Ein ganz normaler Prüfungstag

Einen ganz normalen Prüfungstag hat man ganz schnell erklärt. Es geht damit los, dass man aufsteht, nachdem man noch nachts um 1:30 Uhr Unterrichtsentwürfe getippt und ausgedruckt hat. Okay, ich gebe zu, dass das (Junge, was ein peinlicher Fehler – warum sagt mir das denn keiner…) machen wahrscheinlich die wenigsten so, aber ich mache das so… mit allen Begleiterscheinungen, die das mit sich bringt: (Mindestens) anderthalb Stunden weniger Schlaf, zumal man ja auch früher aufsteht, weil man nicht erst zehn Minuten vor Schulbeginn in der Schule ankommen möchte, schlechte Träume und eine schlafmangelbedingte Grundnervosität, zu der sich dann die Prüfungsnervosität hinzugesellt. Keine gute Ausganssituation…

Ankunft
Irgendwann nähert sich beim Blick aus dem Auto dann der markante Turm der Schulkirche. Schon bei der ersten Begehung der Schule hatte ich mich gefragt, mit welchen Augen ich diesen Turm am Ende sehen würde – als Symbol für einen Ort der Niederlage oder als weißes Zeichen für ein gutes Ende? Heute würde sich das entscheiden. 7:15 Uhr, die Pforte ist schon offen und im Kopierraum schon ein Englischlehrer, dessen Anwesenheit mir zeigt, dass die Kopierer funktionieren, und der mir ein paar aufmunternde Worte auf die Schulter klopft.

Ausnahmsweise sehr gut organisiert, habe ich alle Kopiervorlagen mit genauen Angaben für Anzahl, Zweck und weitere Verwendung versehen, sodass ich zielgenau und schnell alle Kopien und Folien erstellen kann. Fix den Cutter für die Hausaufgabenzettel bemüht, der Kopierraum füllt sich mit mitfühlenden Kollegen und schnell ins Lehrerzimmer – Klamotten ablegen.

Vorbereitungen
Dann in den extra reservierten Klassenraum, den trotz aller Reservierung die originären Schüler beheimaten wollen. Blitzschnell die Situation erklärt, die Schüler dampfen ab, ich habe Zeit, meine Materialien in der Reihenfolge der Verwendung auf das viel zu kleine Pult zu quetschen, Plakate auf die Fensterbank. Mittlerweile hilft mir meine AKO, Klebeschnipsel an die Fensterbank zu kleben, der OHP steht und funktioniert. Was macht der kleine Schwarzhaarige schon wieder hier, den hatte ich doch eben erst hinaus… und schon ist er wieder weg. Schnell noch Stühle für die Prüfungskommission geholt, aufgestellt, Zeit für einen Blick in meinen Entwurf. Bloß nichts vergessen, bloß die Übersicht behalten… schon wieder dieser Bengel, diesmal mit seinen Kumpels… ich bin jetzt echt genervt und werde ruppig. Kann ja wohl nicht wahr sein!

Auf dem Weg nach unten teilt man mir mit, dass die Kommission noch nicht da sei – ich habe doch nicht etwa das falsche Datum auf meine Mitteilung geschrieben? Ein kurzer Anflug von Panik, der schnell verfliegt, aber trotzdem einen Kloß im Hals hinterlässt. Rein emotional war das erste Staatsexamen dagegen ein Zuckerschlecken. Ich lege meine Entwürfe auf dem Tisch für die Kommission aus und setzte mich in mein „Kabäuschen“, das die Nonnen extra mit Tischdeckchen, Kaffee, Keksen und Wasser wohnlich gemacht haben. Kurz durchatmen, die Kommission ist angekommen.

Begrüßung
Mit festem Schritt der Kommission nähern, ja keine Unsicherheiten zeigen, allen einmal kurz aber tief in die Augen schauen. Der eine erinnert sich noch an mich – ich hatte mal ein Praktikumsseminar bei ihm. Ein freundlicher Blick, die Stimmung scheint bislang gut, aber die haben ja auch noch nicht in meine Entwürfe geschaut… kurzes Händeschütteln und ich gehe wieder ins Kabäuschen und warte, bis meine AKO mich vorstellt.

„Vorstellen“ bedeutet, dass wir uns in das Zimmer der Prüfungskommission setzen und sie der Kommission mitteilt, welche Gruppen ich unterrichtet habe, ob es Unstimmigkeiten gab und welche Leistungen ich außerunterrichtlich vorweisen kann. Das geht schnell, keine Nachfragen, ich –> Kabäuschen. Ich hatte kurze Gelegnheit, in die schon angelesenen Entwürfe zu spicken – oh Gott, sie haben Dinge unterkringelt… ohGottohGott… was habe ich da nur geschrieben!?!?

Erste Stunde
Dann geht’s auch schon los. Eine liebe Referendarin holt die Kommission und bringt sie zum Klassenraum, sodass ich das nicht machen muss – Es wäre die pure Hölle, mit der Kommission durch die Schule zu wandern. Alle sind frühzeitig da, es hat noch nicht geschellt, aber alle Schüler sitzen erwartungsvoll auf ihrem Platz. Die Vorsitzende signalisiert mir per Kopfnicken, dass ich früher loslegen darf und dann greift ein Rädchen ins andere, ich funktioniere nur noch und spule mein Programm herunter. Es war eine gute Entscheidung, das Schüler-Protokoll vorlesen zu lassen, zwar ist das nicht der knackige Einstieg, den Fachleiter sich wünschen, aber während eine Schülerin vorliest, bekomme ich meinen Puls in den Griff und kann loslegen.

Die Schüler machen gut mit, arbeiten hervorragend am Text, es läuft nicht schlecht, aber die in der Anlage nicht unriskante Stunde geht wegen mangelnder Zielstrebigkeit nicht ganz auf, ich muss mir eine neue Hausaufgabe ausdenken und verschenke mir das Material für die nächste Stunde.

Am Ende kommt die Vorsitzende und erklärt mir kurz das nun folgende Prozedere, das mir aber schon bekannt ist. Viel wichtiger ist, dass sie nicht missmutig guckt, sondern entspannt und freundlich. Kurze Reflexionsphase im Kabäuschen, wo nun Schnittchen stehen, ich notiere, was mir aufgefallen ist, gehe ins Zimmer der Kommission, erläutere die Schwachstellen meiner Stunde und zeige Alternativen auf. Kein Kommentar der Damen und Herren, das soll aber so sein. Ich gehe, auf die zweite Stunde harrend…

Zweite Stunde
Die Schüler begrüßen mich, ein Smalltalk mit R. über Prüfungsangst und dann füllt sich der Raum, bevor die Kommission kommt. Die Stunde ist eine sichere Sache, leider aber keine besondere Sache. Ein kurzer Einstieg über Zitate, dann Hypothesen und knochentrockene analytische Textarbeit. Keine Folie, kein Computer, kein Beamer – nur Tafel. Ganz sicher maximal Durchschnitt. Mir klingt ein Wort meines Geschi-Fachleiters im Ohr, die Examensstunden würden in der Regel schlechter benotet als die Vornoten, doch was bleibt mir, ich ziehe meine Stunde wie geplant durch.

Diesmal geht alles bis ins Detail auf, aber spektakulär war die Stunde nicht. Die Schüler geben allerdings Vollgas, dass Geschichte ein „Jungs-Fach“ ist, halte ich nach meinen Erfahrungen in diesem Kurs für das wildeste Gerücht, seit man behauptet, Michael Jackson sei ein Außerirdischer. Vollgas heißt aber auch, dass manche mit Vollgas daneben langen – ich beherzige den Rat meines Fachleiters aus dem letzten Unterrichtsbesuch, Halbwahrheiten auf jeden Fall geradezurücken, auch wenn das Zeit und Unterrichtsfluss kostet, und muss einigemale Fakten richtigstellen. Dabei immer im Hinterkopf, dass die Kommission meinen Vorunterricht für unter aller Würde halten muss, wenn die Schüler solche Sachen von sich geben. Im Tafelbild fehlen am Ende Unterüberschriften und irgendwo zeigt ein Pfeil ins Leere, mit Ruhm habe ich mich wohl nicht bekleckert. Der Fachlehrer dagegen ist am Ende zufrieden, findet die Stunde toll, das Konzept sei voll aufgegangen.

Wieder Reflexionsphase – ich versus die schweigende Kommission. Jetzt entscheidet sich, ob ich druchgefallen bin. Wenn sie mich nach einem Thema für die Kolloquiumsphase fragen, habe ich bestanden, selbst, wenn ich das mit „ungenügend“ abschließen sollte. Ich bin fertig mit meiner Reflexion, Stille. Sekunden werden zu Minuten, ich warte, werde unruhig, überlege, ob ich jetzt aufstehen und herausgehen soll… „Zwei Fragen hätten wir noch, Herr S.! Wann und was?“ Mühlsteine kullern durch die langen Gänge meiner Schule als mich ich wieder auf dem Weg ins Kabäuschen befinde.

Kolloquium
Ich kürze es an dieser Stelle ab: Nach kurzer Vorbereitungszeit wieder in den Raum der Prüfungskommission. Dort treffe ich auf wohlwollende, freundliche Gesichter, die mir jederzeit das Gefühl vermitteln, mich nicht „abschießen“ zu wollen. Im Gegenteil, ich merke, dass man mir Bälle zuspielt und dass der Prüfer, den ich von der Uni kenne, sich sogar noch an mich und meine Arbeit erinnert. Es entspinnt sich tatsächlich ein Prüfungsgespräch und kein gefürchtetes Frage-Antwort-Spiel. Kurze Dankesgebete, weil mein durchaus  mühsames Hausarbeitsthema mir nun zugute kommt und ich zeigen kann, dass ich die theoretischen Dinge auch praktisch umzusetzen versuche. Am Ende verlasse ich den Raum mit einem guten Gefühl.

Zum zweiten Mal an diesem Tag gehe ich wieder ins Lehrerzimmer, wo drei Kollegen mich gespannt begrüßen und mir schon einmal für die bestandene Prüfung gratulieren, deren Ergebnis allerdings noch aussteht.

Zu guter Letzt…
…werde ich zur Verkündung des Ergebnisses gerufen. Ein homogenes Bild ergebe sich, meint die Vorsitzende, ich versuche, auf ihren Zettel zu spicken, kann aber nicht erkennen, ob es nun homogen „ausreichend“ oder „befriedigend“ ist. Kurz und knapp liest sie die Noten vor. Ein homogen gutes Ergebnis! Viel besser als erwartet. Zum zweiten Mal rumpeln Mühlsteine durch das Gemäuer. Kurzer Smalltalk, Gratulationen, die AKO wartet mit Sekt, der zweite Fachlehrer ist auch da, die liebe Referandarin; Glückwünsche, Anstoßen, Frau anrufen! Erleichterung. Geschafft!

Todmüde auf die Couch sinken – das war dann der Rest des Prüfungtages.

Erleichternd

Es ist immer wieder erleichternd, wenn Unterrichtsbesuche, die Unzufriedenheit bei mir hervorgerufen haben, von den Beobachtern dann doch positiv eingeschätzt werden. Und wenn die geplante Reihe honoriert wird, in der eine Menge Mühe und Vorbereitung steckt. Manche Reihen werden gerne mal dahinphantasiert (was sich auch gar nicht vermeiden lässt, wenn man Ausbildungsunterricht bei fremden Lehrern macht); diese Reihe jedoch ziehe ich eins zu eins durch und es macht mir großen Spaß, zu sehen, wie die Schüler auf die Stunden reagieren. Lieder des Vormärz begleiten uns bei der Frage nach der Entstehung des Nationalismus im 19.Jahrhundert und diese Lieder geben wirklich einiges her. Hier ist es von Vorteil, dass der Ausbildungslehrer mir mit großer Gelassenheit freie Hand lässt, was durchaus nicht immer der Fall ist.

Positiv ist auch, dass ich in den Nachbesprechungen immer die wesentlichen Kritikpunkte meiner Stunden selber erkennen und Alternativen benennen kann, denn das wird mitbewertet und ist letztlich wichtig für den späteren Beruf. Es geht in den Endspurt – noch zwei Monate bis das Endergebnis steht.

Und während ich mich mit Unterrichtsbesuchen plage, sind die Ersten schon durchgefallen oder mit ihrem Ergebnis äußerst  unzufrieden. Es wäre von Vorteil, unter den ersten Prüflingen zu sein, hat man uns gesagt. An den Ergebnissen sehe ich das noch nicht.