Nationalssozialismus in der Grundschule?

Isnichtwahroder? Hitler in der Grundschule? Die Begründung, laut Süddeutsche:

Die sozialdemokratischen Bildungsminister wollen, dass an deutschen Schulen künftig wesentlich früher als bisher die Grundprinzipien der Demokratie und die Gefahren von Diktaturen vermittelt werden. Damit soll auf die starken Wissensdefizite von Schülern über den Nationalsozialismus und die DDR reagiert und das Bewusstsein für den Wert der Demokratie gefördert werden. (Süddeutsche)

Soso. Die Wissensdefizite. Dann stopfen wir das tote Faktenwissen eben den Kleinsten in den Rachen. Damit sie bei der nächsten bekloppten Focus-Umfrage besser abschneiden. Dass die noch gar nicht in der Lage sind, überhaupt zu verstehen, was eine Demokratie und was eine Diktatur ist, dass die historischen Kategorien und Dimensionen von den Kleinen allein entwicklungspsychologisch überhaupt nicht nachvollzogen werden können, sodass ein „aufklärender“ Geschichtsunterricht in der Primarstufe letztlich aus dem Nationalsozialismus nur eine witzlose Karikatur seiner selbst machen kann, spielt bei unseren Bildungsministern offensichtlich keine beachtenswerte Rolle.

Zumal mir die Stoßrichtung dieses Konzepts zur „Stärkung der Demokratieerziehung“ überhaupt nicht schmecken mag:

„Kinder und Jugendliche sollen bereits in jungen Jahren erkennen können, dass demokratische Grundwerte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität niemals zur Disposition stehen dürfen.“ (Süddeutsche)

Das liest sich ja ganz nett, aber wirkliche Erziehung zur Demokratie ist die, die zum Selberdenken erzieht und nicht die, die vorgekaute „Grundwerte“ einzutrichtern versucht. Natürlich stehen diese Werte zur Disposition, nämlich andauernd und abhängig vom Standort des Betrachters in seiner Gesellschaft. Ansonsten  bräuchten wir nämlich keine Demokratie, sondern nur einen Verweser, der unsere festen „Grundwerte“ hübsch verwaltet.

Als Konzept zur „Stärkung der Demokratieerziehung“ will man das Unterfangen also verstehen. Ich behaupte, es erreicht das Gegenteil: Ein so verstandener Geschichtsunterricht verkommt zur sinnlosen Faktenhuberei und übergeht ganz nebenbei jede nötige Sachkompetenz, die für eine demokratische Urteilsbildung nötig wäre. Nicht das Wissen um etwas, sondern die Fähigkeit gesellschaftiche Phänomene zu deuten und abgewogen zu beurteilen – das muss im Geschichtsunterricht erlernt werden.

Vielleicht schieße ich hier vorschnell, immerhin habe ich das Konzept noch nicht gesehen, aber ich werde ein genaues Auge darauf haben.

Comics im Geschichtsunterricht?

Nun ja, ich gebe zu, ich war ein wenig skeptisch, als mir dieses Thema für ein Referat angeboten wurde. Und so richtig grün werde ich dem Thema auch nicht, aber meine Skepsis ist doch einiger Neugier gewichen. Können Comics als Medium einen Platz im quellenbetonten Geschichtsunterricht finden?

Klar, zum Aufpeppen von Arbeitsblättern, hätte ich vor ein paar Wochen noch gesagt. Als Stundeneinstieg natürlich. Aber als Medium zur primären Bearbeitung? Niemals! Bis ich mir das Comic „MausGeschichte eines Überlebenden“ bestellt habe.

„Maus“ stellt anhand der Thematik der Judenverfolgung im Dritten Reich eindrucksvoll dar, wie man Geschichte im Gewandt eines Comics präsentieren kann, ohne dabei zu verniedlichend oder das Niveau zu verfehlen. Puristisch und minimalistisch, in einfach gehaltener Schwarz-Weiss-Färbung erzählt der(! – muss ich mich noch dran gewöhnen) Comic die Geschichte des Comicautors Art Spiegelman, der seinen Vater nach dessen Erlebnissen während des Dritten Reiches befragt. Statt diesen Bericht wie üblich als Tondokument oder Monographie aufzuarbeiten, wählt Spiegelman dazu die Comicform.

Tatsächlich erweist sich diese als vielschichtiger als vermutet. Spiegelman wechselt mehrfach die Perspektive: Mal erzählt er aus der Sicht seines Vaters, was Einblicke in dessen Erinnerungen gibt, mal erzählt er aus seiner Sicht, in der er sein Verhältnis zum Vater reflektiert und auch dessen eigenen Rassismus und Fehler zur Sprache bringt. Manchmal wechselt er in eine Meta-Perspektive, aus welcher er sogar das Comiczeichnen über die Erlebnisse seines Vaters verarbeitet. So erreicht der Comic eine Vielschichtigkeit, die mit Augenzeugenbefragungen oder gar Autorentexten in Schulbüchern nur schwer und mühselig zu erreichen wäre. Im bildbasierten Comic dagegen bleibt der Zeitaufwand, um diese Vielschichtigkeit zu rezipieren, verhältnismäßig gering.

Zwar kann man „Maus“ nicht als Quelle im Geschichtsunterricht verwenden (höchstens als Quelle über den Diskurs über „Maus“, wie Christine Gundermann in „Jenseits von Asterix“ vorschlägt), aber als Alternative zu Autorentexten könnte „Maus“ durchaus Verwendung finden oder in Auszügen den Umgang der Nazis mit den Juden illustrieren.

Wie gesagt, ich bin neugierig geworden. Wie ist es mit Euch? Habt Ihr Erfahrungen mit Comics im Unterricht und speziell im Geschichtsunterricht gemacht?

"1871 war Reichsgründung"

Da war ich erst mal baff. Das saß wie eine Ohrfeige. In einem Aufwasch hatte der junge Mann mir meine Vorurteil vor Augen gehalten und von der Backe geputzt. „1871 war Reichsgründung“, hatte er gesagt, „Und 1914 war der Erste Weltkrieg, da haben die Franzosen Elsass-Lothringen zurückgewonnen.“

„Soso…“, hatte ich gestaunt. Verblüfft, war es doch der gleiche junge Mann, der mich vor wenigen Minuten im Bus noch dazu animieren wollte, ihm die Beat-Box zu machen, während er den „Senne-Rap“ zum Besten geben wollte, bevor ihn eine junge blonde Frau davon abbringen konnte.

„Das ist meine Lehrerin“, meinte er, als sie außer Hörweite war, „Ist ’ne hübsche Lehrerin. Von zehn Punkten gebe ich 8.5. Figur 8 Punkte, Brust 2 Punkte. Soll ich sie mit Ihnen…“ Er zwinkerte mir eindeutig zweideutig zu. Mein Ringfinger rettet mich. Wie sie denn im Unterricht so sei? „Och…“, klang es da, der Slang der dritten Generation unverhörbar, „… so ungefähr ’ne Drei. Ich hab‘ auch nur ’ne Drei minus, hätte sie mir eine Eins gegeben, hätte sie auch ’ne Eins… HEY!“

Ein „Grundschulkumpel“ hat den Bus betreten, die beiden unterhalten sich über irgendwen, der irgendwem mal „übelst“ eins auf die Mappe gegeben hat. Um mich herum sitzen im hintersten Teil des Busses lauter Hauptschüler, alle auf dem Weg nach Hause. Einige, darunter mein junger Beat-Box-Freund, sehen aus als kämen sie vom Sport, da sie Trainingskluft tragen, doch während ich ihre Outfits vergleiche, merke ich, dass das ihre Alltagskleidung ist.

Der Beat-Box-Junge trägt eine Jogginghose, darüber eine Trainingsjacke und ganz obenauf eine Schirmmütze, mit der er immer wieder aufs Neue seine kurzen schwarzen Haare verwuschelt. Die Jogginghose ist an einer Stelle genäht, unwillkürlich schießen mir die Nachkriegsgeschichten aus den Büchern meiner Großeltern durch den Kopf, in denen immer wieder die arme, aber gute, Mutter ihrem Jungen Flicken auf die Hose näht, für die er dann verspottet wird.

Mein Gegenüber wird nicht verspottet, er scheint eher der Anführer zu sein. Die beisitzenden Mädchen kichern, wenn es sein muss, sie staunen, wenn es sein muss, sie bewundern, wenn es sein muss. Die Jungs machen einen auf dicke Hose und der Grundschulkumpel präsentiert sein nacktes Handy-Hintergrundbild, bevor sie daran gehen, sich über die Fettleibigkeit und Oberweite gemeinsamer weiblicher Bekannter herzumachen.

„Sind Sie auch Lehrer?“, fragt er, nachdem der Kumpel ihn an einer Haltestelle verlassen hat. Meine Tasche entlarvt mich. Nach Nennung der Schule kurze Spekulationen, welche Grundschule das sein könnte, bis jemand ihn mit, wie ich finde, leicht gerümpfter Nase aufs Gymnasium bringt.

Sein Blick verschließt sich nicht. Dass ich jetzt rausmüsse, teile ich mit, was zu großen Augen um mich herum führt. „Sie wohnen hier?“ Ja, ich steige tatsächlich aus, nebst einiger der Schüler, die sich von ihrer Lehrerin verabschieden, und schwinge mir die Tasche um die Schulter. „Welche Fächer unterrichten Sie?“

„1871 war Reichsgründung“, erklärt mir der junge Türke, nachdem er herausgefunden hat, dass ich Geschichte und Deutsch unterrichte. Ein türkischer Hauptschüler, der das Datum der Gründung des deutschen Kaiserreiches kennt und mich in groben Zügen über den Werdegang Elsass-Lothringens aufklärt. Geschichte mache ihm Spaß, seine Lehrerin sei gut, weil sie streng aber fair sei – und sie könne gut erzählen. Seine Schulkollegin bestätigt das, Unterricht bei dieser Lehrerin mache viel Spaß, und sie brauche nie jemanden rausschicken oder ins Klassenbuch eintragen. Sie wolle, dass alle den 10B-Abschluss erreichen.

Unsere Wege trennen sich an meiner Wohnungstür. Wortfetzen aus kürzlich abgehaltenen Zeugniskonferenzen schwirren durch meinen Kopf, und ich frage mich, warum wir ohne Not Potential einfach verschenken.

Von der Welle hinweggespült

Da strampelt man sich als Geschichtslehrer redlich ab, um multiperspektivisch bei den Schülern historisches Urteilsvermögen herauszubilden und rollt die Rezeption der NS-Zeit von hinten bis vorne auf: Von dem vom dämonischen Führer verführten unschuldigen Volk über die alleine böse SS bis hin zu den Verbrechen der einfachen Soldaten der Wehrmacht.

Und dann kommen die Deutschlehrer, lassen ihre Schüler „Die Welle“ lesen, die Politiklehrer rennen scharenweise in den Film mit diesem Vogel und hinterher ist allen klar: Die arme Masse ist – ach so leicht – verführbar. Natürlich wird dabei auch abseits vom Geschichtsunterricht der Nationalsozialismus fleißig „besprochen“, analysiert, analogisiert. Letztlich bleibt bei den Schülern und im öffentlichen Diskurs wieder nur eines hängen: Der Topos der Verführung.

(Aber ich bedanke mich dennoch recht herzlich für ein mögliches Unterrichtsbesuchsthema.)

Für Steinzeit-Fans

Steinzeitaxt_smallWer seinen Schülern sowohl Steinzeit als auch experimentelle Archäologie nahebringen möchte, dem lege ich intensives Stöbern auf der „Steinzeit – Das Experiment„-Homepage des SWR nahe. 13 Personen jeden Alters haben sich im Sommer 2006 für sechs Wochen in die Jungsteinzeit zurückgezogen und versuchen dort ein Leben nach dem Vorbild der Steinzeitmenschen zu führen.

Viele Informationen, Videos, Bilder und informative Texte zu diesem wissenschaftlich betreuten Experiment finden sich auf der schön gestalteten Homepage – ideal für eine räumlich begrenzte und zielgerichtete Internetrecherche. Man gewinnt interessante Eindrücke in den (anstrengenden) Alltag der modernen Steinzeitmenschen, und gerade für jüngere Schüler dürfte der Alltag der Steinzeitkinder besonders spannend sein. Zwei der wagemutigen Steinzeitler begeben sich sogar auf eine 30-tägige Tour durch die Alpen – auf den Spuren Ötzis.

Das Leben der experimentellen Steinzeitmenschen wurde auch schon in vier Folgen im Ersten übertragen. Wer diese verpasst hat, kann sich ab dem 13.9. im Bayerischen Fernsehen die Wiederholung anschauen. Wem das nicht genügt, der kann auf die käuflich erwerbbare DVD-Ausgabe zurückgreifen. Wie auch immer: Viel Stoff für schöne Steinzeit-Stunden!

Geschichte, Abi, Distanz und weiß der Himmel was noch…

Geschichte ist ein schwieriges Thema. Für die Kleinen ist es unendlich fern – und für die Großen ebenso, wie ich im Hauptseminar feststellen durfte. Für Nichtlehrer: Im Hauptseminar sitzen Referendare unterschiedlicher Fächerkombinationen und setzen sich dort mit eher allgemeinen Themen auseinander, wogegen Fachseminare nur von Referendaren des jeweiligen Fachs besucht werden.

Allgemeine Fachsprache
Im Hauptseminar ging es dann zuletzt um einen Stundenentwurf zum Thema „Moderner Antisemitismus“, der die Crux gleich schon im Titel trägt: das Wörtchen „modern“. Es dauerte seine Zeit, bis mir klar wurde, dass einige fachfremde Mitreferendare mit „modern“ ganz andere Dinge verbinden als gelernte Historiker und Literaturwissenschaftler.

Die Fachsprache der Geschichtswissenschaft ist leider nicht so scharf von der Alltagssprache getrennt wie bspw. die der Medizin, und das kann zu Missverständnissen führen. Vielen fällt es schwer, sich vorzustellen, dass man irgendetwas um 1870 als „modern“ bezeichnen kann. Eine weitere Herausforderung für den künftigen Geschichtslehrer. 😉

Abi
Des Weiteren war heute „Abi-Sturm“ oder „Abi-Gag“, wie auch immer man das hier nennt. Bis auf die laute Musik ist der aber vollkommen an mir vorbeigegangen, weil ich erst zur dritten Stunde kommen musste und das Meiste schon erledigt war. Laut war es aber. 😉 Einige Lehrer echauffierten sich über den Alkoholkonsum der Abiturienten. Nun ja, für einige geht es auch schon am nächsten Montag los mit den Klausuren – Zentralabi sei dank. Wer sich da im Abi-Shirt ’ne Erkältung holt oder den Samstag mit Kopfschmerzen verplempert, mag da im Nachteil sein. Andererseits: Wer bis jetzt nix gelernt hat…

Distanz
Einige Schüler versuchen, mich gegen ihre Lehrperson „auszuspielen“, bspw. in unverhohlener Abneigung gegen Lehrpersonen oder implizit in vorwurfsvollen Bemerkungen am Rande des Unterrichts, nach dem Motto „Das macht [Lehrperson] immer so“. Das führt zu total bekloppten Situationen, teilweise in der Schulöffentlichkeit, in denen ich tunlichst bemüht bin, die Distanz zu wahren und besagte Lehrperson (zu Recht!) zu verteidigen.

Da gibt es zweierlei Arten von Distanz: die, die ich in solchen Situationen dringend aufrecht erhalten muss, aber auch die, welche die Schüler zu ihren Lehrern aufgebaut haben, sodass sie oft glauben, einen sonderbaren Unterricht genießen zu müssen, von dem sie glauben, dass er ihnen nichts nützt.

Als Außenstehender kann ich nur sagen, dass der Unterricht fachlich hundertprozentig  war (je nach Thema weitaus fundierter als ich es hätte leisten könnten) und die Schüler, wenn sie sich nicht von Kleinigkeiten ablenken ließen, eine Menge mitnehmen könnten. Und vermutlich tun sie das auch und merken gar nicht, welch guten Unterricht sie da erleben dürfen, auch wenn unter Umständen wenig mediale oder sozialformbezogene Abwechslung vorhanden ist.

Aufnahme
Bisher bin ich von allen Lehrern sehr freundlich aufgenommen worden und es gibt keinen Grund zur Klage; doch nicht alle Referendare werden so freundlich empfangen wie wir. Einige berichten von Zettelchen in ihren Fächern, auf denen ihnen nahegelegt wird, sich doch andere Kollegen zur Hospitation zu suchen. Eine Referendarin wurde mit dem Hinweis, dass sie die Klasse unruhig mache, abgewiesen.

Das sorgt natürlich für Unmut, obwohl ich es ein Stück weit nachvollziehen kann, wenn die Kollegen an den entsprechenden Schulen sich nicht vor Fremdpublikum entblößen wollen. Ich kann mir schon vorstellen, dass es da an einigen Schulen handfester zugeht, immerhin durfte ich im Praktikum schon mal einen ersten Eindruck an einer Hauptschule gewinnen. Da muss man dann ganz schnell auch mit seiner eigenen Aggression kämpfen. (Und um mich aggressiv zu machen, braucht es schon etwas… ehrlich!)

Auch erste schockierte Desillusionierungen machen die Runde. Ich für meinen Teil aber warte ab und trinke Tee.