Das Typhusprojekt – im Internet!

Das Typhusprojekt ist eines der bekanntesten Projekte, das etwa in den 1920er Jahren von E. Collings nach der von John Dewey und W.H.Kilpatrick entworfenen Projektmethode durchgeführt wurde. Dewey und Kilpatrick setzen bei ihrer Pädagogik besonders auf Pragmatik und betonen die Wichtigkeit der konkreten Handlung beim Lernen. Weniger das abstrakte Lernen im luftleeren Raum schwebte ihnen vor, als vielmehr ein Lernen, das aus alltäglichen Fragen gespeist und durch die Entwicklung eigener Lösungsvorschläge und Handlungsansätze getragen werden sollte.

Collings hat dazu exemplarisch das sogenannte Typhus-Projekt dokumentiert. Dort wurde eine Frage aus dem alltäglichen Leben aufgeworfen (Fernbleiben eines Mitschülers), die Schüler gingen den Ursachen der Krankheit (Dreck, Fliegen, Hygiene) auf den Grund (häufige Erkrankungen dieser Art in der Familie) und erarbeiteten verschiedene Lösungen, um das Problem zu beseitigen. Nachdem sich eine Lösung als praktikabel erwiesen hatte, schrieb man einen Brief an eine zuständige Behörde, um dort auf das Problem und seine Lösung aufmerksam zu machen.

Nach Dewey sollten junge Menschen auf diese Weise zu demokratischen, sprich: eigenverantwortlich handelnden, sozialen und engagierten Teilnehmern ihrer Gesellschaft erzogen werden.

So weit, so gut. Nun erlebt das Typhus-Projekt eine Wiederbelebung – im Internet! „The River City Project“ heißt ein Projekt der Universität Harvard, welches eine virtuelle Lernumgebung wie in einem Computerspiel schafft. In dieser Umgebung müssen die Schüler, wie beim Typhus-Projekt, einer rätselhaften Epidemie in einer Stadt des 19. Jahrhunderts auf die Spur kommen, Lösungsansätze finden, sich darüber austauschen und ihre Theorien praktisch erproben.

Das Projekt findet also vollständig im Internet statt. Losgelöst von Sachzwängen (wann hat man schon mal eine hübsche Epidemie, auf die man gefahrlos Schüler loslassen kann?) kann man dort Projektunterricht im besten Sinne der Ideen Deweys machen! Anstatt am Ende des Schuljahres den typisch deutschen Pseudoprojektunterricht unmotiviert dranzupappenn, kann man nun möglicherweise ausgerechnet im virtuellen Raum „echten“ Projektunterricht durchführen. Allerdings müssen dafür die technischen Voraussetzungen erfüllt sein.

Das Interface der Lernumgebung macht einen übersichtlichen Eindruck, und auf der Homepage des Projekts findet man auch einige Videos und Screenshots. Wenn diese Methode die motivationalen Anreize eines Computerspiels mit fundierten Lernergebnissen verknüpfen kann, bin ich hellauf begeistert! Wer weiß, vielleicht arbeitet in zehn Jahren ein Team von Programmierern für das Kultusministerium und entwirft nach didaktischen Maßgaben Lern-Computerspiele…

8 Gedanken zu „Das Typhusprojekt – im Internet!

  1. Ah, das ist interessant. Wie meinst Du „Fake“ genau?

    Ich kann mich erinnern, dass Kritik geübt wurde, dass das Typhus-Projekt geschönt und kritische Punkte ausgespart wurden, aber dass es eine komplette Erfindung sein soll, wäre mir tatsächlich neu.

  2. Dass Collings‘ Typhusprojekt ein tatsächlich „fake“ war, lässt sich nachlesen in zwei Aufsätzen von Michael Knoll:

    Abschied von einer Fiktion. Ellsworth Collings und das “Typhusprojekt”. In: Neue Sammlung 32 (Oktober 1992), S. 571-587.

    Faking a Dissertation: Ellsworth Collings, William H. Kilpatrick, and the “Project Curriculum”. In: Journal of Curriculum Studies 28 (March 1996), S. 193-222

  3. Inzwischen ist eine erweiterte und bebilderte Fassung der Knollschen Artikel zum „Typhusprojekt“ erschienen in:

    Michael Knoll: Dewey, Kilpatrick und „progressive“ Erziehung. Kritische Studien zur Projektpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011. S. 193-234.

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