Stärke erkennen

Durcheinander im Klassenraum einer Mittelstufenklasse. Berufsvorbereitung. Zum Glück nur eine kleine Gruppe, knapp zwanzig Schülerinnen und Schüler bewegen sich kreuz und quer durch den Raum, um sich gegenseitig ihre Stärken zu dokumentieren. Die Mädchen stellen den Großteil der Gruppe, kaum eine lässt die Zettel der anderen unbeachtet, überall wird ernsthaft und fleißig notiert. Bei den Jungs sieht das etwas anders aus, einige attestieren sich große Fähigkeiten bei Burger King und Co. – aber da greife ich nicht ein, das ginge am Ziel vorbei. Ich halte mich zurück, denn was die Schüler sich gegenseitig notieren, geht mich genau genommen gar nichts an. Sie sollen möglichst auch Stärken zurückgemeldet bekommen, die mit dem normalen Schulalltag nichts zu tun haben, und dass ein wenig peer-group-bezogenes Schulterklopfen dabei ist: geschenkt.

Und während so fleißig geschrieben wird, beobachte ich, dass auf einem Zettel fast noch gar nichts steht. Im Vergleich mit den anderen stehen dort nur wenige Punkte, und ich bin mir sicher, dass die Schülerin mehr als enttäuscht sein wird, wenn sie zu ihrem Platz zurückkehrt. Dabei ist die Arbeitsphase bald vorbei. Eine Schülerin kommt, betrachtet den Zettel, geht weiter. Eine weitere spaziert mit gezücktem Stift am Tisch vorbei, verdreht lesend den Kopf, geht weiter. Ein Schüler. Nichts.

Ich kündige die letzte Minute an und die kleine Menschenmenge räumt sich. Einige sitzen schon auf ihren Plätzen, andere schreiben noch schnell zu Ende. Und dann kommt F., eine ganz ruhige, erfasst mit einem schnellen Blick das Problem und notiert in Sekundenschnelle drei weitere Stärken auf dem zu leeren Blatt Papier.

Allein in dieser einen Handlung steckten so viele Stärken, dass es mich schier umgehauen hat.

3 Gedanken zu „Stärke erkennen

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