Was Eltern leisten.

Es ist die große „ich klaube mir Links bei Buddenbohm zusammen“-Woche. Nachdem heute morgen die Schulleiterperspektive dran war, folgt nun die Elternpersktive: „Homeschooling, my ass“! Dort beschreibt Lisa Harmann, warum ein süffisantes „Hach, jetzt seht ihr Eltern mal, was Lehrer so leisten“ in keiner Weise angemessen ist.

Maik Riecken hatte vor gut einer Woche dazu auch schon was („Kurzer Rant über Elternspott einiger Kolleg*innen“) geschrieben.

Meckern und Mosern. Referendarsgejammer.

Man mag es manchmal wirklich nicht glauben. Da kommt eine Bundesministerin auf die Idee, ihren Länderkollegen unter Rückgriff auf eine nicht unbeträchtliche Finanzspritze ein wenig auf die Sprünge zu helfen – und was tut der Präsident des Lehrerverbandes, der allzu oft fälschlicherweise als Stellvertreter der meisten Lehrerinnen und Lehrer angesehen wird? Anstatt sich zu freuen, dass endlich jemand einmal Geld in die Hand nehmen und Schulen modernisieren will, meckert und mosert er!

Und natürlich könnte man das Geld auch in die Sanierung von Gebäuden stecken. Man könnte es aber auch in neue Schulpyschologen investieren. Mehr Stellen für Sonderpädagogen damit schaffen. Das Essen in Schulmensen gesünder machen. Schulwege besser absichern. Schulhöfe neu gestalten. Jeder Schule einen Schulgarten bescheren. Man könnte die Schule aber tatsächlich mal aus den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts abholen, wo sie – zu Kraus‘ Blütezeit – leider stehengeblieben ist. Gegenwind bekommt Kraus allerdings von allen Seiten.

Josef Kraus steht stellvertretend für den Philologenverband, den Verband der Realschullehrer und die Bundesverbände der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e. V. und der Berufsschulen e. V.

Was für ein Glück, dass ich keinem dieser Verbände jemals beitreten werde! Und wenn doch, dann wäre jetzt der Moment auszutreten.

Jammernder Referendar.

Aber nicht nur ehemalige Schuldirektoren mosern. Auch Referendare. Heute ein besonders prachtvolles Exemplar in der ZEIT. Zu Studienzeiten haben mich solche jammerhaften Artikel das Fürchten gelehrt, im Referendariat selbst habe ich dann langsam aber sicher an Verachtung gewonnen für dieses Herumgeheule. Vorab: Das Referendariat ist durchaus kein Zuckerschlecken, die Unterrichtsbesuche durchaus kritisierenswert, die Abhängigkeit von der Qualität der Fachleiter bemerkenswert und die Prüfung am Schluss nichts weiter als eine gefährliche Farce.

Und doch: Wer behauptet, er bekäme vor Unterrichtsbesuchen nur drei Stunden Schlaf und hätte permanent 60-Stunden-Wochen, um sich damit den Stundenlohn auf 4,50€ herunterrechnen zu können, der hat offensichtlich ganz andere Probleme als das Referendariat. Und ja, ein UB wird halt etwas aufwändiger vorbereitet als der Rest. Im Handwerk reicht es ja auch nicht, für die Meisterprüfung einfach etwas aus der laufenden Produktion herauszunehmen, das muss schon etwas sein, was die Fähigkeiten des Meisters abbildet. Schon mal ’ne Kolumne eines jammernden Handwerkermeisters gelesen?

Der Gipfel ist dann, darauf zu hoffen, dass man irgendwann die Kunst der „Türschwellenpädagogik“ erlernt habe und mit Unterricht aus dem Buch endlich den Status des lang ersehnten „’gut bezahlte[n[ Halbtagsjob[s]’“ erreiche, an dessen Nachmittagen man nur noch ein paar Klassenarbeiten korrigieren müsse. Ich echauffiere im Quadrat!

Dem Fazit kann man darum nur zustimmen:

Sofort in den Schuldienst einzutreten kann ich mir nämlich gerade beim besten Willen nicht vorstellen.

Ja bitte! Für die zukünftigen Kollegen wäre es das beste!

Die grauen Herren der digtalen Bildung

Wanka wirkt nach. Auf Twitter Diskussionen über ihren „Daddel-Kommentar“. Dazwischen Bemerkungen wie (sinngemäß) „Sie hat doch recht, unsere Kinder daddeln nur! Welches nutzt denn Evernote, Blogs oder Wikis?“. Oh weh! Digitales darf und soll also immer nur nützlich sein, der Zeitoptimierung dienen, der Allgemeinheit nutzen oder Bildung repräsentieren. Goodbye bunte Teenagerzeit, welcome du graue Welt der Erwachsenen!

Die selbsternannte digitale Lehrereelite überträgt ihre eigene Internetnutzung schlicht auf die folgende Generation. Nur, wer das Netz so nutzt wie wir im Berufsleben stehenden alte Säcke, der ist „digital gebildet“. Die selbstgestaltete Kultur der Jüngeren wird schlicht übergangen. Von Entwicklungspsychologie ganz zu schweigen. Und ohne zu erwähnen, dass das Digitale sich auf Abermillionen andere Arten und Weisen nutzen lässt, auch ohne Wikibloggetwitterzeug.

Ich stürze mich heute gerne auf jedes digitale Tool, aber mein 25 Jahre jüngeres Ich hätte gewiss kein größeres Interesse an langweiligen digitalen Werkzeugen zur Arbeitsorganisation: Es wollte zocken. Und das entweder am Computer oder auf dem Basketballplatz. Was hätte ich als Teenager bitteschön mit Evernote oder Wikis anfangen sollen? Jeden Abend eine Stunde ins Wiki schreiben? Strafarbeit! Ein privates Blog vielleicht, aber dann auch nur, weil ich schon immer gerne herumgeschrieben habe. Aber dann, worauf ich Bock gehabt hätte, und nicht das, was meine gouvernantenhafte Deutschlehrerin für sinnvoll gehalten hätte.

Übersehen wird dabei, dass die Teenager von heute schon längst aktiv sind. Und ja, sie lernen an Wisch-Geräten tatsächlich nicht, wie man Computer programmiert oder wie die Hardware aufgebaut ist. Dafür produzieren sie YouTube-Videos (lernen dabei autodidaktisch einiges über Schnitt, Ton, Spannungsbögen) und setzen dabei neue Formate durch (professionelle, erwachsene TV-Konsumenten wundern sich regelmäßig, wieso schon wieder so ein Pickelgesicht stundenlang beim Computerspielen in bräsigem Tonfall in eine Kamera quatschen kann und dabei Millionen Viewer hat) und gestalten eine völlig neue – ich hätte fast „TV-Kultur“ geschrieben, aber die lösen sie ja gerade ab – Videokultur. Professionelle Gamer verdienen auch ohne Evernote Beträge, von denen graue Bildungsherren nur träumen können, und jeder kleine Vorstadtrapper beatboxt ganz ohne Wiki in sein Handy. Wo früher einmal pro Woche einer kleinen Schar Auserlesener die Foto-AG das Fotografieren nahebrachte, steht heute das Experimentieren einer ganzen Generation mit der Handy-Cam und ihren zahllosen Apps. Und das Kollaborieren per Minecraft macht überdies viel mehr Spaß als lahme Evernote-Notizen zu teilen.

Das ist im Großen und Ganzen alles nicht professionell. Muss es auch gar nicht. Auf dem Bolzplatz haben wir früher auch nur just for fun gespielt und nicht, um den Ernst des Lebens zu erproben oder um für die Bundesliga zu trainieren. Natürlich müssen auch Kinder erst einmal ihr Gerät und dessen Möglichkeiten erkunden. Und natürlich wird ein Zehnjähriger mit seinem ersten Smartphone zunächst einmal Spiele spielen. Und das vermutlich sogar lange Zeit, bis er Lust bekommt, etwas Weiterführendes damit zu machen. Das entspricht einfach seinem Alter. So what? Müssen wir ihn gleich mit sperrigen Wikis, Twitterwalls, Edu-Apps und Optimierungstools quälen, bis es ihm mit Vierzehn zu den Ohren wieder rauskommt?

Das muss man als graubärtiger Studienrat (der den Umgang mit Taschenkalender und ToDo-Liste ja auch nicht mit zehn erlernte), dessen Kinder selbst schon lange erwachsen sind, gar nicht mitbekommen, dass junge Menschen immer ihre (digitale) Umwelt erschließen, neue Wege gehen, eigene Wege gehen und vielleicht auch mal eine Weile ihre Zeit verdaddeln müssen, um irgendetwas hinterher furchtbar langweilig, überflüssig und doof zu finden. Aber auch diese Erfahrung gehört zum digitalen Gebildetsein dazu.

Wir sollten bisweilen einfach mal gelassen bleiben und den Kindern ihre Zeit lassen.

 

Zitat des Tages

Mein Zitat des Tages:

Deshalb sorgt ein cleveres Unternehmen in seinen Arbeitsräumen für einen Wechsel von An- und Entspannung. Es motiviert Mitarbeiter enorm, wenn sie Wahlmöglichkeiten haben. Und Menschen brauchen Rückzugsräume, in denen sie die Kontrolle über Lautstärke, Geräuschkulisse und einprasselnde Informationen haben. Alles andere führt dauerhaft zu Stress, kann krank machen – und zerstört mehr Leistung. Besonders da, wo geistig gearbeitet wird. Unternehmen tun gut daran, eine Kultur und eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der effizientes und gesundes Denken gefördert wird. (Zeit.de)

Und dass es durchaus auch stressige Situationen gibt, dazu vielleicht mal im nächsten Blogbeitrag.

Der Digital Education Day 2015 – #ded15

IMG_6985Voll, voller, Domplatte am Samstag! Was für ein Gedränge, was für Menschenmassen. Da kommt man sich als Bielefelder „Großstädter“ ganz klein mit Hut vor. Bevölkere nun unzählige Selfies fremder Menschen, habe einem Pärchen zum Küssen verholfen und war währenddessen auf der Flucht vor unzähligen Jungesellinnenabschieden, denn 30% der auf der Domplatte befindlichen Frauen schien mit Vierzigprozentigem angefüllt. Aber alles harmlos, was ein Glück, dass die Hogesa-Spinner erst Sonntag kommen!

Doch eigentlich war ich nicht in Köln, um mir die Menschen auf der Domplatte anzuschauen, sondern um mich über digitale Medien zu informieren, denn man hatte zum „Digital Education Day 2015“ gerufen, und da Köln in Schlagweite liegt, war ein Besuch mehr als angebracht… und lohnend!

Das liegt zum einen am offenen Format des Barcamps, das ja auch „Unkonferenz“ genannt wird, wobei man ihm mit der Vorsilbe „Un“ aber Unrecht tut. Neben schon gesetzten Veranstaltungen kann jeder Teilgeber spontan seine eigene Session anbieten und sich so auch aktiv mit eigenen Themen einbringen. Auf diese Weise kommen schnell bis zu 40 Sessions zusammen und jeder Besucher kann sich seinen eigenen Sessionplan zusammenstellen. Ich entschied mich für die Schwerpunkte BYOD, iPads im Unterricht, Elternarbeit und digitale Medien sowie Inklusion und iPads.

BYOD oder Office365

Das Thema BYOD begann mit einer schönen Übersicht der technischen Infrastruktur des Erich-Gutenberg-Berufskollegs in Köln, mutierte dann aber schnell zu einer überwiegenden Werbeveranstaltung für Microsofts Office365 (und einem beeindruckenden Touch-Tisch), welches unbestreitbar seine Vorzüge hat. Angeblich gebe es keine Probleme mit dem Datenschutz wegen der Serverstandorte in Irland und Holland, jedoch verzichte man vollständig darauf, personenbezogene Daten mit Office365 zu verarbeiten.

Microsoft scheint alles daran zu setzen, dass potenzielle Kunden sich frühestmöglich an seine Office-Suite gewöhnen, denn das Angebot für Schulen ist gewaltig: Von kostenlosen Office-Lizenzen für über 2500 Schüler und die Lehrer, dem Vorhalten von Backups bis hin zu kostenlosen Fortbildungen gibt Microsoft so einiges, damit wir Schulen möglichst unsere Schüler auf seine Office-Suite konditionieren.

Am Berufskolleg setzt man mittlerweile vollständig auf BYOD, die Schüler dürfen über die Geräte frei entscheiden, der Großteil der Schüler bringt jedoch sein Notebook mit. Schön war es hier, mal Einblick in die Medieninfrastruktur und die Probleme anderer Schulen bei der Medienentwicklung zu bekommen und zu sehen, dass nicht immer, nein, nie! alles glatt läuft.

iPads im Unterricht

Die Session zu iPads im Unterricht verließ ich nach der Hälfte der Zeit, weil ich die Möglichkeiten meines iPads und diverse mögliche Präsentations-Apps schon kannte. Wer sich damit noch nicht beschäftigt hatte, konnte hier wertvolle Tipps zum Umgang und Einsatz mit den Geräten im Unterricht bekommen.

Elternarbeit – Bleiben Sie dran

In einer sehr kleinen Session intensiven Austausch mit Matthias Felling von der AG Kinder- und Jugendschutz (AJS NRW) gehabt. Mitgenommen habe ich neue Links, z. B. zu www.schauhin.info und www.elternundmedien.de, wo man auch Referenten finden kann, die für Informationsabende zur Verfügung stehen. Klicksafe.de kannte ich schon, das ist ja schon lange etabliert. Schöne und eigentlich naheliegende Ideen brachte Felling ein: Zum Beispiel, dass man den SuS doch vorschlagen könne, bei WhatsApp Gruppen, die Organisatorisches zum Inhalt haben (z.B. Hausaufgaben), von privaten Tratsch-Gruppen zu trennen. Analog zu den Gesprächsregeln im Klassenraum müsse man auch Umgangsformen im Netz mit den SuS entwickeln.

Eltern mal nach ihren Medienerfahrungen zu befragen, das werde ich beizeiten auch mal machen. Diese geraten dann schnell ins Schwärmen, erzählen vom Sandmännchen und den schönen Samstagabenden mit „Wetten dass…?” und langen Radiositzungen. Dagegen sähen Eltern die heutigen Medien mit ganz anderen Augen – das bietet schöne Gesprächsanlässe. Fazit: Viele Anregungen!

Inklusion und iPads

Gut gefiel mir auch die Session zu „Inklusion und iPads“, denn so hatte ich mein iPad noch nicht kennengelernt. Es ist wirklich beeindruckend, was man aus den Bedienungshilfen für körperversehrte Menschen alles herausholen kann. Ein nahezu blinder, anwesender Kollege erzählte begeistert, dass die Entdeckung der Tablets für ihn bahnbrechend gewesen sei. Seine 2% Sehkraft könne er nun mithilfe der neuen technischen Möglichkeiten kompensieren und auch selbst wieder kreativ arbeiten. Dass man auch Hörgeräte und Joysticks für Menschen, die nicht touchen können, mit den Pads koppeln kann, war mir ebenfalls neu. Zudem stellte die Referentin einige Apps vor, die sowohl im DaZ-Bereich als auch im klassischen Inklusionsbereich eingesetzt werden können. Auch der Hinweis, dass Krankenkassen bisweilen die Kosten für die Tablets übernehmen, kann mal nützlich sein.

Ein Wermutstropfen

Einen Wermutstropfen muss ich aber auch vertröpfeln. Zu oft standen in den Sessions die technischen Möglichkeiten der Geräte oder mancher Apps im Vordergrund, wenig Worte wurde über konkrete Unterrichtssituationen, technische Probleme oder best practice verloren. Für schon medienaffine Lehrer, die gerne ihre Geräte ausprobieren, springt bei solchen Sessions nicht viel heraus, wir müssen vielleicht demnächst mehr in die Breite gehen, die Mediennutzung einzelne Fächer thematisieren oder einfach mal zeigen, was man so im Unterricht mit den Geräten gemacht hat.

Auch pädagogische Probleme wurden eher am Rande behandelt, dabei macht das doch den Kern unseres „Geschäftes“ und unseres Alltages aus. Sehr schade darum, dass die Session zum Thema Elternarbeit von nur drei Personen bestritten wurde, wo doch gerade die „digital education“ abseits von iPads und Office für Vermittlungsbedarf zwischen Schulen und Elternhäusern sorgt und ich das immer wieder als brennendes Thema wahrnehme.

Vielleicht demnächst, beim DED16 als Teilgeber?

Vogelperspektive gewinnen durch LDL?

Maik Riecken und Jean-Pol Martin haben aktuell zwei interessante Impulse in diese Debatte um der, die, das richtigste, wichtigste und beste Methode, Konzept und Ideengebilde gegeben. Letztlich kommen beide zum (altbekannten) Ergebnis, dass man Gelerntes konzeptualisieren können muss. Maik verwendet in seinem Artikel „Was bedeutet für mich Bildung?“ die Metapher des Lagers für das Lernen und argumentiert, dass man insbesondere zwischen Struktur und „Paketen“ (Inhalten) trennen müsse, und dass der Strukturerwerb ebenso wichtig sei wie der Erwerb von Inhalten. In meinen Worten zusammengefasst sagt Maik, dass einzelne Inhalte („1871 besiegt der Norddeutsche Bund Frankreich“) wertlos sind, solange diese Inhalte nicht strukturell eingebettet sind (z.B. in die europ. Ereignisgeschichte des 19.Jh., Mentalitätsgeschichte, Selbstbilder/Fremdbilder usw. ). Mein alter Lateinlehrer nannte das immer „Vogelperspektive“ einnehmen. Von oben auf die Dinge schauen, Distanz wahren und Zusammenhänge wahrnehmen, was aber beileibe nicht trivial ist.

Konzeptualisieren mit LDL
Auch Jean-Pol Martin verweist in seinem Beitrag auf diesen Zusammenhang zwischen Inhalt und Struktur und behauptet, ein Flow-Erlebnis sei nicht allein durch das Verarbeiten von  Informationen, sondern nur durch die Kontrolle über die Information möglich, welche sich in gelungener Konzeptualisierung ausdrücke. Also wieder die Vogelperspektive, und Jean-Pol gibt ein schönes Beispiel, wie man die Vogelperspektive auf Hegel gewinnt. Doch wie soll man das im Unterricht fruchtbar machen?

An dieser Stelle kommt vielleicht das besonders von Jean-Pol Martin propagierte „Lernen durch Lehren“ (LDL) ins Spiel. Auf die Schwierigkeit des selbstständigen Konzeptualisierens in Schule angesprochen antwortete Jean-Pol auf Twitter:

Man kann an Jean-Pols fünf Punkten gut nachvollziehen, wie das Konzeptionalisieren ablaufen kann; wichtig ist dabei, dass es am Ende „zur Handlung dräng[t]“, im Kontext des LDL also in das Bedürfnis mündet, das eigene Wissen weiterzugeben, anzuwenden, auszuprobieren. Und das nicht nur für eine Prüfung, sondern bestenfalls in Auseinandersetzung mit der Welt.

Daniel Bernsen zieht in seinem Blog gerade ein durchaus positives Fazit bezüglich seines LDL-Versuchs in einer 8.Klasse. Ob LDL Schülerinnen und Schülern eher dabei hilft, die Vogelperspektive zu gewinnen, wird sich wohl nur dann zeigen, wenn man es einmal ausprobiert. Daniel Bernsen zeigt, dass es funktionieren kann.

Lose Fäden
Ein paar lose Fäden / Anmerkungen hätte ich noch:

  • „Konzeptualisieren“ ist ein alter Hut. 😀
  • Fehlt in Schule das Konzept „fächerübergreifender Unterricht“, dass so wenig konzeptualisiert wird? Wäre nicht sogar ein Auflösen des Fachunterrichts nötig für eine Konzeptualisierung? Oder müsste gar stärker im Fachunterricht von Lehrerseite diese Konzeptualisierung vorgeführt werden? Oder von Schüler zu Schüler unterschiedlich? Liegt es nicht auch an der entwicklungspsychologischen Entwicklung der SuS, ob sie in der Lage sind, Inhalte aus der Vogelperspektive zu betrachten und zu verbinden? Alte Fragen, aber klar ist da noch nichts (auch wenn einige den Stein der Weisen gefunden zu haben vermeinen).
  • Wenn man „rastlos“ konzeptionalisiert, was schulisch bedeuten würde, in allen Fächern die Vogelperspektive einzunehmen, käme man dann nicht wieder zu einem „Universalwissen“, würde man nicht Jugendliche (und Erwachsene) mit diesem Anspruch heillos überfordern, lauter Leonardo da Vincis und Wilhelm v. Humboldts des 21. Jahrhunderts zu sein?
  • Daran schließt wieder die Frage an, was zu lernen denn nun nötig ist. Antwortet man nun mit dem Radikalen: Das, was Sinn stiftet! Oder mit dem Radikalen: Das, was für nötig erachtet wird!

Ein Plädoyer für den Dauerirrtum

Puh, gerade liegen hier ein paar potentielle Beiträge auf Eis, da ich irgendwie überhaupt nicht dazu komme, mal in Ruhe ein paar Worte in die Tasten zu tippen. Darum nur ein Verweis auf einen schönen Artikel von Sascha Lobo, in welchem er sich Gedanken über die Fehlerkultur in Deutschland macht. Im Ergebnis ist Lobos Text ein Plädoyer fürs Ausprobieren, Fehler machen, Experimente wagen – mehr noch: das ewige Experiment zu wagen; eine Aufforderung, sich des Lernens nicht schämen! Und was Lobo formuliert, gilt nicht nur für Großprojekte, sondern auch für die Netzarbeit der Schulen:

Das ist die deutsche Netzkrankheit: digital nur zu tun, was vermeintlich sicher funktioniert und so das wichtigste Erfolgsrezept des Internets zu missachten, also die ständige Neu- und Weiterentwicklung, die kleinteilige, experimentelle Überprüfung, Mut zum Dauerversuch und Dauerirrtum.

Mehr Versuch, mehr Irrtum wagen! Fände ich prima.

Sitzenbleiben – gar nicht einfach

In den letzten Wochen gab es in jede Richtung viele böse Artikel und Radiokommentare zum Thema „Sitzenbleiben“. Und das Thema hält sich unauffällig aber hartnäckig in den Medien: Erst heute bringt das lokale Käseblatt eine ganze Zeitungsseite zum Thema Sitzenbleiben. Und je mehr ich dazu lese, umso schwerer fällt es mir, eine eigene konsistente Position zu finden.

Einerseits…
Ich bin kein Freund des Sitzenbleibens. Es gibt nicht viel, das für das Sitzenbleiben spricht. Als Erstes sehe ich da die menschliche Demütigung, das Herabsetzen eines Kindes und das oft, während es sich sowieso in einer schwierigen Entwicklungsphase befindet. Wie sich ein Sitzenbleiben auf die Persönlichkeit auswirken mag, ist mir zum Glück erspart geblieben – aber für mich persönlich wäre es der schulische GAU gewesen. Degradiert, zu jüngeren Schülern rückversetzt und gezwungen langweiligen Stoff noch mal durchzukauen.

Klaus Jürgen Tillmann verweist in seinem heutigen Kommentar darauf, dass auch die erhofften Lerneffekte durch das Sitzenbleiben ausblieben. Als Instrument der Förderung tauge das Sitzenbleiben wenig oder gar nicht. Schüler lernten einer Schweizer Studie aus dem Jahr 2004 gemäß besser, wenn sie trotz schlechter Leistungen weiterversetzt wurden. Das halte ich durchaus für denkbar, denn die Praxis der Notengebung verschleiert häufig, dass Schüler sich weiterentwickeln, selbst wenn sie die „Betonfünf“ auf dem Zeugnis haben. Die permanente Fünf
suggeriert Stillstand, während auf die individuelle Bezugsnorm bezogen der Schüler sich durchaus weiterentwickelt – nur eben die soziale Bezugsnorm nicht erreicht.

Andererseits…
Und dennoch. Ich musste während der teilweise erhitzten Debatten der letzten Tage immer an den ersten Sitzenbleiber denken, den ich in vielen Facetten aus meiner Lehrerperspektive erleben durfte. Ich werde hier nicht viele Worte darum machen, aber über mehrere Jahre hinweg zuzusehen, wie ein Schüler eine Fünf nach der nächsten kassiert und trotz all der verschiedenen internen und externen Fördermaßnahmen von Misserfolg zu Misserfolg stolpert, immer weitergetrieben, das hat mir irgendwann leidgetan. Irgendwo im Bermudadreieck zwischen Leistungsanforderungen, Elternwillen und der Tatsache, dass ein Tag nur 24 Stunden und eine Woche nur sieben Tage hat, blieb am Ende nichts mehr als die Nichtversetzung. Dass das meist nur für wirklich harte Fälle gilt, erläutert Sebastian Dorok in seinem Beitrag.

Fazit
Das Problem ist ein systemisches. Solange wir in geschlossenen Klassen und nach festen Zeitplänen unterrichten, innerhalb derer die Schüler möglichst im Gleichschritt die Inhalte erarbeiten müssen, wird das Sitzenbleiben in Härtefällen die einzige Möglichkeit sein, damit ein Schüler nicht noch schlimmere Erfahrungen macht. Förderstunden sind da nur Tropfen auf sehr heiße Steine, die oft nicht reichen, um Defizite aufzuarbeiten. Ein schön polemischer und durchaus bedenkenswerter Artikel mit einer sachten Andeutung, wie man Schule neu denken könnte, findet sich bei Spiegel Online.

„Alles andere ist nichts für sie.“

Hätte ja nicht gedacht, dass ich jemals die ZEIT zum Thema „Arbeiterkinder“ verlinken würde, aber heute ist es so weit. Auf der Online-Ausgabe der Zeit kann man eine sehr schöne Reportage mit dem Titel „Ich Arbeiterkind“ lesen von einem, der sich durchs deutsche Schulsystem von ganz unten bis hinauf zur ZEIT kämpfen musste. Er erzählt von seinem alten Lehrer, der seiner Mutter die Flausen mit der Realschule unbedingt ausreden wollte, von immer noch dem Klassendenken verhafteten Schuldirektorinnen und einer erneuten Begegnung mit besagtem alten Lehrer. Er erzählt von einer Initiative für Arbeiterkinder, vom Mutmachen, von eingefahrenen Strukturen und knirschenden Zähnen. Und von dem Satz, der traurigerweise nur aus dem Mund von Pädagogen zitiert wird: »Alles andere ist nichts für sie.«