Jetzt bemotzten sie den Herrn Schleicher, weil der sagt, dass man die Pisa-Tests nicht vergleichen könne. Holladrio, was blähen da die Kultusminister ihre Bäckelein! „Rücktritt“, quengelt man (weil einem dieser Reformpädagoge schon lange auf den Senkel geht) und von Miespeterei spricht man. Wieso doch gleich?
Herr Schleicher hatte darauf hingewiesen, dass man die aktuellen Ergebnisse nicht mit den vorigen Pisa-Ergebnissen vergleichen könne, weil der aktuelle Test eben etwas anderes getestet hätte als die vorigen. Zuerst die Lesekompetenz, dann das mathematische Verständnis und aktuell das naturwissenschaftliche Verständnis. Eigentlich nicht schwer zu verstehen, dass Mathe-Tests nur wenig über die Lesekompetenz aussagen.
Das wollen die Kultis aber nicht gerne hören. Ohren zu, Hirn aus und laut dagegenschreien, lautet die Devise. Folgte man deren Logik, so müsste ich demnächst meine Chemiekollegen fragen, welche Deutschnote ich meinen Elfern geben soll. Und vorher die Mathekollegen:
„Na, wie hat sich Schüler Flitzpiepe in Mathe so gemacht? In Deutsch ist der ja unterirdisch…“
„Och, so mittelmäßig – eher im Dreierbereich.“
„Mönsch, geht doch! Und in Physik – wie schaut’s da aus?“
„Eine gute Zwei, denke ich. Gute Tests, immer dabei, fleißiger Schüler.“
„Fein, dann bekommt er in Deutsch auch die Zwei. Mann, bin ich ein guter Lehrer!“
Heißa, was für ein Spaß der nächste Elternsprechtag würde…
Nette Analogie! 😉 Ich habe es aber so verstanden, dass natürlich nicht die – angeblich – besser gewordenen Nat.wiss.-Kompetenzen der 1-jährigen 2006 auch auf das Leseverständnis und die math. Kompetenzen übertragen würden. Das tatsächlich verbesserte Leseverständnis stammt – so habe ich es verstanden aus Daten der IGLU-Grundschulstudie – also auf die Leistungen von 6-9-Jährigen, und ist auf die Leseförderung der letzten Jahre zurückzuführen, die sich mal den lesemuffligen Jungs etwas mehr gewidmet hat. Die angeblich verbesserten nat.-wiss. Leistungen sind – so Schleicher überzeugend – noch nicht zu sehen, da die 2006 PISA Studie für D. einen neue Erhebungsrahmen geschaffen hat – andere Fragen und so. Und dann kann man diese neu gemessenen Leistungen natürlich nicht mit den PISA 2003-Daten vergleichen, weil die einen anderen Bezugsrahmen hatten. Die neuen Daten können erst mit denen von 2009 verglichen werden. Das finde ich unmittelbar einleuchtend.
Das Geschrei vieler Bildungspolitiker und nationalen Bildungs“forscher“, denen es hauptsächlich um die Außenwirkung geht, verfährt nach dem Motto „egal ob sich zu Hause die Katastrophe abspielt, Hauptsache, wir können nach außen so tun, als wäre alles in Ordnung.“ Denn die Katastrophe ist nicht die Katastrophe, sondern daß mit dem Finger drauf gezeigt wird. *Schäm* . Diese entwicklungshemmende Verwechslung kennen wir ja schon aus dem Rechtsextremismus-Diskurs. (Rechtsextremismusproblem ham wir nur, weil das so peinlich gegenüber dem Ausland ist. Wenn sie es nicht gesehen hätten, dann wäre kein Problem da.)
Zurück zu PISA: Das konkrete Ausmaß der in keiner Weise irgendwie durch die Daten von 2006 relativierten Katastrophe kann man wunderschön an einer .ppt von Andreas Schleicher zur Analyse und Interpretation von 2003 erkennen (Die Pfolien sind selbsterklärend):
http://www.gew.de/Binaries/Binary9952/Schleicher-2005.ppt
sorry: Korrektur verpasst: PISA misst natürlich nicht die Leistung von 1-jährigen, sondern von 15-Jährigen.
Da man an sich etwa 15 Jahre von der Einführung von Maßnahmen bis zur durchgreifenden Wirksamkeit im Bildungsbereich rechnet, scheinen mir die Veränderungen mehr darauf zurückzuführen, dass jetzt Kultusbürokraten, Lehrer und Schüler besser mit den Tests, die sie erwarten, vertraut sind. Schließlich gibt es mancherlei Möglichkeiten, Testergebnisse zu beeinflussen, ohne den Teilnehmern Geld zu bezahlen.
Ein Teilnehmer an der ersten Studie sagte mir: „Das waren so simple Fragen, das hatte nichts mit dem Stoff zu tun, den wir behandeln mussten.“ Das wird sich inzwischen geändert haben…
Leider ist die Vermehrung bürokratischer Hektik allerdings nicht eben förderlich für die Lernatmosphäre. Ob sich das in PISA-Tests niederschlagen wird, wird sich jeder Messmöglichkeit entziehen.
Mit Pisa ist das alles nicht so einfach. Bemerkenswert ist, dass kaum kritische Stimmen zur Funktion von Pisa zu hören sind; die OECD ist ja keine Organisation, der Bildung am Herzen liegt. Ich empfehle deshalb zwei Bücher:
– Konrad Paul Liessmann: Theorie der Unbildung – Die Irrtümer der Wissensgesellschaft
Gegenstand sind auch PISA und der sogenannte Bologna-Prozess.
– Thomas Jahnke, Wolfgang Meyerhöfer (Hrsg): Pisa & Co – Kritik eines Programms
Nach der Lektüre war mir deutlicher, dass PISA (und der Bologna-Prozess) keineswegs der Verbesserung des deutschen Bildungswesens dienen.
Dank für die verdienstvollen Hinweise!
Die Zielsetzung von PISA ist gewiss Nutzbarmachung von „Humankapital“. Aber dennoch half es der Öffentlichkeit, darauf aufmerksam zu werden, was andere Staaten besser machen.
Das Problem ist, dass die Kultusministerien, um besser auszusehen, jetzt mehr vom Falschen tun und – was noch schlimmer ist – zu erzwingen suchen, dass es getan wird.