Von der Welle hinweggespült

Da strampelt man sich als Geschichtslehrer redlich ab, um multiperspektivisch bei den Schülern historisches Urteilsvermögen herauszubilden und rollt die Rezeption der NS-Zeit von hinten bis vorne auf: Von dem vom dämonischen Führer verführten unschuldigen Volk über die alleine böse SS bis hin zu den Verbrechen der einfachen Soldaten der Wehrmacht.

Und dann kommen die Deutschlehrer, lassen ihre Schüler „Die Welle“ lesen, die Politiklehrer rennen scharenweise in den Film mit diesem Vogel und hinterher ist allen klar: Die arme Masse ist – ach so leicht – verführbar. Natürlich wird dabei auch abseits vom Geschichtsunterricht der Nationalsozialismus fleißig „besprochen“, analysiert, analogisiert. Letztlich bleibt bei den Schülern und im öffentlichen Diskurs wieder nur eines hängen: Der Topos der Verführung.

(Aber ich bedanke mich dennoch recht herzlich für ein mögliches Unterrichtsbesuchsthema.)

4 Gedanken zu „Von der Welle hinweggespült

  1. Ich hab’s irgendwann mal gelesen, und als literarisches Werk fand ich es schlecht – allein schon deshalb würde ich es nie im Deutschunterricht lesen. Buch nach einem Fernsehfilm über eine wahre Begebenheit… Ich mag schon Buch zum Film und Film nach einer wahren Begebenheit nicht (die sind fast immer schwach), die Kombination davon kann ich gar nicht brauchen.

  2. Ja, was bleibt? „So ist der Mensch, verführbar und kann nichts dafür, denn es ist seine Natur“. Ich teile Deinen Ärger! Es gab einen guten Verriß in der Taz mit genau Deinem kritischen Tenor, Titel „Der Mensch ist auch nur eine Laborratte“: http://www.taz.de/nc/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ku&dig=2008%2F03%2F12%2Fa0118&src=GI&cHash=804f72511f
    Und trotzdem hast Du vollkomme recht: Wenn man nicht mit den Schülern in den Film geht und ihn als Gesprächsanlaß genau zu diesem Thema benutzt, dann gehen die Schüler alleine hinein und sind hinterher ohne Gesprächspartner beruhigt – oder beunruhigt, je nachdem – über ihre Handlungsoptionen und Selbstwirksamkeit. Das wäre doch ein tolles Thema! Zivilcourage, abweichendes Verhalten, Nachweis, daß es alternative Handlungsoptionen gibt … Darüber gibt es viel bei Harald Welzer zu lesen, der auch eine ganz differenzierte Auswertung des Milgramexperiments beschreibt.
    Wie man aus grottenschlechten Filmen gerade erst recht interessanten Unterricht zum Thema machen kann, habe ich mal anhand des Film „Der Untergang“ ausprobiert und beschrieben: „Der Untergang. Unterricht über ein schwieriges Thema“ http://www.lernen-aus-der-geschichte.de/?site=instructionmaterials&code=ik20071030174730&c=

  3. Ha! „Der Untergang“ habe ich mir gerade heute morgen aus der Bibliothek mitgenommen, weil ich den eventuell einsetzen könnte! Danke für den Link – ich glaube, mich erinnern zu können, dass Du auch bei shift schon einmal etwas dazu geschrieben hast…

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