Überlebenskampf

Ein schneller Hinweis auf einen langen Artikel auf Spiegel-Online:

Aber man mache sich nichts vor. Der darwinistische Überlebenskampf ist im Begriff, auf das Leben des Einzelnen überzugreifen, auf seine Kommunikation mit anderen, sein Erinnerungsvermögen, das der größte Feind neuer Informationen ist, auf sein soziales Leben, auf seine Berufs- und Lebenskarriere, die längst Bestandteil des digitalen Universums geworden ist. (Frank Schirrmacher)

Es erleichtert mich doch ungemein, dass ich nicht der Einzige bin, der das Gefühl hat, in Informationen zu ersaufen. Doch auch für die Wissensgesellschaft hat Schirrmacher etwas bereit:

Die Antwort lautet nicht, dass Powerpoint-Präsentationen und Computer der Ausweg sind, sie sind noch nichts anderes als Folterinstrumente, solange unsere Vorstellung vom Lernen weiter so funktioniert, als stünde einer an der Tafel und verbreitete Informationen. Die Informationen hat jeder. Aber was Menschen verzweifelt lernen müssen, ist, welche Information wichtig und welche unwichtig ist. Das ist womöglich die große Stunde der Philosophie.

Gedankensplitter

Erstmal Werbung
Da ich in Bälde meine AG „Experimentelle Archäologie“ (einen schülernäheren Titel muss ich mir noch ausdenken… vielleicht knoppmäßig „Experiment Geschichte“ oder so…) starten will, habe ich mich auf die Suche nach fünfergeeignetem Material gemacht und bin auf zwei wirklich tolle Hefte gestoßen, die man über den Hase-und-Igel-Verlag beziehen kann.“Komm mit in die Steinzeit“ und „Komm mit ins Mittelalter“ bieten Anregungen für einen produktions- und handlungsorientieren Unterricht en masse und sind ihre 22€ unbedingt wert, auch als Anregung für den normalen Geschichtsunterricht.

Von Anleitungen für den Modellbau. praktischen Hinweisen zum Feuermachen, dem Bauen eines Ofens und dem Schöpfen von Papier, dem Herstellen eigener Kleidung bis hin zu Rezepten für historische Gerichte ist ein großer Teil der alltäglichen Lebenswelt der damaligen Menschen praktisch erfahrbar. So. Von den Bänden bin ich also schon mal begeistert – jetzt steht nur noch der Praxistest an.

Zum ersten Mal: Klassenleitung
Habe gestern erfahren, was es bedeutet, eine Klasse zu leiten, nämlich: Ein dauervolles Postfach zu haben. Ich habe meines gestern fast im Halbstundentakt leeren müssen, weil es immer wieder randvoll war. Mit allem Möglichen: Handouts, Fahrkarten, Influenza-Hinweisen, Stundenplänen, Hinweisen zur Bücher-, Essens-, Ausweis-, Hausaufgabenplanerausgabe usw usf. Eine aufmerksame Kollegin spendierte mir ihren Klassenleitungsordner. Zum Glück hatte ich meinen Bundeswehrrucksack dabei – dessen Volumen reichte gerade eben so.

Twitter revisited
Ich knabbere immer noch an dem Thema Digistraction (ich mag dieses Wort), und habe mich gestern gefragt, ob wir unsere Schüler nicht zu nervösen, unkonzentrierten Mausklickern erziehen, wenn wir ihnen ICQ, Twitter und permanentes Gewehr-bei-Fuß-stehen abverlangen. Ob wir sie nicht zum Plappern erziehen, zum hektischen Linkwerfen und zum Bröckchenleser machen? In der Süddeutschen findet sich eine Kritik der Generation der 25-Jährigen, die genau dieses anprangert.  Ja, mit einer besseren Didaktik, so höre ich, wäre das alles kein Problem, nur fehlt mir der Glaube daran. Wer mit Informationen jonglieren will, muss zunächst festen Boden unter den Füßen haben.

Aber was ist mit der Schülerorientierung? Sind es nicht die Schüler, die diese Tools schon im Alltag benutzen? Würden wir sie nicht da abholen, wo sie stehen? Nun, das haben sich die Schulkiosk-Besitzer meiner alten Schule auch gedacht, als sie haufenweise Zuckerriegel in ihre Regale stopften und Negerkussbrötchen in die Auslage legten. „Schülerorientierung“ bedeutet nicht, sich und seinen Unterricht den Schülern anzupassen, sondern deren Wünsche und Bedürfnisse aufzugreifen und in den Unterricht einfließen zu lassen, wenn es wirklich im Sinne der  Schüler und für die Sinnstiftung bei den Schülern fruchtbar gemacht werden kann. Die Zerstreuungstendenzen der Web2.0-Welt lassen mich daran zweifeln, ob der Einsatz dieser Werkzeuge wirklich schülerorientiert stattfinden kann, abgesehen vom Boah-ist-Herr_XY-cool-Effekt.

Jaja, ich höre die Kritiker des Kritikers: Er kommt uns vor wie ein Mensch des 19. Jahrhunderts, der davor warnte, dass das Anschauen eines fahrenden Zuges verrückt macht, aber diese Fragen schießen mir trotzdem in diesen Tagen durch den Kopf.

Ich bin kein Superlehrer…

… auch wenn sie gerade bei Deutschlands prominentestem „Bildungssender“ als Dokutainment durchs Fernsehn purzeln und drei der Lehrer eigentlich gar keine Lehrer sind. Früher hätte ich mich ja mit Eifer (und viel Schaum vorm Maul) auf ein solches Format gestürzt, aber diesertags kann ich es nicht mal schauen, denn …

… ich liege  b e g r a b e n  unter Klassenarbeiten, die diese Woche noch korrigiert sein wollen/sollen/müssen. Ebenso wie der Unterricht vorbereitet sein will. Und Nachprüfungen abgenommen werden müssen. Im nächsten Durchgang lege ich mir dir Arbeiten anders! Dann müssen die Schüler eben früher schwitzen. Ich bin halt kein Superlehrer…

Ein Einakter: Das Ldl-Drama

Erster Akt und Katastrophe
Ich muss zugeben, dem ganzen – ich nenne es mal „Hype“ – um Ldl, Twitter und Web2.0 zunehmend ablehnend gegenüberzustehen. Das hat verschiedene Gründe, die alle mal mehr und mal weniger plausibel meine Ablehnung erklären. Zum einen mag es eines meiner (unter Umständen nicht immer nützlichen) Persönlichkeitsmerkmale sein, mich gegen Dinge zu sträuben, die „alle“ machen, die „hip“ sind und die, von irgendwoher angeflogen, plötzlich ganz doll im Rennen sind. Das war so, als wir uns in meiner Band „entschlossen“, beim letzten Auftritt Krawatten zu tragen. Als Gag gedacht, fand ich diese Vorstellung uniform herumzulaufen, furchtbar. Überhaupt sind Krawatten für mich die Geißel der Uniformität: Eng um den Hals geschnürt und auf das Gemächt weisend, kann man ebendort gepackt und stranguliert werden;die Krawatte ist Merkmal der BlueWhite-Collar-Uniform und bürgerliches Accessoire zur Verdeckung der von körperlicher Arbeit entwöhnten Hühnerbrust. (Mir graust es vor dem ersten Abi-Ball, wo ich mich jeder Menge Fragen zu meiner nichtvorhandenen Krawatte aussetzen lassen muss. Ich überlege, ob ich nicht eine in der Hosentasche mittragen soll, um zu beweisen, dass ich durchaus in der Lage bin Windor-,Manhattan- und Standardknoten zu binden. Immerhin musste ich beim Bund meinen halben Zug binden…)

Ich schweife ab. Diese ganze Gezwitschere, Geblogge und Gehype um Ldl hat mich also gründlich abgeschreckt. Zweiter Aspekt dabei: Euphorie. Eine gute Stimmungslage, um Hokey abzuschrecken. Überall Videos, die von tollen Unterrichtstunden berichteten, fleißigen, fantastischen, selbstlernenden Schülern, Lernerfolgen, angstfreiem Unterricht, schlicht: dem pädagogischen Paradies. Sowas kann ich nicht glauben. Schlichtweg gar nicht. Wären meine Fachseminarleiter so aufgetreten, hätte ich mir vor jedem Unterrichtsbesuch eine Kiefersperre gebissen. Denn der so präsentierte (bzw. bei mir (! – das möchte ich doppelt betonen)  so entstandene) Eindruck von Ldl wies ein so hohes Maß an Perfektion auf, dass ich das ganze für pädagogische Spinnerei abgetan habe. Oder auch als Forum zur Selbstdarstellung Einzelner betrachtet habe, die sich u.U. pädagogische Meriten erarbeiten wollen. Denn auch dazu ist Vernetzung nützlich und diesen Verdacht auf Eigennutz, wiederum ein Teil meiner griesgrämigen Persönlichkeit, hege ich zunächst einmal grundsätzlich, wenn irgendjemand etwas bewirbt.

Wie auch immer: Die Diskussion um Ldl, Twitter und das Gedöns drumherum verursachte bei mir doch einige Bauchschmerzen. War es nicht nur meine dämliche Verbohrtheit, mich gegen eine nützliche und sinnvolle Entwicklung zu wehren, die doch eigentlich meinen pädagogischen Prinzipien entgegenkommt? Oder hatten auch in letzter Zeit oft gelobte Äußerungen wie folgende ihr Scherflein dazu beigetragen?

Wir scheren uns nicht um irgendwelche Probleme die kommen könnten. Also diese Ja-Abers, die schalten wir aus. (via, via)

Solche Sätze sind in meinen Augen eine Vollkatastrophe. „Ja-abers“ sind wichtiger Bestandteil einer lebendigen Diskussionskultur und auch Zeichen von Selbstreflexivität. Ungenehme Kritik einfach wegzuwischen und zu ignorieren ist in meinen Augen fatal und unwissenschaftlich. Und so ergab sich für mich das schlüssige Bild einer sich selbst beweihräuchernden Community, die Kritik lieber ausblendet und sich lieber in dem Gefühl bestärkt, die tolle Speerspitze von etwas Neuem zu sein. So habe ich mich lieber zurückgezogen, statt mitzuwirken.

Katharsis?
Bis ich heute den Bericht Christian Spannagels zu seinen Ldl-Versuchen in seinen Vorlesungen gelesen habe. Trotz des mich abschreckenden Titels (jetzt kommt er schon wieder mit diesem biologistischen Neuronen-Gefasel…) wollte ich wissen, was macht der da in seinen Vorlesungen. Denn wenn wir über neue Methoden reden, geht es letztlich genau darum: Was machen wir und was erreichen wir als Lehrkräfte dadurch, dass wir etwas Bestimmtes tun (oder tun lassen).

Und während ich Christians Bericht lese, stelle ich fest, dass Christian all die Dinge tut, die ich von Zeit zu Zeit, aber durchaus nicht immer, auch in meinem Unterricht mache: Er gibt stumme Impulse, lässt Studenten Ideen an die Tafel schreiben, lässt diese Diskussionen leiten, diese die Diskussionsleitung weitergeben, diese Lösungen zu Problemen selber finden. Das Schöne dabei: Besonders den Lehramtsstudenten dürfte diese Form, Diskussionsleitung zu üben, entgegenkommen, denn sie lernen das Geschäft des Diskussionsleitens selber aktiv (und wann macht man das schon im Studium?), werden aber gleichzeitig auf eine Art und Weise geschult, die ihnen zeigt, dass Unterricht auch anders ablaufen kann.

Meine Skepsis zuungunsten Ldl legt sich, dank Christian Spannagel. Endlich einmal kein Bericht aus einem Leistungskurs mit zwölf Schülern, sondern von einem Plenum mit über hundert Anwesenden. Endlich einmal eine konsistente Beschreibung von der Wurzel auf, anstatt mittenrein zu springen. Endlich kein Verdacht auf großen Didaktik-Hokuspokus und Schüler, die in Videos ihren Lehrer loben (was bleibt ihnen auch anderes übrig?), sondern ein Bericht, der zeigt, dass Ldl gar nicht allzuweit vom normalen, schülerorientierten Unterricht entfernt ist, sondern diesen nur auf andere Art und Weise, vielleicht gezielter,  pragmatischer und vor allem auf längere Sicht, statt nur in einigen Einzelstunden, umsetzt.

Danke dafür, Christian.

Von Textbemalung und vom Referendariatshorrormeldungshorror

Zur Zeit reicht es leider oft nur für ungezielte Blogbeiträge, die mehr Kurzmeldungen gleichen, als wirklich gebloggt zu sein. Zum Bloggen zu wenig, für Twitter zu viel, könnte man sagen, und trotzdem muss ich es irgendwo loswerden. (Eigentlich muss ich deswegen viiiel längere Artikel schreiben, fachlich fundiert und mit massenweise Fußnoten, aber für heute spare ich mir das.)

Textbemalung
Denn eigentlich wollte ich nur darauf hinweisen, dass wir als Lehrer doch manchmal ad absurdum geführt werden mit unserem ganzen Methodengedeichsel. Da korrigiere ich gerade eine Klausur einer mir, was Klausuren betrifft, bis dato unbekannte Schülerin und knöpfe mir gewohnterweise als erstes deren Arbeitsblatt vor. Daran kann man ja schon einmal erkennen, wie intensiv sich die Schülerin mit dem Text beschäftigt hat. Und kaum halte ich besagtes Blatt in meinen Fingern, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken – es ist bislang das einzige Blatt, auf dem ich keine Spuren von Textmarker, Buntstift oder wenigsten Kugelschreiber erkennen kann. Erst bei genauem Hinsehen vermag ich zwei sehr dünne Bleistiftmarkierungen zu erkennen… dabei predigen wir doch immer die intensive Vorarbeit, das Markieren, das Farbspektakel, das Visualisieren, denn sonst kann das doch nichts werden. Ich wage den Blick in den Schülertext…

… und ein geschliffener Einleitungssatz führt mich schnurstracks zu Thema und der besten Deutungshypothese aller bislang durchgesehenen Klausuren. Darauf folgt ein klarer Text, nicht mängelfrei, aber deutlich über dem Niveau der vorangegangenen Texte inclusive einer einwandfreien und intelligenten Zitationsweise. Diese Schülerin führt das Mantra der vorbearbeiteten Texte kaltschnäuzig ad absurdum. Gefällt mir, obwohl ich meine Texte gerne farblich verziere und mir dieses eher hilft.

Referendariatshorrormeldungshorror
Etwas anderes, diesmal für die lieben Damen und Herren Referendare und Lehramtsanwärter: Glaubt nicht, was heuer im Spiegel steht. Nein, tut das nicht. Glaubt auch nicht jeden Horrorbericht, den Spiegel-Redakteure sich aus Referendar.de heraussuchen. Nein, glaubt es nicht. Oder glaubt zumindest nicht, dass das die Regel ist. Natürlich ist das Referendariat bisweilen stressig, natürlich ist es manchmal viel Arbeit, natürlich wird man oft beobachtet und bewertet, aber letztlich wird man daran nicht zugrunde gehen.

Besonders der ach so arg kritisierte eigenständige Unterricht war aus meiner Sicht viel befreiender als der angeleitete Unterricht unter Aufsicht, da man dort wirklich eigene Ideen und Konzepte erproben konnte. Und auch der angeleitete Unterricht bietet Vorteile: Die erfahrenen Lehrer sind ein hervorragendes Korrektiv für Unterrichtsbesuche, können auch im Alltag nützliche Tipps und Ratschläge geben und sind ein Fundus für Material und Ideen und Hinweise, was man tun und lassen sollte. Und wer – mit Verlaub – so blöd ist, dass er „bis in den frühen Morgen“ arbeitet, den halte ich für selber schuld, wenn er das Tagesgeschäft danach für überfordernd hält. Ich hatte und habe mir für Alltagsarbeiten eine Deadline gesetzt – bis dahin bin ich fertig, ansonsten könnte ich arbeiten, bis der Arzt kommt.

Und was soll man letztlich davon halten, wenn man den Absatz über die mangelhafte Uni-Ausbildung so einleitet:

Ihr Start ins Berufsleben nach knapp sieben Jahren Uni verlief holprig. „Ich wusste nicht einmal, wie ich im richtigen Tonfall die Klasse begrüße“, erinnert sich Gurk (…) (Spon)

Was erwartet man da jetzt von den Unis? Seminare mit dem Titel „Stimmbildung für Erstkontakt“? Spätestens da wird’s dann doch ein wenig lächerlich. Sollen die Professoren ihre Studis jetzt über die Klassenschwelle tragen, oder was? Es gibt eine Menge zu kritisieren an der Uni-Ausbildung (zum Beispiel haufenweise Didaktik-Seminare, die ohne Praxiserprobung sinnlos sind), aber was der Spiegel da betreibt, ist wieder reine Panikmache.

Lasst euch einfach drauf ein, begrüßt die Schüler unverkrampft und seid frohen Mutes. Gewiss gibt es Schöneres als ein Referendariat, aber umkommen werdet ihr darin nicht, und eure Familien und Freunde werden euch auch nicht verlassen.

Ökonomie und das Schulsystem

Aus Zeitmangel nur ein kurzer Hinweis auf einen FAZ-Blogartikel von Thomas Strobl, einem Manager, der sich Gedanken über die Auswirkungen der Ökonomie auf das  Bildungssystem macht – Stichwort „Human Ressources“. Gefällt mir, weil der Artikel mir hilft, mein vorurteilsbeladenes Bild der pragmatischen Ökonomen zu überdenken.

„Psychisch labil“

Was für ein dummes Wort! Ich bin gerade beim Lesen dieses Artikels darauf gekommen: Wie oft hört man, dieser oder jener sei „psychisch labil“ und schiebt damit der betroffenen Person indirekt die Schuld an diesem Zustand zu. Sie ist eben so. Ursachen sind damit nebensächlich. Wie blöde diese Aussage ist, wird uns vielleicht klar, wenn wir uns entsprechend ein Opfer körperlicher Gewalt vor Augen halten. In diesem Fall müssten wir über jemanden mit Hämatomen und blauem Auge sagen: „Der hat eben eine schwächliche Hautstruktur.“ Warum der ein blaues Auge hat, muss uns dann ja nicht mehr interessieren. Salbe drauf, gut ist’s.

Zerfasertes

„Wie können wir unsere Schulen schützen“ fragt die BILD. Indem man Killerblättchen verbietet, könnte die Antwort lauten, folgt man den Erkenntnissen der Kriminologin Britta Bannenberg, die vom Bildblog zitiert wird. Ähnlich Ungezieltes wie im Folgenden findet man im Lehrerzimmer. Bedenkenswertes auch bei Spreeblick.

Wie man hört, soll es an Baden-Württemnberger Schulen einen Warncode für Amoktäter geben: Wenn das Stichwort „Frau Koma“ fällt, ist allen klar, dass ein Amoktäter die Schule heimsucht. Nur welchen Sinn soll das haben? Da die Täter zumeist ihre eigene Schule aufsuchen, kennen sie das „Codewort“ – es ist damit genauso effektiv, wie wenn man direkt und unmissverständlich durchgibt, dass eine bewaffnete Person die Schule betreten hat. Beim Stichwort „Frau“ würde ich mich wahrscheinlich schon ausklinken und meinen Unterricht weitermachen, statt die Tür abzuschließen…

Ich frage mich manchmal, wo bei diesen Menschen der „point of no return“ liegt? Wann ist der Moment, in dem ein doch meist unauffälliger, junger Mensch endgültig zum Täter wird. Und zwar zu einem kompromisslosen Täter, kompromissloser als die meisten Raub- und Massenmörder zu sein scheinen, wenn wahllos und ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht Menschen dahingemordet werden.

Mittlerweile ändert sich meine Haltung zu Computerspielen, vielleicht auch, weil diesmal der Fokus der Mediendiskussionen nicht auf der Debatte um sogenannte „Killerspiele“ liegt. Ich erinnere mich noch gut an die eigene Jugendzeit, als wir rätselten, ob Wrestling nun echt oder gespielt sei; als Actionfilme noch nachhaltig Eindruck und aus heutiger Sicht lächerliche Horrofilme schlechte Nächte bescherten. Die Perspektive des jugendlichen Hokey war nun mal eine andere als die des erwachsenen Hokey. Moderne Actionspiele kenne ich nicht aus jugendlicher Sicht – vielleicht entgeht mir da der Einfluss, den diese Bilder auf noch reifende junge Männer haben können.

Eine Referendarin ist bei dem Attentat gestorben, so hat man auf WDR 5 gestern berichtet. Das macht mich betroffen, vermutlich, weil es so nah an meiner Lebenssituation ist. Du wirst einer Schule zugewiesen, gibst dein Bestes für die Schüler dort, plötzlich steht einer mit ’ner Pistole vor dir und erschießt dich. Falsche Zeit, falscher Ort. Mann.

Ich glaube, es sind in Deutschland mehr Menschen bei School-Shootings ums Leben gekommen, als bei Terroranschlägen von allen islamistischen Terroristen zusammengenommen. Mehr Menschen wurden durch Sportwaffen ermordet als durch all die imaginären Bomben, die durch die Köpfe unserer Innenminister rollen. Dabei geht es scheinbar immer um Macht, um gekränkte Ehre, darum, es dem Rest der Gesellschaft noch einmal zeigen zu wollen, bevor man als Anti-Held den Tod findet. Doch sind nie die Lehrer alleine die Ziele dieser Täter; die Verletzungen reichen vermutlich tiefer als schlechte Noten – was hat man den Tätern angetan, dass sie in derartige Depressionen stürzen, sich in Gewalt flüchten und vom unauffälligen Einzelgänger zum enthemmten Massenmörder werden? Schule scheint jedoch ursächlich etwas damit zu tun zu haben – ansonsten könnten die Täter auch in einen Supermarkt oder an den Bahnhof gehen. Wir sollten langsam anfangen darüber nachdenken, statt leichtfertig mit dem Finger auf Sportschützen und Computerspiele zu zeigen.

Ein Wort für die Lehrer

Ich bin ja wahrlich kein Fan der Springer-Presse, aber mit diesem Artikel spricht mir Birgitta vom Lehn aus dem Herzen:

Ja und? Ist es denn erwiesen, dass ältere Lehrer die schlechteren und jüngere die besseren Lehrer sind? Sind ältere Eltern weniger wert als jüngere und ältere Ärzte unfähiger als jüngere Kollegen? Warum erlaubt man sich aber, an reifen Lehrern zu zweifeln und zu mäkeln? (Welt Online)

Wurde auch Zeit, dass endlich mal jemand ein Wort für die (erfahrenen) Lehrer ergreift. Und weiter:

Und nun zur letzten Pfeilspitze: „Viele Lehrer hatten selbst schlechte Abi-Noten“. Wer an seine eigene Schulzeit zurückdenkt, wird feststellen, dass er nicht von dem Lehrer am meisten profitiert hat, der das meiste Wissen besaß, sondern von dem, der sein Wissen am besten zu vermitteln wusste. (ebd.)

Mein „Plädoyer für den dummen Lehrer“ steckt schon in den Bloglöchern, wartet aber noch auf Überarbeitung. Dann wollen wir mal sehen, ob es sinnvoll ist, wenn nur Einser-Abiturienten Lehrer werden (ich bin keiner!, das vorab). Lehrer loben zu wenig, behauptet man, mein Lob gilt just in diesem Moment dem Springer-Blatt „Die Welt“.