…oder: Ein Plädoyer für die 60-Minuten-Stunde. Ehrlich, 45 Minuten sind einfach zu wenig. Irgendwie gerate ich immer in Zeitnot, obwohl ich mir noch fünf Minuten vor der Stunde Gedanken mache, was zu tun ist, wenn die Schüler unerwartet nach 20 Minuten fertig sein sollten. Was natürlich nie der Fall ist.
Trotzdem war die Stunde wohl ganz gut, sowohl mit der Vorbereitung als auch der Ausführung war der Fachleiter sehr zufrieden. Ich hoffe, das bleibt so. 🙂 Es macht ja auch Spaß, da vorne zu stehen, Ideen aufzufangen, zu sammeln, weiterzuleiten, zurückzugeben, anzustoßen und festzuhalten. Man merkt: Auch heute war es wieder sehr lehrerzentriert; ich versuche, mich langsam zu offeneren Arbeitsformen vorzutasten, aber vorher möchte ich mich persönlich halbwegs sicher fühlen.
Darüber hinaus ist mir heute mal so richtig klar geworden, wie unberechenbar Schüler letztlich sind. Ich hatte versucht über einen Bildimpuls (nämlich diesen hier) den Bogen sowohl zum geschichtlichen Hintergrund als auch zum journalistisch-literarischem Schaffen Kurt Tucholskys (vertreten durch diesen Text) zu spannen. Also: Weimarer Republik einerseits und Tucholskys Kampf gegen Reaktionismus und für eine klare Sprache andererseits. Das hat auch gut funktioniert.
Was ich jedoch nicht bedacht hatte, war, dass einige Schüler das Bild und den historischen Kontext direkt und vollständig auf den Text beziehen könnten, was sie aber prompt taten. So wurde aus Tucholskys unschuldigem Rascheln der Birkenblätter plötzlich eine verdeckte Anspielung auf den vermuteten Aufstieg der Nazis. Uaaaaah! Panik! Das war nicht im Sinne des Referendars! Und nicht im Sinne Tucholskys. Und die wollten zunächst partout nicht davon abrücken, sie vermehrten sich vielmehr(!), bis ich die Abtrünnigen dann noch plausibel und unautoritär am Text vom Gegenteil überzeugen konnte. Das war ein kritischer Punkt und ich habe ordentlich geschwitzt, wobei die Idee an sich gar nicht mal so doof war. Das Gemeine an solchen unerwarteten Ideen ist, dass man erst einmal selber nachdenken muss, ob da was dran ist oder nicht. Als Lehrer hat man nicht unbedingt massig Zeit, um einer Idee auf den Grund zu gehen. Freidenkende Schüler sind also tatsächlich ein größeres Problem als man gemeinhin animmt. 😉
Ebenfalls ist mir aufgefallen, dass Jungs scheinbar eher auf Geschichte anspringen als auf Deutsch. Bei meiner (viel zu langen) Einführung in den historischen Kontext waren die drei Männer des Kurses rege dabei, um dann im Verlauf der immer „deutscher“ werdenden Stunde nachzulassen. Dafür haben dann einige Mädels ordentlich auf den Putz gehauen. Bin immer noch ganz erschlagen von den tollen Ergebnissen und glaube, dass man Schülern einiges mehr zutrauen kann, als man als versnobbter Ex-Student annimmt.
War auf jeden Fall schön und motivierend. Donnerstag dürfen wir an einem „Trainingstag“ teilnehmen, an welchem die Schüler auf Prüfungssituationen im Abitur vorbereitet werden. Eine gute Idee, finde ich, und ich bin mal gespannt, wie das wird. Freitag steht die nächste Stunde an, dann aber im Team-Teaching und vermutlich mit einem etwas weniger lehrerzentriertem Arrangement. Dann haben wir auch 90 Minuten. Das sollte reichen. Hoffentlich… 😉
Stimme voll zu. Dein schönes Diagramm von neulich mit den fünf Phasen des Unterrichts – in theoretischen 45 Minuten kannst du da selten viel machen.
Das mit dem Interpretieren kenne ich auch. Wär nicht so schlimm, wenn die Interpreten dabei nicht wesentlichere Sachen übersehen würden.
Es gibt wohl eine Schule hier in der Gegend, die 60-minütige Unterrichtsstunden eingeführt hat. Das fände ich gar nicht schlecht.
Bei 60 Minuten kommt man genau so in Zeitdruck, weil man ja mehr in die Lektion rein packt. – Aus meiner Sicht ist die Lösung das im berufsbildenden Bereich, wo in der Regel Doppelstunden gehalten werden, entstandene sogenannte „didaktische Fenster“: Man schaut sich im Unterrichtsbesuch einen sinnvollen 45 Minuten Ausschnitt an, der Aufschluss über das vom LAA Erreichte oder noch zu Lernende gibt. Z.B. Planung und Beginn eine Schülerversuches.
Entstanden ist das in der Auseinandersetzung um die Handlungsorientierung. Die sogenannte „vollständige Handlung“ ist selbst in 90 Minuten kaum zu schaffen.
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