Wir sollten uns langsam daran gewöhnen

Eine Studie wabert durch meine Filterbubble und durch die deutschen Medien. Ihre Aussage: Ein Verbot von Handys an Schulen fördere den Lernerfolg, so das Ergebnis: Die Schulleistungen verbesserten sich um 6,41%, wenn die Schüler auf das Handy verzichteten, was etwa dem Lerneffekt einer zusätzlichen Woche entspreche.

Das ist harter Tobak für uns medienaffine Lehrer, die neue Medien eher als Chance denn als Gefahr begreifen. Grund genug, sich die Studie etwas genauer anzuschauen, eine Aufgabe, der sich schon Herr Larbig angenommen hat.

Offene Fragen

Einige Fragen stellen sich beim flüchtigen Lesen der Studie. Zum Beispiel trennt sie begrifflich nicht zwischen Handys und Smartphones (in der Studie wird nur unscharf von „mobile phones“ gesprochen). Die Studie bezieht sich auf Daten von 2001 bis 2011. Kaum eine Technik hat in dieser Phase eine rasantere Entwicklung miterlebt als die Welt der Handys und Smartphones (Nokia galt 2001 noch als Branchenriese, heute gehört Nokias Handysparte Microsoft). Inwiefern hat dieser durchaus gewaltige Unterschied zwischen Handys und Smartphones Niederschlag gefunden in den Ergebnissen der Studie? Inwiefern schulische Konzepte zur (Nicht-)Nutzung von Handys / Smartphones?

Medien verbinden Menschen

Bei all dem Genöle über die Studie möchte ich noch auf einen wunderbaren Artikel in der ZEIT verweisen: Kilian Trotier berichtet dort von dem Anthropologen Daniel Miller, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, zu untersuchen, „was Soziale Medien mit Menschen machen. Und was Menschen mit Sozialen Medien machen.“ Und er kommt zur gelasseneren Einsichten:

Das Leben wird durch Technik vermittelt. Miller kann daran nichts Schlechtes finden. Jedes persönliche und direkte Gespräch sei mediatisiert, es folge impliziten Regeln und Konventionen. Nur seien sie so tief in den Habitus eingelassen, dass niemand sie mehr als Regeln und Konventionen wahrnehme.

Technik entfremdet, macht einsam, verstört, steht zwischen Individuen. Miller hasst diese Sätze. „Menschen sind durch digitale Technologien nicht einen Deut stärker mediatisiert“, sagt er. Ein koreanischer Computerspieler sei nicht mehr und nicht weniger authentisch als ein Stammespriester in Ostafrika. „Kultur ist doch immer vermittelt!“

[…]

Es rege ihn auf, sagt er, wenn Wissenschaftler eine Studie über Freundschaft auf Facebook mit 300 amerikanischen Collegeschülern machten und die Ergebnisse auf japanische Hausfrauen übertrügen.

Wir sollten uns daran gewöhnen, dass unsere Kultur sich, wie eigentlich immer, gerade im Wandel befindet. Und wie so oft katalysiert durch Technik, vermittelt durch Medien, diesmal eben digitale.

Ob’s uns nun gefällt oder nicht. Wir sollten uns langsam daran gewöhnen.

5 Gedanken zu „Wir sollten uns langsam daran gewöhnen

  1. Ja, gewöhnen ist gut, aber gestalten ist besser. Gerade wenn Verbote als Lösung in der Diskussion stehen, sollte darauf aufmerksam gemacht werden, wie Kompetenzen zur verantwortungsvollen und bewussten Nutzung erlernt werden. Durch Verbote nämlich nicht. Wie Herr Larbig in seinem Artikel auch schon schrieb, sollte eher gefragt werden, warum die Medienkompetenz in bestimmten Bildungsschichten so schwach ausgeprägt ist und wie dagegen angegangen werden kann.

    • Das stehe ich voll und ganz hinter dir. Wenn aber das Gestalten schon durch Abwehr verhindert wird, dann sollte man sich wenigstens irgendwann einmal daran gewöhnen können, dass Jugendliche Smartphones besitzen. (Mag dauern, aber mittlerweile gilt man ja auch nicht mehr als Verbrecher, wenn man ein Tattoo hat…)

  2. Pingback: Verschiedenes zu Informatik, Smartphones und Verboten | das Informatische und die Bildung

  3. Als wissenschaftsaffiner Zeitgenosse möchte ich anmerken, dass 1. die flüchtige Lektüre des Heise-Artikels nur noch wenig mit den Aussagen der Londoner Studie zu tun hat, und 2. die verkürzte Zitatencollage aus der ZEIT ebensowenig mit den Beobachtungen des Anthropologen Daniel Miller. Miller hat ein faszinierendes Buch über die Rolle von Facebook in Trinidad geschrieben. Es basiert auf 12 Fallstudien, die sich zu einem wohl als aussagekräftig zu bezeichnenden Bild verdichten. Zwar gibt es hier kein einschlägiges Kapitel zum Thema ‚Schule und didgitale Medien‘, aber die Fallstudie Nr. 7, „Time sucks“ schildert sehr eindringlich, wie Facebook das Leben von Jugendlilchen kolonisieren kann. Zumindest in Trinidad. Hier lässt sich durchaus ein Befund der erwähnten britischen Studie heranziehen, die feststellt, dass vor allem leistungsschwache Schüler („low-achieving students“) eine deutliche Steigerung im Zuge einer restriktiven Handyregelung zeigten. Das ist aber alles auch reichlich verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen. Die Londoner Studie und das Buch von Miller („Tales from Facebook“, 2011 !!) sind nur ein paar Klicks entfernt. Nimm und lies, wie schon Augustinus sagte.

    • Hallo nosc!

      Die Studie habe ich mir schon angesehen, allerdings nicht in Gänze, weshalb ich mir ein Urteil zur Studie auch gespart habe und deren Ergebnisse, abgesehen von den oben genannten Punkten, auch zunächst nicht wesentlich in Frage stelle. Es muss ja auch nicht immer gleich alles schlecht sein, was die eigenen Vorurteile nicht bestätigt… (Grob in diese Richtung gab es gerade eine erregte Debatte per Cicero und eine Replik über die Netzpiloten.)
      Die „low-achieving students“ hat der verlinkte Blogger schon erwähnt, da habe ich mir Redundanz gespart, allerdings ist das auch nichts Neues, dass klare Strukturen und Vorgaben lernschwächeren Schülern eher helfen als den starken; das gilt ja nicht nur für Handys.

      Hast du den Miller schon gelesen? Der ZEIT-Artikel macht auf den nämlich wirklich neugierig. (Wollte gerade fragen, ob du ihn hast, habe deinen Tipp aber gerade bei books.google.de als umfangreiche Leseprobe gefunden…)

      Folgt man dem ZEIT-Artikel scheint Daniel Millers Fazit aber trotz allem ein unaufgeregtes zu sein. „Et kütt wie et kütt“, wie wir Rheinländer sagen.

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