Nebeneffekte der Koedukation

Bei Störungen sollen wir immer möglichst alle Involvierten ansprechen, hat man uns im Hauptseminar geraten. Ich halte mich fest daran. Doch nicht in allen Klassenstufen ist dieses Vorgehen von Erfolg gekrönt. Ein im kouninschen Sinne gehauchtes

„Tina! Max!“

führt unweigerlich weg vom Unterrichtsgegenstand und hin zu wilden Spekulationen über künftige Eheanbahnungen, Kinderzahl und enttäuschte potenzielle Partner. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie miteinander flüstern zu lassen…

beugdich.de

Wir wissen von Referendaren, dass sie ihren Schülern nach der Stunde sagen: »Denkt dran, aktualisiert eure Noten bei spickmich.de.« Das ist ein unkompliziertes Feedback. (Zeit.de)

Mit Verlaub, aber die tun mir leid. Und als Argument für besseren Unterricht kann ich das auch nicht werten. Dann statt eines unkomplizierten Feedbacks lieber den komplexen, aber sinnvollen Wertungsbogen.

Unterrichtsbesuchstage

Ich hasse sie. Sie bedeuten (sinnlose?) Zeitverschwendung, weil man seine Kräfte und Gedanken alleine auf eine einzige Stunde in der Woche richtet, plant, grübelt, überlegt, entwirft, verwirft, umbaut, kritisiert, neu beginnt, plant, grübelt, überlegt, etc. etc.

Grauenhaft. Am Tag vor Unterrichtsbesuchen bin ich dann ein Nervenwrack, habe mindestens zwei Nächte schlecht geschlafen, bekomme Geistesblitze grundsätzlich erst am letzten Tag um zwanzig Uhr, schreibe dann bis halb eins in der Nacht noch am Entwurft, tippe am Tag des Unterrichtsbesuchs immer noch an meiner Stundenplanung, würde am liebsten nochmal alles umwerfen, meinen Fachleiter anrufen, ihm meine vollständige Unfähigkeit gestehen, die weiße Fahne schwenken und hadere gleichzeitig mit meiner Dummheit und didaktischen Unfähigkeit.

So wie gestern. Und heute morgen.

So wie heute morgen stehe ich an der Bahnhaltestelle, wobei es nur zu logisch ist, dass ich mir Unterrichtsbesuche auf Tage lege, an denen der öffentliche Dienst streikt. So stehe ich dann innerlich fluchend an der Stadtbahn-Station, gehe noch einmal alle zu machenden Kopien durch und gräme mich schon im Voraus für meine schlechte Stunde. Nur Unterrichtsgespräch und Partnerarbeit, wenig Medien – das Grauen pur.

Wenn ich dann endlich in der übervollen Bahn stehe, gewinnt die Einfahrt in den Bielefelder Untergrund symbolischen Gehalt. Mein Neid wächst auf die junge Frau, die sich über den Streik freut, weil sie nun zu spät zur Arbeit kommen darf, mein Neid wächst auf die Straßenbahner, weil die streiken dürfen, was ich jetzt auch gerne täte. Stattdessen transportiert mich ausgerechnet die eben noch streikende Bahnfahrerin zum Ort der baldigen Schmach und Schande, aber ich könnte heute ja ausnahmsweise mal bis zur Endstation durchfahren…

…finde letztlich aber doch den Weg zum Ausgang, Wind schlägt mir ins Gesicht, dicke Wolken dräuen dunklen Regen, ich schlage den Kragen hoch und mache mich auf den Weg, der hohe Turm zur Rechten weist den Weg, meine Uhr ist stehengeblieben, wie ich feststelle. Stehengeblieben! Das letzte Mal blieb sie bei meinem Deutschbesuch stehen (ja, wirklich und ich beendete die Stunde 5 (in Worten: fünf) Minuten zu früh), was nichts Gutes bedeuten kann, und so gehe ich weiter meinem Unheil entgegen.

Im Gebäude fix alles kopiert, ein Wasser gegen den trockenen Hals besorgt, der Gong tut das, was er am besten kann und los geht’s. Erste Stunde, die Nervosität verfliegt, Gong, Besuchsstunde, schnell Fachleiter und Direx abgeholt, warten auf den.. Gong und ab dafür. Der Start schleppt, ich muss den miserablen Stundenplan so gut als möglich durchziehen, hier und da kleine Abweichungen einbauen, Schülergedanken wieder auf Linie bringen, Ergebnisse sichern, Transfer vollziehen lassen, Hausaufgabe rausgeben, Stunde beenden, wo bleibt denn der – Gong!

Wie ich diesen Gong liebe! Klamotten schnell packen, das miese Gefühl auch irgendwohinstecken, Ausbildungslehrer kommt, freut sich(?), Direx drückt mir freundlich den Arm(?), der Fachleiter sagt was von „gutes Konzept“(??), lobt die Moderation(!) und erinnert an die Nachbesprechung am Montag. Ich bin verwirrt, beginne aber langsam zu begreifen, dass die ganze Sache gar nicht übel gelaufen sein muss.

Ich bin mal gespannt auf die Einzelgespräche mit dem Direx und dem Fachleiter, aber eines habe ich jetzt wiedergewonnen: innere Ruhe! Und die werde ich mir heute gönnen!

Das Ziel im Auge behalten

Eien rhetorische Analyse, die im formalen Nachweis von Techniken und Figuren beharrt, kommt nicht ans Ziel. (Norberto42)

Schreibe ich mir hinter die Ohren. Ich habe in den letzten Wochen vor den Weihnachtsferien sowieso zu oft das Ziel der Stunde, sprich: die Tranferphase, aus den Augen verloren. Und bei einer rhetorischen Analyse ist genau das, was norberto42 beschreibt, Gegenstand der Transferphase:

Rhetorische Analyse müsste darauf hinauslaufen zu zeigen,
1. wie Plausibilität (jenseits reiner Sachargumente) erzeugt wird;
2. (oder 1.) wie Interesse geweckt und erhalten wird;
3. wie dadurch vermutlich der Rede Erfolg beschieden ist, indem die Hörer zum erwünschten Handeln bewegt, jedenfalls zumindest nicht gelangweilt oder vergrätzt werden (also nicht „abschalten“). (ebd.)

Im Übrigen erleichtert man sich die Stundenplanung um einiges, wenn man das Ziel vor Augen hat und nicht vom Material aus losmarschiert, so ist zumindest mein Eindruck bis jetzt. Gutes Material ist schön, aber blöde, wenn man es ungut einsetzt.

Ich will keine Tischtennisplatte sein.

Lehrer können wie Tischtennisplatten sein. Wie diese hochklappbaren, auf die man stundenlang einprügelt und bei denen jeder Ball, der Formel Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel folgend, wohlberechenbar zurückkommt. Langeweile vorprogrammiert. Keine noch so teure Tischtennisplatte kann einen Gegner auf Augenhöhe ersetzen, an dem man sich abarbeiten kann, der Finten setzt, unerwartete Stopps spielt, Fehler mit Schmetterbällen bestraft und Stumpfsinn mit Variabilität kontert. Ich will keine Tischtennisplatte sein, denn ich bin berechenbar.

Deshalb versuche ich, in allen meinen Lerngruppen die „Meldekette“ zu etablieren. Wenn ich den Zeitpunkt für geeignet halte, teile ich meinen Schülern mit, dass sie sich gegenseitig drannehmen sollen. So richten sich nicht alle Blicke auf mich, wenn jemand etwas sagt und die Schüler nehmen direkter Bezug auf das, was ihre Vorredner gesagt haben. Und so kommt es mit etwas Gewöhnung tatsächlich dazu, dass Schüler sich gegenseitig kommentieren, bewerten, ergänzen – ja, man könnte fast sagen: diskutieren, ohne dass ich als Tischtenniswand dazwischenstehen muss.

In meinen Augen ist diese Form des Austauschs allerdings nur fast Diskutieren, denn zu einer Diskussion gehört für mich ein freies, ungezwungenes, aber respektvolles Sprechen. Heute hätten meine Sechser beinahe richtig diskutiert. Da scherten zwei aus der Meldekette aus und stritten freiheraus über die Frage, ob in der altägyptischen Gesellschaft nun der Pharao wichtiger gewesen sei oder die Sklaven und Arbeiter.

Stille Freude meinerseits ob des Regelbruchs. Dann die erwartungsvollen Blicke der drei Mädels hinten links, die schweigend ihre Finger brav in die Luft reckten. Innerlich seufzend habe ich den Disput dann doch mit lobenden Worten unterbunden, um die Mädels zu ihrem Recht kommen zu lassen. Ist nicht immer einfach, der Hüter der Regeln zu sein. Und wo ich das gerade tippe, fällt mir ein, dass ich vielleicht auf ein stummes Schreibgespräch hätte umschwenken können… aber ob das das Gleiche ist? Und das Bedürfnis zur Diskussion wäre nicht mehr das gleiche gewesen.

Eine langweilige Folie

Eines muss man Roland Koch ja lassen: Er bedient zum perfekten Zeitpunkt meine Unterrichtsreihe zum Thema „Jugendkriminalität“. Kaum will ich mit meinen Schülern Sinn und Unsinn härterer Strafen erörtern, tritt der hessische Ministerpräsident eine Debatte los, die, breit von den Medien aufgegriffen, auch bei meinen jugendlichen Schülern angekommen ist.

Für einen Stundeneinstieg bot sich also eine Folie mit Koch- und ähnlichen Forderungen an. Verschärfung der Jugendstrafe, Sicherungsverwahrung schon ab 18, Ausweisung und Bootcamps – alles Vorschläge, mit denen man eine prima Diskussion anzetteln könnte. Also flugs (und Google News sei dank) entsprechende Aussagen zusammengesucht und zugegebenermaßen recht lieblos auf eine Folie gedruckt.

Da die Folie als Einstieg gedacht war, sollte sie (eigentlich) auch optisch etwas hermachen, schließlich buhlt man als Lehrer um die Aufmerksamkeit von 33 Köpfen gleichzeitig. Deshalb wollte ich die gemachten Aussagen optisch unterstützen, vielleicht durch zackige Umrandungen, Signalfarben oder ähnliche dem Boulevardjournalismus nicht ganz unbekannte Verfahrensweisen. Die Schüler würden, das war mir völlig klar, sich sowieso kollektiv gegen die lächerlichen, durchschaubaren Koch-Forderungen stemmen. Leider war die Tageszeit schon zu weit vorgerückt, sodass ich lediglich die Schriftarten abwechslungsreich gestaltete und auf weitergehende Designanpassungen verzichtete.

Und vielleicht war das auch gut so. Denn die überwältigende Mehrheit der Schüler äußerte sich unerwartet positiv gegenüber den Koch-Vorschlägen. „Recht so!“ oder „Die haben wohl auch ’nen Kopf zum Denken!“ und „Da helfen nur härtere Strafen!“ waren Sätze, die durch die Klasse flogen. Und ich stand verblüfft abseits an der Tür und wunderte mich. Das hätte ich nicht erwartet. Und vielleicht nie erfahren, wenn meine Folie schon durch ihr reißerisches Design eine bestimmte Einstellung offenbart und unter Umständen damit schon das Konfliktpotenzial des Themas zerstört hätte.

So kann ich nun beruhigt meine Schüler in Gruppen zu verschiedenen aktuell möglichen Jugenstrafmaßnahmen arbeiten lassen, wohlwissend, dass nicht alle auf Hokey gebürstet sind. Und am Ende lege ich meine langweilige Folie noch einmal auf. Mal schauen, was dann dabei rauskommt.

Auf ins neue Jahr

Das erste Halbjahr ist nun bald um und es ist deutlich stiller geworden hier im Blog. Das liegt zum einen an zwei weniger gelungenen Unterrichtsbesuchen, zum anderen an wenig Antrieb, hier etwas Sinnvolles zu schreiben. Und zumindest für dieses Blog gilt, dass ich nur halbwegs relevante Beiträge bringen möchte.

Knappes Resümee
Paradoxerweise bei meinem „starken“ Thema Lyrik ist mir nur eine eher langweilige Unterrichtsreihe gelungen. Allerdings habe ich gelernt, worauf ich das nächste Mal bei einem Elferkurs achten muss: Die Latte nicht zu hoch hängen, theorethische Texte ans Ende der Reihe und auch diese sollten zu bewältigen sein. Unterschiedliche Voraussetzungen der Schüler müssen besser im Unterricht angeglichen werden. Ein interessanter Nebeneffekt dieser unterschiedlichen Voraussetzungen ist, dass ich halbwegs abschätzen kann, welche Schüler bei denselben Lehrern Unterricht hatten, man kann das wirklich merken.

Die Disziplinschwierigkeiten in meiner Sechs haben sich, wenn nicht erledigt, so doch auf ein erträgliches Niveau eingependelt. Ich kann dort ordentlichen Unterricht machen, lediglich bei freieren Unterrichtsformen muss ich stark aufpassen, dass nichts zu sehr aus dem Ruder läuft. Meiner Einschätzung nach bin ich da auf einem ganz guten Weg und kann mittlerweile wirklich entspannt in den Unterricht gehen. Besonders freitags in der sechsten und siebten Stunde war das nicht immer der Fall. Und schön ist es auch, zu sehen, dass die Kleinen sich freuen, wenn man auf eine Fahrt mitkommt.

Verbessern muss ich aber unbedingt meine Alltagsorganisation, Termine, etc. Da sehe ich aktuell meine größte Schwäche und ich muss aufpassen, dass ich nicht aus Schussligkeit ins Hintertreffen gerate, weil Termine ungünstig liegen oder Dinge auf den letzten Drücker erledigt werden müssen. So etwas hindert am freien Denken, das man doch in diesem Beruf so nötig braucht.

Überforderung
Das neue Jahr hat begonnen, und mit ihm kommen Referendare aus dem Vorjahrgang, die es nicht geschafft haben. Die ersten Gedanken kommen, was man wohl machen würde, wenn…
Medial schießt man sich gerade (oder kommt es mir nur so vor?) auf Lehramtsstudenten und Referendare ein. Immer wieder wird berichtet von hemmungslosen Versagern, die sich zu Scharen in den Lehramtsstudiengängen tummeln, von verzweifelten Unfähigen, deren letzte Chance es sei, sich an den vollen Busen Vater Staats zu werfen. Der Lehrerberuf also als eine Art Hartz-IV für Überqualifizierte. Da fängt man irgendwann auch an, sich selbst zu befragen.

Allerdings zähle ich mich nicht zu den überforderten Studierenden (aber wer tut das schon), die nach einer aktuellen Studie (via) auch einen schweren Stand im Lehrerberuf haben sollen. Das Lehramt war weder ein Notnagel, sondern vielmehr Berufswunsch seit der zwölften Klasse, und das Studium mit seinen Anforderungen hat mir auch Spaß bereitet. Und wer mir erzählen will, dass das Lehramtsstudium geringere Anforderungen habe als andere Studiengänge, dem muss ich schlicht vorwerfen, keinen Schimmer von den Ansprüchen eines Lehramtsstudiums zu haben.

Wo ich wohne, wo ich lebe, wo ich arbeite, ist mir auch relativ egal. Ich ziehe auch gerne nach Bayern oder Schleswig-Holstein. Okay, in den Osten würde ich ungern gehen, allerdings mehr aus einem diffusen Unwohlsein heraus. An einer Schule im Ausland zu lehren, fände ich auch sehr spannend und das wäre bestimmt auch eine nützliche Erfahrung.

Andererseits muss man bei solchen Studien immer vorsichtig sein. Als Linux-Interessierter weiß ich, dass es Bereiche gibt, wo man sich regelrechte „Studienschlachten“ liefert. „Ausgebranntsein“ allein auf das Studium oder die „Motivation“ zurückzuführen, greift sicherlich zu kurz. Wir warten also gespannt auf eine Meta-Studie, die sich des Phänomens insgesamt animmt.

Bis dahin wünsche ich allen Leserinnen und Lesern, die diesen jetzt doch etwas langen und verqueren Text durchstanden haben, ein gesundes und glückliches neues Jahr 2008!