Lachen ist gesund, sagt der Volksmund, und die Wissenschaft gibt ihm Recht. Lachen fördert die Durchblutung und sorgt dafür, dass wir uns aufgrund der Ausschüttung von Endorphinen und der Unterdrückung des Stresshormons Adrenalin wohlfühlen. So weit die medizinische Sicht. Ganz anders kann es ausgehen, wenn wir zu Objekten des Gelächters werden, ausgelacht werden. Dann geht der Schuss nach hinten los, dann wird Lachen ungesund, und statt offenem Gegenüberstehen bereitet sich Hass seine Bahn durch die gebleckten Zähne.
Wenn Lehrer lachen, kann das sehr befreiend wirken und die durch diametral gegenüberliegende Machtverhältnisse versauerte Atmosphäre bereinigen. Das habe ich erst vorgestern in einer Sprechstunde beim Prof wieder festgestellt. Die Situation in diesen Sprechstunden ist immer ein bißchen komisch. Obwohl man diesen Menschen aus Vorlesungen oder Seminaren kennt, weiß man nie wie er auf Anfragen reagiert, welche Maßstäbe er für Arbeiten einfordert; im Prinzip trifft man auf einen fremden Menschen, über den man sich bis dahin nur ein vages Urteil aufgrund von Äußerlichkeiten, Gerüchten und seinen Veranstaltungen bilden konnte. Mit Betreten des Büros eines unbekannten Dozenten betritt man gleichzeitig eine Blackbox.
Ich hatte mir im Vorfeld ein eher ins negative tendierendes Urteil gebildet und nun saß ich da an diesem runden Tisch, der Prof mir gegenüber, und ich musste mein Anliegen vorbringen. Es ging um Lyrikanalyse, Klopstock, und ich weiß gar nicht mehr wieso, aber irgendwann mussten wir beide über irgendetwas lachen – ich weiß nicht mehr worüber. Aber danach lief alles viel ungezwungener, losgelöst von der rein analytischen, fachwissenschaftlichen Ebene. "Klopstock ist keinesfalls schlechter als Goethe… sind sie nicht auch in meiner Vorlesung? Habe ich da gestern zu dick aufgetragen bei der Frühlingsfeier?" Dann noch eine augenzwinkernde Erläuterung, dass auch die Kollegen die antiken Odenmaße nachschlagen müssten: "Und in der Vorlesung heißt es dann gegenüber den Studenten immer: Wie, das wissen sie nicht…hihihi" Die starren institutionalisierten Machtverhältnisse bröckeln durch das Lachen. Plötzlich fragt der Prof nach einer bestimmten Sorte von Klopstock-Gedichten. Ob ich wüsste, ob es da noch mehr gäbe? Da kommt man dann entspannt aus der Sprechstunde und fühlt sich auch ernstgenommen. Trotz des Lachens.
Wenn Lehrer lachen, kann das beängstigend, einschüchternd und frustrierend wirken. Das Machtverhältnis zwischen Schüler und Lehrer wird noch eine Stufe überdreht, der Lehrer wird zum Spötter. Wie im Erdkundeunterricht meiner Schwester. Der Lehrer fragt zu Beginn jeder Stunde zehn Minuten lang einen Fragenkatalog ab. Nenne mir von West nach Ost alle Nordseeinseln! Wo liegt Stuttgart? Wieviele Bundesländer hat Deutschland? Wo liegt der Watzmann? Wie lang ist der Rhein? Welche Länder durchquert die Donau? Wo liegt das Weisse Meer?
Wer die Fragen nicht richtig beantwortet, wird ausgelacht. Vom Lehrer. Die Resultate dieses Gelächters sind Angst vor der Erdkundestunde, Wut auf den Spötter, Furcht vor Demütigung. Aber auch im Klassenverband ändert sich das Sozialverhalten. Wenn der Lehrer lacht, lachen die anderen mit. Ich vermute, dass sie nicht wegen der falschen Antwort lachen, sonst gäbe es in Schulen viel zu lachen – nicht nur im Erdkundeunterricht. Vielmehr scheint dieses gemeinsame Lachen ebenfalls ein Resultat der Angst zu sein. Angst davor, auch als unwissend entlarvt zu werden, Angst, der Nächste zu sein, Angst davor, auf der falschen Seite zu stehen, dem Lehrer durch Nichtlachen Mißgunst zu zeigen. Ich glaube, ich brauche nicht erläutern, was ich von dieser Art des Lachens halte, wieviel pädagogischen Wert ich dieser Pädagogik des Spotts beimesse.
Als meine Schwester anrief, wusste ich auch nicht, wo das Weisse Meer liegt. Lach doch. Und dann diskutieren wir mal über antike Odenmaße…