Gedankensplitter

Erstmal Werbung
Da ich in Bälde meine AG „Experimentelle Archäologie“ (einen schülernäheren Titel muss ich mir noch ausdenken… vielleicht knoppmäßig „Experiment Geschichte“ oder so…) starten will, habe ich mich auf die Suche nach fünfergeeignetem Material gemacht und bin auf zwei wirklich tolle Hefte gestoßen, die man über den Hase-und-Igel-Verlag beziehen kann.“Komm mit in die Steinzeit“ und „Komm mit ins Mittelalter“ bieten Anregungen für einen produktions- und handlungsorientieren Unterricht en masse und sind ihre 22€ unbedingt wert, auch als Anregung für den normalen Geschichtsunterricht.

Von Anleitungen für den Modellbau. praktischen Hinweisen zum Feuermachen, dem Bauen eines Ofens und dem Schöpfen von Papier, dem Herstellen eigener Kleidung bis hin zu Rezepten für historische Gerichte ist ein großer Teil der alltäglichen Lebenswelt der damaligen Menschen praktisch erfahrbar. So. Von den Bänden bin ich also schon mal begeistert – jetzt steht nur noch der Praxistest an.

Zum ersten Mal: Klassenleitung
Habe gestern erfahren, was es bedeutet, eine Klasse zu leiten, nämlich: Ein dauervolles Postfach zu haben. Ich habe meines gestern fast im Halbstundentakt leeren müssen, weil es immer wieder randvoll war. Mit allem Möglichen: Handouts, Fahrkarten, Influenza-Hinweisen, Stundenplänen, Hinweisen zur Bücher-, Essens-, Ausweis-, Hausaufgabenplanerausgabe usw usf. Eine aufmerksame Kollegin spendierte mir ihren Klassenleitungsordner. Zum Glück hatte ich meinen Bundeswehrrucksack dabei – dessen Volumen reichte gerade eben so.

Twitter revisited
Ich knabbere immer noch an dem Thema Digistraction (ich mag dieses Wort), und habe mich gestern gefragt, ob wir unsere Schüler nicht zu nervösen, unkonzentrierten Mausklickern erziehen, wenn wir ihnen ICQ, Twitter und permanentes Gewehr-bei-Fuß-stehen abverlangen. Ob wir sie nicht zum Plappern erziehen, zum hektischen Linkwerfen und zum Bröckchenleser machen? In der Süddeutschen findet sich eine Kritik der Generation der 25-Jährigen, die genau dieses anprangert.  Ja, mit einer besseren Didaktik, so höre ich, wäre das alles kein Problem, nur fehlt mir der Glaube daran. Wer mit Informationen jonglieren will, muss zunächst festen Boden unter den Füßen haben.

Aber was ist mit der Schülerorientierung? Sind es nicht die Schüler, die diese Tools schon im Alltag benutzen? Würden wir sie nicht da abholen, wo sie stehen? Nun, das haben sich die Schulkiosk-Besitzer meiner alten Schule auch gedacht, als sie haufenweise Zuckerriegel in ihre Regale stopften und Negerkussbrötchen in die Auslage legten. „Schülerorientierung“ bedeutet nicht, sich und seinen Unterricht den Schülern anzupassen, sondern deren Wünsche und Bedürfnisse aufzugreifen und in den Unterricht einfließen zu lassen, wenn es wirklich im Sinne der  Schüler und für die Sinnstiftung bei den Schülern fruchtbar gemacht werden kann. Die Zerstreuungstendenzen der Web2.0-Welt lassen mich daran zweifeln, ob der Einsatz dieser Werkzeuge wirklich schülerorientiert stattfinden kann, abgesehen vom Boah-ist-Herr_XY-cool-Effekt.

Jaja, ich höre die Kritiker des Kritikers: Er kommt uns vor wie ein Mensch des 19. Jahrhunderts, der davor warnte, dass das Anschauen eines fahrenden Zuges verrückt macht, aber diese Fragen schießen mir trotzdem in diesen Tagen durch den Kopf.

Ruf eines Ertrinkenden

Ertrinkender Scheppler wies letztens per Twitter auf einen älteren Blogbeitrag des teacher hin, der sich mit dem Thema „Wissensvermittlung“ auseinandersetzt und zu dem Fazit kam: Wir geben Ertrinkenden Wasser. Auch ich gestehe: Ich ertrinke! Im Ozean der Web2.0-Tools, in all der Flut der Möglichkeiten,  im Tosen der getwitterten Möglichkeiten, in diesem intermedialen Rauschen, fühle mich hin und her geworfen zwischen all den Empfehlungen, komme mir vor wie eine Boje, ständig von platzenden Schaumblasen umspült, getrieben.

Obwohl ich immerhin ein semi-digital Native bin, ersaufe ich hier im Getoohle, Geposte, Gelalle, im ständigen Wechsel der Positionslichter, die falsches Ufer verheißen, während die scheinbar mühelos fliegenden Möwen über mir zwitschernd weiterziehen. Ich bin genug damit beschäftigt, mich einfach über Wasser zu halten. Ich bin halt kein Superlehrer.

Es war eine dumme Idee, zu weit herauszuschwimmen. Ich werde mich aus einigen Bereichen der sogenannten Web2.0-Welt zurückziehen. Zu viel Digistraction. Zu wenig Effizienz. Was hat mir das Ganze effektiv gebracht? Was ist ein verlinktes Tool ohne brauchbares Konzept? Was sind hunderte Tools, wenn irgendwann der Überblick verloren geht? Was die neueste Moodle-Ergänzung-Ersetzung-Erweiterung, wenn ich stundenlang als Administrator gebunden bin? Zeitverschwendung. Ich kann mir nicht jeden Tag dutzende didaktische Konzepte zu dutzenden neuen Möglichkeiten – egal, wie toll sie sind –  aus den Fingern saugen und dreißig Werkzeuge gleichzeitig warten, ich muss guten Unterricht machen. Vorwiegend und gezwungenermaßen unter Verzicht auf tolle Tools.

Und wie habe ich mich unter Rückgriff auf diese sogenannten Werkzeuge verhalten? Viel Getwitter, Luftblasen, Herausgeschnaubtes, wenig Blogbeiträge, Handfestes, Durchdachtes. Absondern, andere mit Häppchen abspeisen. Zuletzt war es nicht sinnlos, nicht umsonst – noch vor wenigen Tagen habe ich Twitter verteidigt und auch dieser Beitrag ist „inspired by twitter“ – aber in meiner persönlichen Kosten-Nutzen-Rechnung hätte ich letztlich doch besser ein paar Bücher (Web0.0) gelesen, anstatt meine Zeit mit 140 Zeichen und dem ganzen Firlefanz zu verschwenden. Anstatt hastig Links zu spucken, sollte ich sie prüfen, bloggen und bewerten. Sprechen, statt zu speien. Konzentrieren, statt zu zerstreuen. Sinn stiften, statt Verwirrung.

Da ist irgendwo ein Leuchtturm, das ist mein Ziel, da schwimme ich hin. Vorerst raus aus dem Meer2.0. Und vom festen Land aus werde ich die Füße ins Wasser halten und nur noch ein paar Meter weit schwimmen. Und missversteht mich nicht: Das ist kein Angriff auf die Web2.0-Welt und ihre Nutzer, sondern lediglich die Konsequenz aus meiner eigenen Unzulänglichkeit. Entschuldigt bitte, Matthias und Lisa, dass ich euch vor einiger Zeit so blöde angeranzt habe, aber ich denke, das war genau der Zeitpunkt, wo ich diesen Beitrag hätte schreiben sollen.

(Bild: carloszk)