Sinalco statt Cola

Da stehe ich nun vor dem Colaautomaten im Herbergshaus. Sozialkram soll das hier werden, zur Stärkung der Klassengemeinschaft. Ich bin gespannt, aber skeptisch. Nur zwei Stunden Unterricht gebe ich pro Woche in dieser Klasse, aber dennoch bleibt mir nicht alles verborgen. Ob eine dreitägige Fahrt da wohl etwas nützt? „Psychoquatsch“ hatten die Tonangebenden schon verlauten lassen. Der erste Tag ist halbwegs ordentlich über die Bühne gegangen, nun brauche ich ein eiskaltes Getränk für meinen trockenen Hals.  Ich werfe sechzig Cent ein und drücke auf den Knopf, der mir das Coca-Cola-Symbol zeigt. Es rumpelt. Eine Flasche Sinalco liegt im Fach.

In den folgenden Tagen werde ich meine Schüler von ganz anderen Seiten kennenlernen. Einige Einschätzungen werden Bestätigung finden, andere werden ausgeräumt oder durch neue Erfahrungen ergänzt. Einer gewinnt über seine bis dato wenig bekannte künstlerische Ader die Bewunderung seiner Mitschüler und Lehrer. Er scheint auch zu merken, dass er vor mir keine Angst zu haben braucht – er kann mir normal in die Augen schauen und duckt sich nicht weg. Warum das vorher so war – mir ein Rätsel. Ich lerne Gruppenhierarchien kennen und dabei auch etwas über funktionierenden Geschichtsunterricht.

Weiterhin lerne ich, dass Jungs anders zur Ruhe kommen, meditieren oder sich besinnen wollen als Mädels. Sie scheinen peinlich berührt, wenn Chöre Mia-Lieder singen und dazu in einer Kapelle Kerzen flackern und machen dies durch Gekicher und unbotmäßiges Flüstern deutlich. Die Mädchen starren ohne Ausnahme alle andächtig in die Flammen. Erst als die Feuerschale angezündet wird und eine atmosphärische Live-Aufnahme „Nothing else matters“ aus den Boxen strahlt, verstummen auch die Jungs. Warum nicht gleich so? Warum immer dieses Kuschel-Gedöns? (Ich habe das als Schüler auch gehasst!)

Das Gelände, auf dem wir drei Tage wohnen, ist riesig und mit allem ausgerüstet, was man als Lehrer alltäglich erträumt. Schülergruppen können einfach in einen Musik-, Kunst- oder Theaterraum geschickt werden, können sich für Gruppenarbeiten wild verteilen, das große Plenum lässt genug Raum, dass dreißig Menschen sich frei bewegen können. Laptops, Beamer, Fernseher, Videokameras und mehr sind vorhanden, um den Schülern alle Möglichkeiten zu bieten. Ein Traum für den täglichen Unterricht. Drei Teamer kümmern sich um die Schüler – die Lehrer werden rausgehalten, was sich als sinnvoll erweist.

Dann ist es vorbei. Niemand spricht am dritten Tag von „Psychoquatsch“, alle sind begeistert. Die Unterrichtsbeteiligung hat sich spürbar verbessert. Das Klassenklima wohl auch (was aber weiterhin zu beobachten ist). Und Sinalco schmeckt besser als Coca-Cola.

3 Gedanken zu „Sinalco statt Cola

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