… das Planspiel Börse?
Der Protest der „Occupy Wall Street“-Bewegung weitet sich stetig aus und soll heute auch in stärkerer Form in Deutschland ankommen. Die Wall Street ist heute weniger denn je Symbol für den American Dream und scheint in der öffentlichen Wahrnehmung eher zur Brutstätte des Antisozialen, des elitär-monetären Zirkels mutiert zu sein. War der Berufswunsch „Banker“ in den 90ern noch mit Adjektiven wie smart, dynamisch und erfolgreich beschreibbar, so sitzen heute graue Männer wie der Sprecher des Bankenverbandes mit tiefen Augenringen und dauerhaft blasiertem Lächeln in den Talkshows der Nation.
Und während die Kurse wegen der umtriebigen Banken und der verschuldeten Staaten an den Börsen so dahinpurzeln, habe ich mich gefragt, was nun die armen Schüler machen, die am alljährlichen Planspiel Börse beteiligt sind? Wer gewinnt da nun den Preis? Der mit dem geringsten Verlust? Der, der alles konservativ auf Apple gesetzt hat? Ich erinnere mich noch gut an mein Planspiel Börse, diesem Werbewettbewerb für asoziales Finanzwesen: Niemand, auch kein Sowi-Lehrer, hat uns über den moralischen Faktor von Aktien aufgeklärt, über die Bedeutung von Arbeitsbedingungen hinter den Aktien, über den Unterschied zwischen Werterschaffung durch Produktion und den vernichtenden Pseudowerten, die die Fierberkurven an den Börsen widerspiegeln. Langfristige Investments? Pustekuchen! Kurz anlegen und in wenig Zeit das Maximale aus den Aktien herausquetschen. Pennystocks gab es damals noch. Stattdessen hat man uns Roulette spielen lassen, gesetzt wurde hier und dort, der Glücklichere bekam einen Preis, fühlte sich wie ein drei-viertel Börsenguru und irgendwie war doch alles ganz nett. Schön unkritisch, beste Werbung für eine Branche, die nun verbrannte Erde in der westlichen Hemisphäre hinterlässt.
… Matheunterricht?
Ich beziehe mich im Folgenden auf den Artikel „Wozu braucht man das eigentlich?“ im (wunderbaren) Halbtagsblog. Jan-Martin weist auf das Problem hin, dass viele Schüler bezweifeln, dass sie gewisse Inhalte des Matheunterrichts für ihr späteres Leben benötigen und geht dieser Frage nach. Seine Antwort lautet:
Die Mathematik aber zwingt die Schüler zum Nachdenken. Und zwar kontinuierlich. Man sitzt vor einem Problem und muss es lösen. Dieses “Problemlösen†ist als Kompetenz in keinem anderen Fach (wenn überhaupt) so stark ausgeprägt. Selbstveständlich sind die Probleme sowohl künstlich als auch abstrakt: “Wie lauten die Nullstellen dieser Funktion?â€
Nun ja. Hrm. Da sträubt es sich gleich doppelt in mir. Zum einen, weil ich durchaus hoffe, dass ich das Problemlösen gelernt habe, obwohl ich meine Fünf in Mathe bis in die Oberstufe vor mir hergeschoben habe. Und zum anderen, weil ich mich durchaus bemühe, meine Fächer Deutsch und Geschichte problemorientiert zu unterrichten.
Das Errechnen von Nullstellen ist für mich kein Problem, es ist eine Aufgabe. Und eine sinnlose dazu, das ist ja das Problem der Schüler (und meines ebenfalls). Wie berechne ich die Summe meines Einkaufs? Wie das Wechselgeld? Ich will mein Geld beim Planspiel Börse anlegen und dabei den Vorjahressieger übertrumpfen – welche Rendite muss ich dafür erwirtschaften? Das sind Probleme, und das begreifen alle Schüler. Aber warum sollen sie Nullstellen von Funktionen berechnen? Wofür benötigt man diese Fähigkeit? Ich weiß es bis heute nicht. Vielleicht, wenn man Informatiker oder Statistiker werden will. Oder Mathelehrer.
Ich erinnere mich an meinen Geometrieunterricht: Dreiecke türmten sich an der Tafel, flankiert von Kreisen und Quadraten, massenweise Formeln, Pi und Hypotenusen. Alles abstrakt: Unser einziges „Problem“ waren die Fragen unserer Lehrer: Wie lang ist die Hypotenuse… Wie lautet der Satz des… Irgendwann in meinem Studium habe ich dann japanischen Matheunterricht anschauen dürfen. Der Mathelehrer erklärte den Schülern anhand der Gestaltung eines Grundstücks, wofür Geometrie nützlich ist. Mit „echten“ Alltagsproblemen wie: Wie groß darf der runde Teich werden, wo kann ich eine Grube für den Schuppen ausheben, usw. usft. Das war einfach, unaufwendig und plausibel! Warum haben meine Mathelehrer das nicht gemacht? Warum haben sie sinnentleerte Übungen mit uns vollführt?
Haben wir dadurch das Denken gelernt? Kein Stück. Ich habe gelernt, Unzulänglichkeiten zu kaschieren und auf den Boden zu schauen, statt Fragen zu stellen. Ich habe gelernt, dass man dumm ist, wenn man Nullstellen nicht richtig berechnet und dass man mit Problemen alleine gelassen wird. Ich habe gelernt, wie man mathematische „Probleme“ liegen lässt. Und etwas später habe ich gelernt, dass ich all das als sinnlos Empfundene wirklich nicht brauche. Nicht einmal zum Problemlösen. Aber zu den Problemen vielleicht an anderer Stelle mehr… (muss jetzt leider weg…)
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