Zerfasertes

„Wie können wir unsere Schulen schützen“ fragt die BILD. Indem man Killerblättchen verbietet, könnte die Antwort lauten, folgt man den Erkenntnissen der Kriminologin Britta Bannenberg, die vom Bildblog zitiert wird. Ähnlich Ungezieltes wie im Folgenden findet man im Lehrerzimmer. Bedenkenswertes auch bei Spreeblick.

Wie man hört, soll es an Baden-Württemnberger Schulen einen Warncode für Amoktäter geben: Wenn das Stichwort „Frau Koma“ fällt, ist allen klar, dass ein Amoktäter die Schule heimsucht. Nur welchen Sinn soll das haben? Da die Täter zumeist ihre eigene Schule aufsuchen, kennen sie das „Codewort“ – es ist damit genauso effektiv, wie wenn man direkt und unmissverständlich durchgibt, dass eine bewaffnete Person die Schule betreten hat. Beim Stichwort „Frau“ würde ich mich wahrscheinlich schon ausklinken und meinen Unterricht weitermachen, statt die Tür abzuschließen…

Ich frage mich manchmal, wo bei diesen Menschen der „point of no return“ liegt? Wann ist der Moment, in dem ein doch meist unauffälliger, junger Mensch endgültig zum Täter wird. Und zwar zu einem kompromisslosen Täter, kompromissloser als die meisten Raub- und Massenmörder zu sein scheinen, wenn wahllos und ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht Menschen dahingemordet werden.

Mittlerweile ändert sich meine Haltung zu Computerspielen, vielleicht auch, weil diesmal der Fokus der Mediendiskussionen nicht auf der Debatte um sogenannte „Killerspiele“ liegt. Ich erinnere mich noch gut an die eigene Jugendzeit, als wir rätselten, ob Wrestling nun echt oder gespielt sei; als Actionfilme noch nachhaltig Eindruck und aus heutiger Sicht lächerliche Horrofilme schlechte Nächte bescherten. Die Perspektive des jugendlichen Hokey war nun mal eine andere als die des erwachsenen Hokey. Moderne Actionspiele kenne ich nicht aus jugendlicher Sicht – vielleicht entgeht mir da der Einfluss, den diese Bilder auf noch reifende junge Männer haben können.

Eine Referendarin ist bei dem Attentat gestorben, so hat man auf WDR 5 gestern berichtet. Das macht mich betroffen, vermutlich, weil es so nah an meiner Lebenssituation ist. Du wirst einer Schule zugewiesen, gibst dein Bestes für die Schüler dort, plötzlich steht einer mit ’ner Pistole vor dir und erschießt dich. Falsche Zeit, falscher Ort. Mann.

Ich glaube, es sind in Deutschland mehr Menschen bei School-Shootings ums Leben gekommen, als bei Terroranschlägen von allen islamistischen Terroristen zusammengenommen. Mehr Menschen wurden durch Sportwaffen ermordet als durch all die imaginären Bomben, die durch die Köpfe unserer Innenminister rollen. Dabei geht es scheinbar immer um Macht, um gekränkte Ehre, darum, es dem Rest der Gesellschaft noch einmal zeigen zu wollen, bevor man als Anti-Held den Tod findet. Doch sind nie die Lehrer alleine die Ziele dieser Täter; die Verletzungen reichen vermutlich tiefer als schlechte Noten – was hat man den Tätern angetan, dass sie in derartige Depressionen stürzen, sich in Gewalt flüchten und vom unauffälligen Einzelgänger zum enthemmten Massenmörder werden? Schule scheint jedoch ursächlich etwas damit zu tun zu haben – ansonsten könnten die Täter auch in einen Supermarkt oder an den Bahnhof gehen. Wir sollten langsam anfangen darüber nachdenken, statt leichtfertig mit dem Finger auf Sportschützen und Computerspiele zu zeigen.

4 Gedanken zu „Zerfasertes

  1. Entgegen der Aussage eines ranghohen Politikers halte ich die Schule keinesfalls für einen „Ort der Nächstenliebe“. Schule ist vielmehr ein Kampf ums Überleben. Wenn du irgendwelche Eigenschaften hast, die anderen nicht in den Kram passen, dann kannst du die Zeit vergessen. Mobbing und Klassenkampf sind immer zugegen. Auch wenn ich selbst kein direktes Mobbing kenne (das es aber durchaus auch geben dürfte), merkt man doch, wie abfällig Mitschüler immer wieder über einzelne Personen – die nicht ganz so „normal“ wie sie selbst sind – sprechen.

    Ich selbst beobachte dies mit Argwohn, bin allerdings aktuell nicht in der psychischen Verfassung, da selbst etwas machen zu können. Stattdessen habe ich meinen Freundeskreis ein wenig geändert und hoffe gerade, dass ich bei den neuen Leuten bald mehr integriert bin.

    Ich kann Ihnen sagen, dass es eine böse Kombination ist, wenn man kaum Selbstvertrauen hat und dann noch leicht enttäuscht wird. Dabei überreagiere(?) ich zumindest selbst häufig und bin danach absolut deprimiert, obwohl es nur um einen winzigen Vorfall ging. Wenn einem das jeden Tag von vielen Personen passiert, dann kann ich mir gut vorstellen, dass sich da langsam Frust aufbaut. Wenn dann noch irgendwelche anderen Probleme auftreten – ich kann hier nicht beurteilen, welche -, dann steigert sich dies natürlich alles immens. Hier wieder aus dem verlorenen Selbstbewusstsein – was ja meines Erachtens mit eines der zugrunde liegenden Probleme ist – herauszukommen, ist wohl kaum möglich. Insofern kann ich dankbar sein, dass der Kontakt zu der neuen Person schon leicht funktioniert, denn psychische Einsamkeit ist einfach schlimm. Man ist zwar nicht alleine in der Schule, daher fällt es vielleicht auch nicht auf, aber man kann trotzdem nicht über die Themen sprechen, die man eigentlich gerne ansprechen würde.

    Ich hoffe, dass Sie meine konfusen Zeilen nicht verwirren oder gar langweilen. Und entschuldigen Sie, dass ich wieder zum „Sie“ gerutscht bin, ich bin es einfach gewohnt, Lehrern gegenüber 😉

  2. Es gibt meinem Eindruck nach zu viele Filme und Romane, in denen es darum geht, Zuneigung und Achtung von bestimmten Menschen erzwingen zu können.
    Ich denke, es sollte mehr Identifikationsmaterial zu der Situation geben, dass man auf Ablehnung und Geringschätzung stößt. Man müsste Gelegenheiten schaffen, in denen man zusehend oder lesend lernen kann, wie man dann souverän reagiert und sich eben *anderen* Menschen zuwendet – oder, auch das wäre wichtig, wie man eine Zeitlang mit sich selbst allein zurechtkommt.
    Im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ steht heute (Freitag, 13.) ein Artikel mit dem Titel: „Verletzte Ehre: Über die Versuche, Amokläufer nicht zu verstehen“. Ich finde, man tut den Leuten, die den Amoklauf als eine „unfassbare“ oder „unerklärliche“ Tat bezeichnen, Unrecht, wenn man sie als oberflächlich bezeichnet oder ihnen vorwirft, zu bequem zum Nachdenken zu sein. Denn „unfassbar“ bleibt die Tat immer, auch wenn man sich mit den möglicherweise schlimmen Erfahrungen des Täters und den Verletzungen beschäftigt hat, die ihm vielleicht zugefügt wurden. Es ist und bleibt eine barbarische Tat, einem Menschen das Leben zu nehmen. Die „verletzte Ehre“ des Täters mildert das Barbarische seines Handelns nicht im geringsten.

  3. Es gibt kein einheitliches Codewort für alle Schulen Baden-Württembergs. Das macht jede Schule für sich aus. Und die Schüler kennen das Codewort natürlich nicht. Warum man nicht unverschlüsselt durch den Lautsprecher durchgibt, was Sache ist, kann ich nur vermuten. Ich denke, dass man auf diese Weise eine Panik unter den Schülern vermeiden will. Sobald die Lehrkraft aber die Tür von innen abschließt, wissen – zumindest die älteren Schülern – wahrscheinlich recht schnell, was los ist.

  4. @Stefan: Schule als „Ort der Nächstenliebe“ zu bezeichnen, ist auch nicht das erste, was mir dazu einfällt. Fürsorglichkeit geht von dem meisten Erwachsenen an Schulen schon aus, soweit das bei einem Massenbetrieb möglich ist, und auch wenn die Schüler das als so selbstverständlich hinnehmen, dass sie sich dessen nicht bewusst sind.
    Bei den Mitschülern kann ich nicht mitreden. Die spielen wohl eine größere Rolle als die Lehrer. (Obwohl… an meine eigenen Lehrer erinnere ich mich besser als an meine Mitschüler.)

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