Als ich letze Woche den Klassenraum meiner siebten Klasse betrat, hatte jemand die Tafel vollgeschmiert. Das ist, außer manchmal nach der langen Mittagspause, eigentlich nicht üblich, und ich werfe immer einen schnellen Blick darauf, um herauszufinden, ob das Angeschriebene thematisiert werden muss oder nicht. In der Regel finden nur harmlose Dinge kurz vor Stundenbeginn ihren Weg an die Tafel, aber diesmal nicht. „Stoppt Acta!“ hatte jemand wiederholt an die Tafel geschrieben.
Und da stand ich nun vor dem grünen Monstrum, weiß hatten dreizehnjährige Siebtklässler „Stoppt Acta“ aufs Grün gebracht. „Ach, ACTA!“, sagte ich mit wissendem Unterton, dabei aber nur mit Halbwissen und Meinungsäußerungen auf Twitter gespeist. C. wittert seine Chance:„Können wir eigentlich auch einfach mal so Referate über irgendein Thema halten?“ „Klar.“ „Haben Sie auch ’nen Beamer, auf dem man Videos zeigen kann?“ „Klar.“
Und folgerichtig sitze ich jetzt hier und beschäftige mich extrinsisch motiviert mit ACTA. Immerhin muss ich in der Lage sein, sachliche Fehler richtigzustellen, Sachverhalte zu erklären und dabei, gemäß dem Beutelsbacher Konsens, die Positionen ausgewogen darzustellen. Gar nicht einfach, in diesem Gewimmel von Meinungen, Unmutsäußerungen, Grabenkämpfen. Einen kleinen Einblick in das Dilemma zeigt das Schulmusikerblog, in dem Sebastian Dorok das Thema von beiden Seiten beleuchtet.
Gleichzeitig zeigt diese im Unterrichtsalltag eher nebensächlich erscheinende Episode, dass bei den jungen Menschen politisches Bewusstsein im Internet gebildet wird. Mit kurzen Videos kann man sie gut erreichen, plakative Botschaften abfeuern, Stimmung machen, Vordenken und Shitstorms schüren. Wir müssen Medieneziehung als genuin politische Bildung verstehen, wenn wir nicht wollen, dass unsere Kinder im Netz von plakativen, hippen oder auch rückwärtsgewandten Positionen überrumpelt werden. Es geht bei Medienbildung nicht um die bunteste Prezi und den kürzesten Twitterbeitrag, es geht schlichtweg darum, sich seiner Vernunft bedienen zu können. Auch wenn das bei so komplizierten Themen wie ACTA nicht immer einfach ist.
Die aktuelle c’t hat einen guten Artikel, wo auch PIPA und SOPA & Co thematisiert werden. Da kannst du wieder wissend schauen 🙂
http://www.heise.de/ct/inhalt/2012/05/90/
Merci! Dann muss ich wohl gleich mal zum Zeitschriftenhändler meines Vertrauens…
Danke für den schönen Beitrag! Ich glaube auch, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Medienbildung und politischem Denken gibt.
Ein Vorteil der „neuen Medienwelt“ ist es m. E., dass man viel eher als früher dazu aufgefordert ist, kritisch zu denken und Meinungen zu überprüfen. Früher war man auf die traditionellen Massenmedien angewiesen. Was die nicht berichtet haben, war sehr schwer zu überprüfen. Heute braucht es nur Interesse und ein bisschen Zeit und man kann sich über alles informieren.
Die im Bericht geschilderte Situation zeigt sehr schön, wie „Unterricht 2.0“ aussehen kann – hier werden nämlich Probleme diskutiert, auf die auch die Lehrkraft keine einfache Lösung kennt. Schülerinnen und Schüler können recherchieren, sich eine eigene Meinung bilden und sich sogar in die öffentliche Diskussion mit einbringen.
Wie bei allem, sehe ich hier zwei Seiten: Einerseits neue Möglichkeiten zur Partizipation (selbst, wenn diese nicht erwünscht ist) und eine Machtverschiebung was Öffentlichkeit generell angeht. Andererseits sind Jugendliche noch nicht geübt darin, kritisch zu denken – es ist ja beileibe auch keine leichte Übung. Auch das Informieren über komplexe Sachverhalte will geübt sein und wer das nicht beherrscht und ein wenig Erfahrung in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mitbringt, was bei Jugendlichen kaum der Fall sein dürfte, der kann durch schicke Videos und Kampagnen schnell vereinnahmt und überrumpelt werden.
Ich bin sehr gespannt, ob sich die Empörung fortpflanzen wird und wie sich die anschließenden Diskussionen entwickeln werden. Ich habe zum Glück wegen unseres Ganztagskonzepts genug Zeit, um den Schülern Raum für all dieses zu geben…
Hm, da haben wir alle (=Sozialkundelehrer?) wohl dieselbe Erfahrung gemacht – bei mir in der 10. kam dasselbe: „Was’n eigentlich ACTA, Herr K.?“ Musste ich mich auch erstmal richitg schlau machen.
Allerdings war ich, auch nach Aufforderung, schließlich der einzige, der in der nächsten Stunde „schlauer“ war – für die Schüler hielt das nicht länger. Das war dann wieder etwas enttäuschend. Oder ich habe zu wenig motiviert.
Guter Beitrag übrigens von Ralf Breuer: http://www.breuer-info.de/2012/02/07/1084/ – Das war mein Einstieg.
Nee, Geschichte und Deutsch. Obiges organisiere ich in meiner Funktion als Klassenlehrer. Ob das alles wirklich etwas nützt und wie die Schüler reagieren, werde ich dann feststellen. Ich glaube, einige (wenige) sind sehr interessiert und andere einfach noch zu… hmmm… jung? unreif? dem Alter entsprechend desinteressiert?
Und danke für den Link.
Ich mach dir mal ein E-Mail-Link-Paket fertig 😉
Ist angekommen! Danke! 😉
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