Gefühlsverletzung

Wie ein etabliertes Internetmagazin mitteilt, spricht sich der im Sinkflug befindliche Kanzlerkandidat Peer Steinbrück dafür aus, bei der Frage der Geschlechtertrennung im Sport religiösen Gefühlen den Vorrang zu geben. Seiner Meinung nach solle man da Rücksicht nehmen und Jungs und Mädchen auch mal getrennt unterrichten.

Das ist ja toll, dass in der strategisch durchgeplanten Politik Gefühle auch noch etwas zählen. Doch ein paar Fragen stellen sich mir da schon: Was taugen Gefühle zur Entscheidung, wie etwas unterrichtet werden soll? Und warum soll man ausgerechnet nur auf „religiöse Gefühle“ Rücksicht nehmen? Was ist, wenn sensible säkulare Gefühle durch den Vorrang religiöser Gefühle verletzt werden? Was ist eigentlich mit persönlichen Gefühlen?  Und denen anderer gesellschaftlicher Gruppen?

Und warum eigentlich nur im Sport? Wieso nicht auch gefühlsmäßiger Unterricht in Bio oder Geschichte? Dann könnten wir bei der Sexualkunde auch die Kinder vorher aufteilen in die, die aufgeklärt werden dürfen und die, deren Gefühle verletzt werden könnten. Das gilt dann natürlich auch für den Deutschunterricht! Lektüren, in denen es um Hexen, Zauberei, Sexualität oder andere gefühlsverletzende Themen geht, sind dann schnell tabu, da müsste man schon getrennten Literaturunterricht machen. Das Thema Evolution ist ja auch so ein heikles. Da fühlt sich schnell mal jemand auf den religiösen Schlips getreten, potenziell auch in Erdkunde. Wie? Die Erde ist älter als 6000 Jahre? Menschen, die nicht direkt von Gott aus Lehmklumpen geformt wurden? Und der Australopithecus? Der Neandertaler? Gefühlsverletzend! Am Ende werden die Anhänger des Fliegenden Spaghettimonsters den getrennten Haushaltskundeunterricht einfordern.

Und alles nur, weil Peer auch einmal Gefühle zeigen wollte.

7 Gedanken zu „Gefühlsverletzung

  1. Naja, der Peer hat das ja auch schon mit Vorbehalten und nicht wirklich zustimmend formuliert – hätt‘ er halt gleich mal deutlich ausgedrückt, dass das nicht geht, wär ihm das nicht passiert.
    — Lektüren mit Zauberei drin sind übrigens tatsächlich immer öfter ein Problem.

    Heißt das, dass du für Schulpflicht bist, statt der Möglichkeit von (kontrolliertem) Heimunterricht? Ohne die kann man ja brav Mädchen und Jungen getrennt halten, so viel man will.

  2. Schulpflicht. Hm. Ja. Ich bin für Schulpflicht. Nicht, weil ich glaube, dass ein Heimunterricht (oder andere Modelle) nicht funktionieren könnte, sondern weil ich denke, dass Schule auch Gesellschaft konstituiert und dafür sorgt, dass fremde Menschen sich begegnen und kennenlernen. Bei uns treffen christliche Freikirchler ebenso auf (mal mehr mal weniger strenge) Muslime wie auf Atheisten, Arztkinder auf weniger Betuchte und Jungs treffen auf Mädchen. Ich bin überzeugt, dass damit bezüglich gesellschaftlichen Vorurteilen mehr gewonnen ist, als wenn alle, die es sich finanziell, vom Bildungsstand her und zeitlich erlauben könnten, sich aus Schule herausziehen würden.

    Ich bin allerdings nicht gegen Monoedukation, sofern sie gut begründet ist. Sexualkundeunterricht ganz oder teilweise monoedukativ zu unterrichten, kann z.B. für eine viel offenere Gesprächsatmosphäre unter Jungen und Mädchen sorgen, Ähnliches habe ich schon einmal auf einer sozialen Klassenfahrt erlebt, das fand ich sehr beeindruckend. „Religiöse Gefühle“ halte ich aber für keine gute Begründung.

    Wie siehst du denn das mit dem kontrollierten Heimunterricht?

  3. Monoedukation: Auch kein Problem.
    Schulpflicht: Ich schwanke selber eher noch. Die Vorteile, die du nennst, sehe ich klar. Reichen die, dass der Staat das verfügen kann? 75% in mir sagen ja, der Rest zweifelt.

    • Ich sage mal: ja, denn das sind ja nicht die einzigen Argumente. Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass jeder junge Mensch Chancen auf eine gute Bildung hat. Und das funktioniert im Wesentlichen und ohne in Sarazzinismen abgleiten zu wollen nur über eine Schulpflicht, oder? Ich denke schon, dass es für unsere Gesellschaft nachteilig wäre, wenn ganze Bevölkerungsgruppen sich bzw. ihre Kinder der Schule entziehen könnten.

      Oder gibt es plausible Gegenbeispiele von modernen Staaten, die ohne Schulpflicht auskommen? Und wie sieht / sähe eine solche Alternative aus?

    • Laut Wikipedia gibt es Schulpflicht unserer Art wohl nur in Deutschland, Österreich, Schweden. Die Schweiz, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Australien, USA haben Bildungspflicht/Unterrichtspflicht – erfüllbar auch durch Hausaunterricht. Wie das kontrolliert wird, weiß ich nicht.
      Die Aktivisten für Bildungs- statt Schulpflicht, die ich im Web kennengelernt habe, machen allerdings keinen guten Eindruck. Muss man das als Staat ertragen, die Gesellschaft die Nachteile für sich hinnehmen? In einem Land wie unserem, wo man so eng aufeinander sitzt, hat die gemeinsame Bildung sicher große Vorteile.

  4. Dieses Problem mit den 6000 Jahren haben wir permanent. Unsere SchülerInnen wollen partout nicht glauben, dass der Mensch sich in einer Evolutionsreihe mit anderen, bepelzten, teilweise auch schon ausgestorbenen Lebewesen befindet.

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