„Generation Überflieger“(MP3) heißt der Titel des letzten Tagesgesprächs bei WDR5, in dem es um die angebliche Inflation der sehr guten Noten in NRW geht. Die NRW-CDU mutmaßt hinter der moderaten Steigerung der Absolventen mit einer 1,0 von 1,46% auf 1,55% sogar den bösen Einfluss der allgegenwärtigen „Kuschelpädagogik“. (Was hätte die CDU wohl gesagt, wäre das Ergebnis anders herum ausgefallen?)
Irgendwie passt das Ergebnis zu den Klagen, die jungen Leute von heute seien zu angepasst und strebsam. Die Shell-Studie 2010 fasst es positiver und spricht von einer „starke[n] Leistungsorientierung“. Die Anrufer des Tagesgesprächs haben aber wenig Gutes über die angehenden Studenten zu sagen. „Studierunfähig“ seien die, und sie beherrschten die Rechtschreibung nicht (sogar manche Doktoranden!). Einfach einmal selber reinhören.
Ich frage mich das auch immer wieder: Die Noten/Abiturjahrgänge werden immer besser/größer, aber alle, die mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen später arbeiten, sind betroffen von der Kompetenzarmut – sei es in der kaufmännischen Ausbildung, dem Handwerk oder dem Studium. Angesichts der großen Zahl an Abiturienten und den damit an Bedeutung zunehmenden NCs würde ich auch darauf tippen, dass die Schüler hoch motiviert sind sehr gute Noten zu ergattern. Leider mit der Folge, dass sie ihre Energie sehr gezielt in die Verbesserung des Notenspiegels setzen, aber kein Anflug mehr von echtem Interesse an den Lerninhalten zu beobachten ist – ganz nach dem Min-Max-Prinzip. Ich möchte wetten, dass einige Schüler vor dem Mathe-LK zurück weichen, weil sie sich sicher sind, dass im geisteswissenschaftlichen Bereich bessere Noten zu machen sind.
Natürlich wollen auch die Schulen nicht versagen und freuen sich, wenn sie mit Stolz ihre Musterabiturienten vorzeigen können. Die Politik wird sich auch nicht beschweren – sie ist doch froh, wenn trotz der desolaten Bildungsfinanzierung und den immer neuen Reformen auf Kosten der Schüler, Lehrer und Schulen das ‚Produkt‘ ihres Bildungssystems immer besser wird.
Wenn die Unis wirklich etwas an dem Dilemma der studierunfähigen Abiturienten ändern wollen, dann sollten sie zu anderen Auswahlkriterien als dem Notendurchschnitt greifen. Das würde sehr viel mehr Entspannung in die Oberstufen bringen – ganz abgesehen davon, dass dieses unsinnige Zentralabitur obsolet werden würde, wenn Schüler nicht mehr auf eine Prüfung gedrillt, sondern auf das Leben nach dem Abitur vorbereitet werden.
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Dass das Niveau absinkt kann man nicht ernsthaft bezweifeln, daran ändert auch die gebetsmühlenartige Wiederholung von „Kompetenzen“, die die Schüler jetzt angeblich haben, nix.
Über das Niveau in Zukunft hab ich hier mal was geschrieben:
http://blog.drlotz.org/Bildungsstandards_und_Niveau.html
Warum ändert sich da nix? Ich behaupte (und das kann ich, da ich selbst vor 25 Jahren mein Abi gemacht habe), dass ein Abiturient vor 20 Jahren die heutigen Aufgaben nicht hätte bewältigen können, da ihm die Kompetenzen fehlten, um z.B. mathematische Zusammenhänge auch in einem Sachkontext zu erkennen und dann auch noch zu beurteilen. Aufgrund der fehlenden CAS-Technologien beschränkte sich die Oberstufe damals auf das mehr oder weniger händische Durchführen von Kurvendiskussionen und die Integralrechnung. Etwas analytische Geometrie kam auch vor. Ich kann mich nicht an eine tiefer gehende Beschäftigung in den Bereichen Stochastik oder Linearer Algebra erinnern. Klar habe ich auch damals ein lineares Gleichungssystem gelöst, aber längst nicht mit dem Tiefgang und der Komplexität, wie es heute verlangt wird (z.B. bei der Spline-Interpolation). Was man allerdings unter Niveau versteht, darüber ließe sich an dieser Stlle am besten streiten. Ich halte es nicht für niveauvoller, wenn im Mathematikunterricht bis zur Unverständlichkeit abstrahiert und theoretisiert wird. Das gehört an die Uni und es ist die Aufgabe der Schule erst mal Allgemeinbildung zu vermitteln und den Schülern nicht den Zugang zu Fächern wie der Mathematik zu verbauen.
Ach immer dieses Gejammer über die angeblichen Mängel der Schüler und Studenten.
Wir uns bilden die Schüler heran, die wir wollen. Solange in der aktuellen Schule ein solcher Notenfetischismus gepredigt wird, solange werden die Schüler für die Noten lernen und nicht für das Leben.
Dass Noten weder objektiv, noch wirklich relevant sind, wissen wir alle vermutlich schon lange.
Dazu eine schöne Studie:
Von Noten geblendet
Bei der Einstellung bevorzugen Personalabteilungen die Bewerber mit besseren Zensuren, ohne deren tatsächliche Qualifikation ausreichend zu beachten.
Sie kritisieren vor allem, dass Bewerber mit guten Zensuren bevorzugt werden, ohne deren tatsächliche Qualifikation ausreichend zu beachten. So seien Kandidaten mit schlechteren Noten einer anspruchsvollen Schule oder Universität häufig geeigneter als solche mit besseren Bewertungen von weniger selektiven Bildungseinrichtungen.
„Bei Einstellungen wird oft nicht zwischen den tatsächlich begabten oder für den Job geeigneten Bewerbern und denjenigen unterschieden, die ihre Ergebnisse unter günstigen Umständen erzielt haben.“
http://www.wissenschaft-aktuell.de/artikel/Von_Noten_geblendet1771015589242.html
Wobei natürlich zu bezweifeln ist, dass ein „gutes Abitur“, das nur durch Fleiss eine hohen Faktensammlung anhäuft und wiedergibt, einen wirkliche Befähigungsnachweis darstellt, ausser vielleicht zum Erbsenzählen.
Weil die sog. Kompetenzen so butterweich und unscharf formuliert sind, dass die Aussagekraft gegen Null tendiert. Sie haben dazu geführt, dass man auch in Mathematik mit solidem Mittelstufenwissen und der Fähigkeit, sinnentnehmend Aufgabenstellungen zu lesen, im Abitur schon locker in den grünen Bereich kommt.
Mag sein, dass ein Abiturient von vor 20 Jahren die Aufgaben von heute nicht ad hoc erledigen könnte (was bei meinem Lehrer allerdings auch nicht stimmt, wir haben schon damals Anwendungsbezüge durchgekaut). Der Knackpunkt ist aber ein anderer: Einem guten Mathe-LKler von vor 20 Jahren könnte man die heutigen Aufgabentypen innerhalb kürzester Zeit beibringen, weil alle entsprechenden Grundlagen vorhanden sind. Jemandem mit „Anwendungsaufgabenkompetenz“ heutzutage die Grundlagen beizubringen ist ungleich schwieriger.
Die Frage ist natürlich, ob man wirklich Mathematik unterrichten will, aber wenn das nicht der Fall ist, sollte man das Fach auch konsequenterweise umbenennen, z.B. in Elementaren Rechenunterricht. Das würde dann den harten Aufschlag an der Uni für die Schüler selbst zumindest etwas verständlicher machen.