„Momentan bin ich glücklich, aber ich hatte auch schon die Momente, wo ich gesagt habe, eigentlich wäre es schlauer gewesen, wenn ich auf ’ner Regelschule gewesen wäre, schon alleine wegen den schulischen Leistungen in Anführungsstrichen, die ich hier halt über den Zeitraum zumindest nicht erbringen musste. […] Und ich weiß nicht, ob das wirklich besser so ist. Ich denke, dass ich halt vor allem sehr viel mehr gelernt hätte und beispielsweise erste bis fünfte Klasse auf der Regelschule gewesen wäre und dann auf die Kapriole oder eine ähnliche Schule gegangen wäre, dann wäre es irgendwo besser für mich gewesen, weil mir fehlen viele Grundlagen und die hätte ich eben einfach gehabt.“
(Eine Schülerin der demokratischen Schule „Kapriole“, aus dem SWR-Beitrag „Mitdenken, mitbestimmen! Demokratische Schulen“)
Ein mich zunächst erschreckendes Zeugnis stellt diese Schülerin ihrer eigenen Schulzeit aus. Ich hätte mir das Fazit optimistischer vorgestellt, die Vorteile des offenen Lernens betonend, die Freiheit, die Beschäftigung mit den eigenen Interessen. Doch dem ist nicht so, die Schülerin beklagt die Mängel. Der im selben Beitrag interviewte Lehrer betont hingegen die Vorteile: Die Schüler aus der dritten, vierten, fünften Bank – die, die keine Lust auf seinen Unterricht haben – die kämen gar nicht erst zu ihm. Das mache die Situation sehr, sehr viel sympathischer.
In einem kürzlich veröffentlichten Beitrag zum Thema Veränderung in Schule hatte ein Kommentator auf die Alternative der demokratischen Schule verwiesen. Ich kann in diesen Debatten leider nur wenig Sinnvolles beitragen, da ich bestenfalls grob die Konzepte kenne, aber wenig im Detail und noch weniger aus eigener Praxis. Der oben verlinkte SWR-Beitrag bot da Gelegenheit zur Erhellung.
Ich formuliere es mal sehr direkt: Oben zitierte Aussagen erwecken bei mir den Eindruck, dass sich da jemand ziemlich leichtfüßig Rosinen pickt: Schülerinnen fühlen sich nicht mit belastbarem Wissen und Kompetenzen ausgestattet, die Lehrer hingegen genießen das schöne Schulleben. Und gefeiert wird man dafür im Beitrag gleich auch noch.
Denn, und das dringt auch im Beitrag immer wieder durch, wenn es eine „demokratische Schule“ gibt, dann muss es ja auch die undemokratische Schule geben. Die fiese Schule mit den Leistungsanforderungen, dem Gleichschritt, den Klassenarbeiten, den Abschlusstests. Die, in der Schüler nix zu sagen haben.
Eine Schule für alle?
Eine echte demokratische Schule sollte meines Erachtens den Anspruch haben, das gesamte gesellschaftliche Spektrum abzudecken; meiner Erfahrung nach ist jedoch so, dass jede Privatschule eine umso speziellere gesellschaftliche Schicht sammelt, je spezieller ihr Konzept ist. Hinzu kommt das monatliche Schulgeld, das – laut SWR-Beitrag – zwischen 70€ und 350€ gestaffelt ist. Auch den unteren Betrag könnten sich viele Eltern meiner staatlichen Schule nicht leisten. Soziale Selektion qua Einkommen findet an meiner doofen staatlichen Schule nicht statt, hier ist jeder immer gerne gesehen, egal ob Töchter von CDUSPDUSW-Politikern, Industriellensöhne oder ein Strauß Geschwister alleinerziehender Eltern ohne eigenes Einkommen. Vielleicht haben Schulen wie die Kapriole gute Antworten auf diese Fragen gefunden, aber da solche Systeme eher klein sind, mag ich bezweifeln, dass viele einkommensschwache Haushalte diese Schule tragen.
Aber: Gesellschaftliche Vielfalt an staatlichen Schulen? Check!
Demokratie – ein Alleinstellungsmerkmal?
Das Pfund, mit dem die demokratische Schule wuchert, ist die demokratische Gestaltung in allen schulischen Bereichen. Immer wieder wird in sozialen Medien, Foren oder Kommentaren suggeriert, an herkömmlichen Schulen gäbe es keine demokratischen Elemente. Dem ist nicht so. Schülerinnen und Schüler haben Möglichkeiten, entscheidend auf schulische Prozesse und Entwicklung Einfluss zu nehmen. Das reicht von Einrichtungen auf Klassenebene (wie dem Klassenrat, der Wahl von Klassensprechern) bis auf die Schulebene (Wahl von Schülersprechern, Schülervertretung), wo die gewählten Schülerinnen und Schüler in der Schulkonferenz das gleiche Stimmrecht innehaben, wie die Eltern oder die Lehrerschaft. Die Schulkonferenz ist in NRW das höchste schulische Gremium, in dem schulinterne Entscheidungen getroffen werden können, und unsere Schülerinnen sind für diese Sitzungen immer sehr gut vorbereitet. In Disziplinarkonferenzen (Teilkonferenzen) sitzen immer Schüler mit Stimmrecht dabei, und unsere Fachkonferenzen werden regelmäßig bereichert durch Schülerbeiträge, die uns sehr deutlich machen, wo wir als Fachschaften bessere Regelungen treffen müssen. Streitschlichtung organisieren die Schülerinnen unserer Schule eigenständig, und ich kenne viele Schulen, die dieses Konzept umsetzen.
Mitbestimmung durch Schülerinnen und Schüler? Check!
Was es bei uns allerdings nicht gibt, ist eine Demokratisierung des Unterrichts oder eine wöchentliche Schulversammlung. Und das wären tatsächlich spannende Punkte: hier würde ich gerne mal in eine sogenannte „demokratische Schule“ hineinschnuppern und schauen, wie und ob das funktioniert.
Eindrücke
Ich halte mal meine ersten Eindrücke fest: Der Lernfortschritt scheint schon auf Grundlagenebene sehr bescheiden und die Klientel ist vermutlich eine sehr spezielle, vermutlich eher bildungsbürgerlich-alternativ, betucht. Dafür hat man (zunächst) weniger Druck und erlebt viele Möglichkeiten, sich einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Besonders interessant wären empirische Untersuchungen zum Thema, vielleicht hat jemand einen Tipp für mich?
Danke. Ich sehe das auch so. Es gibt demokratische Strukturen an den staatlichen Schulen, selbst in Bayern, wo Eltern/SMV/Schüler nicht ganz so viele Rechte haben wie in anderen Ländern, was ich so mitkriege. Aber es reicht.
Was es noch zu wenig gibt, sind Schüler und Schülerinnen, die ihre demokratischen Möglichkeiten zur Gestaltung nutzen. Das ist altersgemäß normal, wird aber von den Schulen vielleicht auch gefördert, weil das auf den ersten Blick Entscheidungen vielleicht einfacher macht. Aber da könnten die staatlichen Schulen, die ich kenne, mehr tun.