Zwanzig Jahre

„Guten Tag, mein Name ist Hokey. Ich wurde in einer heilen Welt geboren, als die Bäume noch grün und die Flüsse noch klar waren, die Fauna sich saftige Auen teilte und Smog und Stau ins Reich der Fabeln und Legenden gehörten.“

So in etwa hätte meine ökologische Biografie gelautet, würde man das Geschichtsbild der sehr lieben Sechstklässler zugrunde legen, bei denen ich heute gezielt in einer Deutschstunde hospitieren durfte. Diese hatten nämlich zur Aufgabe, in Kleingruppen ein Wandplakat zu erstellen, mit welchem sie Appelle zum Thema „Umweltschutz“ üben sollten.

Eines dieser Plakate beschäftigte sich mit dem Thema „Umwelt gestern und heute“ und stellte die grüne, unebefleckte und heile Umwelt von damals der maroden, kaputten und zerstörten Umwelt von heute gegenüber. Damals – das war für die Schüler vor zwanzig Jahren.

Zwanzig Jahre scheinen für die jungen Leute in etwa so weit weg wie das Mittelalter oder die Punischen Kriege, so grün grünten die Bäume, so rot rosten die Rosen und so blau flossen die Flüsse auf den Bildern, die die Kleinen mit liebevoller Hingabe auf ihre Plakate gemalt hatten. Das war schon sehr niedlich, zu sehen, wie heil und perfekt sie sich die Welt vor zwanzig Jahren vorstellen und vielleicht auch ganz lehrreich in Sachen Geschichtsbewusstsein für den künftigen Geschichtslehrer Hokey. Zum Glück habe ich mich anfangs nicht so vorgestellt:

„Guten Tag, mein Name ist Hokey. Ich wurde in einer Welt geboren, in der Kinder wegen einer atomaren Wolke nicht im Sandkasten spielen und Gartengemüse essen durften, als noch das Waldstreben die unrecycelten Schlagzeilen prägte und sich höchstens Umweltminister in dicken Taucheranzügen in den Rhein wagten. Das war vor zwanzig Jahren.“

4 Gedanken zu „Zwanzig Jahre

  1. Hehe, dass erinnert mich an die Schülerin in meinem Computerkurs den ich (noch Student) an einer Ganztagsschule leitete. Die fragte mich ob ich den Krieg noch miterlebt hab 🙂

  2. Christian kam der Schülerin sicher sehr jung vor. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß er den Jugoslavien- oder den Afganistan-Krieg schon miterlebt hat. Daß Krieg unter deutscher Beteiligung als so weit zurück liegend empfunden wird, ist auch Ergebnis unserer Qualitätsmedien, die kräftig für Geschichtslosigkeit und Besinnungslosigkeit sorgen. Da hat man als Geschichtslehrer wenigstens eine anspruchsvolle Aufgabe. 🙂

  3. Pingback: Kreide fressen » Blog Archive » Geschichte, Abi, Distanz und weiß der Himmel was noch…

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