Deprofessionalisierung der Lehrerbildung in NRW?

Es ist ja immer gerade dann Vorsicht geboten, wenn gewisse Schlagworte besonders laut verkündet werden. So gab es gestern eine kurze Info über die neue Ausbildungsverordnung für Referendare in NRW für das Kollegium, in der die Worte „Coaching“ und „Professionalisierung“ fielen, tatsächlich aber lediglich eine Verschlechterung der Referendarsausabildung angekündigt wurde. Zumindest ist das meine Interpretation.

Es sieht nämlich so aus, dass nun das Seminar (das man sich, wenn ich das richtig verstanden habe, nun auch im Sinne der „Professionalisierung“ in „Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung“ umbenannt hat) die Ausbildungszeit auf anderthalb Jahre verkürzt hat, dafür aber die Wochenstundenzeit um zwei Stunden erhöht.

Weniger Autonomie – vorgeschriebener Unterrichtsbesuchstermin
Für fatal halte ich, dass man den ersten Unterrichtsbesuchstermin nun von Seiten des ZfsL vorschreibt. Ja, richtig gelesen. Das Seminar blockt im Juni die Termine für den ersten Unterrichtsbesuch an den Schulen und alle Referendare müssen schauen, dass sie da irgendwie ihren Unterrichtsbesuch unterbringen – das ZfsL schert sich offensichtlich nicht um schulinterne Curricula oder darum, dass Ausbildungslehrer u.U. mitten in laufenden Reihen stecken könnten. Auch eine vorangehende Hospitation bei den möglichen Ausbildungslehrern scheint man nun nicht mehr für angebracht zu halten.

Diesen erlaubt der Zeitmangel letztlich nicht. Denn die Referendare können bestenfalls etwa 12-15 Stunden in einer Lerngruppe unterkommen, bevor sie ihren ersten, festgeschriebenen Unterrichtsbesuch machen müssen. Es stehen den Referendaren lediglich exakt 11 Unterrichtstage (in vier Wochen, viel Ausfall durch Feiertage) zur Verfügung, in denen sie Zeit haben, sich auf diesen vorzubereiten. Die Fächer werden aber nicht jeden dieser 11 Tage unterrichtet, sondern teilweise nur zweistündig, sodass entsprechende Referendare unter Umständen nach nur 8 Unterrichtsstunden (bei uns 4 Doppelstunden) einen Unterrichtsbesuch zeigen müssen. (Für Referendare exotischerer Fächer wie Philisophie könnte es u. U. sogar noch düsterer aussehen…) Das ist Banane, aber der Irrsinn lässt sich steigern!

Noch weniger Praxis
Auf Grundlage dieses ersten Unterrichtsbesuchs gibt es dann zügig ein sogenanntes „Planungs- und Entwicklungsgespräch“, in dem die zukünftige Ausbildungsperspektive ausgelotet werden soll. Direkt darauf folgen die externen Projekttage und eine pädagogische Woche für die Referendare, weshalb diese vor den Sommerferien nicht mehr unsere Schule von innen sehen werden. Netterweise dürfen sie dann direkt nach dieser wahnsinnig umfangreichen schulpraktischen Erfahrung  in den eigenständigen Unterricht gehen. Das ist mal eine schul„praktische“ Ausbildung nach Maß!

Das bedeutet in der Praxis, dass die Referendare keine Gelegenheit mehr haben, sich in Ruhe die Schule, die Fachkollegen und die Unterrichtsgruppen anzuschauen, sondern letztlich darauf hoffen müssen, dass sie bei erstmaligem Betreten der Schule sofort einen freundlichen Kollegen finden, der sie sofort(!) und intensiv auf diesen unseligen vorgegebenen Unterrichtsbesuch vorbereitet. Die Verantwortlichen für die Ausbildungsordnung sehen das locker, immerhin haben die Referendare im Studium ja ein Praxissemsemester absolviert. Damit sind sie gewiss bestens auf einen zügigen Unterricht ohne Anleitung vorbereitet.

Fazit: Eine zweifache Zusammenstreichung der Ausbildungszeit durch das Verkürzen in Quantität (auf 1,5 Jahre) und Qualität (durch mangelnde Hospitation vor dem ersten Unterricht) bei gleichzeitiger Erhöhung der Präsenszeit (+2 Stunden, man muss das weggefallene Halbjahr ja ‚reinholen‘) und verpflichtenden Unterrichtsbesuchsterminen ergibt für mich in der Summe einen höheren Druck und eine schlechtere Ausbildung. Zumindest ist das meine Prognose, ich lasse mich gerne durch die Praxis oder weitere Details eines Besseren belehren –  vielleicht wird’s nach dem ersten Semester ja besser…

9 Gedanken zu „Deprofessionalisierung der Lehrerbildung in NRW?

  1. Du sprichst hier wichtige Dinge an. Lass mich daher kurz meine Sicht (als Fachleiter am ZfsL) darlegen:

    1. Ich halte die Verkürzung des Referendariats ebenfalls für nicht förderlich. Alle(!) meine Kollegen übrigens auch. Aus der neuen Ausbildungsordnung ergeben sich noch mannigfaltige andere Probleme und ich habe bereits einen Jahrgang in der Ausbildung, der mit den 18 Monaten zurechtkommen muss. Es ist für alle Beteiligten (LAA, Schule, ZfsL) eine sehr unbefriedigende Situation.

    2. Wir hätten gerne weiter „Studienseminar“ geheißen, warum die Umbenennung erfolgte wissen wohl nur die, die aus dem Arbeitsamt die Agentur für Arbeit gemacht haben.

    3. Bei uns werden keine Termine für erste UB fest vergeben. Das halte ich aus den von Dir genannten Gründen auch für unklug. Das Planungsgespräch nach so kurzer Zeit liegt uns auch quer im Magen, leider ist es, auchnterminlich, in der neuen OVP vorgeschrieben.

    4. Von Regierungsseite heißt es, die Verkürzung der Ausbildung am Seminar, ähm, Sorry, am ZfsL werde in Zukunft durch die verpflichtenden Praxiselemente in der Uni (u.a. Praxissemester) ausgeglichen. Ich zweifle da noch dran, denn ich kenne noch keine Uni, die da ein schlüssiges Konzept für parat hätte.

    Unterm Strich bleibt also was? Eine neue Ausbildungsverordnung, die dazu führen wird, dass wir unter hohem Zeitdruck kürzer ausgebildete Lehrer in die Schulen entlassen. Und warum machen wir das? Weil es Geld spart. Punkt.

    Bei uns haben wir auf vielen Ebenen (innerhalb des ZfsL, in Verbindung mit den Schulen aber auch in Verbindung mit einer Uni, fachspezifisch für Musik sogar mit allen Unis/Hochschulen in NRW) eine engere Zusammenarbeit angebahnt. Weil jeder, der am Prozess beteiligt ist, die Mängel sieht. Aber nur in kontruktiver Zusammenarbeit und Offenheit werden wir es schaffen, auch mit dieser Reform so umzugehen, dass am Ende nicht die SuS als Leidtragende übrig bleiben, weil sie mit schlecht ausgebildeten Lehrern konfrontiert werden….

    Bald können wir in NRW ja wieder wählen gehen. Hat irgendwer von den Parteien ein Konzept zur Lehrerausbildung im Programm? Wäre mir derzeit jedenfalls nicht präsent…

    • Herzlichen Dank für diese Informationen und Perspektiven aus Fachleitersicht! Und auch Danke für den Hinweis auf Unschärfen (Punkt 2). Ich melde mich später nochmal…

    • Ich wollte gar nicht auf „Unschärfen“ hinweisen. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ich auch lieber weiter am „Studienseminar“ gearbeitet hätte als am ZettEffEssEll 😉

      Zwei Dinge möchte ich noch anmerken, die mich zumindest nachdenklich stimmen:

      Erstens: Das Beamtenrecht sieht vor, dass man, wenn man in den „Höheren Dienst“ eingestuft wird (also am Gymnasium mit A13 beginnt), ein ZWEIjähriges Referendariat absolvieren muss (siehe z.B.: http://de.wikipedia.org/wiki/Höherer_Dienst). Es gibt aber kein ZWEIjähriges Referendariat mehr…

      Zweitens: Bisher wurde ganz klar zwischen Referendaren (=höherer Dienst) und Lehramtsanwärtern (=gehobener Dienst) unterschieden. Seit der Einführung des VD18 findet man in allen Publikationen auch für Gymnasialreferendare nur noch die Bezeichnung „Lehramtsanwärter“. Siehe dazu auch hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Lehramtsreferendariat

      Es mag alles Zufall sein und ich weiß dazu auch nichts Genaues. Aber vielleicht steuert man nicht nur darauf hin, in Zukunft Geld zu sparen, indem die Lehrerausbildung kürzer wird und damit in weniger Zeit mehr Lehrer die Ausbildung durchlaufen, vielleicht steuert man auch darauf zu, dass Gymnasiallehrer in Zukunft mit A12 statt mit A13 ihren Dienst beginnen. Das würde jedenfalls auch Geld sparen.

      Wie wir dann aber noch an gut ausgebildete, motivierte und engagierte junge Kolleginnen und Kollegen kommen sollen, ist mir schleierhaft.

    • Das sind ja interessante Beobachtungen… die GEW scheint das nicht so zu sehen, vom Philologenverband konnte ich nichts finden, habe aber auch nur kurz geschaut.

      Mir tut es für die Referendare leid, die da nun so „durchgepresst“ werden. Auch wir Ausbildungslehrer werden so enorm unter Druck gesetzt – und Hinweise oder Fortbildungen, wie man Referendare am besten ausbildet, worauf man wann und wie am besten achten soll, gibt es für uns „Normallehrer“ ja nicht – das bleibt ja alles Fachleitergeheimnis.

      Hat sich eigentlich auch der Prüfungs-Modus geändert oder bleibt der (mit Ausnahme der Examensarbeit) gleich? Das habe ich noch gar nicht recherchiert…

  2. Ich versuche meinen Referendaren wo immer es geht die Angst zu nehmen, passe mein Seminar so gut es eben geht an ihre Bedürfnisse an. Wenn ich den Rückmeldungen glauben darf, klappt das wohl auch ganz gut. Aber da habe ich natürlich auch den Vorteil, ein „Frischling“ zu sein – ich hab noch keine eingefahrenen Seminarschienen, aus denen ich nicht ausbrechen kann 😉

    Was die Prüfung angeht:
    1. Es ist jetzt eine kleinere Prüfungskommission (kein Schulvertreter mehr, nur noch eine Schulleitung plus zwei Fachleitungen)

    2. Die Entwürfe heißen jetzt „Schriftliche Arbeit 1“ und „Schriftliche Arbeit 2“ und werden explizit mit eigenen Noten versehen, d.h. es gibt eine Note für den einen und eine Note für den anderen Entwurf. Dementsprechend gibt es auch neue Vorgaben zum Entwurf (maximal 10 Seiten, aufgeteilt in etwa 50:50 auf Darstellung der Stunde und Einordnung der Stunde in den größeren Kontext)

    3. Statt wie früher nur eine Stellungnahme des Referendars nach der Stunde (die als reiner Monolog zu führen war) gibt es nun nach jeder Stunde 15 Minuten Gespräch zwischen Prüfling und Kommission.

    Was hier wirklich Aufschluss gibt sind die Vorgaben vom Prüfungsamt – die sind frei zugänglich: http://cl.b1t.me/FyjL

    Bezgl. des „Fachleitergeheimnisses“: Das soll es aber eigentlich nicht sein. Wichtig ist hier natürlich vor allem der Austausch zwischen Referendar und Ausbildungslehrer. Die Referendare sollten zum Beispiel so etwas wie ein Fachseminarcurriculum bekommen haben, aus dem die Themen des Seminars hervorgehen. Außerdem endet zumindest bei uns jeder Besuch mit sog. „Ausbildungsvereinbarungen“, d.h. es wird ganz klar abgesteckt, an welchen Sachen der Referendar als nächstes arbeiten soll. Ich bin immer sehr froh, wenn Ausbildungslehrer bei den Nachbesprechungen dabei sind, wenn das aus unterrichtstechnischen Gründen nicht geht, sollte der Referendar hinterher mit den Ausbildungslehrern darüber reden, was eben die Ausbildungsvereinbarung für die nächste Zeit ist.

    Schließlich kann man nicht permanent auf ALLES achten, sondern es geht Stück für Stück voran: Lernziele, Gesprächsführung, Standing vor der Klasse, Methoden, Transparenz, Pi, Pa, Po – alles zu seiner Zeit, angepasst an den jeweiligen Referendar (manche brauchen am Anfang erstmal drei Wochen reines „Standing“-Traning, andere können sofort anfangen, über knackige Lernzielformulierungen zu brüten).

    Das kann aber alles nur klappen, wenn die Kommunikation stimmt. Wenn ich Deine Ausführungen so lese, dann beschleicht mich allerdings das Gefühl, dass es damit bei Euch bzw. mit Eurem ZfsL nicht so gut klappt, oder?

  3. Die Referendare bekommen schon eine Rückmeldung von Seiten der Fachleiter – ich kenne das Seminar, da ich ja selbst dort ausgebildet wurde. Allerdings ist es für den einzelnen Fachlehrer durchaus nicht leicht, mal eben ein „Standing“-Training vorzunehmen oder die Gesprächsführung einzuschätzen und zu verbessern. Meine Gesprächsführung wird immer wieder gelobt, trotzdem fällt es mir ziemlich schwer, abgesehen von Rezepten a`la „Verwende die Meldekette“ oder „Lass‘ die Schüler Rückmeldungen geben“, die Gesprächsführung von Referendaren gezielt auszuwerten und zu verbessern. Da wünschte ich mir schon Fortbildungen, Handreichungen oder Ähnliches – das meinte ich mit „Geheimwissen“.
    Und das Ganze nun innerhalb von 11 Unterrichtstagen (eben bis zum Zeitpunkt des ersten, festgelegten UBs) – das ist schon auch Druck für den Ausbildungslehrer.

  4. Na, es wird doch aber nicht erwartet, dass der Referendar innerhalb von 11 Tagen den perfekten Besuch da hinlegt. Es wissen doch auch die Jungs und Mädels vom ZfsL, dass nur sehr wenig Zeit da ist und dass das alles eben noch nicht so ist wie „früher“, als die Referendare halt mehr Zeit bis zum ersten UB hatten.

    Und was das „Geheimwissen“ angeht: Ich hab auch keine Geheimkurse mit dem Thema „Referendare ausbilden leicht gemacht“ besucht – die gibt’s auch für uns nicht. Ich hab viel gelesen, zum Teil Bücher, die mir schon während des Referendariats als Lektüre empfohlen wurden, die ich damals aber nicht für nötig hielt gelesen zu werden 😉 Ich hab Fortbildungen besucht zu Gesprächsführung und Coaching und so weiter. Auch alles keine Rocketscience.

    Letztlich bin ich aber ganz fest davon überzeugt dass man, solange man selber noch in der Lage ist, über seinen eigenen Unterricht zu reflektieren und auch mal mit Abstand über das, was man selber so macht nachzudenken, mit einer guten Portion Bauchgefühl und Gespür für diesen ominösen „guten Unterricht“ durchaus auch ohne Geheimwissen und Spezialkurse Referendaren das mitgeben kann, was sie brauchen, um „gute Lehrer“ zu werden.

    Du merkst doch instinktiv, ob der/die da vorne verklemmt ist, die Schüler nicht ernst nimmt, die Schüler ihn nicht ernst nehmen. Du siehst doch, ob da 45 Minuten verdaddelt werden oder ob da am Ende „was bei raus kommt“. Du bekommst doch mit, ob der Kandidat gut vorbereitet in seine Stunde geht, oder ob er das alles so larifarimäßig auf dem Schultoilette zusammengeschustert hat, was er da macht. Du siehst, ob ein Referendar eigene Ideen entwickelt, oder ob er nur und ausschließlich Dein Material nutzt um letztlich Deine Stunden zu halten. Und wenn Du merkst, dass einer das Gespräch absolut nicht ans Laufen bekommt, dann gib ihm Tipps, was Du in der Situation machst (Meldekette und Co).

    Mehr kannst Du doch auch gar nicht tun. Aber mehr erwartet doch auch niemand von Dir. Zumindest sehe ich die Ausbildungslehrer so (bin ja selber auch immer mal wieder in der Situation). Es geht darum, Tipps zu geben, Hinweise, Schule zu erklären, Unterricht zu besprechen. Aber alles nur auf dem Level, wie es eben in einem vollen Schulalltag und unter den institutionellen Rahmenbedingungen eben möglich ist.

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