Vortanzen am ToT

„Vortanzen“ nannte es der Kollege letzte Woche, als ich allgemein nach dem Ablauf am ToT fragte. Er hätte das noch nie gemusst, aber eine andere Kollegin konnte informativ einspringen und erläuterte mir, dass ich am ToT nur eine Vorführstunde vorbereiten müsse und nicht, wie zunächst befürchtet, zwei. Ach, „ToT“ ist übrigens keine verklausulierte Lehrerwendung, die übermäßige Ferienreife ausdrücken soll, sondern bedeutet schlicht „Tag der offenen Tür“. An diesem einzigen Samstag mit Unterricht besuchen Eltern und Schüler der vierten Klassen die weiterführenden Schulen, was sich in leeren, unbelebten Schulgebäuden natürlich äußerst schlecht macht. Darum kommen einige Klassen an diesem Samstag in die Schule und demonstrieren den anwesenden Eltern und Kindern, wie Unterricht dort ablaufen könnte.

Dabei ist „könnte“ gar nicht so weit von der Realität entfernt, denn ich werde eine Stunde halten, die ich letztes Halbjahr schon einmal in realiter mit einer Klasse durchgeführt habe. Trotzdem bin ich jetzt schon gespannt, ob alles so klappt und funktioniert, wie vorgestellt, und vor allem, ob ich die angehenden Fünftklässler auch schon mit einbinden kann. Ich hoffe, dass genug Extrovertierte dort sitzen werden, die vor einem unbekannten Lehrer keine Scheu haben und mit dem Thema „Syntax“ etwas anfangen können. Und wenn sie’s bis dahin nicht gelernt haben, dann spätestens am ToT…

Es wird das erste Mal sein, dass Eltern meinen Unterricht begutachten, wie mir gerade auffällt. Sonderbar, oder?

Unfollow monday – Welcome back „Kreide fressen“

Wollte gerade einen Beitrag schreiben zu einem Artikel, der eine Hörbuch-Lyrik-Sammlung bepreist, bejubelt, unverhohlen bewirbt, ohne auch nur irgendwo das Wörtchen „Anzeige“ in Schriftgröße 2 zu verbergen. Wollte schreiben, dass mich das ärgert und über dieses Projekt, das von den Autoren selbst gelesene Gedichte gesammelt hat, herziehen, wollte schreiben, wie schlecht die Autoren oft ihre eigenen Gedichte lesen, wie sie wunderbare Texte zu leblosem Halskratzen verarbeiten, wie sie liebliche Klänge lieblos krächzen und wogende Wellentäler tonlos herausleiern, wollte Kurt Schwitters gegen Otto Sander aufrechnen.

Und dann ist mir eingefallen, wie schwer diese Arbeit gewesen sein muss, wie viele Stunden die Verlagsmitarbeiter gewühlt, gefragt, telefoniert und geschrieben haben müssen, wieviele Briefe sie getippt, wie viele Bitten an fremde Menschen gerichtet haben, wie viel Juristendeutsch sie ertragen mussten und wie viele Nackenschläge ihnen heute Haltungsstörungen verursachen.

Das sollte man nicht schlechtreden, das ist verdienstvolle Arbeit. Aber schlecht kaschierte Werbung von sogenannten Journalisten sollte man anprangern. Jeden Tag. Ich wünsche mir ein Netzwerk „MeinJourni.de“. Da könnte man dann Journalisten bewerten (und mit großem Interesse abwarten, wie sie darüber in ihren Zeitungen schreiben!).

Trotzdem empfehle ich die WDR-Produktion „Lieblingsgedichte der Deutschen„, gelesen von hervorragenden professionellen Sprechern und einem Otto Sander, auf dessen Schuleinsatz von „An Anna Blume“ ich mich jetzt schon freue.

Unfollow monday
Apropos Netzwerke: Aktuell erfasst mich wieder die Twitter-Müdigkeit. Ja, es ist ja nützlich. So nützlich. So total nützlich. So wahnsinnig nützlich. So unendlich nützlich. Weil bestimmt wieder jemand einen guten Link hinwirft. Man lernt ja so wahnsinnig viel dabei und man diskutiert so unglaublich tiefsinnig.

Dabei ist Twitter die organisierte Ignoranz: Wer nicht schnell und permanent schluckt, wird auf der Strecke liegengelassen mit den letzten Info-Bröckchen, ist nicht mehr up to date, muss sich durch einen Haufen Fallengelassenes der vergangenen Nacht wühlen. Dabei immer wieder Links auf eigene Blogbeiträge, Werbung in eigener Sache. Werbung in fremder Sache für Gewinnspielchen und dergleichen Firlefanz. Nur ab und zu, das nimmt schon keiner krumm, wir sind doch alle Freunde.

Twitter ist ein großartiges Manipulationswerkzeug mit eingebauter Hintenrum-Funktion, ein strategisches Mittel für Informations-Feldherren und ihre Soldaten. Geregelter Sturm von Diskussionen ist schnell organisiert, optische Meinungsführerschaft schnell hergestellt, der Mob fix organisiert.

Es ist vielleicht unklug, Twitter zu meiden; man könnte etwas verpassen, man könnte den Anschluss verlieren, man könnte strategisch auf verlorenem Posten stehen. Den Mut habe ich, ich verlassen den geweihten Zirkel, begebe mich auf den Pfad der Fortschrittslosen, der Ausgestoßenen, der Abgehängten.

Bleibt unter euch, ihr Kommunikationsrambos, tragt eure Kommunikationsschlachten ohne mich aus. Ich habe fast fertig mit Twitter. Adios Tweetdeck und Co. Heute ist großer „unfollow“-Monday.

Welcome back „Kreide fressen“!

(Keine weiteren Kommentare meinerseits.)

Von wegen Schüler wollen Action…

Da standen wir nun in der lauen Bielefelder Nachtluft, die Menschen strömten durch die großen Türen des Stadttheaters an uns vorbei, hinter uns rauschten die Stadtbahnen. Meine Kollegin und ich waren’s zufrieden und hatten eine gute Vorstellung „Don Karlos“ hinter uns, wenn auch unerwartet modern, doch gerade das sollte unseren Schülern entgegengekommen sein. Oder?

Bestimmt waren es nicht die verzerrte Gitarrenklänge, zwischen einigen Aufzügen eingebracht, die mein gitarrenverliebtes Ohr als rückwärtsgespieltes Tapping erkannte, psychedelisch und verstörend, während sich die drehbare Bühne bewegte und dem Betrachter neue Räume eröffnete. Bestimmt nicht das „Blablabla“, das die Schauspieler mitunter lautstark einwarfen und so lange Dialoge abkürzten.

Vielleicht waren es die Kostüme. Ein Schüler beschrieb die Figuren als aus einem Mafia-Film der 50er-Jahre entsprungen. Unrecht hatte er da nicht. König Philip wirkte in seinem silbergrau glänzenden Anzug wie ein Wirtschaftsboss, vielleicht auch ein wenig wie ein Pate. Seine Schergen Alba und Domingo in ihren schwarzen Anzügen und mit Albas Pistolenholster wie brutale Mafiosi. Posa dagegen schien wie ein Stadtstreicher, wie ein abgerissener Halunke, ein Möchtegern-Punk, in seinem olivfarbenen Unterhemd, der wirren Frisur und dem Fell auf der Schulter.

Vielleicht war es die Körperlicheit der Inszensierung. Wenn Männer sich freundschaftlich und inniglich küssten, wenn Karlos ins Gemach der Eboli eindrang, mit dieser eng umschlungen unzüchtig auf den Boden stürzte; wenn der König seinen nicht mehr jungen Oberkörper entblößte oder wenn die Eboli von Alba und Domingo sexuell genötigt wurd.

Vielleicht waren es die, trotz Kürzungen, immer noch langen Dialoge, die Konzentration und Aufmerksamkeit verlangten, wollte man ihnen folgen. Vielleicht brauchte es dafür manchmal Sentenzen wie Ebolis „Ich habe deinen Mann gefickt“, um die Schüler von Zeit zu Zeit zu wecken und zu entsetzen.

Vielleicht war es auch einfach der Wunsch, den „echten“ Schiller zu sehen, in klassischen Kostümen, in ganzer Pracht, in kunstvoll gestelzter Sprache, dem hohen Ton; vielleicht der Wunsch, Theater zu sehen, das edel und rein ist, frei vom Staub und Schmutz des Alltags. Eine Phantasiewelt, die von untergegangenen Königreichen erzählt, irgendwann in einer fernen Vergangenheit, in der es wundervolle Kleider gab und in der wunderschöne feine Damen und Herren Intrigen spannen, um Freundschaft, Macht und Freiheit rangen.

Reichlich Applaus gab es trotzdem. Und wir haben Montag reichlich Diskussionsstoff. Auch wenn die Rückmeldungen bislang eher von Enttäuschung berichteten.

Noch eine Klausuren-Impression

Ich stelle gerade zum wiederholten Male fest, basierend auf Beobachtungen verschiedener Kurse an verschiedenen Schulen, dass Oberstufenschüler, die erst kurze Zeit in Deutschland sind, mit der Interpunktion fast keine(!) Probleme haben, ganz im Gegensatz zu vielen ihrer deutschen Kollegen. Trotzdem muss ich nahezu jeden Sazu korrigieren, weil Grammatikkenntnisse fehlen oder semantische Schwierigkeiten auftreten, aber die Interpunktion ist bisher bei all diesen Schülern, die ich kenne, tadellos gewsen. Allerdings sind es bislang auch nur zwei. Trotzdem sollte man das mal im Auge behalten und sich bei Erhärtung des Verdachts fragen, warum einige deutsche Schüler trotz längerer Übungsphase Probleme mit der Interpunktion haben. (Liegt’s daran, dass ausländische Schüler, die es auf ein Gymnasium schaffen, intelligenter sein müssen als der Durchschnittsgymnasiast? Liegt’s am späteren Erlernen der Sprache, sodass die kognitiven Fähigkeiten weiter entwickelt sind, wenn Interpunktion erlernt wird?)

Von Textbemalung und vom Referendariatshorrormeldungshorror

Zur Zeit reicht es leider oft nur für ungezielte Blogbeiträge, die mehr Kurzmeldungen gleichen, als wirklich gebloggt zu sein. Zum Bloggen zu wenig, für Twitter zu viel, könnte man sagen, und trotzdem muss ich es irgendwo loswerden. (Eigentlich muss ich deswegen viiiel längere Artikel schreiben, fachlich fundiert und mit massenweise Fußnoten, aber für heute spare ich mir das.)

Textbemalung
Denn eigentlich wollte ich nur darauf hinweisen, dass wir als Lehrer doch manchmal ad absurdum geführt werden mit unserem ganzen Methodengedeichsel. Da korrigiere ich gerade eine Klausur einer mir, was Klausuren betrifft, bis dato unbekannte Schülerin und knöpfe mir gewohnterweise als erstes deren Arbeitsblatt vor. Daran kann man ja schon einmal erkennen, wie intensiv sich die Schülerin mit dem Text beschäftigt hat. Und kaum halte ich besagtes Blatt in meinen Fingern, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken – es ist bislang das einzige Blatt, auf dem ich keine Spuren von Textmarker, Buntstift oder wenigsten Kugelschreiber erkennen kann. Erst bei genauem Hinsehen vermag ich zwei sehr dünne Bleistiftmarkierungen zu erkennen… dabei predigen wir doch immer die intensive Vorarbeit, das Markieren, das Farbspektakel, das Visualisieren, denn sonst kann das doch nichts werden. Ich wage den Blick in den Schülertext…

… und ein geschliffener Einleitungssatz führt mich schnurstracks zu Thema und der besten Deutungshypothese aller bislang durchgesehenen Klausuren. Darauf folgt ein klarer Text, nicht mängelfrei, aber deutlich über dem Niveau der vorangegangenen Texte inclusive einer einwandfreien und intelligenten Zitationsweise. Diese Schülerin führt das Mantra der vorbearbeiteten Texte kaltschnäuzig ad absurdum. Gefällt mir, obwohl ich meine Texte gerne farblich verziere und mir dieses eher hilft.

Referendariatshorrormeldungshorror
Etwas anderes, diesmal für die lieben Damen und Herren Referendare und Lehramtsanwärter: Glaubt nicht, was heuer im Spiegel steht. Nein, tut das nicht. Glaubt auch nicht jeden Horrorbericht, den Spiegel-Redakteure sich aus Referendar.de heraussuchen. Nein, glaubt es nicht. Oder glaubt zumindest nicht, dass das die Regel ist. Natürlich ist das Referendariat bisweilen stressig, natürlich ist es manchmal viel Arbeit, natürlich wird man oft beobachtet und bewertet, aber letztlich wird man daran nicht zugrunde gehen.

Besonders der ach so arg kritisierte eigenständige Unterricht war aus meiner Sicht viel befreiender als der angeleitete Unterricht unter Aufsicht, da man dort wirklich eigene Ideen und Konzepte erproben konnte. Und auch der angeleitete Unterricht bietet Vorteile: Die erfahrenen Lehrer sind ein hervorragendes Korrektiv für Unterrichtsbesuche, können auch im Alltag nützliche Tipps und Ratschläge geben und sind ein Fundus für Material und Ideen und Hinweise, was man tun und lassen sollte. Und wer – mit Verlaub – so blöd ist, dass er „bis in den frühen Morgen“ arbeitet, den halte ich für selber schuld, wenn er das Tagesgeschäft danach für überfordernd hält. Ich hatte und habe mir für Alltagsarbeiten eine Deadline gesetzt – bis dahin bin ich fertig, ansonsten könnte ich arbeiten, bis der Arzt kommt.

Und was soll man letztlich davon halten, wenn man den Absatz über die mangelhafte Uni-Ausbildung so einleitet:

Ihr Start ins Berufsleben nach knapp sieben Jahren Uni verlief holprig. „Ich wusste nicht einmal, wie ich im richtigen Tonfall die Klasse begrüße“, erinnert sich Gurk (…) (Spon)

Was erwartet man da jetzt von den Unis? Seminare mit dem Titel „Stimmbildung für Erstkontakt“? Spätestens da wird’s dann doch ein wenig lächerlich. Sollen die Professoren ihre Studis jetzt über die Klassenschwelle tragen, oder was? Es gibt eine Menge zu kritisieren an der Uni-Ausbildung (zum Beispiel haufenweise Didaktik-Seminare, die ohne Praxiserprobung sinnlos sind), aber was der Spiegel da betreibt, ist wieder reine Panikmache.

Lasst euch einfach drauf ein, begrüßt die Schüler unverkrampft und seid frohen Mutes. Gewiss gibt es Schöneres als ein Referendariat, aber umkommen werdet ihr darin nicht, und eure Familien und Freunde werden euch auch nicht verlassen.

Eindrücke

Das Lehrerleben treibt wilde Blüten. Heute haben sich neue Referendare an meiner Schule vorgestellt – mit dem einen habe ich vom ersten Semester an beide Fächer gemeinsam studiert, nun kann ich sein Ausbildungslehrer sein. Schon ein wenig sonderbar, denn so weit fühle ich mich ehrlich gesagt noch lange nicht. Ich bin immer jemand, der gerne „auf Nummer Sicher“ geht, der viel ausprobiert, Erfahrungen sammelt, sich rote Nasen und Bestätigung holt, bevor er sich solcherlei zutraut. In diesem Fall hieße das: Mindestens alle Unterrichtsinhalte, die ich mit einem Referendaren gemeinsam machen würde, selber wenigstens einmal unterrichtet zu haben. Naja, Training on the job nennt man das in der freien Wirtschaft, wieso nicht auch in der Schule? Ich werde Stunden mit Referendarsbegleitung jedenfalls extra gründlich vorbereiten, das steht fest.

Ansonsten tut es gut, querbeet eigenständig in nahezu allen Klassenstufen zu unterrichten. Ich lerne die Schüler besser kennen, weil die jetzt ihrerseits auch wissen, dass ich nicht nur auf Durchgangsstation bin, und kann gleichzeitig testen, ob ich überall in der Lage ist, die Klassen zu „führen“. Mein Eindruck nach einer Woche ist positiv, vor allem bei den Klassen, in denen ich fünf Stunden pro Woche bin. Da kenne ich auch schon fast alle Namen, in den zweistündigen Kursen wird es wohl noch ein wenig dauern…

Erste Pausenaufsichten gehabt. Easy going. Von hinten nach vorne den Flur aufrollen, alle Klassen überprüfen, abschließen, Quälgeister auf den Hof verbannen. That’s it. Ob der Schüler von der angeblichen Energiespar-AG mich veralbern wollte, war mir erst nicht klar, aber im Zweifel für den Angeklagten. Es stellte sich heraus, dass es tatsächlich eine Energiespar-AG gibt. Immerhin.

Am nächsten Donnerstag werde ich um diese Zeit nicht bloggen, sondern in der Schule sein und einen Förderkurs bestreiten. Wir werden das ganz gemütlich bei Keksen machen, denn es wird nur eine Hand voll (arrr… man schreibt es wirklich so!) Schüler kommen, was mir gut gefällt, denn nur dann kann Förderung wirklich effektiv sein.

Notiz an mich: Illustration des Schaukelmotivs in Effi Briest

Zur Illustration des Schaukelmotivs in Effi Briest dürfte es reichlich Anschauungsmaterial in der Werbung geben. Aktuell hängen in ganz Bielefeld Plakate, auf denen eine junge, weißgekleidete Frau federleicht am Meeresstrand schaukelt. Davon gibt’s bestimmt noch mehr… Gegenwartsbezug und so… von wegen junge Frauen schaukeln nicht mehr…

Leselust?

„Wer liest denn hier historische Romane?“, fragt die Lehrerin den GK Deutsch. Hände habe ich keine gesehen, nur ein verschämtes „Jaaaa… doooch…“ aus der hinteren linken Ecke gehört. Öhm!? Nicht mal Ken Follett? 😯

Aber: Würde ich heute viele Romane lesen, wenn ich mit dem Internet aufgewachsen wäre? Hmm…

Rammstein literarisch

War mir bis gerade neu, dass Rammstein sich für den Titel „Du riechst so gut“ Inspiration bei Patrick Süskind geholt haben soll. Wikipedia behauptet das. Wäre vielleicht mal ’nen Einstieg in eine Unterrichtsreihe zu „Das Parfüm“ wert, auch wenn ich Rammstein nicht mag. (Mann, ich will das alte WordPress wiederhaben! Bis man hier die Kategorien gefunden hat…)

Szenisches Interpretieren

Der erste Referendar hat das Handtuch geworfen. Das ist schon ein bisschen komisch, wenn Mitreferendare erzählen, dass sie Klassen oder Kurse wechseln mussten oder gar ganz abbrechen.

Im Deutsch-Seminar haben wir gestern das sechste Bild aus Brechts „Leben des Galilei“ szenisch interpretiert. Szenische Interpretation an sich kannte ich schon als Methode, um Schülern dramatische Texte leichter erschließbar zu machen, aber die Mitreferendarin, die das Ganze leitete, hatte eine (für mich zumindest) Neuerung eingebaut: Die Stopp-Phase. Wie funktioniert das?

Man stelle sich vor, Hokey interpretiert wegen einer Erkältung wütend-gebrechlich den alten Kardinal, stößt eine unverhohlene Todesdrohung gegen Galilei aus und will sich gerade zum finalen Zusammenbruch hinspielen, als es trocken aus der Ecke der Moderatorin „Stopp!“ heißt. Und dann: „Galilei, was denkst Du gerade?“ Und dann musste der verblüffte Galilei, gleichwohl er kein Wort gesprochen hatte, seine Position in diesem Moment überdenken und offenlegen.

Es ist also szenisches Interpretieren mit, wenn man es so nennen möchte, Figureninterviews, in denen der Gefragte mehr über die Figur preisgeben muss, als es der reine Text hergibt. Die Schüler leisten in diesem Moment also eine Interpretation, die ihnen durch die Zuhilfenahme des Spielens, der Mimik, Gestik und der Prosodie um ein Vielfaches erleichtert wird. Das dürfte besonders denen helfen, die Schwierigkeiten damit haben, den puren Text mit Leben zu füllen. Mich hat diese Methode gestern begeistert und ich werde sie bei der nächsten Gelegenheit gleich einmal ausprobieren.

In diesem Zusammenhang haben wir auch zwei Literaturtipps bekommen. Einmal „Szenische Interpretation“ von Ingo Scheller und weiterhin „Produktiver Umgang mit dem Drama“ von Günter Waldmann, das erfahreneren Kollegen bekannt sein solle, wie unser Fachleiter meinte.