Maik Riecken und Jean-Pol Martin haben aktuell zwei interessante Impulse in diese Debatte um der, die, das richtigste, wichtigste und beste Methode, Konzept und Ideengebilde gegeben. Letztlich kommen beide zum (altbekannten) Ergebnis, dass man Gelerntes konzeptualisieren können muss. Maik verwendet in seinem Artikel „Was bedeutet für mich Bildung?“ die Metapher des Lagers für das Lernen und argumentiert, dass man insbesondere zwischen Struktur und „Paketen“ (Inhalten) trennen müsse, und dass der Strukturerwerb ebenso wichtig sei wie der Erwerb von Inhalten. In meinen Worten zusammengefasst sagt Maik, dass einzelne Inhalte („1871 besiegt der Norddeutsche Bund Frankreich“) wertlos sind, solange diese Inhalte nicht strukturell eingebettet sind (z.B. in die europ. Ereignisgeschichte des 19.Jh., Mentalitätsgeschichte, Selbstbilder/Fremdbilder usw. ). Mein alter Lateinlehrer nannte das immer „Vogelperspektive“ einnehmen. Von oben auf die Dinge schauen, Distanz wahren und Zusammenhänge wahrnehmen, was aber beileibe nicht trivial ist.
Konzeptualisieren mit LDL
Auch Jean-Pol Martin verweist in seinem Beitrag auf diesen Zusammenhang zwischen Inhalt und Struktur und behauptet, ein Flow-Erlebnis sei nicht allein durch das Verarbeiten von Informationen, sondern nur durch die Kontrolle über die Information möglich, welche sich in gelungener Konzeptualisierung ausdrücke. Also wieder die Vogelperspektive, und Jean-Pol gibt ein schönes Beispiel, wie man die Vogelperspektive auf Hegel gewinnt. Doch wie soll man das im Unterricht fruchtbar machen?
An dieser Stelle kommt vielleicht das besonders von Jean-Pol Martin propagierte „Lernen durch Lehren“ (LDL) ins Spiel. Auf die Schwierigkeit des selbstständigen Konzeptualisierens in Schule angesprochen antwortete Jean-Pol auf Twitter:
@hokeys @mccab99 @herr_gross von sich aus konzeptualisieren sie [die Schüler, Anm.d.A.] nicht. man muss sie anleiten!
— jeanpol (@jeanpol) 5. Juni 2013
@hokeys @herr_gross @mccab99 tja… #LdL eben… #permanente konzeptualisierung
— jeanpol (@jeanpol) 5. Juni 2013
Man kann an Jean-Pols fünf Punkten gut nachvollziehen, wie das Konzeptionalisieren ablaufen kann; wichtig ist dabei, dass es am Ende „zur Handlung dräng[t]“, im Kontext des LDL also in das Bedürfnis mündet, das eigene Wissen weiterzugeben, anzuwenden, auszuprobieren. Und das nicht nur für eine Prüfung, sondern bestenfalls in Auseinandersetzung mit der Welt.
Daniel Bernsen zieht in seinem Blog gerade ein durchaus positives Fazit bezüglich seines LDL-Versuchs in einer 8.Klasse. Ob LDL Schülerinnen und Schülern eher dabei hilft, die Vogelperspektive zu gewinnen, wird sich wohl nur dann zeigen, wenn man es einmal ausprobiert. Daniel Bernsen zeigt, dass es funktionieren kann.
Lose Fäden
Ein paar lose Fäden / Anmerkungen hätte ich noch:
- „Konzeptualisieren“ ist ein alter Hut. 😀
- Fehlt in Schule das Konzept „fächerübergreifender Unterricht“, dass so wenig konzeptualisiert wird? Wäre nicht sogar ein Auflösen des Fachunterrichts nötig für eine Konzeptualisierung? Oder müsste gar stärker im Fachunterricht von Lehrerseite diese Konzeptualisierung vorgeführt werden? Oder von Schüler zu Schüler unterschiedlich? Liegt es nicht auch an der entwicklungspsychologischen Entwicklung der SuS, ob sie in der Lage sind, Inhalte aus der Vogelperspektive zu betrachten und zu verbinden? Alte Fragen, aber klar ist da noch nichts (auch wenn einige den Stein der Weisen gefunden zu haben vermeinen).
- Wenn man „rastlos“ konzeptionalisiert, was schulisch bedeuten würde, in allen Fächern die Vogelperspektive einzunehmen, käme man dann nicht wieder zu einem „Universalwissen“, würde man nicht Jugendliche (und Erwachsene) mit diesem Anspruch heillos überfordern, lauter Leonardo da Vincis und Wilhelm v. Humboldts des 21. Jahrhunderts zu sein?
- Daran schließt wieder die Frage an, was zu lernen denn nun nötig ist. Antwortet man nun mit dem Radikalen: Das, was Sinn stiftet! Oder mit dem Radikalen: Das, was für nötig erachtet wird!