Als ob das Problem die Bücher wären

Als Buch hat man es neuerdings nicht leicht. Amazon verkauft Ebook-Reader und prahlt mit gigantischen Verkaufszahlen, die denen des altbekannten Handels überlegen seien. Doch geht es längst nicht nur um die äußere Form des Buches, sondern auch die Struktur, in der es typischerweise Inhalte präsentiert, wird kritisiert. Auch Lehrer philosophieren mittlerweile über das Ende der „Buchgesellschaft“.

Armes Buch! Angefangen hatte alles vor einigen Jahren mit den Zeitungen. Mit dem Aufkommen der Blogs, die sich nach und nach als unabhängige und scharfzüngige Alternative zu den oft eher blutarmen Online-Angeboten der etablierten Zeitungen erwiesen, spürten die alten Leitwölfe den kalten Wind der neuen Zeit und überzogen die neuen Meinungsmacher im Gegenzug mit Häme. Die höhnische Reation auf die sich mitten in einer Umstrukturierung befindlichen Zeitungen waren entsprechend: Als „Holzmedium“ oder gerne auch als „Totholz“ bezeichneten Blogger die gedruckte Konkurrenz. Blogger und Zeitungsjournalisten waren sich spinnefeind. Die erste größere, gesellschaftsrelevante ideologische Kluft zwischen digitaler und analoger Welt war aufgetan.

Diese Kluft scheint nun im Bildungsbereich angekommen, liest man den Beitrag „Schule und die Buchgesellschaft“ auf EduShift, in dem Felix eine Abschaffung der „Buchkultur“ fordert. Die These lautet, dass das Buch durch seine Linearität und seine normierende Kraft sowohl Wirkung auf die (Klassen-)Gesellschaft im Allgemeinen und damit auch auf die „Konstruktion von Schule“ hat. Letztere, funktionierend nach dem Prinzip Frontalunterricht, sei überholt und müsse ersetzt werden durch ein neues Lernen, das sich auf Kommunikation in Verbindung mit dem neuen Leitmedium, dem Internet, berufe. Dieser Erfordernis eines Lernens durch Kommunikation stehe aber das Buch entgegen, da es verbindliche Interpretationen erfordere und eine Einweg-Kommunikation darstelle.

Mich überzeugt diese Kritik an der Buchkultur nicht und auch der Ausblick auf eine irgendwie kommunikativ lernende neue Gesellschaft wirkt wenig reizvoll.

Kritik der Linearität
Die Kritik an der Linearität scheint auf den ersten Blick berechtigt und geht d’accord mit der Kritik am Frontalunterricht: Jemand gibt einen Informationsfluss vor, die anderen müssen folgen und am Ende bleibt vielleicht etwas hängen oder auch nicht. Informationen kommen so quasi ‚von oben herab‘, werden diktiert, hemmen den Fluß der Neugier beim Belehrten.

Linearität ist m. E. aber kein Merkmal von Büchern, sondern generelles Merkmal von Texten (und da könnte man durchaus Filme, Comics etc. mit einbeziehen), was aber insbesondere bei Büchern niemanden zwingt, sie linear aufzunehmen. Ich kenne niemanden, der ein Buch wie die Bibel linear von vorne bis hinten gelesen hat, wohl aber die einzelnen Texte innerhalb dieses Buches (manchmal auch ‚Buch‘ gennant). Wissenschaftliche Bücher werden in der Regel auch nicht linear gelesen, sondern einzelne Texte werden interessegeleitet wahrgenommen, die Erfindung des Inhaltsverzeichnisses macht es möglich. Kein Wikipedia-Artikel ohne Inhaltsverzeichnis, kein Blogbeitrag ohne Linearität. Wollen wir nun Filme (egal ob Action- oder Dokumentarfilm) abschaffen, weil wir sie einengenderweise von Anfang bis Ende gucken müssen und ein Regisseur uns das Erzählte vorgibt, gar durch filmische Mittel eine Interpretation aufdrängt?

Ist es nicht gerade die Linearität, die uns beim Lernen hilft? Haben Menschen sich nicht aufgrund linearer Tradierung ihre alten Geschichten und Erzählungen bewahrt, ist nicht das Verfolgen eines vorgegebenen imaginären Pfades kombiniert mit Geschichten der Trick der Gedächtniskünstler, wie sie sich ellenlange Wortketten merken können? Würde das fragmentierte Zusammensuchen von schon verfügbar strukturiertem Wissen nicht einen Rückschritt bedeuten? Was spricht gegen die Linearität des Buches?

Die Gesellschaft
Die „(Klassen-)Gesellschaft“ mag „Kennzeichen der Buchkultur“ sein, aber das muss man nicht negativ sehen: Immerhin verdankt das Bürgertum nicht zuletzt dem Buch seinen gesellschaftlichen Aufstieg und damit auch die Umstrukturierung der Gesellschaft im Allgemeinen. Die Klassengesellschaft manifestiert sich durchaus in der Mediennutzung, ist aber nicht Resultat der sogenannten Buchkultur (neben der es ja auch eine Musikkultur, Fernsehkultur etc. gibt, von denen es zu sprechen lohnte), sprich: Nicht das Buch sorgt für die Unterschiede zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen oder -klassen. Gerade hier haben Schulbücher und Bibliotheken eher nivellierend gewirkt, da diese das Privileg einer habenden Schicht auf Wissen ausgeglichen haben. Gemeinsames Lernen von verbindlichem Wissen mit dem Buch (Stichwort: Lernmittelfreiheit)  ist eine Errungenschaft, die wir gar nicht hoch genug schätzen können. Andersherum gilt: Das Buch wird umso mehr soziales Distinktionsmerkmal, je weniger es benutzen. Eine Bildungsklasse wird sich immer über das Buch definieren.

Schulstruktur
Lineare Vorgaben und gesellschaftliche, bürgerliche Werte finden nun ihren Niederschlag in der Schulstruktur, die ausgerichtet ist auf ein Lernen aus dem Buch. Dass Tafellernen und Klassenarbeiten dem Normierungszwang geschuldet sind, bleibt unbestritten, ist aber nicht Verdienst des Buches oder der Buchgesellschaft, sondern einem wie auch immer gearteten Bedürfnis nach einem allgemeinen Grundwissen geschuldet und – wie so viele strukturelle Eigenheiten des deutschen Schulsystems – historisch gewachsen und nicht monokausal auf das Buch oder die Buchgesellschaft rückführbar.

Der Impetus ist deutlich: Verbannt das Buch, wir haben doch das Internet, doch die Alternative wird nicht näher ausgeführt und hat in der Praxis ihre Tücken: Was bedeutet Lernen ohne Buch? Wie didaktisiert man diese Art des Lernens? Und was ist non-lineares, kommunikatives Lernen genau? Lässt man jeden Schüler nun frei lernend seine Projekte vorantreiben, sich sein Wissen beliebig in den Weiten des Internets zusammenschustern? Wann sind Schüler ausreichend kompetent dafür und wer entscheidet das?

Für Historiker ist es schon ein Grauen, wenn Erich von Däniken im Fernsehen auftaucht und seine UFO-Theorien über die alten Ägypter im Unterricht gerade gerückt werden müssen – wenn solche oder auch ganz andere Theorien ihren massenweisen Niederschlag in Schülerarbeiten fänden, na gute Nacht, liebe Bildungsrepublik, und viel Vergnügen beim Diskutieren und Reparieren, lieber Lehrer Lernbegleiter. Dann lieber das gemeine und verbindliche Buch.

Ich persönlich freue mich über jedes von Schülern gelesene Buch, das meiner Meinung nach mehr an Wissen und Überblick garantiert als jedes Herumstöbern auf Internetseiten, Diskussionen in Social Networks oder flüchtiges Gezwitschere bei Twitter. Allerdings stimme ich Felix zu, wenn er in einem anderen Blogbeitrag formuliert:

Veränderungen an der Schule sind immer kulturell determiniert und können nur in diesem kulturellen Kontext stattfinden. (Quelle)

Ob wir dafür ausgerechnet die Buchkultur abschaffen sollten, halte ich jedoch für fraglich.

(Eine kleine Randbemerkung sei noch erlaubt: Woher nimmt Felix seine Erkenntnisse über die Buchgesellschaft? Was verleiht seiner Argumentation Autorität? Zitiert er Internetseiten, Blogs, Tweets? Nein, er zitiert: Ein Buch.)

12 Gedanken zu „Als ob das Problem die Bücher wären

  1. Pflichte sehr bei. Habe vor einem halben Jahr mal getwittert: „Ein Buch lesen: ist das nicht auch so wie Frontalunterricht? (Keine Gruppenarbeit. Und alle Sätze seit Jahren unverändert!)“ Stimmt ja auch.

    Dem linearen Pfad des Buches – Fiction oder Nonfiction – folgt man ja auch nicht immer, wie du schreibst. Man wiederholt Absätze, so oft man möchte, oder überspringt sie. Aber die Linearität ist ein Vorschlag, an dem man sich orientiert, und mit dem man oft gut fährt.

    Was man beim Buch braucht, ist eine gewisse Konzentration – wegen der Länge der Absätze und der Länge der Texte allgemein. Das ist eine Technik, die nützlich ist. Internet, das sind Häppchen. Und es ersetzt dadurch wunderbar Magazine. Aber wer lernt schon aus Magazinen?

  2. Abend!

    Freue mich zuerst einmal, dass die Thesen in Teilen Anklang finden. Es scheint ja ein Grundkonsens zu geben, dass sich „etwas ändert“.

    Ich habe bei meinen Überlegungen nicht die Absicht gehabt, normativ zu sein und eine Entwicklung herbeizuwünschen oder einzufordern. Vielmehr war die Absicht, meine Beobachtungen in eine Theorie zu überführen. Eine mögliche Theorie schien mir in dem genannten Buch ganz passabel formuliert worden zu sein (Stichwort Leitmedienwechsel, Buchkultur, Lernkultur).

    Daher möchte ich auch bei den Interpretationen zur Linearität eingreifen. Es geht hier nicht darum, ob und wie wir heute Bücher linear lesen oder doch bruchstückhaft. Die Perspektive war eine historische: Zusammen mit der weiten Verbreitung des Buches war die Notwendigkeit gegeben, ein einheltiches Grundlagenwissen und eine einheitliche Interpreationskultur zu schaffen. Die Linearität war dabei ein Nebenprodukt. Sie war ein Konsens, den man für die Rezipitation von Büchern gefunden hat.

    Nebensächlich ist, ob man die Linearität bewusst eingeführt hat und ob das Buch das Denken oder das Denken das Buch beeinflusst hat. In den Anfangstagen eines neues dominierenden Mediums ist das ein Henne-Ei-Problem.

    Sicher kann man nur sagen, dass durch das Buch und die damit entstanden Kultur (wie Universitäten und Schulen) eine große gesellschaftliche Entwicklung stattgefunden hat, die zum Beispiel auch zu der Industrialisierung führt.

    Wir werden auch in Zukunft noch Bücher lesen. Vielleicht nicht mehr auf Papier, aber Romane werden nicht aussterben. Sie werden wahrscheinlich kürzer werden, aber es wird sie geben. So wie es auch heute noch die Handschrift gibt. Das Buch wird nur nicht mehr das dominante Medium sein, über welches sich unsere Kultur austauscht.

    Wenn das Buch jedoch nicht mehr das Leitmedium ist, müssen wir überlegen, ob die bildungsverantwortlichen Institutionen ihre Grundsätze nicht überdenken müssen. Wenn wir Bildung als ein hohes Gut ansehen, müssen wir darauf achten, dass wir zeitgemäß bleiben.

  3. @macmind
    Danke für das Lob!

    @Herr Rau
    Diesen Tweet habe ich noch gut in Erinnerung und ich finde, das ist ein guter Vergleich. Das Fass „fiktionale“ und „nonfiktionale“ Texte wollte ich nicht extra öffnen, weil das alles noch viel komplizierter gemacht hätte, denn das Lesen beider Textarten (und aller Misch- bzw. Zwischenarten) unterscheidet sich erheblich.
    Das Häppchen-Lesen macht den Unterschied! Der Vergleich mit dem Magazin gefällt mir, das trifft auf mein Leseverhalten zu.

    @Sebastian
    Dann gute Erholung auf Teneriffa und ich bin gespannt, was da noch kommen wird! 😉

    @schb
    Klar haben wir einen Grundkonsens, ich denke,wir stimmen in den meisten Dingen, die Schule betreffen, überein.
    Mich erschreckt manchmal allerdings die Radikalität der Thesen – entweder bin ich schon zu konservativ oder zu altmodisch. Dass immer gleich alles abgerissen, abgeschafft werden soll; dass immer alles gleich mit Feuer und Flamme ausgetrieben werden muss; dass nicht nur verbessert, sondern gleich umgestürzt werden soll, das wirkt auf mich oft befremdlich bis weltfremd bis utopisch – und letzteres betrifft gar nicht so sehr deinen Beitrag, sondern vielmehr die Grundstimmung, auf die ich in der Online-Bildungswelt treffe, der ich oft aus diesem Grund schon gar nicht mehr folge, weil ich sie äußerst merkwürdig finde.

    Zum Thema:
    An der Linearität kommen wir bei dieser Debatte nicht vorbei. Sonderbar, weil ich mir darüber noch nie besonders Gedanken gemacht habe. Ich sehe da aber eben keine Henne-Ei-Debatte, ich finde, Linearität ist durchaus eine Determinante, wenn es um das Lernen oder eher: Das Vermitteln von Wissen (aber auch Geschichten) geht, denn niemand kann sich eine non-lineare Geschichte (gut) merken oder sie so erzählen, dass man gerne zuhört / folgt. Oder? Eine völlig verworrene Präsentation trifft selten auf Zustimmung…

    Linearität ist gerade eine Stärke des Buches, ganz abgesehen davon, ob es ein neues Leitmedium geben mag, das diese Linearität nicht in so starkem Maße transportiert. Didaktische Reduktion ist eine Stärke des Buches. Ein abschätzbares Maß an inhaltlicher Qualität ist ein Vorteil des Buches. Physische Verfügbarkeit ist eine Stärke des Buches; sie liegen einerseits brav im Schrank und verschwinden nicht von heute auf morgen. (Schon mal die Links aus alten Blogbeiträgen überprüft?) Darum glaube ich, werden Bücher uns im Bildungskontext noch lange erhalten bleiben.

  4. Ich halte schon alleine die Aussage, dass das Internet als neues „Leitmedium“ die Schule zu revolutionieren habe zumindest für fragwürdig. Folgt man der Definition eines „Leitmediums“ der Wikipedia, dann ist das Fernsehen heutzutage genau so Leitmedium wie das Internet. Wer mag daraus folgern, dass wir unseren Unterricht ab sofort um das Fernsehprogramm herum organisieren sollten? Ab den 30er Jahren definiert die Wikipedia das Radio als Leitmedium. Folgte daraus die Umstellung von Präsenzunterrucht zu Fernschulen übers Radio?

    Natürlich ist das polemisch gemeint, nichtsdestotrotz ist mir in meinem Unterricht immer wichtig, dass Medien abwechslungsreich und zielbezogen eingesetzt werden. Es gibt Momente, in denen Buch und Tafel hervorragende Dienste leisten, es gibt Momente, in denen das Internet als Informationsquelle sinnvoll eingesetzt werden kann. Beides hat seine Berechtigung und beides bedarf vor dem Einsatz der didaktisch-methodischen Reflektion meinerseits. 

    Wie schön und altersangemessen ist es, im Schulbuch der Klasse 6 didaktisch reduziert zunächst einmal nur über natürliches Moll zu reden, anstatt in der Wikipedia mit natürlichem, harmonischem und melodischem Moll sowie Zigeunermoll und der Problematik des Rückwärtsspielens der Molltonleitern überfordert zu werden?

    Suspekt sind mir sowohl die Verfechter des reinen Buchgebrauchs („Musik unterrichte ich am Besten mit dem Buch, statt rumzutrommeln.“) als auch diejenigen, die meinen, ab sofort habe alles nur noch in der digitalen Parallelwelt zu geschehen.  Guter Unterricht nimmt die vorhandenen Medien wahr und versucht, ein breites Spektrum dieser adressatengerecht in den Unterrichtsverlauf zu integrieren. Dabei darf er sich m.E. weder von der einen („Das Internet ist des Teufels und voller böser Menschen!“)  noch von der anderen („Schafft das Hausheft ab, wozu gibt es Wikis?!“) Seite vereinnahmen lassen. 

    Variatio delectat – meiner Meinung nach ein wichtiger Grundsatz für jedwede Planung von Unterrichtsprozessen. Wer will ernsthaft behaupten, ich dürfe keine Radiomitschnitte („Zeitzeichen im WDR“) mehr im Unterricht einsetzen, weil Radio aktuell kein Leitmedium mehr ist?

    Ja, das Internet hat Kommunikation und Informationsbeschaffung in weiten (aber lange nicht allen!) Bereichen der Gesellschaft verändert. Aber so wie das Internet im Alltag weder Radio noch Fernsehen noch die (BILD-)Zeitung oder das Buch verdrängt(!) hat, so wird es das (hoffentlich) auch in der Schule nicht tun. Das Internet ist HINZU gekommen. Das soll es bitte auch im Unterricht tun. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. 

  5. @hokey
    Tja, jetzt hat es mich doch nicht mehr gehalten und ich habe meinen Senf schon jetzt dazu gegeben. Vielleicht liegt das daran, dass gerade hier, ein paar km vor der Küste Afrikas, diese gesamte Schulrevolutioniererei so wahnsinnig nach Luxusproblem riecht. 

    Hier werden jeden Tag zig Zeitungen in x Sprachen an den Kiosken verkauft, im Flieger war der Papa neben mir nicht in der Lage, das bei TUI geliehene iPad mit den Filmen zu entriegeln und in einer Woche habe ich hier außer mir niemanden gesehen, der auf einem Kindle gelesen hat. Und das alles ist gut so, denn „go digital“ ist ein Slogan einer kleinen Medienelite, die Spaß am Internet und den damit vorhandenen Möglichkeiten hat. Da zähle ich mich übrigens auch zu, zu diesen „Freaks“, warum sonst sollte ich selbst im Urlaub auf dem iPhone Blogkommentare verfassen, wenn nicht deshalb, weil mir das einfach Spaß bereitet? Aber deshalb ist meine Freundin, die kein Smartphone hat und jetzt schon eine Woche keine Mails abgerufen hat nicht automatisch eine verirrte old-school Seele 😉

    Schule soll nach meinem Verständnis versuchen, Realität in seiner Breite abzubilden. Keine wie auch immer gearteten Utopien.  Die Schulleiterin meiner Ausbildungsschule hat immer ein „menschlich buntes Kollegium“ propagiert, damit die Kids unterschiedliche Impulse bekommen. So wünsche ich mit das auch für den Unterricht. Und ich hoffe, dass ich in der Lage bin, meinen Referendaren diese Sicht auf die Dinge zu vermitteln 😉

    So, nun aber auf ins Städtchen, ganz analog etwas essen und analoge Cocktails trinken 😉

  6. Kurz ergänzend, denn ich bin eigentlich auch unterwegs: das Fernsehen oder die Bildzeitung sind auch Leitmedien, aber nicht in der Begrifflichkeit, die ich hier gemeint habe. Vielleicht hätte man das noch besser herausstellen müssen.

    Über das Leitmedium in seiner historischen Betrachtung nach Giesecke habe ich hier was geschrieben:
    http://www.edushift.de/2010/10/20/leitmedienwechsel/

    Und über die Folgen für die Schule wurde – neben dem oben schon genannten Artikel – auch hier was geschrieben:
    http://www.edushift.de/2011/09/23/schulreform-von-innen-oder-aussen/

    Und wo wir schon dabei sind: „Der Kongress der Pferdekutscher“ – http://shiftingschool.wordpress.com/2011/03/31/der-kongress-der-pferdekutscher/

  7. Was mich erstaunt: Hier, wie in fast allen Blogs, wird mit Schrift gearbeitet. Diese Schrift ist bei uns als Buchstabenschrift linear strukturiert.

    Viele der Gedanken in diesem Beitrag und in Felix‘ Artikel drehen sich letztlich um Schriftkultur und weniger um Buchkultur.

    Die Veränderungen finden bislang kaum an der Oberfläche statt. Was sich verändert ist das „Betriebssystem“ dahinter. Dieses verändert auch Prozesse des Lernens bzw. des Systems, in dem Lernen stattfindet.

    Digitalisierung ist mit Integration verbunden. Eigentlich geschieht nichts anderes, als Datenträger, die einst unterschiedlicher „Technologien“ bedurften, im digitalen Codierungssystem aufgehen. Vielleicht kann man auch sagen: Die Datenträger gehen im digitalen Codierungssystem „verloren“.

    Text, Bilder, Bücher, Malerei, Film, Brief, Telefon, ja, selbst Diskussionsrunden, Lerngemeinschaften, Bibliotheken und wahrscheinlich noch viel mehr wird im digitalen Codierungssystem integriert und ist in einem Gerät verfügbar, das kein Buch, kein Fotoalbum, keine Bibliothek etc. im handgreiflichen Sinne mehr ist. Es findet eine analoge Entsinnlichung statt,.

    Dabei entgehen wir nicht der Normierung. Im Gegenteil: Die Normierung und Engführung wir viel größer, weil alles auf digitale Codes hin normiert wird. jpeg, mp3, txt, rtf, doc, pdf und wie all die Endungen heißen, sind Normen, denen zu entsprechen ist.

    Statt Buchstaben haben wir 1 und 0 als grundlegenden Code des gesellschaftlichen Betriebssystems. An die Stelle der linearen Buchstaben tritt der Algorithmus. Es findet eine Mathematisierung der Welt statt.

    Wir stellen das Betriebssystem der Gesellschaft in allen Dimensionen von sprachlicher Logik auf mathematische Logik um bzw. an die Stelle des vernetzenden Denkens des Humanisten setzen wir die auf klare, eindeutige Handlungsanweisungen von Algorithmen, die nur noch ja und nein kennt, sich mit dem Vielleicht schwer tut.

    Entsprechend werden die Schulen umgebaut. Die Kompetenzeorientierung stellt eine Orientierung an Algorithmen dar. Schüler und Schülerinnen sollen in einer Abfolge von endlichen Handlungsschritten ein Problem oder eine Klasse von Problemen lösen können. Schule wird zur problemlösungsorientierten, an digitalen (1 und 0) Entscheidungsoptionen ausgerichteten Einrichtung, die wiederum der Normierung dient. Mathematische Normierungen bereiten mir allerdings auf Dauer gesehen mehr Magendrücken als es sprachliche tun, weil Mathematik in vielen Fällen als eine Richtig-Falsch-Kultur missverstanden wird.

    Die Frage ist also nicht, ob Buchgesellschaft oder nicht, sondern ob es gelingt, in Schulen, Universitäten, Medien etc. den Reflexionprozess über das Betriebssystem der Gesellschaft im produktiven Diskurs zu verankern. Das geschieht z. T., denn die Diskussion um die Netzpolitik ist genau eine solche Dikussion um den Umgang mit dem neuen Betriebssystem unserer Gesellschaft. Die Diskussion um Linearität, Buchgesellschaft und Co greift dabei ein Symptom auf.

  8. Erstmal danke an Hokey für diesen mutigen und in meinen Augen äußerst gelungenen Beitrag. Ich bekenne, dass ich im Deutschunterricht trotz des mich fordernden „Kompetenzsystems“ immer wieder Inhalte in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit kontextualisiere – und dafür ist Linearität (z.B. bei den Epochen) schon ein brauchbares Konzept. Die neuen Instrumente helfen mir dabei immens – ich kann meine GoogleDocs-Tabelle zu den Dramentheorien immer wieder hervorholen, mit den SuS erweitern und kontextualisieren – Entwicklungen zeigen , neue Zeilen einfügen, die Kategorisierung ändern… Das in Kreide würde richtig wehtun.

    @herrlarbig
    „an die Stelle des vernetzenden Denkens des Humanisten setzen wir die auf klare, eindeutige Handlungsanweisungen von Algorithmen, die nur noch ja und nein kennt, sich mit dem Vielleicht schwer tut.“

    Ich denke, dass du der Algorithmik da Unrecht tust – und auf Quantenebene gibt es sehr wohl einen Zwischenzustand zwischen 0 und 1, der z.B. sehr spannende Angriffe auf binäre Kryptoalgorithmen ermöglicht. Sprache kannst du ja auch auf sehr verschiedenen Ebenen beschreiben – die 0 und die 1 dürften sich in dieser Analogie noch nicht einmal auf der Ebene der Phonetik bewegen, sondern weit darunter. An „Vernetzungsleistung“ in einem mathematisierten Sinn, sind uns die Maschinen weit, sehr weit überlegen.
    Sie können aber z.B. bis heute nicht verlässlich zwischen „Baum“ und „Strauch“ unterscheiden, weil es dazu entmathematisierter, semantischer Prozesse bedarf – die es aber auch in modernen Datenbanken immer verfeinerter gibt. Aber es bleibt die von dir angesprochene Entsinnlichung, wegen der ich z.B. noch heute Bücher vorlese – es ist nicht das Buch – es ist die Situation, die ohne das Buch eine entsinnlichtere wäre.

    Die strenge Standardisierung macht übrigens die Inhalte paradoxerweise frei. Deswegen haben bestimmte Konzerne ja auch durchaus etwas gegen selbige und bauen Parallelwelten zur Kundenbindung.

    Der Kompetenzgedanke so wie er mal gemeint war, stellt eben kein Additum wie in den heutigen Kerncurricula dar. Ich suche mal die Quelle dazu heraus, in der einer der geistigen Väter die Realisierung in der Schule sehr scharf kritisiert. Die Kompetenz wird wohl gerade eher von dem Wunsch nach Messbarkeit vergewaltigt.

    @felix
    Mir ist die New-Education-Szene zurzeit zu selbstreferentiell – diese Kritik wird oft damit abgetan, dass eben das „Neue“ immer wieder gesagt werden muss, bevor es sich durchsetzt. Es gibt dabei spannende Analogien zur oft zitierten „Buchgesellschaft“ – ich denke gerade auf einigen Selbstreferentialitäten im Fahrwasser Gutenbergs herum, die dem, was ich zu beobachten glaube, sehr ähneln. Sie Szene ist zudem vergleichsweise klein und besetzt mit der wenigen Ausnahmen keine entscheidenden Stellen in dieser Gesellschaft. Ich denke, dass eine bestimmte Wirklichkeit beschrieben wird, z.B. auch mit dem Abgesang auf das Buch.

  9. Ich habe nach der Lektüre des Textes und der Kommentare nichts Sagenswertes mehr hinzuzufügen, das nicht schon gesagt wäre.
    Daher: Danke für den Beitrag, Hokey, der selbst anregend ist und anregende Kommentare provoziert hat – beides hat mich weitergebracht.

  10. @Herr Larbig (und Maik Riecken)
    Diese lineare Strukturierung habe ich versucht, durch den Begriff „Text“ darzustellen – hätte ich vielleicht deutlicher machen sollen. In der Schrift ist die Linearität natürlich zugrundegelegt, ist aber auch bei nichtschriftlichen Erzeugnissen von Bedeutung.

    Dass sich eher das „Betriebssystem“ ändert (oder erweitert), finde ich auch, mit deinem Hinweis auf die Algorithmen tue ich mich schwer, obwohl dein Hinweis auf das nahezu unmögliche „Vielleicht“ meine Beobachtungen trifft – insbesondere, was Lernstandstest, Abituraufgaben oder auch Bepunktungen angeht (womit wir bei der von Maik angesprochenen Messbarkeit wären).

    Stichwort „Reflexion“ – volle Zustimmung! Und sowohl die faktische Realität als auch der Diskurs zeigen ja (wenn auch langsam) Wirkung, sogar in Schule.

    @Maik Riecken
    Wenn du die Quellenangabe zu den kompentenzorientierten Curricula noch findest, dann wäre ich dir dafür sehr dankbar.

    @Felix
    Ob ich ein „Pferdekutscher“ bin, frage ich mich tatsächlich manchmal und besonders, wenn ich Beiträge wie den obigen schreibe oder meine Twitter-Timeline lese.
    Und dennoch sehe ich das (Leit?-)Medium nicht an mir vorbeiziehen, im Gegenteil – es steckt immer erreichbar in meiner Hosentasche und ich erhoffe auch nicht dessen Abschaffung oder die Renaissance des Alten (das ja nur im neuen Medium aufgeht). Nur die Totalitarität, in der das Vorige „abgesungen“ wird, die (ver)stört mich und deckt sich nicht mit meiner Wahrnehmung in realiter, sprich: Wo findet der radikale Leitmedienwechsel statt? Und wie findet er statt? Wer wirft seine Bücher auf den Müll und ersetzt alles durch das kommunikative Netz? Bevor wir so etwas für die Schule fordern und durchsetzen sollten, brauchen wir paxistaugliche Beispiele und Vorbilder, die alle Qualitätsmerkmale der bisher vorhandenen Medien erfüllen.

    Kurz: Es wird der Untergang des Alten immer nur beschworen und gefordert, aber wie sieht die Utopie für die Zeit danach aus?

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