiterhelfen? Hätte ich mich an bestimmten Stellen einmischen sollen? Ist es wichtiger, dass der Referendar aus einem Fehler lernt oder geht das zu sehr zu Lasten der Schüler?

Und aktuell überlege ich: Bräuchte man nicht ein Curriculum für Referendare – auch an den Ausbildungsschulen selber? In dem man z.B.  grob festlegt, dass man zunächst die Stundenplanung mit den Referendaren übt und zunächst auf das Erstellen von Reihen verzichtet und auch noch kein Material didaktisieren lässt, weil das ohne Unterrichtserfahrung eben noch sehr schwer ist. Das übt man dann eben im zweiten Quartal, oder dann, wenn das andere sicher läuft… hmm… das sind jetzt nur hingetippte Überlegungen, aber ich habe aktuell das Gefühl, das würde sowohl den Referendaren als auch den Ausbildungslehrern entgegenkommen. Mir würde es aktuell entgegenkommen und ich glaube, ich sollte so etwas wenigstens für mich privat einmal aufstellen.

Motivation

Im späten Alter von etwa 18 Jahren habe ich mir irgendwann die Gitarre meiner Tante geliehen und versucht, ein paar Akkorde darauf schrammeln zu lernen. Irgendwie ist daraus mehr geworden, ich habe mir ein Jahr darauf eine E-Gitarre gekauft, einen Verstärker dazu und autodidaktisch das Ganze vertieft, sodass ich halbwegs leidlich leichte und mittelschwere Gitarrenstücke spielen kann. (Mehr als die eher bescheidene Kompetenz am Instrument ist jedoch das Interesse an der Musik selber gewachsen: An ihren Herstellungsprozessen von der Aufnahme bis zum Endmix; von der Instrumentierung bis hin zu komplexen Spieltechniken; von einfachen Intervallen bis hin zu Techniken des Songwritings.) Dabei kommt es immer wieder zu Höhen und Tiefen: Manchmal rühre ich meine Gitarre tage- oder sogar wochenlang nicht an, fehlen mir Antrieb und Energie zum Spielen. Aber eines ist mir dabei auch klar geworden: Nichts, aber auch gar nichts, ist so inspirierend und motivierend, wie andere Gitarristen live spielen zu sehen! Ob es am „rohen“ Live-Sound liegt, an dem Live-Erlebnis, das durch den direkten Kontakt zwischen Instrument und Gitarrist erzeugt wird, oder an etwas völlig anderem – sobald ich einen Gitarristen live spielen sehe, möchte ich auch spielen, am liebsten sofort. Die Motivation ist schlagartig wieder da und oft renne ich dann förmlich zu meiner Gitarre, um meinem Verstärker auch wieder diesen Sound zu entlocken, Dinge auszuprobieren oder einfach nur mal wieder einfache Achtelnoten runterzuhauen. Nichts ist so motivierend wie das direkte Aufeinandertreffen von Instrument, Spieler und Zuhörer.

Ähnliches gestern bei einer Besprechung mit Kollegen. Der ältere Kollege J. holt seine Materialien hervor und fängt an, sein Unterrichtskonzept zu beschreiben. Total chaotisch, aber mit Feuer und Begeisterung breitet er seine Unterrichtsmaterialien auf dem ganzen Tisch aus, erklärt, wie er den Schülern trotz dieses Wusts eigenbestimmtes Lernen ermöglicht, rennt zum Historiker-Schrank, zieht daraus einen abgewetzten Ordner mit einer Zeitleistensammlung heraus, breitet auch diese aus und erklärt, wie er diese für Vertretungstunden nutzt. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, in den Klassenraum zu rennen, um ein wenig Unterricht zu machen…