Nebeneffekte der Koedukation

Bei Störungen sollen wir immer möglichst alle Involvierten ansprechen, hat man uns im Hauptseminar geraten. Ich halte mich fest daran. Doch nicht in allen Klassenstufen ist dieses Vorgehen von Erfolg gekrönt. Ein im kouninschen Sinne gehauchtes

„Tina! Max!“

führt unweigerlich weg vom Unterrichtsgegenstand und hin zu wilden Spekulationen über künftige Eheanbahnungen, Kinderzahl und enttäuschte potenzielle Partner. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie miteinander flüstern zu lassen…

beugdich.de

Wir wissen von Referendaren, dass sie ihren Schülern nach der Stunde sagen: »Denkt dran, aktualisiert eure Noten bei spickmich.de.« Das ist ein unkompliziertes Feedback. (Zeit.de)

Mit Verlaub, aber die tun mir leid. Und als Argument für besseren Unterricht kann ich das auch nicht werten. Dann statt eines unkomplizierten Feedbacks lieber den komplexen, aber sinnvollen Wertungsbogen.

Vorsicht! Hausaufgabenloch im Internet!

Ich benutze das Internet jetzt regelmäßig seit 1999. In diesen knapp neun Jahren bis heute ist es mir noch nie(!) passiert, dass eine E-Mail ihren Empfänger oder mich nicht erreicht hätte.

Seit ich jedoch wichtige Hausaufgaben per E-Mail einfordere, scheint dieses Internet zum reinsten Datenshredder zu verkommen…

Vorurteile

Ich fahre jeden Morgen mit der S-Bahn zur Schule und auch wieder zurück. Das ist mitunter sehr lehrreich. Zuletzt verabreichte man mir eine Lektion in der Genese von Vorurteilen. Zufällig teilte ich den Viersitzer mit zwei Schülern der benachbarten Gesamtschule:

„Hey, hast Du eine Fünf in Mathe?“

„Ja und auch bekloppte Kopfnoten…“

„Ach, bei mir nicht so schlimm, ich hab‘ überall Zwei!“

„Pfff, Zwei kriegen ja alle. Und auf’m Gymnasium kriegen alle Eins!“

(Stumme Empörung)

Ich habe die jungen Herren nicht in ihrem bittren Irrglauben gelassen. Ob der geneigte BILD-Leser es jetzt glaubt oder nicht, ich wurde nicht zusammengeschlagen.

Ich will keine Tischtennisplatte sein.

Lehrer können wie Tischtennisplatten sein. Wie diese hochklappbaren, auf die man stundenlang einprügelt und bei denen jeder Ball, der Formel Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel folgend, wohlberechenbar zurückkommt. Langeweile vorprogrammiert. Keine noch so teure Tischtennisplatte kann einen Gegner auf Augenhöhe ersetzen, an dem man sich abarbeiten kann, der Finten setzt, unerwartete Stopps spielt, Fehler mit Schmetterbällen bestraft und Stumpfsinn mit Variabilität kontert. Ich will keine Tischtennisplatte sein, denn ich bin berechenbar.

Deshalb versuche ich, in allen meinen Lerngruppen die „Meldekette“ zu etablieren. Wenn ich den Zeitpunkt für geeignet halte, teile ich meinen Schülern mit, dass sie sich gegenseitig drannehmen sollen. So richten sich nicht alle Blicke auf mich, wenn jemand etwas sagt und die Schüler nehmen direkter Bezug auf das, was ihre Vorredner gesagt haben. Und so kommt es mit etwas Gewöhnung tatsächlich dazu, dass Schüler sich gegenseitig kommentieren, bewerten, ergänzen – ja, man könnte fast sagen: diskutieren, ohne dass ich als Tischtenniswand dazwischenstehen muss.

In meinen Augen ist diese Form des Austauschs allerdings nur fast Diskutieren, denn zu einer Diskussion gehört für mich ein freies, ungezwungenes, aber respektvolles Sprechen. Heute hätten meine Sechser beinahe richtig diskutiert. Da scherten zwei aus der Meldekette aus und stritten freiheraus über die Frage, ob in der altägyptischen Gesellschaft nun der Pharao wichtiger gewesen sei oder die Sklaven und Arbeiter.

Stille Freude meinerseits ob des Regelbruchs. Dann die erwartungsvollen Blicke der drei Mädels hinten links, die schweigend ihre Finger brav in die Luft reckten. Innerlich seufzend habe ich den Disput dann doch mit lobenden Worten unterbunden, um die Mädels zu ihrem Recht kommen zu lassen. Ist nicht immer einfach, der Hüter der Regeln zu sein. Und wo ich das gerade tippe, fällt mir ein, dass ich vielleicht auf ein stummes Schreibgespräch hätte umschwenken können… aber ob das das Gleiche ist? Und das Bedürfnis zur Diskussion wäre nicht mehr das gleiche gewesen.

Beleidigte Eltern

Ja. Stimmt. Ich geb’s ja zu. Es war keine gute Idee, das Schwoiser-Bild „Heinrich vor Canossa“ in meiner Ausbildungs-Sieben (bei der ich eine grauenhafte Kurzreihe zum Thema Herrschaft im Mittelalter gemacht habe…) nur schwarz-weiß auf Folie zu ziehen, da mir der gestrige Trick noch nicht in den Sinn gekommen war. Ich hab’s aber trotzdem eingesetzt.

Tags drauf liegt eine perfekte Farbfolie nebst zweier dicker Canossa-Schinken von der letztjährigen Ausstellung auf dem Lehrerpult. Dahinter J., dessen Eltern offensichtlich historisch interessiert sind. Also flugs einen OHP organisiert, die diesmal farbige Folie aufgelegt und das Bild unter Berücksichtigung der Farbgebung analysiert. Am Ende der Stunde ein Dankeschön an J., der die Folie auf keinen Fall wiederhaben möchte. Dafür bekommt er fünfzig Cent – so eine Folie kostet, das weiß der Referendar, der schon einschlägige Erfahrungen im lokalen Einzelhandel gemacht hat.

Eine Woche später, der Ausbildungsunterricht in der Sieben ist vorbei. Die Ausbildungslehrerin drückt mir in der großen Pause fünfzig Cent in die Hand. J.s Mutter sei, laut J., zutiefst empört gewesen und würde auf keinen Fall die fünfzig Cent zurückhaben wollen! Gut, denke ich mir, immer noch besser, als der Ausbeuterei bezichtigt zu werden.

Man merkt: J. ist sehr gut erzogen. Meinereins hätte die fünfzig Cent im gleichen Alter womöglich am Büdchen vor der Schule verjubelt… (für Lakritzbrezel… mhmm…)

Das Recht auf freie Meinungsäußerung

Ich habe meinen Elfern heute gesagt, dass man bei einer Lyrikanalyse nicht spekulieren soll. Daraufhin: Erstaunen, fast schon Empörung! Das sei ja jedermanns eigene Meinung! Jeder sehe das anders! Subjektivität! Komplott!

Dazu passt eine letzte Woche geäußerte Befürchtung, Gedichte seien ein unangenehmes Thema – da müsse man immer versuchen, die Meinung des Deutschlehrers herauszufiltern. Nun… ich kenne die Sorge noch aus meiner eigenen Schulzeit, aber mittlerweile habe ich die Fronten gewechselt und kann auch die andere Seite verstehen. Und sie hat die Argumente auf ihrer Seite.

Und das muss ich meinen Elfern jetzt vermitteln. In der S-Bahn kam mir vorgestern die Idee, vielleicht einmal ganz unlyrisch die in „Sakrileg“ befindliche Interpretation von „Das Abendmahl“ zu besprechen. Da hat Brown ja auch so seine Meinung mal ganz frei geäußert, ob sie haltbar ist und warum unter Umständen nicht, werden wir dann sehen…

…denn vielleicht ist das Bild zunächst plastischer als Barocklyrik.

Em = En

Ist das eigentlich eine gezielte Schülerstrategie, in Klausuren ein „m“ aussehen zu lassen wie ein „n“? Bei einigen Klausuren kann ich beide Buchstaben nicht unterscheiden und damit auch nicht, ob an einschlägigen Stellen nun ein Fehler vorliegt oder nicht. Hm…

Schule

Heute meinen Geschichts-GK an Ciceros „De re publica“ knabbern lassen. Undankbare Sache, in der letzten Geschichtsstunde vor den Ferien. Und dann von 14:30 bis 16:00 Uhr… aber das lag nicht in meiner Gewalt.

Vom Kürzen

Dafür habe ich dann gemerkt, dass man alleine mit Cicero lockerst neunzig Minuten rumbekommen hätte, zwanzig waren geplant. Der Text war viel zu schwer, um ihn mit einer lockig-flockigen „Sucht mal Kernthesen“-Aufgabe zu versehen, wie ich feststellen musste. Wenn selbst die Wasserträger nur Bahnhof verstehen, dann läuft irgendwas falsch.

Problematisch ist gerade in Geschichte, dass viele Texte nur gekürzt behandelt werden können, ich als Lehrer aber meist die Langversion kenne. Denn in vielen Fällen habe ich die Texte gekürzt. Es könnte also durchaus sein, dass mir mein gekürzter Text hochplausibel vorkommt, eben weil ich ja auch die ausgelassenen Teile gelesen habe, die Schüler aber nur Bahnhof verstehen, weil da vielleicht der ein oder andere erhellende Zusammenhang fehlt. Kritik in der Richtung kam vom Fachlehrer zwar nicht, aber das muss man trotzdem beachten.

Gehakt hat es zuletzt daran, dass die Schüler an einer Stelle ein Personalpronomen falsch zugeordnet hatten, welches sich wie ein Folgefehler durch den Rest des Textes zog. Um die Missverständnisse zu klären, mussten wir Satz für Satz aufdröseln… mein Gott, war das eine langweilige letzte Stunde für die Schüler… 🙁

Abi-Zeitungen

Allgemeines Lehrergeschmunzel im Lehrerzimmer. Die mit Spannung erwarteten Abi-Zeitungen sind erschienen. Drei Euro das Stück und ich beneide heutige Abiturienten um die technischen Möglichkeiten.

Doch Abi-Zeitungen sind, bei aller Reife, nicht der Rechtschreibung letzter Schluss… auch nicht bei Artikeln von Lehrern, wie ich feststellen durfte. 😉 Obwohl ich mich ehrlich gesagt über die Ferien auch selbst noch einmal detailliert in die Tücken der neuen deutschen Rechtschreibung hineinfuchsen muss, denn diese ganze Getrennt- und Zusammenschreibungsgeschichte verwirrt mich ebenso wie die „möglicherweise ein Komma, aber eventuell auch nicht“-Regelungen.

Desweiteren arbeite ich gerade an einer Theorie, warum Probanden von Mathe-Kursen besseres Deutsch schreiben als Deutsch-LKler…

Ende im Gelände

Die Luft am Ende des Halbjahres ist raus, was man deutlich spürt. Und auch ich bin ganz froh, in die Sommerferien gehen zu dürfen. Montag werde ich erfahren, welche Kurse und Klassen ich nach den Ferien übernehmen muss. Dann geht es ans Materialsammeln und Reihenplanungen und … ans Entspannen! 🙂

Geschichte, Abi, Distanz und weiß der Himmel was noch…

Geschichte ist ein schwieriges Thema. Für die Kleinen ist es unendlich fern – und für die Großen ebenso, wie ich im Hauptseminar feststellen durfte. Für Nichtlehrer: Im Hauptseminar sitzen Referendare unterschiedlicher Fächerkombinationen und setzen sich dort mit eher allgemeinen Themen auseinander, wogegen Fachseminare nur von Referendaren des jeweiligen Fachs besucht werden.

Allgemeine Fachsprache
Im Hauptseminar ging es dann zuletzt um einen Stundenentwurf zum Thema „Moderner Antisemitismus“, der die Crux gleich schon im Titel trägt: das Wörtchen „modern“. Es dauerte seine Zeit, bis mir klar wurde, dass einige fachfremde Mitreferendare mit „modern“ ganz andere Dinge verbinden als gelernte Historiker und Literaturwissenschaftler.

Die Fachsprache der Geschichtswissenschaft ist leider nicht so scharf von der Alltagssprache getrennt wie bspw. die der Medizin, und das kann zu Missverständnissen führen. Vielen fällt es schwer, sich vorzustellen, dass man irgendetwas um 1870 als „modern“ bezeichnen kann. Eine weitere Herausforderung für den künftigen Geschichtslehrer. 😉

Abi
Des Weiteren war heute „Abi-Sturm“ oder „Abi-Gag“, wie auch immer man das hier nennt. Bis auf die laute Musik ist der aber vollkommen an mir vorbeigegangen, weil ich erst zur dritten Stunde kommen musste und das Meiste schon erledigt war. Laut war es aber. 😉 Einige Lehrer echauffierten sich über den Alkoholkonsum der Abiturienten. Nun ja, für einige geht es auch schon am nächsten Montag los mit den Klausuren – Zentralabi sei dank. Wer sich da im Abi-Shirt ’ne Erkältung holt oder den Samstag mit Kopfschmerzen verplempert, mag da im Nachteil sein. Andererseits: Wer bis jetzt nix gelernt hat…

Distanz
Einige Schüler versuchen, mich gegen ihre Lehrperson „auszuspielen“, bspw. in unverhohlener Abneigung gegen Lehrpersonen oder implizit in vorwurfsvollen Bemerkungen am Rande des Unterrichts, nach dem Motto „Das macht [Lehrperson] immer so“. Das führt zu total bekloppten Situationen, teilweise in der Schulöffentlichkeit, in denen ich tunlichst bemüht bin, die Distanz zu wahren und besagte Lehrperson (zu Recht!) zu verteidigen.

Da gibt es zweierlei Arten von Distanz: die, die ich in solchen Situationen dringend aufrecht erhalten muss, aber auch die, welche die Schüler zu ihren Lehrern aufgebaut haben, sodass sie oft glauben, einen sonderbaren Unterricht genießen zu müssen, von dem sie glauben, dass er ihnen nichts nützt.

Als Außenstehender kann ich nur sagen, dass der Unterricht fachlich hundertprozentig  war (je nach Thema weitaus fundierter als ich es hätte leisten könnten) und die Schüler, wenn sie sich nicht von Kleinigkeiten ablenken ließen, eine Menge mitnehmen könnten. Und vermutlich tun sie das auch und merken gar nicht, welch guten Unterricht sie da erleben dürfen, auch wenn unter Umständen wenig mediale oder sozialformbezogene Abwechslung vorhanden ist.

Aufnahme
Bisher bin ich von allen Lehrern sehr freundlich aufgenommen worden und es gibt keinen Grund zur Klage; doch nicht alle Referendare werden so freundlich empfangen wie wir. Einige berichten von Zettelchen in ihren Fächern, auf denen ihnen nahegelegt wird, sich doch andere Kollegen zur Hospitation zu suchen. Eine Referendarin wurde mit dem Hinweis, dass sie die Klasse unruhig mache, abgewiesen.

Das sorgt natürlich für Unmut, obwohl ich es ein Stück weit nachvollziehen kann, wenn die Kollegen an den entsprechenden Schulen sich nicht vor Fremdpublikum entblößen wollen. Ich kann mir schon vorstellen, dass es da an einigen Schulen handfester zugeht, immerhin durfte ich im Praktikum schon mal einen ersten Eindruck an einer Hauptschule gewinnen. Da muss man dann ganz schnell auch mit seiner eigenen Aggression kämpfen. (Und um mich aggressiv zu machen, braucht es schon etwas… ehrlich!)

Auch erste schockierte Desillusionierungen machen die Runde. Ich für meinen Teil aber warte ab und trinke Tee.