Die grauen Herren der digtalen Bildung

Wanka wirkt nach. Auf Twitter Diskussionen über ihren „Daddel-Kommentar“. Dazwischen Bemerkungen wie (sinngemäß) „Sie hat doch recht, unsere Kinder daddeln nur! Welches nutzt denn Evernote, Blogs oder Wikis?“. Oh weh! Digitales darf und soll also immer nur nützlich sein, der Zeitoptimierung dienen, der Allgemeinheit nutzen oder Bildung repräsentieren. Goodbye bunte Teenagerzeit, welcome du graue Welt der Erwachsenen!

Die selbsternannte digitale Lehrereelite überträgt ihre eigene Internetnutzung schlicht auf die folgende Generation. Nur, wer das Netz so nutzt wie wir im Berufsleben stehenden alte Säcke, der ist „digital gebildet“. Die selbstgestaltete Kultur der Jüngeren wird schlicht übergangen. Von Entwicklungspsychologie ganz zu schweigen. Und ohne zu erwähnen, dass das Digitale sich auf Abermillionen andere Arten und Weisen nutzen lässt, auch ohne Wikibloggetwitterzeug.

Ich stürze mich heute gerne auf jedes digitale Tool, aber mein 25 Jahre jüngeres Ich hätte gewiss kein größeres Interesse an langweiligen digitalen Werkzeugen zur Arbeitsorganisation: Es wollte zocken. Und das entweder am Computer oder auf dem Basketballplatz. Was hätte ich als Teenager bitteschön mit Evernote oder Wikis anfangen sollen? Jeden Abend eine Stunde ins Wiki schreiben? Strafarbeit! Ein privates Blog vielleicht, aber dann auch nur, weil ich schon immer gerne herumgeschrieben habe. Aber dann, worauf ich Bock gehabt hätte, und nicht das, was meine gouvernantenhafte Deutschlehrerin für sinnvoll gehalten hätte.

Übersehen wird dabei, dass die Teenager von heute schon längst aktiv sind. Und ja, sie lernen an Wisch-Geräten tatsächlich nicht, wie man Computer programmiert oder wie die Hardware aufgebaut ist. Dafür produzieren sie YouTube-Videos (lernen dabei autodidaktisch einiges über Schnitt, Ton, Spannungsbögen) und setzen dabei neue Formate durch (professionelle, erwachsene TV-Konsumenten wundern sich regelmäßig, wieso schon wieder so ein Pickelgesicht stundenlang beim Computerspielen in bräsigem Tonfall in eine Kamera quatschen kann und dabei Millionen Viewer hat) und gestalten eine völlig neue – ich hätte fast „TV-Kultur“ geschrieben, aber die lösen sie ja gerade ab – Videokultur. Professionelle Gamer verdienen auch ohne Evernote Beträge, von denen graue Bildungsherren nur träumen können, und jeder kleine Vorstadtrapper beatboxt ganz ohne Wiki in sein Handy. Wo früher einmal pro Woche einer kleinen Schar Auserlesener die Foto-AG das Fotografieren nahebrachte, steht heute das Experimentieren einer ganzen Generation mit der Handy-Cam und ihren zahllosen Apps. Und das Kollaborieren per Minecraft macht überdies viel mehr Spaß als lahme Evernote-Notizen zu teilen.

Das ist im Großen und Ganzen alles nicht professionell. Muss es auch gar nicht. Auf dem Bolzplatz haben wir früher auch nur just for fun gespielt und nicht, um den Ernst des Lebens zu erproben oder um für die Bundesliga zu trainieren. Natürlich müssen auch Kinder erst einmal ihr Gerät und dessen Möglichkeiten erkunden. Und natürlich wird ein Zehnjähriger mit seinem ersten Smartphone zunächst einmal Spiele spielen. Und das vermutlich sogar lange Zeit, bis er Lust bekommt, etwas Weiterführendes damit zu machen. Das entspricht einfach seinem Alter. So what? Müssen wir ihn gleich mit sperrigen Wikis, Twitterwalls, Edu-Apps und Optimierungstools quälen, bis es ihm mit Vierzehn zu den Ohren wieder rauskommt?

Das muss man als graubärtiger Studienrat (der den Umgang mit Taschenkalender und ToDo-Liste ja auch nicht mit zehn erlernte), dessen Kinder selbst schon lange erwachsen sind, gar nicht mitbekommen, dass junge Menschen immer ihre (digitale) Umwelt erschließen, neue Wege gehen, eigene Wege gehen und vielleicht auch mal eine Weile ihre Zeit verdaddeln müssen, um irgendetwas hinterher furchtbar langweilig, überflüssig und doof zu finden. Aber auch diese Erfahrung gehört zum digitalen Gebildetsein dazu.

Wir sollten bisweilen einfach mal gelassen bleiben und den Kindern ihre Zeit lassen.

 

5 Gedanken zu „Die grauen Herren der digtalen Bildung

  1. Hallo, ein wichtiger Beitrag, wie ich finde. Kinder und Jugendliche haben das Recht unprofessionell mitMedien umzugehen. Kompetent sollte es aber schon sein. Und ich erlebe eben im Alltag, dass es manchmal an einfachsten Dingen mangelt. Beliebt ist nach wie vor das googeln von URLs, Quellen werden gar nicht oder falsch zitiert und munter gegen das Urheberrecht verstoßen. Und es sind eher die Ausnahmen, die produktiv mit Medien umgehen. Auch intensive Mediennutzung macht nicht automatisch Medienkompetenz. Gruß

  2. Grundsätzlich ja, insbesondere was das Anspruchsdenken der Erwachsenen betrifft: Macht doch mal was mit Wikis und so. Dennoch: Die meisten Teenager von heute produzieren eben keine YouTube-Videos und könnten das auch gar nicht, und lernen deshalb autodidaktisch gar nichts über Schnitt, Ton, Spannungsbögen.

    • Na klar, das tun nur einige, andere auch nicht. Und einige probieren auch nur ein paar mal etwas und lassen es dann wieder sein. Und manche lassen sich auch einfach nur berieseln. Ich bin auch der Letzte, der behauptet, man brauche keine Kenntnisse (ich sag’s mal wolkig) „des Digitalen“ oder der Produktion von Medien und die Kinder lernten alles wie von selbst. Aber ich glaube, dass hinter dem, was wir als überflüssiges Daddeln betrachten mögen, mehr als bloßes Zeitvertun steckt.

      Ich kenne ältere Schüler, die online über spezielle Plattformen (die ich nicht einmal kenne) Literatur schreiben, sich vernetzen, veröffentlichen und gegenseitig kommentieren. Es gibt recht junge Schüler mit eigenen YouTube-Kanälen, auf denen sie Minecraft zeigen. Und manche lesen auch einfach nur Romane. Auch das Spielen selbst entwickelt sich: In einer achten Klasse hat in den Mittagspausen eine Gruppe ein Halbjahr lang kollektiv gemeinsam über das Handy gespielt; mittlerweile kloppen sie lieber gemeinsam Karten.

      Meine Befürchtung ist, dass wir gerade in der gleichen Falle landen wie schon in den 80ern, als man Computer nur als nettes, teures Hobby betrachtete, an dem Kinder nur spielen. Heute diskutieren wir genauso, aber immer noch, ohne die Perspektive der Kinder / Jugendlichen wahrzunehmen. Das ist es, was mir in der Diskussion gerade fehlt.

  3. Ich habe letztens erst in einem Forum über eine Art Rollenspiel Software gelesen, die man im Unterricht einsetzten kann und die vom der Aufmachung sehr an WOW erinnert. Generell kann man digitale Medien mehr nutzen, zum Beispiel bei Filmen. Ich bestell sehr viele Lehrfilme bei FWU, weil ich weiß, dass Jugendliche mitlerweile fast nur noch auf YouTube unterwegs sind und sich da Filchen reinziehen. Für mich ist das die perfekte Lösung ihr Interesse mit sinnvollen Inhalten zu verbinden.

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