Mama, ich bin im Computer!

Ach, das Leben mit einer neuen fünften Klasse ist schon hart. Während andere Lehrer-Blogger regelmäßig vom Fernsehen besucht werden, fristet meinereins ein Nischendasein als Computerspielfigur.

Mittagspause. Mensa. Ich habe mich gemeinsam mit der wuseligen Sextaner-Schlange an die Essensausgabe herangekämpft („Bitte nur ganz wenig Nudeln!“ – Hochgezogene Augenbraue der resoluten Dame an der Ausgabe. Ob’s ihm wohl nicht schmeckt? – Flehend: „Sonst liege ich gleich im Wachkoma!“) und nach dem ersten Drittel der Pause endlich meine Klasse erreicht. Wedelnde Finger und aufgerissene Münder zwingen mich zu meinem Sitzplatz. Durchatmen. Pause.

„Du, Herr Hokey… du hast gestern im Sandkasten gespielt!“ Bitte? Wie? Wer? Ich! „Ja, wir haben eine SIMS-Figur erstellt, die so aussieht wie du, und der haben wir ein Haus gekauft und wir wohnen da auch und du machst lauter Unsinn in unserem Haus, dass wir dich andauernd anklicken müssen.“ Ausgelassenes Kichern. Oho!

„Erst gestern hast du vor lauter Hunger alle vergammelten Muffins gegessen!“, strahlt es mir entgegen, „und dann hast du auch noch geko…“ Prusten. Danke, ich habe verstanden: Hilfloser Klassenlehrer wird bei Sims vernachlässigt.

Hilfe, Mama, ich bin im Computer!

Na klar, Web 2.0!

Die Antwort auf alle Fragen lautet nicht 42. Sie lautet schlicht: Web 2.0.

Ausgerechnet von der Uni kommt spätes Lob: Freundlich und pflegeleicht sei die Generation, „angenehm im Umgang“, ohne Bissigkeit gegenüber Autoritäten oder Institutionen, wie etwa die berüchtigten 68er. Die Castingmentalität offenbare auch gute Seiten: „It’s Showtime“, sagt ein Mainzer Hochschuldozent und meint anerkennend, dass die Studenten einen „Hang zur Bühne“ mitbrächten; sie könnten präsentieren und sich verkaufen. Duckten sich frühere Generationen bei Referaten weg, so sei der perfekte Auftritt heute selbstverständlich.

Das hat auch mit dem Web 2.0 und seinem Daten-Exhibitionismus zu tun. Studenten betreiben“Karrieresurfen“, das Aufrüsten der Kommilitonen animiert zu weiteren Anstrengungen. Manchmal wirkt es bei dieser merkwürdig vernünftigen Generation, als arbeiteten perfekte Wesen ohne Fleisch und Blut an einem fiktionalen Lebenslauf. (Spon)

Dass wir uns in der Schule redlich bemühen, unseren Schülern schon ab Klasse 5 die Angst vor dem freien Sprechen zu nehmen, mit ihnen Sachtexte bis ins Kleinste erarbeiten und Referate und Präsentationen durchgängig bis in die Oberstufe mit unseren Schülern üben, hat natürlich keinerlei Einfluss auf deren Präsentationskompetenz im nachschulischen Leben. Nein, das ist die „Castingmentaltität“, das „ist der Hang zu Bühne“, das „hat auch mit dem Web 2.0 und seinem Daten-Exhibitionismus zu tun“.

Da legs’t dir nieder!

(Und nebenbei: Gibt es eigentlich noch irgendein verrottetes Obst, das die Presse nicht missbilligend nach dem Bachelor geworfen hat? Jetzt sind sie auch noch zu fleißig und professionell…)

Schulleiter zu Handlangern

Es ist soweit, die Osterferien neigen sich dem Ende zu und ich melde mich nach dreiwöchiger Twitter-Abstinenz wieder zurück am Schreibtisch. Eigentlich müsste ich etwas zu einem wunderschönen Comenius-Austausch nach Barcelona schreiben, aber zunächst muss ich erst Gift und Galle spucken, denn was Jan-Martin Klinge da im Halbtagsblog schreibt, macht mich wirklich wütend:

Das Kultusministerium Thüringen ist nun mit einer Dienstanweisung (also ein verbindlicher Arbeitsauftrag) vorgeprescht, die mich ‘nachdenklich‘ macht. Dort heißt es:

„Die Schulleiterin/der Schulleiter überprüft in regelmäßigen Abständen die Einhaltung der Bestimmungen des Gesamtvertrages an der Schule. Dazu ist von jeder Lehrkraft eine Übersicht zu führen, in der fortlaufend eingetragen wird, was, wann, aus welcher Quelle in welcher Anzahl kopiert wurde. Diese Übersichten sind von der Schulleitung regelmäßig zu prüfen.“

So fällt nun also die Retourkutsche für den Protest gegen den Schultrojaner aus. Wenn die Schulen sich den nicht bieten lassen, dann gibt’s eben sinnlose Mehrarbeit für Lehrer und Schulleiter. Das zeigt einmal sehr deutlich, welchen Stellenwert man Schule einräumt: Der verantwortungsvolle Dienst des Schulleiters wird zum Teilzeit-Handlangerjob für Schulbuchverlage degradiert. (Was der ‚kleine‘ Lehrer dann an Schikane hat, lese man im Halbtagsblog.)

Jan-Martin beschreibt dann auch die Maßnahmen, die Lehrer wohl dagegen einleiten werden:

Zukünftige Lehrer haben also die Wahl: (…)keine Computer in der Schule mehr benutzen und nur noch heimlich (!) zu Hause vorbereiten.

So ist’s, obwohl ich schon meinen Rechner in der Schule habe. Mein Notebook liegt griffbereit in meinem Fach – nur zum Drucken muss ich noch an die Schulrechner.

Sollte man dieses System in NRW durchzusetzen versuchen, behalte ich mir vor, Unterricht rein nach Schulbuch zu machen und von Zeit zu Zeit „Fix und Foxi“-Episoden zu kopieren. Bin schon jetzt gespannt auf die Rückmeldung zu meiner Kopierübersicht…

Von der Vermessung der Lehrer und selbstbestimmten Klassenarbeitsterminen

Lisa zwitscherte gerade einen Link zum NYRBLOG mit dem Titel „No student left untested“, in dem die Bloggerin von einer Vereinbarung zwischen dem NY State Education Department und Lehrerverbänden berichtet, dass man in Zukunft die Testergebnisse der Schüler verwenden will, um die Lehrer zu bewerten und deren berufliches Schicksal direkt und auch zeitlich unmittelbar mit diesen Ergebnissen zu verknüpfen. Ich muss leider stark kürzen:

But one sentence in the agreement shows what matters most: “Teachers rated ineffective on student performance based on objective assessments must be rated ineffective overall.” What this means is that a teacher who does not raise test scores will be found ineffective overall, no matter how well he or she does with the remaining sixty percent. In other words, the 40 percent allocated to student performance actually counts for 100 percent. Two years of ineffective ratings and the teacher is fired. (Hervorhebung von mir)

Im Weiteren erläutert die Autorin, warum dieses Vorgehen aus ihrer Sicht zwangsläufig zu schlechtem Unterricht und schlechteren Lehrern führen wird, und sie schreibt dabei einen sehr lesenswerten Artikel, den sich mancher Bildungsvermesser ins Stammbuch schreiben sollte.

Ich bin ja nun noch nicht so lange dabei, dass ich Langzeitbeobachtungen aufstellen könnte, aber ich finde es durchaus frappierend, wie unterschiedlich Lerngruppen und ihre Ergebnisse sein können. Mit manchen kann man nahezu permanent „unter Volldampf“ arbeiten und die tollen Leistungen entstehen von selbst, mit anderen muss man fast ringen, damit Ähnliches dabei herauskommt. Habe da gerade eine Grammatik-Arbeit vor Augen, die im letzten Jahrgang desolat ausfiel, im aktuellen Jahrgang dagegen bestens. Dass mein Unterricht sich so drastisch verbessert haben soll, glaube ich kaum. Solche Schwankungen als Basis für die Entscheidung zu nehmen, ob jemand als Lehrer arbeiten darf oder nicht, ist nicht wissenschaftlich, sondern fahrlässig.

Am AEG: Zeitpunkt für Klassenarbeiten selbst bestimmen
Umso schöner, dass es tatsächlich Schulen gibt, die inmitten all dieser heillosen Vermesserei auch andere Wege zu gehen versuchen. Im Albrecht-Ernst-Gymnasium in Oettingen, das ich schon einmal besuchen durfte, verzichtet man mittlerweile auf herkömmliche Klassenarbeiten in Drucksituationen:

Auch die zahlreichen Studien, die belegen, dass Schüler unter Angst und Druck schlechter lernen als ohne diese Stressfaktoren, hat das Team in Oettingen ernst genommen. Das gefürchtete Abfragen zu Beginn jeder Stunde und die vielen unangekündigten Exen wurden kurzerhand abgeschafft. „Die Kinder kommen zum Lehrer, wenn sie sicher sind, ein Themengebiet zu beherrschen, und sagen, dass sie einen Test schreiben wollen“, sagt Schmalisch. Es sei wie bei der Führerscheinprüfung: Ob jemand sich nach zwölf oder nach 30 Fahrstunden anmeldet, ist unwichtig – Hauptsache, er kann fahren. (Süddeutsche)

Heute mal eine Prophezeiung

Et kütt, wie et kütt, sagt man im Rheinland. Heute habe ich es darauf ankommen lassen. Zur Zeit laufen Menschen durch unsere Schule (sie haben sogar Namen und manchmal ein Lächeln auf den Lippen) und begutachten unseren Unterricht. Sie haben die Macht, sich selbst einzuladen und wirken darum entsprechend respekteinflößend. Folglich bereiten alle Kollegen ihren Unterricht auf Deubel komm raus perfekt vor, niemals zuvor habe ich eine solches Gedränge zur frühen Zeit im Kopierraum erlebt, selten so tolle ausgeschnittene Zettel mit bunten Arbeitsaufträgen gesehen…

…und mir (in Worten: mir!) ist gestern nichts, aber auch  g a r  nichts Gescheites eingefallen. Puff, Peng, Flasche leer, was erlauben Strunz? Banane, Gaga, völliges Nichts zwischen den Gehörmuscheln. Anderthalb Stunden Nase gebohrt, Getwittert, Digistraction, aber keine gute Idee gehabt. Irgendwann drauf gepfiffen und frustriert ins Bett gegangen.

Heute morgen dann aufgestanden, mit dem ersten Schwung Wasser im Gesicht gleich die erste Idee aufgefangen, im Bus verfeinert, in der Freistunde auf Papier und Folie gebracht, im Unterricht umgesetzt, Siebtklässler zu Brecht diskutieren gehört mit allem Pipapo, streckenweise fast alle Finger gesehen und dann… dann kamen die gar nicht vorbei! Ich sehe es schon: Morgen in einer durchgestylten Stunde wird alles anders laufen als geplant und die Damen und Herren werden mit skeptischem Blick hintendrin sitzen, während zwei bis drei verschüchterte Schüler kaum ein Wort herausgepresst bekommen…

My teacher is an app

Matthias Heil verlinkte gestern einen Artikel eines amerikanischen Lehrers, der mich sehr nachdenklich gemacht hat. In kürzester Kürze zusammengefasst lautet die These des Artikels: Wenn wir in unseren Arsch nicht hochkriegen und langsam etwas Sinnvolles mit den neuen Medien anstellen, dann werden wir rechts und links von der Realität überholt und liegengelassen – aus Ignoranz und Geldmangel. „My teacher is an app“ lautet der Titel und Will Richardson beschreibt darin eine düstere Vision des Lernens mit neuen Medien, in der Lehrer mehr und mehr sowohl outgesourct als auch nahezu vollständig durch Computer ersetzt werden, und er beschreibt auch, wo das in den USA schon umgesetzt wird. Sein Fazit:

Look, not for nothing, but if we don’t start writing and advocating for a very different vision of learning in real classrooms, one that is focused not just on doing the things we’ve been doing better but in ways that are truly reinvented, one that prepares kids to be innovators and designers and entrepreneurs and, most importantly, learners, we will quickly find ourselves competing at scale with cheaper, easier alternatives that won’t serve our kids as well.

Bei allen Unterschieden, die das US-amerikanische und das deutsche Schulssystem haben mögen, sollten wir darüber ernsthaft nachdenken.

Monoedukation

Beim Lesen von Artikel wie diesem hier über das Thema Geschlechtertrennung im Unterricht wird mir ganz mulmig. Ich habe dann immer das Gefühl, dass unter der Oberfläche unserer sowieso schon deformiert-reformierten Bildungslandschaft ein kalter Kampf um die Koedukation brodelt, und mir böse Mächte bald entweder die Mädchen oder die Jungs aus meinen Klassen rauben möchten. Das fände ich mehr als fatal.

Rückwärts gewandt seien die Vertreter der Monoedukation, so behaupten gerne diejenigen, die den gemischten Unterricht befürworten, aber das trifft nicht den Punkt. Im Gegenteil: So sehen sich die Monoedukanten eher dem Fortschritt verschrieben und führen eben nicht die alten und prüden Begründungen für die Geschlechtertrennung an. Sie gehen utilitaristisch an die Bildung ihrer Kinder heran und wollen den vermeintlich bestmöglichen Nutzen aus diesen herausschlagen, denn die Forderung nach einer Trennung der Geschlechter in den Schulen wird mit einem angeblich größeren Lernerfolg begründet. Schule wird so zur reinen Optimierungsanstalt, zur einer Institution, die das Optimale aus den Kindern herauswirtschaften muss, damit sie in Zukunft bestmögliche Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Nicht fürs Leben, für den Arbeitgeber lernen sie. Immer das Maximum, immer am Limit. Als Preis dafür mit Tunnelblick, mit Scheuklappen für das andere Geschlecht.

Wie schlimm muss die Angst vorm sozialen Abstieg in dieser Gesellschaft sein, wenn sogar die eigenen Kinder dem Paradigma der absoluten Leistungsmaximalität unterworfen und den Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht beraubt werden sollen?

Geburtstagsüberraschung

Überraschungen dienen dazu, dem anderen zu zeigen, dass man ihn wertschätzt und auf seine Bedürfnisse achtet. Da komme ich heute in eine verdächtig nach Wunderkerzen müffelnde neunte Klasse und sehe eine Gruppe Schülerinnen um eine liebevoll gestaltete große Sahnetorte in Herzform geschart. Dahinter ein strahlendes Geburtstagskind. Zwei Tage zuvor Ähnliches in derselben Klasse: Ein Geburtstags-Schüler packt sein vermutlich nicht minder liebevoll in Alu-Folie eingepacktes Geschenk aus: Zwei schmackhafte Bratwürste, dahinter ein dickes Grinsen des Geburtstagskindes. Man achtet aufeinander und das wirkt sich auch auf das Unterrichtsklima (nicht unbedingt auf die Leistungen) aus.

Zu schade, hatte heute meine letzte Stunde in (m)einer Lieblingsklasse.

Dahinüberlegt: Ein schulinternes „Curriculum“ für Referendare?

Betreue aktuell mal wieder eine Referendarin im ersten Quartal und dabei fällt mir auf, dass es mir immer wieder schwerfällt, „richtig“ mit Referendaren umzugehen. Nicht im zwischenmenschlichen Sinne. Natürlich nehme ich gerne Referendare mit und zeige meinen Unterricht und bin auch immer ganz glücklich, wenn jemand sich entscheidet, eine meiner Lerngruppen übernehmen zu wollen, aber irgendwie…

Ich sitze dann oft hinten in der Klasse und notiere mir Beobachtungen zum Unterricht. Wir reflektieren den Unterricht dann hinterher und ich teile ich den Referendaren dann in einer kurzen Nachbesprechung meinen Eindruck mit. Damit ist das Reflektieren aber nicht vorbei, denn dann kommt es bei mir zur Reflexion der Reflexion: Habe ich überhaupt auf das Richtige geachtet oder mich an Nebensächlichkeiten festgehalten? Bin ich überhaupt kompetent, Rückmeldungen zu geben, die den Referendaren dann bei ihren Unterrichtsbesuchen weiterhelfen? Hätte ich mich an bestimmten Stellen einmischen sollen? Ist es wichtiger, dass der Referendar aus einem Fehler lernt oder geht das zu sehr zu Lasten der Schüler?

Und aktuell überlege ich: Bräuchte man nicht ein Curriculum für Referendare – auch an den Ausbildungsschulen selber? In dem man z.B.  grob festlegt, dass man zunächst die Stundenplanung mit den Referendaren übt und zunächst auf das Erstellen von Reihen verzichtet und auch noch kein Material didaktisieren lässt, weil das ohne Unterrichtserfahrung eben noch sehr schwer ist. Das übt man dann eben im zweiten Quartal, oder dann, wenn das andere sicher läuft… hmm… das sind jetzt nur hingetippte Überlegungen, aber ich habe aktuell das Gefühl, das würde sowohl den Referendaren als auch den Ausbildungslehrern entgegenkommen. Mir würde es aktuell entgegenkommen und ich glaube, ich sollte so etwas wenigstens für mich privat einmal aufstellen.

Comenius-Projekt

Hui! Heute zum ersten Mal einen kompletten Tag auf Englisch „unterrichtet“, was mir doch zunächst ein wenig Sorgen gemacht hat, da ich das letzte Mal so viel Englisch irgendwann anno 1998 in meinem Englisch-GK sprechen musste. Und dann auch noch vor 67 Schülern, deren Begleitlehrern und heimischen Kollegen, die zum großen Teil auch Englischlehrer waren, aber es hat alles gut geklappt und viel Spaß gemacht. Die Schüler haben tolle Ergebnisse zum Themenfeld „Migration“ erarbeitet und dank des guten Wetters wird das Projekt heute beim Grillen einen schönen Abschluss finden. Ich bereite jetzt allerdings meinen LK für morgen vor und falle dann lieber tot ins Bett…