Immer wieder werfen bestimmte Presseurheber olle Kamellen unters Volk und verkaufen sie als neue Erkenntnis, vielleicht, weil sie ihr Bildungsressort irgendwie mit „Content“ vollstopfen müssen. Der Zeit-Artikel über die Pädagogenausbildung (via @martinlindner) vom 11.5. hätte nach einem guten Einstieg durchaus das Zeug für einen guten Artikel gehabt, wenn er dann nicht auf halber Strecke in Platitüden und ollen Kamellen ersoffen wäre. Aber fangen wir vorne an.
Vor ein paar Jahren wäre der Rest dieses Artikels ähnlich einseitig ausgefallen wie die Vorurteile auf jener Studentenfete. (…) Heute handelt ein Artikel zur Lehrerbildung von Studienanfängern wie Beke Brandenburg.
Schön, ein optimistischer Einstieg. Einer, der Lehramtsstudenten Mut macht und sie nicht als Studenten zweiter Klasse abqualifiziert (was mich ja rasend macht, wenn ich meine Prüfungsordnung mit der meiner ehemaligen Nicht-Lehramtsstudenten vergleiche…). Und der Artikel mildert meine skeptische Haltung gegenüber der neuen Referendarsausbildung durch eine hoffentlich verbesserte Uni-Ausbildung, die das Lehramt mit besonderem Augenmerk bedenkt.
Aber dann wird der Artikel ziemlich merkwürdig. Da zieht man neuere Studienergebnisse heran, die feststellen, dass Lehrer, die schon 20 Jahre oder länger im Beruf stehen, nur noch zu 39% mit Freude ihren Beruf ausüben würden – und bezieht dies kausal und direkt auf deren Lehrerausbildung. Schön zurechtgebogen! Dass bei älteren Kollegen die Gründe vermutlich eher anders gelagert sein könnten (überbordende Bürokratie, Reformwahnsinn, im Laufe der Zeit die Lust verloren etc.), erwähnt man im Artikel nicht. Ähnlich undifferenziert geht es dann auch weiter. Ich zitiere mein Highlight:
Das Ergebnis der sogenannten Coactiv-Ergänzungsstudie: Jene Lehrer, die nicht nur inhaltlich ihr Fach beherrschten, sondern es auch didaktisch gut vermitteln konnten, hatten Schüler, die bei Pisa besser waren.
Bahnbrechend! Wahnsinn! Das hätte niemand gedacht. Ehrlich? Auf den Lehrer kommt es an? Und dass, wo wir doch iPads, Computer und Wikipedia haben… und der gute Lehrer wird dann auch mit einem Beispiel illustriert:
Warum nicht die Gitarre mitbringen, wenn man in der neunte Klasse in Physik über Akustik und Frequenzen redet?
Womit wir wieder bei den ollen Kamellen wären, ich kenne Referendare, die schon vor etwa fünfundzwanzig Jahren das Phänomen der Induktion anhand einer E-Gitarre demonstriert haben. Für ältere (kinderlose?) Journalisten ist das möglicherweise alles völlig neu und irrsinnig kreativ – im Schulalltag haben solche Ideen jedoch immer schon ihren Platz gehabt.
Ob die neue Lehrerausbildung so toll wird, wie im Artikel besungen, und nicht nur ein billiges Stellensparmodell, bei dem man die praktische Ausbildung („Praxissemster“) zusätzlich ohne Entlastung den Schulen aufbürdet, das werden wir herausfinden, indem wir dem Ganzen einfach mal etwas Zeit geben und die Entwicklung beobachten.
Ich versuche es nochmal…
Die grundlegende Verwunderung über den „Turn“ des Zeit-Artikels teile ich. Allerdings finde ich die Kritik an den Coactiv-Ergebnissen etwas zu kurz gegriffen. Klar, das ist nichts bahnbrechend neues. Aber in vielen Diskussionen und ich denke auch bei vielen sogenannten Entscheidern ist es wichtig, solche Banalitäten auch mal empirisch belegen zu können (und wenn man daran denkt, wie schwierig z.B. ein empirischer Beleg für die Wirksamkeit von Gruppenarbeit ist, kann man Coavtiv schon fast wieder als bahnbrechend bewerten 😉
Was das Theorie-Praxis Verhältnis von Lehrerseminar und Uni angeht, befürchte ich, dass hier nur immer wieder Kapazitäten hin und hergeschoben werden, ohne wirklich etwas zu verändern (ein bisschen mehr Praxis an der Uni, dafür früher bedarfsdeckender Unterricht im Referendariat hier in HH…). Ein grundlegendes gemeinsames Modell, in dem eben mehr geschieht als Kapazitäten zu verschieben halte ich für dringend notwendig!