Geplatzter Knoten

Peter (Name geändert) ist eher ein zurückhaltender Schüler. Einer, der nicht viel sagt. Einer, der sich nur vorsichtig in das Unterrichtsgeschehen einbringt. Einer, der eher vorliest, als den Unterricht durch Beiträge voranzutreiben.

Bis ich versuche, Figurenträume psychoanalytisch zu betrachten. Schon bei der Einführung der Theorie der Psychoanalyse fällt Peter durch eine ungewohnt häufige Beteiligung auf, hat die Theorie sofort verstanden, erklärt sie bereitwillig seinen Mitschülern, schwimmt wie ein Fisch im Wasser.

Die Stunde darauf, die Interpretation der Träume ist gefragt, präsentiert Peter mit seiner Gruppe ein hervorragendes Ergebnis, widerlegt im Alleingang mit sicherer Leichtigkeit die kritischen Einwände der durchaus selbstbewussten Restgruppe und stellt dabei mein Bild seiner selbst völlig auf den Kopf.

Welcher Knoten ist denn da geplatzt? Hoffentlich bleibt das so!? Hoffentlich kann ich sein Interesse halten…

Von der Welle hinweggespült

Da strampelt man sich als Geschichtslehrer redlich ab, um multiperspektivisch bei den Schülern historisches Urteilsvermögen herauszubilden und rollt die Rezeption der NS-Zeit von hinten bis vorne auf: Von dem vom dämonischen Führer verführten unschuldigen Volk über die alleine böse SS bis hin zu den Verbrechen der einfachen Soldaten der Wehrmacht.

Und dann kommen die Deutschlehrer, lassen ihre Schüler „Die Welle“ lesen, die Politiklehrer rennen scharenweise in den Film mit diesem Vogel und hinterher ist allen klar: Die arme Masse ist – ach so leicht – verführbar. Natürlich wird dabei auch abseits vom Geschichtsunterricht der Nationalsozialismus fleißig „besprochen“, analysiert, analogisiert. Letztlich bleibt bei den Schülern und im öffentlichen Diskurs wieder nur eines hängen: Der Topos der Verführung.

(Aber ich bedanke mich dennoch recht herzlich für ein mögliches Unterrichtsbesuchsthema.)

Das Ziel im Auge behalten

Eien rhetorische Analyse, die im formalen Nachweis von Techniken und Figuren beharrt, kommt nicht ans Ziel. (Norberto42)

Schreibe ich mir hinter die Ohren. Ich habe in den letzten Wochen vor den Weihnachtsferien sowieso zu oft das Ziel der Stunde, sprich: die Tranferphase, aus den Augen verloren. Und bei einer rhetorischen Analyse ist genau das, was norberto42 beschreibt, Gegenstand der Transferphase:

Rhetorische Analyse müsste darauf hinauslaufen zu zeigen,
1. wie Plausibilität (jenseits reiner Sachargumente) erzeugt wird;
2. (oder 1.) wie Interesse geweckt und erhalten wird;
3. wie dadurch vermutlich der Rede Erfolg beschieden ist, indem die Hörer zum erwünschten Handeln bewegt, jedenfalls zumindest nicht gelangweilt oder vergrätzt werden (also nicht „abschalten“). (ebd.)

Im Übrigen erleichtert man sich die Stundenplanung um einiges, wenn man das Ziel vor Augen hat und nicht vom Material aus losmarschiert, so ist zumindest mein Eindruck bis jetzt. Gutes Material ist schön, aber blöde, wenn man es ungut einsetzt.

Vorzu lesen.

Ich mach‘ jetzt einfach mal das Hickhack um die Rechtschreibreform dafür verantwortlich, dass Schüler Dinge wie „vorzu lesen“ schreiben.

Schlag die Stilübung

Eine nette Idee: Die Süddeutsche hat anstelle einer üblichen Fernsehkritik zur gestrigen „Schlag den Raab“-Sendung ihre Kritik in Form einer Stilübung verpackt. So werden die einzelnen Spiele mit unterschiedlichen Formen literarischen Ausdrucks kommentiert.

3. Disziplin
„Schlag den Raab“: Autoball
sueddeutsche.de: Limerick

Es war mal eine Beamtin aus Detmold
Spielte Autoball gegen Pro Siebens Unhold
Doch ihre Schaltung
War lahmste Verwaltung
Weshalb der Ball stets in ihr Tor rollt‘

(Süddeutsche)

Die Redaktion hatte beim langwierigen Pro7-Spiel wohl Langeweile. Gut für Deutschreferendare: Wegspeichern und für den Unterricht vormerken. Gegenwartsbezug vorhanden.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung

Ich habe meinen Elfern heute gesagt, dass man bei einer Lyrikanalyse nicht spekulieren soll. Daraufhin: Erstaunen, fast schon Empörung! Das sei ja jedermanns eigene Meinung! Jeder sehe das anders! Subjektivität! Komplott!

Dazu passt eine letzte Woche geäußerte Befürchtung, Gedichte seien ein unangenehmes Thema – da müsse man immer versuchen, die Meinung des Deutschlehrers herauszufiltern. Nun… ich kenne die Sorge noch aus meiner eigenen Schulzeit, aber mittlerweile habe ich die Fronten gewechselt und kann auch die andere Seite verstehen. Und sie hat die Argumente auf ihrer Seite.

Und das muss ich meinen Elfern jetzt vermitteln. In der S-Bahn kam mir vorgestern die Idee, vielleicht einmal ganz unlyrisch die in „Sakrileg“ befindliche Interpretation von „Das Abendmahl“ zu besprechen. Da hat Brown ja auch so seine Meinung mal ganz frei geäußert, ob sie haltbar ist und warum unter Umständen nicht, werden wir dann sehen…

…denn vielleicht ist das Bild zunächst plastischer als Barocklyrik.

Traumhaft

Traumjobs, nicht der Hauptschüler!

Trendence hat rund 8400 Schüler der Klassenstufen 7 bis 13 von Gymnasien, Gesamt- und Realschulen in ganz Deutschland Fragen gestellt – zu ihrer Zukunft, zum Abschluss, zum Job, den sie einmal machen wollen. (Spon)

Wieso eigentlich keine Hauptschüler? Geht man bei den Meinungsforschungsinstituten davon aus, dass Hauptschüler keine Vorstellungen und Wünsche von einer beruflichen Zukunft entwickeln? Wenn man schon 8400(!) Jugendliche befragt, warum dann nicht auch Hauptschüler? Lehrer ist übrigens kein Traumjob der Jugendlichen.

Traumjob
Was macht eigentlich mein Traumjob? Nun ja, ich brüte gerade über meinen ersten Oberstufenklausuren und überlege, ob ich nicht ein wenig Werbung für Wolf Schneider machen soll? Oder wie vermittelt man Schülern ein Thema wie „Schreibstil“? Stück für Stück wahrscheinlich, ein bisschen Zeit haben sie ja auch noch bis in die Dreizehn. Manche brauchen jedoch noch einen gründlichen Grundkurs „Syntax“! Zeichensetzung ist denen ein Fremdwort. Obwohl ich es ein Stück weit nachvollziehen kann: Der erweiterte Infinitiv mit zu macht mich bei der Korrektur kirre, weil Schüler da selten ein Komma setzen (außer bei „um“) und ich dann jedesmal prüfen muss, ob es sich nun um ein fakultatives oder ein obligatorisches Komma handelt.

Traumhafte Bibliothek?
Heise hat mich heute auf die Volltextbibliothek Zeno.org gestoßen. Ein wahres Paradies für Deutsch- und Geschichtslehrer! Sie suchen Material zu den Nürnberger Prozessen? Oder Informationen zu Goethes „Ganymed„? Schnell bei Zeno eingetippt und flugs bekommt man sowohl das Gedicht als auch als Informationen zum Mythos als auch Hinweise auf Goethe-Briefe, in denen das Stichwort „Ganymed“ erwähnt wird. Alles mit praktischer Quellenangabe inklusive Seitenangabe(!) und bei manchen Werken sogar mit verlinktem Faksimile der entsprechenden Seite. Wahnsinn. Zumindest auf den ersten Blick sieht die sogenannte Volltextbibliothek ganz brauchbar aus. Man darf gespannt sein.