Ich hatte mich ja vor einiger Zeit über das „institutionalisierte Du“ ausgelassen. Man gewöhnt sich dran und da unser Fachleiter wirklich ein netter und nahbarer Mensch ist, haben wir uns im Kurs darauf geeinigt, ihn zu duzen.
Eine andere Seite des Siezens: Die Schüler zu siezen ist schon ungewohnt. Zumindest am Anfang bin ich in der Oberstufe immer wieder in das Du verfallen. Zum einen ist meine die einzige Schule, die ich kenne, in der die Oberstufe rigoros gesiezt wird, zum anderen bin ich es aus der Uni gewöhnt, gleichaltrige und jüngere Kommilitonen, mit Ausnahme von Dozenten, zu duzen. Da musste ich mich schon erst einmal an das Oberstufen-Sie („Bärbel, erläutern Sie…“) gewöhnen. Aber mit Nachnamen wäre es ja noch schlimmer…
Die Gesamtschulreferendare dagegen berichten, dass an den Gesamtschulen ein DuSie-Kauderwelsch herrscht. Man kann Schülern das Du zwar anbieten, aber sie sind natürlich nicht gezwungen, das Angebot anzunehmen. Viele greifen freiwillig auf das „Sie“ zurück und so kommt es zu einer nahezu babylonischen Du-/Sie-Verwirrung vor den Türen der Lehrerzimmer. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass es für Schüler eine nette Möglichkeit darstellt, beliebte und unbeliebte Lehrer sprachlich zu markieren („Herr Müller, können Sie das dem Boris ins Fach legen!“). Hoffen wir, dass Herr Müller Boris‘ Nachnamen kennt, denn auch in Gesamtschullehrerzimmern duzen sich nicht alle.
Auch in unserem Lehrerzimmer herrscht DuSie-Verwirrung. Da viele Kollegen, aber natürlich beileibe nicht alle, mir anfangs das Du angeboten hatten, man aber überhaupt erstmal Mühe hat, sich alleine alle die Nachnamen zu merken, habe ich bei vielen schon wieder vergessen, ob ich sie duzen darf oder nicht. Das kommt natürlich komisch, wenn man freundlich das Du anbietet und der Referendar siezt gnadenlos weiter. Aber die Lehrer kennen das ja; manche haben auch noch Probleme mit unseren Nachnamen – wie also erst, wenn dann noch ein Vorname dazukäme…
Sehr anschaulich! Wie gräßlich, dass damit so viel unnötige Zeit, psychische Energie und unnötige Mißverständnisse in der Kommunikation verknüpft sind. Immer denkt man sich die Besonderheit der deutschen Anrede als ein gutes Tool zur individuellen Gestaltung und institutionellen Regelung von Nähe und Distanz. Aber nach Deiner Schilderung würde ich jetzt glatt für Abschaffen plädieren – wenns denn mal zur Abstimmung steht. Ich finde die einheitliche Anrede im Englischen und im Internet sehr erleichternd. Man kann sich dann auf Wichtigeres konzentrieren.
Sei froh, dass wir keine Koreaner sind. 😉
In einem Linguistik-Seminar hatten wir mal einen Gaststudenten aus Korea und der erzählte uns, dass schon die Körperhaltung in verschiedensten Variationen das Verhältnis zweier Gegenüber abbildet. Vielleicht machen die deshalb so viel Tai-Chi, um Missverständnisse durch schlechte Körperhaltung zu vermeiden… 🙂
Achduahnstesnicht! Da kann man sich ja nur wundern, dass Kommunikation so oft trotzdem funktioniert (Luhmann: „unwahrscheinlich“).