Mappenfarben.

Zuletzt ereiferte sich jemand über unterschiedliche Mappenfarben auf Twitter. Große Empörung, und natürlich machen Lehrer das nur, um Kinder und Eltern zu triezen und ihnen unnötig Aufwand und Kosten zu bescheren. Farbgewordener Gleichmarsch! Obrigkeitsschule! Wo bleibt die individuelle Freiheit? 

Ich nutze in meinem Fach Deutsch unterschiedliche Mappenfarben, um die Heftstapel unterschiedlicher Klassen auseinanderhalten zu können, und den Kindern hilft es, schnell ihr Material zu finden. In meinem Nebenfach ist mir die Mappenfarbe völlig egal. Dass die Wahl einer bestimmten Mappenfarbe alles andere als trivial ist, finde man bei jawl. Ganz nebenbei arbeitet der auch noch Lineaturen, Taschenrechner und einiges anderes ab.

Klassenfahrt.

Kurzer ungerichteter Spontanrückblick auf die Klassenfahrt nach Norddeich: Das Wetter war perfekt, alle Außenaktionen konnten bei strahlendem Sonnenschein durchgeführt werden, der einzige Regentag war mit dem Besuch der überdachten Seehundstation verplant. 

Nie wieder Disco. Ich habe mich nach zehn Jahren dann doch dazu breitschlagen lassen, eine dieser ominösen Kinderdiscos mitzumachen. Wir waren mit zwei Klassen parallel auf Fahrt und die anderen wollten ja auch, da ist es blöd, wenn eine Klasse keine Disco macht. Zudem war es ein Angebot der Jugendherberge. Das Ende vom Lied war, dass elfjährige Jungs und Mädchen sehr unterschiedliche Vorstellungen von Disco haben und die Empfänglichen unter den Ersteren die Gelegenheit dafür nutzten, um mit der gleichfalls anwesenden Grundschulklasse Ärger anzufangen. Gewinnbringend für… niemanden.

In Phasen mit weniger Schülerbegleitung (nur die, die sich nicht an die Dreierregel halten oder die, die inklusiv betreut werden) war die Kombination aus tollem Sonnenschein und weißem Nordseesand zeitweise sehr entspannend. Auf Norderney am Strand zu liegen hat definitiv etwas. 

Gleich am ersten Tag fanden einige Schülerinnen ein iPhone, das einem jungen Mann aus Hessen gehörte. Ich habe es bei der Tourist Information abgegeben und hoffe nun, dass es seinen Besitzer wieder erreicht. 

Nun schon zum zweiten Mal bei einer Fahrt meine Haarbürste vergessen. Die Kombination aus Langhaarfrisur und deftigem Küstenwind waren bei dieser Malaise nicht hilfreich. Die nette Kollegin half aus und zerpflückte dabei ihrerseits ihre Bürste. Muss mich noch revanchieren.

Erkenntnis: Jugendherbergen sollten auf sich achten, auch wenn sie eine Top-Lage haben. War schon dreimal da und diesmal etwas enttäuscht. Es reicht nicht, direkt am Deich zu liegen.

Vorstellung.

Erste Schulstunde mit den neuen Fünftklässlern. Ein hochmotivierter Deutschlehrer: „Guten Morgen zusammen. Ich heiße Hokey und bin euer neuer Deutschlehrer. Seit 2009 unterrichte ich hier Deutsch und Geschichte…“

Ein erstauntes Raunen geht durch die Menge: „2009!? Da wurde ich geboren!“

Ich komme mir nun durchaus etwas alt vor…

(Später schätzte mich zum Ausgleich jemand auf 24. Hach, wenn doch alle Menschen durch die unverstellten Augen von Fünftklässlern sehen könnten.)

Ent-spannung

Die Anspannung steigt. Das neue Schuljahr läuft so langsam an. Der Unterricht kommt immer mehr in Gang, das Organisatorische drumherum läuft schon längst, schon weit vor den Ferien, auf Hochtouren. Die Fahrtenwoche steht bevor. Bislang läuft im Betrieb trotz eines überraschenden Schulleiterwechsels alles rund, vielleicht sogar ein bisschen runder. Zumindest läuft es anders und alleine das tut gut.

In diesem Jahr stehen einige entscheidende Weichenstellungen für die Zukunft der Schule an, und es bleibt spannend, wie sich alles entwickeln wird. Wenn es so weiterläuft, kann man trotz der emotional Anspannung dabei entspannt bleiben.

Rückblick

Ich mache das ja sonst nicht, aber das vergangene Schuljahr verdient wohl einmal eine Nachbetrachtung. Es gab viel zu tun und es wird vermutlich das Schuljahr mit den meisten langen Tagen und Extraaufgaben gewesen sein.

Zu Beginn des letzten Schuljahres erneut für den Lehrerrat kandidiert. Während der Wahl die Schulleiter bitten, die Wahl zu verlassen. Nicht vergnügungssteuerpflichtig. Dann ging es aufgrund fragwürdiger Verhaltensweisen Einzelner drunter und drüber mit Langzeitwirkung. Danach ein Changieren zwischen Kommunikationsproblemen und produktiver Kooperation. Zwischendurch alles wieder in ruhigen Bahnen. Drei Monate vor Schuljahresende die plötzliche Bekanntgabe der Schulleitung, dass sie im aktuellen Jahr nicht weitermachen wird. Rede zur Verabschiedung der Schulleitung halten. Dazwischen die Teilnahme an verschiedene Arbeitsgruppen zu Raumkonzept, Fahrtenkonzept, Schulklima und das Lehrerrats-Übliche. Beschwerdebrief an den Schulträger formuliert wegen unhaltbarer Zustände die Gebäudesituation betreffend. Zwischendurch Schulkonferenzsitzungen bis nach 23.00 Uhr.

Überraschend eine Klassenleitung in einer Inklusionsklasse übernommen. Hatte nach meiner letzten Klasse um eine kleine Pause gebeten, aber es ist ja nie so, dass Schulen genug Personal hätten… Also wieder ran an den Speck. Von jetzt auf gleich wieder Elternabende, vollgepackte Beratungstage, viele und lange Elterngespräche, Treffen mit Inklusionshelfern, Sonderpädagogen und natürlich Verwaltung, Verwaltung, Verwaltung. Nebenbei zwei Abiturkurse, viel Vorbereitung, viele Prüfungen und Co-Korrekturen.

Das Medienkonzept kam in Trippelschritten voran, aber immerhin geht es nun voran. Vorbereitung der informatischen Bildung in Klasse 6.

Bouldern und Laufen waren irgendwann nicht mehr drin. Ferien dringend nötig. Vorsatz für dieses Schuljahr: Regelmäßig zu laufen, auch im Winter – und zu bouldern, wenn möglich einmal pro Woche. So wie letztes Jahr soll es in diesem nicht mehr werden.

Ganztag. Doppelstunden. Halbtag?

Immer wieder beklagt man in der Öffentlichkeit die Unbeweglichkeit des Schulsystems. Dabei ist es die ganze Zeit in Bewegung. Zwar leider nur drei Schritte vor und dann wieder zwei zurück, aber in Bewegung ist es die ganze Zeit. Mal gibt es Kopfnoten, dann wieder nicht. Mal gibt es Inklusion, dann wieder nicht. Mal gibt es G8, dann wieder G9. Und mit dem Wechsel zu G9 steht auch die von der vorigen Regierung besonders propagierte Idee der Ganztagsschule wieder in Frage. Das erhöhte Stundenvolumen durch ein zusätzliches Schuljahr ermöglicht es den Gymnasien theoretisch, sich wieder fast vollständig nur als Halbtagsgymnasien zu präsentieren. Aber ist das sinnvoll?

An meiner Schule sind wir seit einigen Jahren im Ganztag – und auch für uns stellt sich die Frage, ob und wie wir diesen unter G9-Bedingungen weiter fortsetzen wollen. Ich möchte im Folgenden beschreiben, welche Vor- und Nachteile ich im Ganztag aus Lehrersicht wahrnehme.

Ganztag an meinem Gymnasium

Ein vollständiger, langer Schultag erstreckt sich bei uns von 7.50 Uhr bis 15.35 Uhr. Es gibt (mit Ausnahme für die fünften Klassen) eine Mittagspause von 13.05 bis 14.05 Uhr. Ganztag ist bei uns nicht zu denken ohne das Doppelstundenmodell. Wir haben an langen Tagen vier Lernphasen, die jeweils 90 Minuten umfassen, also immer von einer Doppelstunde Unterricht abgedeckt werden. Schülerinnen und Lehrerinnen haben also immer höchstens vier Fächer, auf die sie vorbereitet sein müssen.

Da wir die zusätzlichen Ganztagsstunden nicht schlicht für mehr Unterricht nutzen dürfen, verwenden wir sie für eigenständige Lernphasen sowie Wahlpflicht-AG-Stunden oder Klassenprojektstunden, in denen die Klassenleitungen Gelegenheit haben, sich um organisatorische und pädagogische Belange ihrer Klasse zu kümmern. Besonders letztere befreien Klassenleitungen davon, Teile ihres Fachunterrichts opfern zu müssen, und sie helfen dabei, sinnvolle Einrichtungen wie den Klassenrat zu institutionalisieren. In einem 45-Minuten-Modell hätte der wenig Chancen.

Aufgrund des Ganztages ist es uns möglich, eine Schulsozialarbeiterin direkt vor Ort zu haben, die neben ihren pädagogischen Aufgaben auch für Angebote in den Mittagspausen und bei Schulveranstaltungen sorgt. Als Klassenleitung bin ich dieser Kollegin schon mehr als tausend Dank schuldig, weil sie in harten Zeiten viel Last von meinen Schultern genommen hat. Schule ohne Schulsozialarbeit mag ich mir nicht mehr vorstellen.

Vorteile des Doppelstundenmodells

Als wir über das Doppelstundenmodell debattierten, hatte ich als neuer, frisch aus dem Referendariat stammender Kollege, die Befürchtung, dass es sehr anstrengend sein könnte, jede Stunde als Doppelstunde planen zu müssen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Statt – wie zuvor an einem „normalen“ sechsstündigen Tag fünf bis sechs Lerngruppen – muss ich nun nur maximal vier Lerngruppen vorbereiten.

90 Minuten reichen im herkömmlichen Unterricht für fast alles. Man kommt nicht in Zeitprobleme bei Klassenarbeiten (wie man die je in 45 Minuten sinnvoll schreiben lassen konnte?) und Arbeitsphasen können sinnvoll zu Ende geführt werden. Referendare können immer die von den Fachleitern geschätzte Auswertungsphase zeigen, auch wenn die Schülerinnen einmal etwas länger brauchen. Nahezu alle Arbeitsformen, die etwas mehr Zeit beanspruchen, können jederzeit durchgeführt werden und auch Filme können gezeigt und direkt nachbesprochen werden. Die unsinnigen Zwänge eines 45-Minuten-Rasters sind nicht mehr existent und das ist gut so.

Als Ganztagsgymnasium müssen wir logischerweise mehr Stunden abdecken als Halbtagsgymnasien. So kommt es, dass ich nicht jeden Tag meine sechs Schulstunden „herunterreiße“, sondern an manchen Tagen acht Stunden. Das wiederum hat zur Folge, dass ich an anderen Tagen ggf. nur vier Stunden unterrichten muss – und diese teilweise erst um 9.40 Uhr beginnen. Mitten in der Woche am Morgen entspannt im Arbeitszimmer arbeiten zu können, ist eine Errungenschaft des Doppelstunden-Ganztags.

Negativer Nebenaspekt des Doppelstundenmodells sind die sogenannten „Springstunden“. Das sind regelmäßige Freistunden, in denen man mitten im Schultag nicht eingesetzt werden kann (z.B. montags in der 3./4. Stunde). Was einem in den ersten beiden Stunden einen langen Morgen beschert, sorgt mitten am Schultag für Leerlauf. Wichtig ist darum, dass man eigenständig dafür sorgt, dass die Zeit sinnvoll genutzt wird: So kann man bei guter Planung Korrekturen, Klassen-Orga, Gesprächstermine, Vorbereitung etc. in diese Phasen legen und so seinen Nachmittag etwas entlasten.

Das klingt nun alles ganz prima, doch so einfach ist es nicht. Entlastend ist der Ganztag auf seine Weise schon, aber…

Nachteile

… wenn ich nachmittags nach Hause komme, bin ich im wahrsten Sinne des Wortes „durch“. In der Regel ist das gegen 16.00 Uhr, wenn nicht noch andere Termine hintendranliegen. Danach geht außer Vorbereitung nicht mehr viel, Korrekturen schiebe ich darum konsequent ins Wochenende oder in die Ferien. Habe ich eine Klassenleitung, lege ich telefonische Elterngespräche und E-Mails in die Abendstunden

Habe ich hingegen kurze Tage (also sechs durchgehende Vormittagsstunden), kommen diese mir vor wie Urlaub.

Die Mittagspause

Die einstündige Mittagspause – so wichtig sie vor dem Nachmittagsunterricht für Schülerinnen und Lehrerinnen ist – frisst auch eine Stunde Zeit, die man sich im Halbtagsmodell sparen kann. Eine „echte“ Pause ist es meist sowieso nicht, weil man dann ja (fast) alle Kolleginnen über eine Stunde hinweg erreichen kann und immer dringend irgendwelche Dinge klären muss. Drängen die Korrekturen, dann nehme ich mir meine Arbeit auch mit in die Mittagspause – und unser Korrekturraum ist immer gut besetzt.

Zudem hat der Schulträger uns mit dem Bau der Mensa einen schönen Kuckuck ins Nest gesetzt: Niemand möchte da gerne essen. Lehrerinnen zweier Schulen meiden es gänzlich, dort zu essen. Lediglich einige Schülerinnen, überwiegend aus den unteren Klassen, nutzen das Mensaangebot. Ein Gefühl von Entspannung mag dort nicht so recht aufkommen – dazu und zu dem Irrsinn der Architektur dieses jungen Gebäudes mal in einem anderen Beitrag.

A- und B-Wochen

Das Doppelstundenmodell erfordert, dass Fächer, die in ungerader Stundenzahl unterrichtet werden, derart auf zwei Wochen verteilt werden, dass sie ins Modell passen. Also wird ein Oberstufengrundkurs mit drei Stunden so auf zwei Wochen verteilt, dass er in einer Woche mit zwei und in der Folgewoche mit vier Stunden vertreten ist. Deshalb haben wir „A- und B-Wochen“, sprich: jede Klasse, jede Kollegin hat zwei Stundenpläne, damit alle Stunden ins Doppelstundenraster passen. Das ist nicht wirklich schlimm, aber ich weiß grundsätzlich nie, in welcher Woche ich gerade bin und welche Stunden ich morgen habe. Einen einwöchigen Plan hat man sich im Gegensatz dazu schnell gemerkt.

Ungünstig ist diese Aufteilung auch, wenn man das Pech hat, dass viele Feier- oder Brückentage, ggf. auch Klausurtermine auf bestimmte Tage fallen: Dann kann es passieren, dass meine achte Klasse mich in Geschichte nicht so häufig sieht, weil ja immer gleich alle beiden Wochenstunden gleichzeitg ausfallen – und nicht nur eine, wie es im Halbtagsmodell der Fall wäre.

Auch Referendare kämpfen oft mit unserem Doppelstundenmodell, da dieses es ihnen sehr erschwert, (Oberstufen)kurse zu finden, die nicht an ihrem Seminartag oder parallel zu ihrem eigenen Unterricht liegen. Auch die Terminierung von Unterrichtsbesuchen ist etwas komplizierter, und die meisten Fachleiter kommen nur sehr ungerne für eine Doppelstunde.

Also ist leider nicht alles Gold, was glänzt! Was tun? Wieder zurück zum Halbtag?

Lösung Halbtag?

Ich finde nicht. Es gibt ja zum Glück Erfahrungen von Kolleginnen. Eine, die ihren Weg an eine Halbtagsschule gemacht hat, berichtet, dass ihr die Rückkehr an ein Halbtagsgymnasium durchaus als stressiger erscheint; besonders die Vorbereitung der Einzelstunden würde viel Zeit beanspruchen und für „Arbeitszeitfraß“ sorgen. Dazu komme die volle Schultasche und nur kurze Pausen zwischen den Stunden.

Würden wir zum Halbtag zurückkehren, gäbe es keine AGs mehr, keine wertvollen Klassenprojektstunden und ein Rückbau der Lernzeiten und Förderstunden wäre die Folge, was mehr als bedauerlich wäre. Ich habe oben schon zum Ausdruck gebracht, dass ich mir Schule ohne unmittelbare Schulsozialarbeit nicht mehr vorstellen mag und das wäre leider die Konsequenz einer Halbtagsschule. Die Doppelstunden entlasten den Schultag und ermöglichen ergiebige Arbeitsphasen. Ein Halbtag könnte so nur eine Verschlechterung pädagogischer Arbeit bedeuten.

Bandbreite.

Grundwissen: In unserer Schule gibt es zwei Netzwerke. Ein pädagogisches Netz (langsam und unterdimensioniert) und ein Verwaltungsnetz der Stadt (rasend schnell, es werden lediglich Mails hin- und hergeschubst). 

Was zuvor geschah: Ein durchaus erfreuliches Gespräch zur Medienentwicklungsplanung endet mit der Feststellung, dass die Internet-Bandbreite leider nicht erhöht werden könne, die Telekom, die Stadtwerke… der gute alte16 MBit-Anschluss („Schulen ans Netz“) müsse für 1000 Schüler und 100 Lehrer erstmal genügen… und nein, das schnelle Verwaltungsnetz könne leider nicht für den schnöden pädagogischen Gebrauch genutzt werden.

Dann stehe ich im Büro des Chefs, der mir nur ein paar Fotos vom Schulgarten übermitteln möchte. Da das wegen der hohen Sicherheitsstandards per USB nicht funktioniert, schickt er mir die Bilder über das Verwaltungsnetz per Mail. „Die könnten aber etwas groß sein…“ – ich winke ab. Geduld habe ich massig. Der Chef klickt auf „Senden“ und im gleichen Augenblick erklingt das „Gesendet“-Signal. Chefs Leitung hat mal eben ca. 35MB im Bruchteil einer Sekunde hochgeladen (in Worten: hochgeladen!).

Ich gehe ins Lehrerzimmer und weine still. Da liegt offensichtlich eine 1GBit-Leitung und wir nutzen sie nicht. Wegen der Telekom… is‘ klar.

Geschichten erzählen.

Kreatives Schreiben. Drei Schlüsselwörter an der Tafel und jeder, auch die Inklusionskinder, sollen im Rahmen einer begrenzten Zeit eine Geschichte um diese Wörter entwickeln. Eifriges Schreiben im Klassenraum, einige wandern dabei auf dadaistischen Pfaden, kreieren Lautmalereien und assoziative Satzketten, andere reimen, manche berichten. Es entstehen kleine Krimis, Abenteuererzählungen, Liebesgeschichten.

Ich gehe immer wieder herum, schaue über Schultern, gebe Anstöße, wenn gewünscht. Manche entwickeln mehr ein Grundgerüst und müssen dieses noch einmal in Erzählform gießen, andere schreiben nahezu druckreif. Und dann ist da J. Ein Inklusionskind mit der Perspektive, kein Abitur zu machen. Und ich schaue auch ihr über die Schulter, grummele etwas von Ausdrucksweise in meinen Bart, finde ihre Dialoge nicht sooo toll, weil mir das zu umgangssprachlich erscheint und es mir zu viel nach Rapper-Slang klingt. Sie lässt sich nicht beirren.

Wir haben viel Zeit zum Vorlesen und jeder, der mag, kommt dran. Wir lachen über Jandlhaftes, genießen trockenen Hemingway, lassen uns von einer hollywood-inspirierten Horrorstory das Gruseln lehren. Wirklich schöne Geschichten. Und dann liest J.

Und wie sie liest! Mit einer großartigen Artikulation, nur leicht und keinesfalls übermäßig verstellter Stimme gibt sie ihren Figuren und dem Erzähler Farbe, führt Erstere mit ungezwungener Leichtigkeit in ihre Geschichte ein und fügt nebenbei plastische Beschreibungen der Umwelt ein. Der Rapper-Slang passt plötzlich wunderbar, und J. schafft es als einzige, eine komplette und stringente Geschichte mit einem kurzen Einstieg, einem Spannungsbogen und einem Ende auszuformulieren. Grammatisch holpert es manchmal, aber wen interessiert das schon, wenn jemand so wunderbar Geschichten erzählen kann?

Im Tiefschlaf alle Veränderungen verpennt

Dass Schule eine statische Institution sei, in der sich schon seit der Kaiserzeit nichts mehr getan habe, ist einer der dauerhaftesten und ermüdendsten Vorwürfe, denen man als Lehrer regelmäßig begegnet. Aber über die gammelige Schule zu meckern ist immer schön schnell erledigt und man bekommt Likes, Likes Likes!

Und da gerade dieser Tweet in meiner Timeline herumgeistert, dachte ich mir, ich erläutere mal, was sich aus meiner Perspektive geändert hat, seit ich die Schule verlassen habe, denn das sind mittlerweile ziemlich genau zwei dieser vergangenen Jahrzehnte.

Das Erste, was mir im Referendariat auffiel, war, dass die Schüler viel mehr präsentierten, wie selbstverständlich Referate hielten und sogar den Unterricht selbst gestalteten. Referate waren in meiner Schulzeit (an drei verschiedenen Gymnasien) nur Sonderaufgaben für unter Notendruck geratene Schüler oder Strafaufgabe gewesen. Die Schüler, denen ich begegnete, lernten hingegen systematisch, Inhalte aufzubereiten und zu präsentieren. Und nicht nur das: Die heute so selbstverständliche Facharbeit in der Oberstufe gab es in meiner Schulzeit überhaupt nicht. Eine längere schriftliche Arbeit, in der man wissenschaftliche Arbeitsmethoden anwenden lernen sollte, eigene Thesen formulieren und Literaturrecherche betreiben sollte – das gab es vor wenigen Jahrzehnten nicht. Mir gefiel diese Entwicklung, hatte ich doch in meinem ersten Semester an der Universität noch mit der wissenschaftlichen Arbeitsweise zu kämpfen gehabt. Das Einüben des wissenschaftlichen Arbeitens konnte nur eine positive Neuerung sein.

Weniger gefiel mir die im Zuge der PISA-Studie aufkommende Entwicklung hin zur zentralisierten Testung der Schulen. Auch die hatte es vor zwanzig Jahren nicht gegeben, doch plötzlich waren PISA und IGLU tonangebend. Das Zentralabitur wurde eingeführt und VERA 8 sowie zentrale Abschlussprüfungen an anderen Schulformen eingeführt. Alles neu und letztlich einschneidende Veränderungen, von denen man annehmen muss, dass sie noch nicht am Ende sind – blickt man z. B. auf ein bundesweit vereinheitlichtes Abitur.

Nebenher zerfiel und zerfällt die altbekannte Schullandschaft. Die Eltern meldeten ihre Kinder nicht mehr an den Hauptschulen an, die mit ihrem zunehmend schlechten Ruf als „Resteschulen“ zu kämpfen hatten. Neue Modelle werden gesucht, die Realschule verliert mittlerweile als „Ersatzhauptschule“ ähnlich an Wertschätzung wie die Hauptschule zuvor, und der Trend zum zweigliedrigen, vielleicht sogar lokal eingliedrigen Schulsystem ist absehbar. Das sind eklatante Umbrüche im Schulsystem, die eigentlich jeder beobachten kann, der mit halbwegs offenen Augen der Tagespresse folgt.

Schule war in meiner Schulzeit eine Halbtagsangelegenheit, heute ist es das erklärte Ziel, möglichst viele Ganztagsschulen zu etablieren. Ein Ganztagsgymnasium war in den 90ern undenkbar, ich hingegen arbeite heute in einem. Wir haben den 45-Minuten-Rhythmus dankenswerterweise abgeschafft und nutzen ein 90-Minuten-Modell. Andere Schulen, auch das erfuhr ich staunend im Referendariat, haben sich auf ein 60-minütiges Modell geeinigt. Auch das sieht man nicht so schnell, wenn man es im eigenen Umfeld nicht erlebt, aber Schule ist nicht so statisch, wie man sich das gerne einredet.

Dank Ganztag haben wir eine Reihe weiterer Neuerungen, die vor zwei Jahrzehnten an meinen Schulen nicht zu denken gewesen wären: Direkt in meinem Schulgebäude haben mittlerweile zwei SchulsozialarbeiterInnen ihren Arbeitsplatz gefunden, und jede Klassenleitung hat alleine für Klassenbelange ausgewiesene Klassenleitungsstunden zur Verfügung. Meine Klassenlehrer haben das noch alles vom ihrem Fachunterricht abgeknapst. Auch neu sind sogenannte „Lernbarstunden“, die im Prinzip Freiarbeitsstunden sind, in denen die Schüler klassenweise an eigenen Arbeitsschwerpunkten arbeiten. Dabei ist es hilfreich, dass nicht alle Arbeitsphasen im Klassenraum stattfinden müssen, denn an meiner Schule (und auch an anderen, die ich besucht habe) gibt es mittlerweile zahlreiche Arbeitsflächen außerhalb des klassischen Klassenraumes. So kann man im Foyer, auf dem Flur oder auch in der Cafeteria, im Schulgarten oder auf der Außenterrasse arbeiten. Völlig undenkbar in meiner Schulzeit!

Wen das eigene Arbeiten nicht weiterbringt, der muss sich nicht mehr, wie in meiner Schulzeit, alleine auf die Nachhilfe verlassen. Schulinterne Fördersysteme sorgen dafür, dass auch Kinder aus weniger betuchten Elternhäusern die Möglichkeit fachlicher Förderung bekommen: dafür gibt es bspw. von Fachlehrern betreute Lernbüros (kostenlos), fachspezifische Förderkurse (kostenlos) oder das Modell „Schüler fördern Schüler“ (günstig). Solche tollen Einrichtungen gab es an meinen Schulen nicht.

Jemand, der aus den 90ern kommend durch meine Schule laufen würde, würde schnell feststellen, dass sich in einigen Klassen bis zu fünf Erwachsene gleichzeitig aufhalten – und sich niemand daran stört. Die Inklusion ist bei uns angekommen und zieht sich durch fast alle Klassenstufen. Eine Klasse, aber zwei Klassenräume, viel Grundschulmaterial, Klassenteamtreffen oder das Unterfangen, zielgleiche und zieldifferente Kinder an einem Gymnasium gleichzeitig zu unterrichten, das würde, davon bin ich überzeugt, einen Zeitreisenden mehr als verblüffen.

Integrationsklassen lernte ich zwar schon Anfang der 2000er kennen, da waren sie allerdings Metier der Hauptschule. Mittlerweile machen wir auch das an meinem Gymnasium – und Kinder, die nahezu kein Wort Deutsch können, werden so gut wie möglich in unseren fachlich orientierten Unterricht und die soziale Gemeinschaft integriert. Auch das etwas, dass ich an meinen Schule so nie erlebt habe.

So. Das waren meine 2 Cent. Ich finde, es hat sich während der letzten Jahrzehnte verdammt viel verändert in der Schullandschaft, und es gäbe bestimmt noch weitaus mehr, das man hier aufzählen könnte. Das hier habe ich jetzt spontan heruntergeseiert, obwohl heute Samstag ist und ich an diesem Tag eigentlich keine unnötige Sekunde an „Schule“ verschwenden möchte. Man kann all diese Veränderungen ignorieren, hat dann aber wohl eher selbst die letzten Jahrzehnte im Tiefschlaf verbracht. Und – uh, oh, ich habe ja noch gar nichts über Technik geschrieben…

Nachtrag

Eine entscheidende Veränderung habe ich ganz vergessen, die aber nur für gebundene Ganztagsschulen gilt: Die Abschaffung der Hausaufgaben! Noch so eine „unerhörte“ Veränderung, die einen Zeitreisenden in pures Erstaunen (und vielleicht sogar Entsetzen) versetzt hätte.