Was lange währt, wird endlich gut. In dieser Folge spreche ich mit Hilfe des Herrn Oelkers (pdf) einmal ein Statement pro Noten. Wieso hält sich die herkömmliche Notengebung so hartnäckig, wo doch ihre Anfälligkeit für Fehler so lange bekannt ist?
Die Erkenntnisse des Notenkritikers Karl-Heinz Ingenkamp wurden Anfang der siebziger Jahre gewonnen. Heute – 35 Jahre später – hat sich in der Praxis nicht viel geändert. Noten werden heute nicht anders als damals vergeben, mit allen subjektiven Fehlerquellen, die in den letzten Folgen aufgezeigt wurden. Auch wenn sich die Wissenschaft durchaus Gedanken um eine fairere und genauere Diagnostik gemacht hat, scheint davon in der Praxis nicht viel übrig zu bleiben. Worin mag der Grund dafür liegen?
Jürgen Oelkers hat eine Antwort parat: „Noten sind einfache Instrumente, deren Aufwand begrenzt ist und die leicht kommuniziert werden können“.[1] Das Argument ist schlagend. Wenn einzelne Lehrer unter Umständen bis zu 200 Schüler unterrichten, ist es leicht nachvollziehbar, dass diese Lehrer sich schwer tun, jeden Einzelnen gerecht, angemessen und objektiv zu bewerten.
Noten sind im Vergleich zu beispielsweise ausformulierten Bewertungen, wie mancher sie vielleicht aus der Grundschule kennt, schneller und einfacher zu vergeben. Gleichzeitig können sie unkompliziert kommuniziert werden. Denn Noten sind über Generationen etablierte Größen unserer Schulkultur, und Oelkers weist darauf hin, dass Schüler sogar erwarten, dass man ihnen Noten gibt.
Darüber hinaus widerspricht er der Auffassung, Noten seien aufgrund ihrer Subjektivität wenig aussagekräftig, sondern ist der Meinung, „Lehrkräfte beurteilen zutreffend, was sie beurteilen können, nämlich die Leistung der Klasse, die sie unterrichten.“[2] D.h. auch wenn Lehrer beim individuellen Schüler daneben liegen können, so ordnen sie ihre Schüler in Bezug auf die gesamte Klasse treffend ein.
Das in meinen Augen treffendste Argument Oelkers‘ ist jedoch das der Arbeitszeit. Dazu einige Erkenntnisse, die in der deutschsprachigen Schweiz gewonnen wurden:
- Lehrkräfte unterschätzen ihre Arbeitszeit eher als dass sie diese überschätzen
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Alle Wochentage sind belastet
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Die durchschnittliche Arbeitszeit liegt höher als im öffentlichen Dienst verlangt
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Die Jahresarbeitszeit konzentriert sich auf Unterrichten, Vor- und Nachbereitung, sowie Planung und Auswertung
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Für Betreuung und Beratung stehen nur 3% der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit zur Verfügung
Damit ist sogar mehr als die geforderte Zeit ausgefüllt. Würde man jetzt das Notensystem ändern – also neue Methoden der Leistungsbeurteilung einführen – würde dies die Arbeitszeit der Lehrer sprengen. Oelkes nüchterner Schluss: „Alles, was den Aufwand steigert, ohne den Ertrag zu verbessern, wird in der Praxis keine Verwendung finden.“[3]
Auch wenn die Schweizer Erkenntnisse unter Umständen nicht 1:1 auf die deutschen Verhältnisse übertragbar sein sollten, so bleibt dieser Folgerung dennoch nichts hinzuzufügen. Denn sie ist unschwer nachzuvollziehen, sollten die alternativen Beurteilungsmethoden tatsächlich die strapazierten Kapazitäten der Lehrer zusätzlich belasten.
Doch auch Oelkers übt Kritik an der gängigen Notenpraxis. Noten würden zumeist dem Lehrstoff einer bestimmten Lehrkraft angepasst und seien daher kaum auf andere Lehrkräfte und -Stoffe übertragbar. Oelkers fordert deshalb, „Inhalte anzupassen und Aufgaben vergleichbar zu bestimmen“ und die „Anforderungen an die Schüler ab[zu]stimmen, die dann individuell ihren eigenen Lernaufwand, von dem der Lernerfolg maßgeblich abhängig ist, abklären und einteilen können“. [4]
Eine vernünftige Forderung. Meist wissen Schüler gar nicht, was die Ziele des Unterrichts sind, wissen nicht, welche Maßstäbe der Lehrer einfordert und können ihr Lernen folglich auch nicht entsprechend ausrichten. Die Note und damit auch die erwartete Leistung soll also ausdrücklich keine Black Box sein, dem Schüler eben nicht vorkommen wie das Ergebnis einer lockeren Würfelrunde. Das schafft der Lehrer aber nur mit Transparenz, indem er klar sagt, was er erwartet.
Es gäbe noch eine Menge zum Oelkers-Vortrag zu sagen, sowohl interessante Ergebnisse als auch Kritik anzumelden, doch das würde den knappen Rahmen eines Blogbeitrags sprengen. Wen es interessiert, der kann ja nachlesen und/oder die Diskussion in den Kommentaren weiterführen. Für diese Folge halte ich als Oelkers‘ Kernthese fest, dass er die Note das pragmatischste und bewährteste aller hiesigen Beurteilungsinstrumente einschätzt. Welche alternativen Möglichkeiten sich vielleicht dennoch Lehrern bieten, möchte ich in der vorletzten Folge erörtern, um dann abschließend ein abwägendes Fazit zu ziehen.
Bisher:
Teil 1 – Würfeln Lehrer doch?
Teil 2 – Funktionen der Notengebung
Teil 3 – Gütekriterien und so…
Teil 4 – Auch Lehrer machen Fehler.
Teil 5 – Pro Noten
[1] Oelkers, Jürgen: Leistungen und Noten: Probleme der Schülerbeurteilung, S.6. (Vortrag anlässlich der Fortbildungstagung des Gymnasiums Hofwil im coop-Zentrum Muttenz am 11.Februar 2002.)
[2] ebd. S.7
[3] ebd. S.12
[4] ebd. S.14