Das institutionalisierte „Du“

Sitze seit geschlagenen zwei Tagen an einem schlecht geschriebenem Text zur Norderney-Fahrt und muss entweder alles neu schreiben oder es ganz bleiben lassen. Schweife dafür lieber ab und beglücke die Welt mit einer ersten mittelbaren Impression aus der nordrheinwestfälischen Gesamtschule: Dem institutionalisiertem „Du“.

Grauen! Schweißausbrüche! Das blanke Entsetzen packte mich, als an der Uni ein noch recht junger, aber für meine Verhältnisse hinreichend alter Dozent dem ganzen Seminar das „Du“ anbot. Ich mag das nicht. Furchtbar. Und jetzt auch noch im Fachseminar. Warum? Gesamtschullehrer. Die duzen sich. Warum? Macht man so. Bei denen. Ganz ungezwungen. Sofort. Ohne Kennenlernen. Wusste ich auch noch nicht.

Man kennt solche unverbindlichen Angebote: Sie sind verpflichtend, bindend, unbedingt, zwingend. Sie sind nichts weniger als zur Heuchelei geronnene Macht. Wehe, Du duzt nicht! Dann stimmt was nicht! Mit Dir! Spießer. Magst uns wohl nicht? Hältst dich für was Besseres? Der feine Herr möchte also lieber gesiezt werden. Steht wohl nicht auf flache Hierarchien…

Dabei ändert sich: nüscht. Ach doch! Man bringt sich um die Möglichkeit, besonders geschätzten Kollegen das „Du“ anzubieten – macht man ja schon. Es ist eine sprachliche Pseudonivellierung, das institutionalisierte „Du“, missliebige Kollegen liebt man nicht mehr, wenn man sie duzt; wir sind nicht alle Schulleiter, auch wenn wir sie duzen; über meine Zensur richtet mein Fachleiter auch dann noch, wenn ich ihn duze. Also was soll der Mummenschanz?

Doch der arme Tropf, dem man das „Du“ anbietet kann fast gar nicht anders als zu „Duzen“, womit das institutionalisierte „Du“ zum diktatorischen Winkelement des Alltags wird, Restbestand fossilisierter 68er-Pädagogik, eine vermeintliche Verneinung der Hierarchie bei gleichzeitiger Verstärkung derselben, in realiter virtualisierte Nahdistanz, kommunikativer FKK-Zwang, im Resultat: Gleichgeschaltete Dudududu-Sager.

Ups. Tschuldigung. Da isses wieder. Leser meines alten Blogs werden meinen Hang zur Polemik kennen. Du, ich bin aber lernfähig. Spätestens morgen, in der Projektphase an einer Gesamtschule, lasse ich mich gerne eines besseren überzeugen. Immerhin duze ich ja auch alle Referendare meines Jahrgangs… warum eigentlich… hmmm… gute Frage…

5 Gedanken zu „Das institutionalisierte „Du“

  1. Bei uns im Kollegium (Gymnasium) wird von den meisten Kollegen – vor allem den Älteren – gnadenlos geduzt. Ausnahme: Schulleitung. Ich fände Siezen auch etwas schöner, weil nuancenreicher, aber sehr wichtig ist mir die Sache auch wieder nicht. Duzende Ausbilder fände ich allerdings auch gar nicht gut.

  2. An unserer Realschule duzen sich alle bis einschließlich zum Konrektor. Auch Referendare werden bereits in den ersten Tagen zum Du genötigt, manchmal sogar Praktikanten.

    Mir persönlich wäre das Siezen auch lieber. Wenn es denn unbedingt sein muss, könnte ich mich auch mit der Kombination aus Vornamen und „Sie“ anfreunden.

    Interessanter Weise habe ich mir die Frage nach der Anrede bei Eröffnung meines Weblogs gestellt. Angesichts der Tatsache, dass Ihr/Dein 🙂 Beitrag und die bisherigen Kommentare das „Sie“ bevorzugen, ist es bemerkenswert, dass in nahezu allen Lehrerblogs geduzt wird. Ein Widerspruch?

  3. Es kommt immer ganz drauf an. In Blogs und im Internet duze ich eigentlich auch meistens, es sei denn, ich werde gesiezt oder der Gegenüber heißt Herr Rau. 😉

    Bei mir übergeordneten Personen bevorzuge ich aber generell das „Sie“, besonders, wenn ich sie erst seit kurzem kenne. Im Kollegium finde ich das gar nicht soo dramatisch, aber an der heute besuchten Schule duzen auch die Schüler ihre Lehrer. Das hätte mir als Schüler nicht geschmeckt und schmeckt mir auch als Referendar gegenüber Ausbildern nicht. Da, wo Hierarchien bestehen, sollte man sie nicht durch mißverständlichen (pseudopädagogischen?) Sprachgebrauch zu kaschieren versuchen.

  4. Mein Fazit: Das Sie ist notwendig, wo Distanz nötig ist – z.B. in hierarchischen Verhältnissen, denn da schützen sie einigermaßen vor Grenzüberschreitung und sichern ein Minimum an Respekt für den Untergebenen. Ich finde es auch gräßlich, wenn ich jemanden duzen muß, der mir Anordnungen erteilt (vor allem, wenn er nicht unbedingt mehr Grips hat, sondern nur mehr Karriere.) Da habe ich auch Erfahrung mit dem Schüler-Lehrer-Verhältnis gemacht. In den 70er Jahren wurde abgeschafft, die Schüler ab der 11. zu siezen. Das war aber etwas ganz wichtiges, fast wie eine Initiation für die Schüler: Endlich wurden sie mit Respekt behandelt, als vollgültige Menschen mit Selbstverantwortung.
    In meinem Institut gibt es eine Einrichtung: das „Arbeits-Du“. Wenn ich mit Vorgesetzten in einer gemeinsamen Fortbildung sitze, kommt mit dem situationsbegrenzten Duzen tatsächlich ein besseres Teamgefühl zustande. Aber danach, da sieze ich wieder und lasse mich siezen, denn da sind wieder die Auftrags-Ausführungs-Verhältnisse des normalen Arbeitsalltags. Diese Unterscheidung – je nach Arbeitszusammenhang – ist vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber unbedingt
    funktional.
    Es gibt auch interessante Effekte in der Duz-Siez-Frage im Schüler-Lehrer-Verhältnis. In den 70er Jahren wurde abgeschafft, die Schüler ab der 11. zu siezen. Das Siezen ab 11 war aber etwas ganz Wichtiges gewesen, fast wie eine Initiation für die Schüler: Endlich wurden sie mit Respekt behandelt, als vollgültige Menschen mit Selbstverantwortung. Ich hatte zuletzt einen Oberstufenkurs, die waren nach einer Debatte über dieses Thema alle dafür, daß ich sie sieze. Und peu a peu fingen plötzlich einzelne Schüler an, mich zu duzen. Das war dann, weil sie mich mochten und weil ihnen zu viel Distanz war. Dann habe ich sie natürlich auch geduzt. Es war dann sehr gemischt und individuell und etwas schrill vielleicht. Aber es entsprach offenbar den verschiedenen Schülerbedürfnissen. Daß es nicht einheitlich war, hat die Gruppe nicht gestört.

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