Verb-Endstellungsmodell

Da eine Referendarin in Kürze meinen Unterricht übernehmen wird und ich sie gut beraten möchte, habe ich mir nach längerer Zeit mal wieder meine gute alte Deutsch-Didaktik aus dem Schrank gezogen. Und wie das beim Stöbern oft so ist, stößt man währenddessen auf ganz andere Dinge.

So begegnete mir zum ersten Mal im Kontext des Satzbaus die Idee, das Verb nicht prototypisch von seiner Position an der zweiten Stelle im Hauptsatz aus zu denken (und zu unterrichten), sondern eher den anderen Fall, die Klammerstruktur, als den Normfall zu betrachten. Das scheint mit einigen Problemen aufzuräumen, aber langsam. Zunächst ein Beispiel für die typische Vorgehensweise (hier dem Deutschbuch 5, Auflage 2011, von Cornelsen entnommen):

Der Kern des Satzes ist das Prädikat (Satzaussage). Prädikate werden durch Verben gebildet. In einem Aussagesatz steht die Personalform des Verbs immer an zweiter Satzgliedstelle:

Oft zeichnen Piraten eine Schatzkarte. So finden sie später ihre Beute.

(DB 5, S.255, Hervorhebungen im Original)

Das ist leicht zu merken, trifft aber leider nur auf manche Sätze zu. Sobald man sich komplexerer Satzstrukturen oder Zeitformen bedient, die eine Klammerstruktur erfordern, ist es schnell hinüber mit der leicht verständlichen Zweitposition des Verbs [1. Das Deutschbuch scheint sich dessen bewusst, denn es verweist gleich im Nachsatz darauf.]:

Die vermeintliche Zweitposition

Die Zweitposition ist nämlich nicht unbedingt der Regelfall:

Wenn man das bspw. das Perfekt verwendet, muss man auf eine Klammerstruktur zurückgreifen:

Es ist auf einen Sieg der Arminia hinausgelaufen.

Auch in einfachen Zeitformen muss geklammert werden, wenn man trennbare Verbformen verwendet:

Es lief auf einen Sieg der Arminia Bielefeld hinaus.

Der Gebrauch von Modalverben leistet ebenfalls der Klammerstruktur Vorschub:

Es sollte auf einen Sieg der Arminia Bielefeld hinaus-
laufen.

Erklärt man Schüler*innen erst im Nachhinein die Prädikatsklammer, so können sie durchaus noch nachvollziehen, dass auch hier das flektierbare Verb an zweiter Stelle steht, jedoch fällt es vielen sichtlich schwerer, eine Klammer als solche überhaupt zu erkennen.

Völlig verwirrend ist die Regel mit der Zweitposition dann, wenn vorangestellte Nebensätze ins Spiel kommen:

Weil XY so laufstark agierte, lief es auf einen Sieg 
der Arminia hinaus.

Das flektierbare Verb befindet sich nun gar an der ersten Position im Hauptsatz. Ich gebe meinen Schüler*innen darum immer den Hinweis, dass das flektierbare Verb im Hauptsatz immer vorne steht.

Die Klammer als der Regelfall

In meiner alten Didaktik [2. Deutsch Didaktik. Leitfaden für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2003] plädiert Angelika Steets unter Bezug auf Eduard Haueis darum dafür, „die Satz- oder Verbklammer als Regelfall und nicht als Sonderfall zu betrachten“ (S.221). Bei einteiligen Verbformen solle der rechte Rand der Klammer dann als „nicht sichtbar besetzt“ (ebd.) betrachtet werden. Zur Klammer gehören dann auch die Konjunktionen oder andere einleitende Ausdrücke wie „(…) weil XY so laufstark agierte.“

Vorteile dieser Betrachtung seien,

  • dass die Prädikatsklammer nicht später erneut eingeführt werden müsse.
  • dass diverse Möglichkeiten zur sprachreflexiven Auseinandersetzung gegeben seien (Wie funktioniert der Spannungsaufbau innerhalb der Klammer? Wieviele Informationen lassen sich sinnvoll im Mittelfeld der Klammer einsetzen? Welche Möglichkeiten zur Entlastung der Klammer gibt es? Etc.).

Lohnenswert?

Ich finde, dass das durchaus lohnenswert klingt. Fraglich bleibt für mich, ob man Kinder im Alter zwischen 10 und 12 Jahren mit abstrakten Strukturmodellen „abholen“ kann. 

Habt ihr das schon mal ausprobiert? Wie geht ihr da vor?

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Mit digitalen Medien besser lernen?

Christian Ebel hat zu einer Blogparade mit dem Titel „Mit digitalen Medien besser lernen?“ aufgerufen und ich habe mich lange gefragt, was sollte ich eigentlich dazu beitragen können, wo das „digitale Lernen“ in meinem täglichen Unterricht eine eher untergeordnete Rolle spielt, gleichwohl ich jeden Tag auf Twitter und Co. verfolge, wie andere Kolleginnen und Kollegen das digitale Lernen langsam aber nachdrücklich in ihren Alltag einbauen. Könnte ich hier überhaupt eine sinnvolle Antwort auf Christians Frage formulieren?

Ich versuch’s mal. Wenn ich in meinem Unterricht die Stärken digitaler Medien kennengelernt habe, dann liegen sie vor allem im Bereich des Schreibenübens. Das kollaborative Arbeiten hat ja nur im weitesten Sinne gut funktioniert, bessere Erfahrungen habe ich hingegen vor längerer Zeit mit einem kleinen Blogexperiment und einem selbstgehosteten Blog gemacht. Das war zu einer Zeit, als der schulische Laptopwagen in unserem Oberstufengebäude noch voll einsatzfähig war.

Ein kurzes Blogexperiment

Im Versuch mit dem Blog ging es darum, dass die SuS eines Grundkurses Geschichte ihre schriftlichen Quellenanalysen ins Blog stellen sollten. Alle SuS hatten dann im Rahmen einer Arbeitsphase die Aufgabe, in Partnerarbeit mindestens drei andere Analysen zu kommentieren, positive sowie negative Aspekte herauszustellen und Verbesserungsvorschläge zu machen. Der Grund für dieses Herangehensweise war, dass ich es in meinem normalen Unterricht niemals schaffe, alle Übungstexte eines kompletten Kurses durchzulesen und sinnvoll zu kommentieren (weshalb man ja auch schon in der analogen Welt dazu übergeht, sogenannte „Schreibkonferenzen“ abzuhalten). Diese Situation empfinde ich bis heute als sehr unbefriedigend, weil ich ja gerne sowohl den ganz schwachen SuS Unterstützung bieten möchte, aber auch den Schülerinnen und Schülern, die schon ganz ordentliche Texte schreiben. Selbst den besten Schülern kann man immer einen Tipp zur Verbesserung oder Optimierung auf den Weg geben. Und wenn man noch nie eine Quellenanalyse formuliert hat, dann sind sowieso alle Schüler erst einmal unsicher.

Die Erweiterung dieser Schreibkonferenzen in den digitalen Raum versprach einiges an Erleichterung:

  • Jakob Siebebpfeiffer,1832 | Blog zur Unterrichtsreihe Nationalismus und Nationalstaat

    Beispiel für einen Kommentar

    jeder digitale Text ist für jeden Schüler gut lesbar, da die oftmals unleserliche Handschrift wegfällt

  • jeder Text wird gewürdigt und bekommt einen Kommentar, der ihm Stärken und Schwächen sowie Verbesserungsvorschläge aufzeigt. Auch diese sind gut lesbar und müssen nicht an den Heftrand gequetscht werden.
  • jeder Kommentator übt sich darin, Texte qualitativ zu bewerten (und erweitert damit seinen Horizont für die eigenen Texte)
  • alle Texte stehen online und können bei Bedarf als „Blaupause“ verwendet werden

Das funktionierte insgesamt gut und auch die Rückmeldungen der SuS waren positiv. Alle Schülerinnen beteiligten sich sichtbar im Rahmen einer „sonstigen Mitarbeit“, niemand zog sich – wie im Unterrichtsgespräch – heraus. Könnte man dieses Verfahren über die ganze Unterrichtszeit einsetzen, könnten die SuS verschiedene Klausurtypen üben und diese wären jederzeit bis zum Abitur verfügbar.

Leider ging die Hardware unserer Laptops aus dem Laptop-Wagen kurz darauf kaputt, niemand reparierte oder ersetzte sie, sodass ein Fortsetzen dieser Arbeit nicht mehr möglich war. Ob also diese Methode langfristig etwas verbessern würde, kann ich letztlich nicht beurteilen. Weitere Projekte dieser Art finden wegen der fehlenden Ausstattung nun schon lange nicht mehr statt, denn ob ich einen Computerraum „erwische“, das steht in den Sternen und erlaubt mir keine verlässliche Unterrichtsplanung. Ich arbeite also wieder zu 99,9% mit Heft und Stift.

Besser lernen mit digitalen Medien? Vielleicht – wenn die Hardware vorhanden ist und der Schulträger sich verantwortlich zeigt.

Denn schön wär’s doch!

Mit meinen schreibintensiven Fächern Deutsch und Geschichte habe ich täglich in allen Altersstufen mit Schülern zu tun, denen das Schreiben schwer fällt,  das manuelle Schreiben ebenso wie das inhaltlich-strukturierte Schreiben, und wenn man diesen Schülern dann auch noch damit kommt, dass sie ihre Texte überarbeiten sollen, dann ist der Ofen ganz schnell aus: Den sowieso schon eher lustlos mit blauer Tinte ins Heft geschriebenen Text jetzt auch noch „überarbeiten“, ergo: neu schreiben? Oder mit Sternchen und Fußnoten so erweitern, dass man am Ende auch nicht besser durchblickt? Dann lieber an einer Tastatur – und ohne schmierende Tinte, klebriges Tipp-Ex und kratzende Füller!

Wie schön wäre es, wenn wir lange Texte generell an einem (dafür geeigneten) digitalen Medium schreiben könnten. Texte zu überarbeiten wäre ein Klacks, verschiedene Versionen ließen sich gewinnbringend vergleichen, Schrift wäre immer lesbar und auch das Schreiben würde denen, die feinmotorisch nicht so beschenkt sind, vielleicht etwas mehr Freude bereiten.

Das wäre eine echte Bereicherung durch digitale Medien. Könnte man damit besser schreiben lernen? Ich glaube schon.

Wie „Aschaffenburg“ mir einmal kurz den Unterricht sprengte

Dass man in gewissen Klassenstufen als Lehrer vorbereitet sein muss, welche Begriffe in den Texten auftauchen, das ist jedem Deutschlehrer spätestens dann klar, wenn er einmal in einer siebten oder achten Klasse unbedacht das Wort „Satzglied“ verwendet hat oder in ebengleicher Klassenstufe Texte austeilt, in denen unverfänglich scheinende Begrifflichkeiten wie „Teil“, „Fahrradständer“, „Sack“ usw. (die Liste lässt sich nahezu unüberschaubar weit fortführen) aufgeführt sind. Da hilft oft nur pure Ignoranz.

Als ich jedoch heute in meiner 6 die schöne Sage vom Wasserneck austeilte, war mir nicht klar, dass ich damit ebenfalls mittelschwere Tumulte auslösen würde. Wie konnte ich auch bei aller Antizipation, Vorherschau, Erfahrung und Kompetenz auch übersehen, dass sich im Namen der Stadt „Aschaffenburg“ eine wundervolle phonetische Doppeldeutigkeit verbirgt.

Und während die vorlesende Schülerin noch bei „Arschaffenburg“ von mittelschweren Kicherkrämpfen erschüttert wurde, brüllte von hinten links der nächste ein begeistertes „Arsch-Affenburg“ in den Raum, womit die Disziplin fürs Erste völlig außer Kraft gesetzt war. Erst, nachdem alle einmal gemeinsam laut „Arsch-Affenburg“ gesagt hatten, konnten wir den Unterricht wieder aufnehmen.

Melvin, mein Hund und die russischen Gurken (plus Zeilometer)

Ich bin ja gerade äußerst begeistert von der Kurzgeschichtensammlung „Melvin, mein Hund und die russischen Gurken“ der jungen Autorin Marlene Röder. Wer frische Kurzgeschichten für die Mittelstufe sucht, die sich mit jugendlichen Umbruchssituationen auseinandersetzen, dabei nicht aufgesetzt jugendlich wirken und schöne Anlässe für literarische Gespräche bieten, der sollte sich den Band auf jeden Fall einmal anschauen.

Das Tolle an den achtzehn Kurzgeschichten ist, dass jede einzeln geschlossen für sich betrachtet werden kann, aber immer auch über die Figuren Anknüpfungspunkte zu anderen Kurzgeschichten bietet. So erlebt der Leser eine Kurzgeschichte aus der Perspektive eines stehlenden Mädchens, das aus Angst vor dem sozialen Abstieg und Gruppendruck mit einer Freundin Kleidung stiehlt, um in einer anderen Kurzgeschichte in einer anderen Situation quasi nebenbei die überraschende Sicht dieser Freundin auf das stehlende Mädchen zu erfahren.

Das bindet Marlene Röder dem Leser aber nicht auf den Bauch, erst mit der Zeit bemerkt man, dass (fast?) alle Figuren wieder irgendwo in anderen Geschichten auftauchen, sodass man sich beim Lesen irgendwann unweigerlich die Frage stellt, welche Bezugspunkte man zu anderen Geschichten herstellen kann. Intertextualität und Perspektivität zu erklären, ist so ein Leichtes und erledigt sich fast schon nebenher beim Lesen.

Thematisch bewegen sich die Geschichten zwischen erster Liebe, der eigenen Position in der Clique, der Auseinandersetzung mit dem eigenen Äußeren, (Homo-)Sexualität, dem Wandel von Freundschaft, der ersten Party oder dem Abschied von Freunden – und bietet so einen breiten Zugriff auf die Lebenswelt jugendlicher Leser, was sie für den Deutschunterricht nahezu prädestiniert. Eine nette Abwechslung zum Kurzgeschichten-Einheitsbrei -Kanon, der dann meist  Zeiten thematisiert, als Telefone noch Wählscheiben hatten und in denen merkwürdige Männer ihre Sorgen vor sich hertragen.

Und falls ein mitlesender (Deutsch-)Lehrer eine Vorlage für ein Zeilometer für „Melvin, mein Hund und die russischen Gurken“ braucht, dann kann er sich dieses gerne hier herunterladen. Ein schickes Bild für den oberen Teil des Zeilometers muss sich allerdings jeder selber suchen (leider nur als PDF-Datei, WordPress mag das Pages-Format nicht).

[button link=“http://www.kreidefressen.de/wp-content/uploads/2014/06/Zeilometer-Melvin-mein-Hund-und-die-russischen-Gurken.pdf“ type=“icon“] Download – Zeilometer für Melvin, mein Hund und die russischen Gurken[/button]

Jugendbuchtipps

Es ist gar nicht so leicht mit den Jugendbüchern: Die jungen Leser bleiben jung, während die Bücher immer älter werden. Bevor also die Eltern kommen und bemängeln, dass sie ja schon dieses oder jenes in ihrer Schulzeit gelesen hätten, muss man ein wenig am Ball bleiben. Will man ein wenig am Ball bleiben, braucht man eine zuverlässige Inspirations-Quelle. Da helfen zum einen ein guter Twitter-Stream, andere Lehrerblogs oder gleich ein auf Jugendbücher spezialisiertes Blog wie (Tusch, Täterääää):

www.jugendbuchtipps.de

Was zunächst wie eine Werbeseite eines Jugendbuchverlags klingt, entpuppt sich als sehr schöne Sammlung von Rezensionen schöner Jugendbücher. Nach einem kurzen Teaser folgt eine hilfreiche und nicht vorgreifende Zusammenfassung des Inhalts nebst einer kurzen Bewertung sowie einem Fazit. Lehrerfreundlich ist die Seite obendrein, denn Autor, Lehrer und Schulpsychologe Ulf Cronenberg unterscheidet in der Kategorie „Tipps für Lehrer“ auch nach Alterstufen, sodass man sich neben thematischen Aspekten auch schnell einen Überblick über entsprechende Altersstufen verschaffen kann.

Lohnt sich!

„Little Brother“

Lese gerade Cory Doctorows „Little Brother“ und bin hin- und hergerissen. Einleitende Informationen wie Inhaltsangabe, Unterrichtsideen und vieles mehr erspare ich mir, denn die bekommt man wunderbar aufbereitet schon bei Herrn Rau.

Tja, und jetzt stehe ich da, den Kindle mit dem noch nicht ganz ausgelesenen Roman in der Hand, und überlege, ob „Little Brother“ wirklich die richtige Lektüre für meine achte Klasse sein könnte. Ein aktuelleres Thema kann man sich kaum vorstellen: Es geht um einen ausgewachsenen Überwachungsstaat, der sich nach einem gewaltigen Terroranschlag weiter entfaltet und eine Gruppe Jugendlicher, die sich gegen diesen Staat mit technischen Mitteln zu wehren versucht. Dabei erklärt der Erzähler nebenbei sehr anschaulich komplizierte Verschlüsselungsmechanismen (wer PGP verstehen will, sollte da mal hineinlesen), RFID, berühmte Köpfe der Computerwelt, die Hippie-Kultur, das Silicon Valley, erzählt über die Enigma-Maschine und vermittelt so vermutlich ein dutzend Mal mehr Informationen über die komplexe Computerwelt, als es alle Computerführerscheinkurse der Schulwelt zu leisten vermögen.

Doch dann sind da die flachen Figuren, und auch sprachlich ist der Roman nicht gerade ein Aushängeschild der Jugendliteratur (wie schön dagegen Daniel Handler, aber wie dick…) und die Story bislang (habe so etwa die Hälfte gelesen) doch eher mau. So richtig überzeugend für den Deutschunterricht wirkt das nicht, ich vermeide schon „Die Welle“, weil die so lieblos runtergeschrieben ist. Auch so mancher Ausdruck mag im ein oder anderen Elternhaus Anstoß finden, das Schwarz-Weiß-Malen (der Staat ist böse, böse, böse!) schmeckt mir auch nicht immer. Aber ich habe die Geschichte auch noch nicht komplett gelesen – hm, ich mag’s kaum glauben, vielleicht tue ich ihr ja Unrecht.

Aber das Thema, ja das Thema ist wirklich sehr reizvoll.

Aussichtslos, Bildungsrecherche

Schöne Aussichten…

Gemein! Ab Montag bin ich auf Klassenfahrt und die Wetterdienste drohen mit 90% Regenwahrscheinlichkeit – jeden Tag! 🙁

Die große Bildungsrecherche

In der Süddeutschen gab es offensichtlich eine zwanzigteilige „Bildungsrecherche“ – und niemand in meinem digitalen Umfeld kommentierte die. Erstaunlich, wenn man bedenkt, wieviele Personen das sind und dass eigentlich in der „Bubble“ schlichtweg alles kommentiert zu werden scheint. Liegt’s am Bedeutungsverlust der etablierten Medien, am Bedeutungsverlust der SZ-Online oder liegt’s einfach nur daran, dass Interviews wie das mit Friedrich Denk ein derart weltfremdes Bild bieten, dass sich das Kommentieren kaum lohnt?

Kurz gefasst geht es um Lesekompetenz, Jungs und Mädchen, Geschlechtsteil-Literatur, süchtigmachende Computerspiele sowie  verdummende Tablet-Computer. Modernes ist doof, Neues abzulehnen und für die literarische Thematisierung aktueller Jugendprobleme eignet sich am besten die Literatur des 19. Jahrhunderts. Kinder sind von Natur aus keinesfalls wissbegierig und Jungs lediglich sexfixiert. Nicht zu vergessen die Rechtschreibreform, hach, das Leben ist schon schwer… damals…

Denken lernen

Musste während des Lesens des Interviews an Lisa Rosas aktuellen Beitrag zum „Denken lernen lehren“ denken. Wie unterschiedlich Verve und Sicht auf die Menschen. Wie miesepetrig und rückwärtig Denk, wie positiv und vorausblickend Lisa. Während der eine „Irrwege“ beim Selberdenken beklagt, werden diese auf der anderen Seite als Chance für das Entwickeln eigenen Denkens gesehen. Wo Denk das Lernen des Richtigen fordert, beharrt der entgegengesetzte Ansatz darauf, dass „das Richtige“ veränderlich ist, und auch die Bedingungen und Voraussetzungen des eigenen Denkens immer wieder offengelegt und hinterfragt werden müssen.

Tut man das nicht, besteht ernsthafte Gefahr, in einer Zeitschleife im 19. Jahrhundert hängenzubleiben und zu verpassen, dass die alten Diskurse währenddessen weitergesponnen wurden.

Notiz: Die stilistische Überarbeitung von Texten

Die stilistische Überarbeitung von Texten dürfte unter Schülern die unbeliebteste Form der Überarbeitung sein. Gleichzeitig dürfte sie auch die am seltensten angewendete Form der Überarbeitung sein, denn selbst wenn ich als Lehrer alle Ausdrucks-, Satzbau- und Wortfehler brav markiere und mit Alternativvorschlägen versehe, dürften wohl nur wenige Schüler sich berufen fühlen, ganze Texte vollständig zu überarbeiten. Dabei wird das Überarbeiten von Texten im Lehrplan explizit gefordert. Salomonischerweise bleibt dabei offen, welchen Umfang ein Text haben muss und was Überarbeitung genau bedeutet.

Auch als Lehrer finde ich es nicht trivial, Schülern Hilfestellung bei Überarbeitungen zu geben. Wo fängt ein eigener Stil an, wo sollte ich einschreiten? Probiert sich gerade jemand aus oder steckt er schon in einer Sackgasse? Würde es Schüler nicht erschlagen, wenn sie den ganzen Text neu schreiben müssten, würde es nicht die Motivation ersticken? Und wie gehen wir mit den ganzen widersprüchlichen Lehrer-Hinweisen um, wie der Frage nach der angemessenen Anzahl an Adjektiven oder dem komplexen Satzbau, der bloß nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz sein sollte? Schwierig.

Doch dann twitterte Herr Larbig heute einen Link zur Seite von Andreas Eschbach, der dort seine zehn Punkte zur „Text-Überarbeitungsvorbereitung“ vorstellt. Gar nicht schlecht, und wenn man diese Hinweise eines erfahrenen Profis ein wenig schülergerechter aufbereitete, könnte man daraus ein prima Orientierungspapier für Schüler aller Alterstufen entwickeln.

Laut lesen oder leise?

Sie könnte ja fast ein Survivaltipp für Lehrer sein, wenn sie eine hohe Schülerbeteiligung simulieren wollen, die Frage: Wer will vorlesen? Doch ist das laute Lesen wirklich so beliebt bei Schülern und sorgt es nicht insgeheim für eine eher niedrige Beteiligung?

Bei mir war das so: Als Schüler habe ich das laute Lesen geliebt, solange ich laut lesen durfte. Lasen andere, habe ich schon im Stillen vorweggelesen und, während der Text geradebrecht wurde, gelangweilt aus dem Fenster geguckt. Und wenn ich laut lesen durfte, dann habe ich mich oft so auf das gute Artikulieren konzentriert, dass ich selber den Text hinterher noch einmal leise nachlesen musste, um zu wissen, was darin stand.

Lautes Lesen – eine Bremse für den Unterricht?
In meinem Unterricht habe ich den Eindruck, dass ich gerade in den unteren Klassenstufen zu oft laut lesen lasse, weil ich mir einbilde, jeder Schüler hätte dann den gleichen Stand. Aber ist das nicht nur Ausdruck eines dämlichen, langweiligen und schnelle Leser einschränkenden Gleichschrittunterrichts? Wären nicht stille Lesephasen sinnvoller, wenn man nicht gerade durch szenisches Lesen schon auf eine Interpretation hinarbeitet?

Auch bei Antolin, dem vermutlich bekanntesten Portal zur Leseförderung, setzt man jedenfalls auf leises Lesen, denn „lautes Lesen ist nicht gleich Leseverständnis“. Logisch, war ja bei mir früher auch so. Leises Lesen ist also besser, die Experten von Antolin müssen’s ja wissen. Doch so einfach ist das nicht.

Prof. Lösener von der PH Heidelberg weist darauf hin, dass „nicht übersehen werden [darf], dass lautes, halblautes und leises Lesen ein Kontinuum darstellen und nicht als Gegensätze aufzufassen sind. Denn das leise Lesen stellt lediglich ein verinnerlichtes lautes – oder wie man besser sagen sollte – artikuliertes Lesen dar.“ Er kommt zu dem Ergebnis: „Wer laut liest, ohne zu verstehen, was er liest, wird nur zu einer flachen Artikulation des Geschriebenen finden: Er wird Wörter und Sätze lesen, aber zu keiner differenzierten Sinngliederung des Textes gelangen.“

Darum fordert Lösener auch bis in die Sek II hinein das laute Lesen, denn „Lesen, also die sprechende und hörende Lesetätigkeit, bildet die Grundlage für den Erwerb einer breiten und vertieften Lesekompetenz, (welche dann auch Interpretationsfertigkeiten miteinschließt)“.

Swantje Ehlers[1. Ehlers, Swantje: Lesetheorie und fremdsprachliche Lesepraxis aus der Perspektive des Deutschen als Fremdsprache] hingegen widerspricht (S.115) der These, dass lautes und leises Lesen „identische Prozesse sind“. Der Artikulationsvorgang beim lauten Lesen beanspruche die Aufmerksamkeit des Lesers und könne dafür sorgen, dass wohl richtig intoniert werde, aber das Verständnis des Textes nicht mehr gegeben sei.

Und nun? Wie haltet ihr’s mit dem lauten Lesen im „nicht-szenisch-interpretierenden Unterricht“?

Fünf Unterrichtseinstiege

[box type=“info“] Der folgende Text entstand während meines Referendariats im Juni 2007. Er ist nie fertig geworden, aber ich habe ihn anlässlich des aktuellen Beitrags von Herrn Rau noch einmal ausgegraben und rudimentär überarbeitet.[/box]

Leider komme ich ja in der Schulzeit kaum dazu, ausführliche Beiträge zu schreiben, daher muss ich jetzt einiges in den Ferien nachholen. Worum es sich im folgenden Beitrag drehen wird? Um eine Fachseminarsitzung Deutsch, Brechts V-Effekt, eine Karikatur, eine Sonnenbrille, zwei nackte Frauen und Mephisto.

Wenn ich mich später über eines nicht beschweren darf, dann darüber, dass ich ein langweiliges Fachseminar Deutsch hätte. Schön ist, dass unser Fachleiter sich immer bemüht und zu zeigen, nein, deutlicher: uns vorzumachen, wie man Deutsch unterrichten kann. Wir sprechen also nicht nur, wie in den übrigen Fachseminaren, über die planmäßig vorgegebenen Themen, sondern unser Fachleiter versucht immer wieder, uns praktisch ein Vorbild zu sein.

Schon in der ersten Intensivphase, in wir allererste Gehversuche im Unterrichten machen durften, hatte unser Deutschfachleiter massenweise Stunden bei Kollegen zusammengetragen, um genug Zeit für uns und für seine Unterrichtsdemonstrationen zu haben, in denen er uns zeigen konnte, dass das, was er uns beibringen möchte, auch tatsächlich funktioniert. Aber ich schweife ab, denn eigentlich geht es mir in diesem Text um…

…fünf Unterrichtseinstiege
Da im Seminar leider selten mit echten Schülern gearbeitet werden kann, demonstrierte unser Fachleiter uns fünf Unterrichtseinstiege, bei welchen wir die Rolle der Schüler einnehmen mussten und die Einstiege auf einem Bewertungsbogen bewerten sollten.

Zitate
Der erste Einstieg klassisch. Schwungvoll klappt die Tafel auf, zwei Zitate sind zu lesen:

„Das Geheimnis des Schreckens liegt im Detail.“

„Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke.“

Der Kenner erkennt hier Heinrich Bölls „Ansichten eines Clowns“, ich dagegen kenne sie nicht. Umso mehr versucht man automatisch, Verbindungen herzustellen. Man kann gar nicht anders. Ein Clown, das ist doch eher etwas Lustiges… sammelt „Augenblicke“, soso… der Schrecken „liegt im Detail“ und sind Augenblicke nicht auch Details, irgendwie? Sammelt der Clown also den Schrecken? Schreckliche Augenblicke? Gar nicht lustig, dieser Clown…

…ich habe keine Ahnung, ob meine Gedankengänge auch nur halbwegs dem Roman entsprechen, aber wichtig ist: Man kommt ins Grübeln, wenn zwei Zitate unaufgelöst nebeneinander stehen. Gehören die Zitate zur gleichen Person oder zu zwei unterschiedlichen? In welchem Moment wird welches Zitat gesagt, oder wird es vielleicht nur gedacht? Ist es Erzählerstimme oder Figurenrede? Wie macht man das eigentlich, Augenblicke sammeln?

Um Denkprozesse anzustoßen, und darum geht es bei Einstiegen, sind Zitate gewiss eine gute Wahl.

Die Karikatur
Der zweite Einstig, für den wir Referendare uns in Sechstklässler verwandeln mussten, war gewiss ebenso klassisch wie der erste: Eine Karikatur von Horst Haitzinger, deren erlösender Text verdeckt war.

Die Karikatur zeigt einen überdimensionierten Fernseher, vor dessen flimmerndem Bildschirm gebannt acht Erwachsene auf einer Couch sitzen. Hinter der Rückenlehne, abgewandt, ein Kind mit einem Buch. Eine erwachsene Person wendet sich einer anderen zu und sagt etwas.

Nur was? Wir Sechstklässler sollten nun zunächst das Bild beschreiben. Es ist immer wieder verblüffend, wie viele Details man in Bildern übersieht, wenn man sie nicht ausgiebig beschreibt. Daraufhin sollten wir uns ausdenken, was die sprechende Person wohl sagen mag. Kreativität war gefragt, schließlich wollte man sich nah an die Originalaussage herantasten. Verschiedene Möglichkeiten wurden in den Raum geworfen und ob man am Ende nah oder weiter weg vom Ursprünglichen war, spielte im Prinzip keine Rolle: Denn das Ziel, alle zum Nachdenken zu animieren war erreicht worden.

Ein Plakat
Dritter Einstieg. Die zweite Tafelhälfte wird aufgeschwungen. Darunter klebt ein kleines Plakat, darauf zu lesen:

Guten Morgen!
Unser Thema heute:

Der V-Effekt
Brechts Theatertheorie
und sein zentrales
Element

Zweiminütige Stille. Kopfkratzen. Wieso schreibt er das umständlich auf ein Plakat, auch noch verschiedenfarbig, und klebt das an die Tafel? Hätte er das nicht direkt auf die Tafel schreiben können? Grübeln. Nach endlos scheinender Stille (unser Fachleiter hat knochentrocken minutenlang gewartet) hörte man endlich den Groschen fallen: „Ach! Das ist der V-Effek!“ Tatsächlich. Der Schüler setzt sich mit der Art und Weise der Unterrichtsgestaltung auseinander, ähnlich wie bei Brecht, der den Zuschauer durch Verfremdungseffekte zur Auseinandersetzung mit seinem Stück animieren will. Anschaulich und ein gewagter Einstieg nur für Mutige. Denn dass Schüler darauf kommen, ist nicht gesagt. Unser Fachleiter erzählt uns, dass er ganz schön geschwitzt habe, als er diesen Einstieg bei einem Unterrichtsbesuch riskiert habe…

Faust aufs Auge
(Nachtrag 2013: Und hier verließen den tapf’ren Autor im Sommer 2007 die Kräfte. Der Rest muss ungesagt bleiben. Ich habe noch eine ungefähre Erinnerung, dass unser Fachleiter mit einer Sonnenbrille auf der Nase vor uns saß und Faust zitierte. Fragt mich aber nicht, warum. Und wer wegen der nackten Frauen hier hineingeblickt hat, den muss ich ebenfalls enttäuschen… )

(Nachtrag 2018: Und nach langen Jahren fällt es dem Autor doch wieder ein! Mein Fachleiter hatte eine Folie mit einem provokanten Bild aufgelegt. Auf der schwarz-weiß Zeichnung zu sehen war ein Profilbild von Mephisto, wobei dessen markante Nase im Stil eines Vexierbildes von zwei nackten Frauengestalten (siehe hier, eigentlich eine Lithographie von John de Yongh, 1907) gestaltet wurde. Dieser Einstieg hat natürlich einen gewissen „Oha!“-Effekt, da die Darstellung durchaus sexualisierte Elemente bietet, aber gleichzeitig einen Einstieg in eine Reflexion über die Figur Mephisto ermöglicht. So. Das Rätsel der nackten Frauen wäre nach langen Jahren endlich gelöst.)