Aus der Praxis

Was ist mit dem Spiegel geschehen? Ist Aust in Urlaub? Krank? Auf Dienstreise? Schon der zweite höchst empfehlenswerte Artikel in nur zwei Tagen: Zwischenruf einer Direktorin. Diese beschreibt deutlich das Kreuz der dreiklassigen Schulsystems, zeigt, dass Gewalt nicht Resultat bestimmter kultureller oder angeborener Verhaltensweisen ist und dass Lehrer keine Hexenkunst beherrschen.

Danke an Tanja, die mich erst mit der Nase drauf gestoßen hat. 

Lehrerhasser

Ich lese gerade die aktuelle Kolumne von Gerlinde Unverzagt, der umstrittenen Lehrerhasserin. Schon bei Lektüre ihres… ähm… "Blogs" ist mir aufgefallen, dass ihre Positionen sich gar nicht groß von den meinen unterscheiden. Problematisch ist, dass Frau Unverzagt sich durch unzulässige Verallgemeinerung und billige Polemik selbst den Wind aus den Segeln nimmt. Die Bildzeitungsfraktion beim Spon wird ihr zujubeln, diejenigen, die sich wirklich über ihre pädagogischen Konzpete Gedanken machen sollten, werden sich nicht angesprochen fühlen. Verschenkte Chance.

Heutiges Thema der Kolumne sind die täglichen Demütigungen von Schülern. Auch wenn ich darunter nie zu leiden hatte, so habe ich doch vor kurzem einen ähnlichen Fall an dieser Stelle geschildert. Anders als sonst, scheint mir die Kolumne ein wenig entschärft. Weniger Polemik, etwas mehr Sachlichkeit. Ganz unbeschlagen kann die Dame auch nicht sein, immerhin hat sie einige Werke in Zusammenarbeit mit Klaus Hurrelmann erstellt.

Und Recht hat sie. Ein wie in der Kolumne geschildertes Verhalten darf man von einem Menschen, der Kinder intellektuell und sozial fördern soll, nicht erwarten. Aus der Luft gegriffen scheinen mir ihre Beispiele nicht, zu viele Beispiele kenne ich aus eigener Erfahrung. Und das ist der Punkt, der die Lehrerhasserkolumne so interessant macht: Selbst wenn die Beispiele erfunden wären, so sind sie doch für jeden, der in dieser Republik eine Schule besucht hat, prinzipiell vorstellbar. Niemand kann sagen, dass Frau Unverzagt nur Einzelfälle darstellen würde oder dass das alles an den Haaren herbeigezogen sei. Im Prinzip holt sie nur die täglichen Gespräche beim Mittagstisch an die Oberfläche.

Solange ein solches Verhalten an Schulen herrschen kann, brauchen sich Lehrer nicht wundern, wenn gegen sie gerichtete Polemiken große Erfolge feiern und auf gesellschaftliche Resonanz stoßen. Ich erinnere mich selbst noch lebhaft an unsere Schlüsselbund- und Kreidestückchenwerfer, an cholerische Brüllaffen, gehässige Notenvergaben – "Autorität" durch Gewalt und Spott. Dass solche Typen im Lehrerkollegium unbekannt sind, kann ich mir beileibe nicht vorstellen. Ein derartiges Verhalten darf auch dort nicht toleriert werden. Man kann nicht jeden Tag sehenden Auges dabeistehen, wenn Schüler auf miese Art und Weise von Vollcholerikern niedergemacht werden. Wir dürfen nie vergessen: Es geht hier nicht um einen falsch gezimmerten Tisch, nicht um einen verschossenen Elfmeter oder um einen vertippten Text. Es geht hier um die (Lern-)Biographie uns anvertrauter Kinder und verdammich, ich habe die Studie, in der der höchst negative Effekt von Angst auf Lernen dargelegt wurde, verlegt…

Mit Kopfnoten ins Pädalithikum

Da sind sie endlich: meine heißgeliebten Kopfnoten, wie man auf einem "Sprechzettel der Ministerin" zum neuen NRW-Schulgesetz nachlesen kann. Dort verkündet unsere Bildungsministerin Barbara Sommer:

Auch die so genannten Kopfnoten – Aussagen zum Arbeits- und Sozialverhalten sowie zum außerschulischen Engagement also, die künftig auf den Zeugnissen in allen Jahrgangsstufen zu finden sein werden, vergrößern die pädagogischen Gestaltungsräume der Lehrer. Das neue Schulgesetz öffnet den Weg dahin.

Fein! Weg frei für das Zeitalter des Pädalithikums! Auf, liebes NRW, zurück in die pädagogische Steinzeit! Zurück zu Kaisers Zeiten, in denen Zucht und Ordnung noch mit dem Rohrstock durchgesetzt werden durften. Nachdem unser drittklassiges dreiklassiges Schulsystem immer noch das Drei-Klassen-Prinzip der Kaiserzeit wiederspiegelt, wird nun die gute alte Kopfnote dem Lehrer als Instrument zur Züchtigung der Schüler an die Hand gegeben. Aber die Reformen müssen weiter geführt werden:

Warum führen wir nicht gleich das Dreiklassenwahlrecht wieder ein oder hängen für das dreckige Pack der ALG-II-Empfänger wieder einen schäbbigen Waggon für die dritte Klasse an die Züge der Deutschen Bahn? Warum wählen wir nicht gleich einen neuen Kaiser? NRW auf dem Weg in die pädagogische Drittklassigkeit…

Hexenkunst Pädagogik

Manchmal frage ich mich, welches Bild die Menschen von „Pädagogen“ haben. Aktuell läuft eine ziemlich hitzige Diskussion im Lawblog zum Thema „Haben die Pädagogen mal wieder versagt oder nicht“ unter Bezug auf einen Artikel im Focus-Online und einen Beitrag auf schreibmaschine, die zum Glück recht differenziert abläuft und nicht alleine die Lehrer zu Prügelknaben macht.

Ich möchte die Diskussion, ob der Einsatz der Polizei auf dem Schulhof richtig oder falsch gewesen ist, nicht hier fortführen. Mich interessiert lediglich, was diejenigen sich unter „Pädagogik“ vorstellen, die jetzt davon sprechen, die Pädagogen hätten versagt.

Ich bin durchaus überzeugt, dass man mit Pädagogik im Sinne von Erziehung viele Probleme lösen kann. Allerdings immer nur auf lange Sicht und im besten Fall immer präventiv, also bevor das Kind sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist. Dann ist Pädagogik meiner Meinung nach die beste Waffe gegen (man nenne mich naiv) viele Probleme dieser Welt.

Der im Focus geschilderte Fall liegt aber anders. Hier lag das Kind tief im Brunnen. Es bestand akuter Handlungsbedarf. Kein Pädagoge kann es verantworten, wenn 14-jährige Schüler Videos auf ihren Handys verbreiten, auf denen einem Menschen mit mehreren Stichen der Kopf abschnitten wird. Natürlich könnte man jetzt erst die Elternschaft informieren, Konferenzen einberufen, Diskussionsrunden in den Klassen halten, Projektwochen zum Thema „Gewalt auf Handys“ anberaumen, die Schüler einzeln ansprechen etc. Das Ergebnis wären letzlich aber nicht 16 Handys mit diesem abartigen Material, sondern höchstwahrscheinlich eine ganze Menge mehr. Gar nicht zu sprechen von der Dunkelziffer derer, die das Video „nur“ gesehen und nicht selbst auf dem Handy haben. Bei allem persönlichen Widerstreben gegen überzogenen Einsatz der Staatsgewalt, wer mein Blog kennt, der weiß das,  befürworte ich hier das Vorgehen des Direktors.

Pädagogik ist keine Hexenkunst, bei der der „gelernte“ Pädagoge mal eben mit zwei Fingern alle individuellen Probleme seiner Schützlinge beiseite schnipst. Schon gar nicht entgegen der Erziehung der Eltern und der „peer-group“, die einen weitaus stärkeren erzieherischen Einfluss auf Schüler ausüben, als Lehrer sich nur erträumen können. Da kann man tausend Seminare zur Pädagogik besucht haben und noch so viel über die Erziehung von Jugendlichen wissen, man ist als Lehrer nur mit beschränkten pädagogischen Mitteln ausgestattet. Und das ist auch gut so, denn wenn Lehrer in dem Maße die Erziehung unserer Kinder in der Hand hätten, wie es die Kritiker implizit fordern, dann wären wir in der Tat ein armes Land mit machtlosen Eltern.

In der Pädagogik gibt es aber auch kein „richtig“ oder „falsch“. Das mag sich bei Juristen in Form von Gesetzen erledigt haben, in der Pädagogik ist aber immer und jederzeit alles umstritten. Ist in einem solchen Fall ein autoritäres Vorgehen angesagt oder sollte man solange auf den Schüler überzeugend einwirken, bis er sein Video freiwillig löscht? Oder sollte man das Video sogar belassen, in der Hoffnung, es ergibt sich schon alles richtig, wenn nur die Erziehung drumherum stimmt?

Erziehung ist nicht allein Sache eines Lehrers, den der Schüler womöglich gerade mal 90 Minuten pro Woche sieht (und vice versa) und schon gar nicht in Notfällen schnell übers Knie zu brechen. Bei Bekanntwerden unbotmäßiger Videos, Drogen, Waffen, etc. an einer Schule kann man nicht schnell mal im pädagogischen Handbuch blättern, um die richtige Erziehungsmethode für solche Fälle aufzuspüren. Juristen haben ihre Gesetzbücher, Pädagogen haben bestenfalls Empathie und Feingefühl.

Ein guter Pädagoge stellt sich schützend vor seine Schützlinge, und das hat man in Immenstadt gemacht. Für Juristen mag die Aktion fragwürdig und möglicherweise unrechtmäßig gewesen sein, für mich als angehendem „Pädagogen“ und Vater steht bei der Abwägung zwischen „Kopf-ab“-Video und Polizeieinsatz deutlich das Wohl der Schüler im Vordergrund. Und da ist meines Erachtens der Polizeieinsatz auf lange Sicht das kleinere Übel.

Andere Perspektive

Mal eine erfrischend andere Perspektive (Pdf, 239kb) auf Pisa, Schule, Unterricht und dessen Schwerpunkte. Trifft in vielerlei Hinsicht nicht das, was ich hier bisweilen kolportiere, aber es ist gut, auch mal die andere Sicht dezidiert kennenzulernen. Schließlich muß man die Augen immer offen halten und sich selbst hinterfragen. Darüber hinaus ist es nie verkehrt, die Literatur seiner Examensprüfer zu kennen.

Bielefeld Verschwörung?

Ich sitze kaffeetrinkend am Küchentisch, das Radioprogramm kündigt mit einem Jingle die Nachrichten an. Bush tapert durch Pakistan, Bomben explodieren, Vogelgrippe, Fußballversager – und dann eine Meldung die mich aufhorchen lässt. Die vermutlich dunkelhaarige Nachrichtensprecherin mit der erotisch tiefen Stimme verkündet, dass eine Kommission morgen neue bahnbrechende Ergebnisse in der Schulforschung verkünden wolle: Englischlehrer redeten zu viel im Unterricht, wodurch sie den Schülern die Chance nähmen, selber Beiträge zu liefern. Überhaupt ließen sie den Schülern nicht genügend Zeit, um eine Antwort zu formulieren. Das saß.

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Lachende Lehrer

Lachen ist gesund, sagt der Volksmund, und die Wissenschaft gibt ihm Recht. Lachen fördert die Durchblutung und sorgt dafür, dass wir uns aufgrund der Ausschüttung von Endorphinen und der Unterdrückung des Stresshormons Adrenalin wohlfühlen. So weit die medizinische Sicht. Ganz anders kann es ausgehen, wenn wir zu Objekten des Gelächters werden, ausgelacht werden. Dann geht der Schuss nach hinten los, dann wird Lachen ungesund, und statt offenem Gegenüberstehen bereitet sich Hass seine Bahn durch die gebleckten Zähne.

Wenn Lehrer lachen, kann das sehr befreiend wirken und die durch diametral gegenüberliegende Machtverhältnisse versauerte Atmosphäre bereinigen. Das habe ich erst vorgestern in einer Sprechstunde beim Prof wieder festgestellt. Die Situation in diesen Sprechstunden ist immer ein bißchen komisch. Obwohl man diesen Menschen aus Vorlesungen oder Seminaren kennt, weiß man nie wie er auf Anfragen reagiert, welche Maßstäbe er für Arbeiten einfordert; im Prinzip trifft man auf einen fremden Menschen, über den man sich bis dahin nur ein vages Urteil aufgrund von Äußerlichkeiten, Gerüchten und seinen Veranstaltungen bilden konnte. Mit Betreten des Büros eines unbekannten Dozenten betritt man gleichzeitig eine Blackbox.

Ich hatte mir im Vorfeld ein eher ins negative tendierendes Urteil gebildet und nun saß ich da an diesem runden Tisch, der Prof mir gegenüber, und ich musste mein Anliegen vorbringen. Es ging um Lyrikanalyse, Klopstock, und ich weiß gar nicht mehr wieso, aber irgendwann mussten wir beide über irgendetwas lachen – ich weiß nicht mehr worüber. Aber danach lief alles viel ungezwungener, losgelöst von der rein analytischen, fachwissenschaftlichen Ebene. "Klopstock ist keinesfalls schlechter als Goethe… sind sie nicht auch in meiner Vorlesung? Habe ich da gestern zu dick aufgetragen bei der Frühlingsfeier?"  Dann noch eine augenzwinkernde Erläuterung, dass auch die Kollegen die antiken Odenmaße nachschlagen müssten: "Und in der Vorlesung heißt es dann gegenüber den Studenten immer: Wie, das wissen sie nicht…hihihi" Die starren institutionalisierten Machtverhältnisse bröckeln durch das Lachen. Plötzlich fragt der Prof nach einer bestimmten Sorte von Klopstock-Gedichten. Ob ich wüsste, ob es da noch mehr gäbe? Da kommt man dann entspannt aus der Sprechstunde und fühlt sich auch ernstgenommen. Trotz des Lachens.

Wenn Lehrer lachen, kann das beängstigend, einschüchternd und frustrierend wirken. Das Machtverhältnis zwischen Schüler und Lehrer wird noch eine Stufe überdreht, der Lehrer wird zum Spötter. Wie im Erdkundeunterricht meiner Schwester. Der Lehrer fragt zu Beginn jeder Stunde zehn Minuten lang einen Fragenkatalog ab. Nenne mir von West nach Ost alle Nordseeinseln! Wo liegt Stuttgart? Wieviele Bundesländer hat Deutschland? Wo liegt der Watzmann? Wie lang ist der Rhein? Welche Länder durchquert die Donau? Wo liegt das Weisse Meer?

Wer die Fragen nicht richtig beantwortet, wird ausgelacht. Vom Lehrer. Die Resultate dieses Gelächters sind Angst vor der Erdkundestunde, Wut auf den Spötter, Furcht vor Demütigung. Aber auch im Klassenverband ändert sich das Sozialverhalten. Wenn der Lehrer lacht, lachen die anderen mit. Ich vermute, dass sie nicht wegen der falschen Antwort lachen, sonst gäbe es in Schulen viel zu lachen – nicht nur im Erdkundeunterricht. Vielmehr scheint dieses gemeinsame Lachen ebenfalls ein Resultat der Angst zu sein. Angst davor, auch als unwissend entlarvt zu werden, Angst, der Nächste zu sein, Angst davor, auf der falschen Seite zu stehen, dem Lehrer durch Nichtlachen Mißgunst zu zeigen. Ich glaube, ich brauche nicht erläutern, was ich von dieser Art des Lachens halte, wieviel pädagogischen Wert ich dieser Pädagogik des Spotts beimesse.

Als meine Schwester anrief, wusste ich auch nicht, wo das Weisse Meer liegt. Lach doch. Und dann diskutieren wir mal über antike Odenmaße…

Demokratie und Erziehung

Ich wollte schon länger etwas zu diesem Thema schreiben. Schon lange darauf hingewiesen haben, dass sich die Impulse aus den USA in punkto Bildung nicht auf Verwirtschaftlichung, Rankings oder Elite reduzieren, sondern dass es schon seit knapp 100 Jahren eine Tradition gibt, Schule als Bildungsstätte der Demokratie zu sehen. Und zwar nicht nur beschränkt auf ab und an mal Schülervertretung wählen und beizeiten mal ein Zettelchen in die Urne schubsen, sondern bezogen auf das ganze Schul- bzw. Bildungsumfeld der Auszubildenden. Ich brauche mich nicht mehr daranzusetzen, denn heute hat es jemand (viel besser als ich es aktuell gekonnt hätte) schon gemacht:

Gero Lenhardt räumt in seinem Artikel in der Süddeutschen mit Vorurteilen gegenüber dem amerikanischen Bildungssystem auf, und deckt im Gegenzug die blinden Flecke der hierzulande starken Selektions- und Leistungsapologeten auf. Während die Idee, die John Dewey in "Demokratie und Erziehung" schon vor knapp 100 Jahren propagiert hat, anderswo umgesetzt wird, diktiert hierzulande immer noch ein Schulsystem, das aus preußischen Zeiten die Teilung der Gesellschaft in drei Klassen widerspiegelt. Es ist also im Prinzip kein Wunder, wenn UNO-Menschenrechtsbeauftragte unser Schulsystem inspizieren und die Glocken des schiefen Turms von PISA in deutschen Ohren dröhnen.

Und es ist fraglich, ob Pseudoverwirtschaftlichung und Studiengebühren uns dabei hilfreich sind.