Geburtstagsüberraschung

Überraschungen dienen dazu, dem anderen zu zeigen, dass man ihn wertschätzt und auf seine Bedürfnisse achtet. Da komme ich heute in eine verdächtig nach Wunderkerzen müffelnde neunte Klasse und sehe eine Gruppe Schülerinnen um eine liebevoll gestaltete große Sahnetorte in Herzform geschart. Dahinter ein strahlendes Geburtstagskind. Zwei Tage zuvor Ähnliches in derselben Klasse: Ein Geburtstags-Schüler packt sein vermutlich nicht minder liebevoll in Alu-Folie eingepacktes Geschenk aus: Zwei schmackhafte Bratwürste, dahinter ein dickes Grinsen des Geburtstagskindes. Man achtet aufeinander und das wirkt sich auch auf das Unterrichtsklima (nicht unbedingt auf die Leistungen) aus.

Zu schade, hatte heute meine letzte Stunde in (m)einer Lieblingsklasse.

Plädoyer für gute Hefte

Sitze gerade über Korrekturen. Und habe dabei meine Mutter im Ohr, die sich während meiner Schulzeit darüber ärgerte, dass an einem Gymnasium für Klassenarbeiten die teureren schwarzen Hefte mit der roten Falz angeschafft werden mussten. Ja, sie waren teurer, aber wenn ich mir gerade anschaue, wie rot die Hefte wirken, wenn ich auf nahezu durchsichtigem Papier korrigiere und mein Rotstift von hinten durchscheint, dann ist das Geld vielleicht gar nicht schlecht angelegt. Und mehr Freude bereitet das Schreiben auf gutem Papier auch, wenn man nicht permanent gegen das zuvor Geschriebene anschreiben muss. Das Gleiche gilt für Stifte. Während ich als Klassenlehrer der Klasse 5 noch recht „stiftetolerant“ war, habe ich mittlerweile festgestellt, dass schlechte Stifte den Schülern das Schreiben unglaublich mühselig machen. Dafür sollte man dann doch noch irgendwo ein paar Euro übrig haben – immerhin ist ein Füller das tägliche Arbeitswerkzeug der Kinder schlechthin. Und dafür sollte man einen qualitativ angemessenen Füller finden. Oder habt ihr schon mal professionelle Handwerker mit Werkzeugen aus dem Aldi-Angebot gesehen?

Horror am Morgen

In einer sechsten Klasse frühmorgens. Hokey schlendert durch die Reihen, um unterstützend einzugreifen, falls jemand Schwierigkeiten bei seiner Detektivgeschichte haben sollte. Hier und da eine Meldung, dort werden Mitschülernamen verballhornt, weiter hinten setzt eine junge Dame dazu an, eine Soap-Opera zu gestalten, in der vielleicht ein Detektiv eine Gastrolle spielen könnte und dann komme ich zu einem Schüler.

Ein wenig viel Blut fließe da, weise ich hin, es solle ja die Handlung des Detektivs im Mittelpunkt stehen, nicht die Bluttat des Mörders. Gefolgsames Nicken. Dann die Gegenfrage: Ob ich denn Horrorfilme möge? Ob ich denn SAW kennen würde? Alarmglocken bimmeln, Alarmstufe rot, „Saw“ ist für meiner einen schon Horror der härteren und ekligeren Art und für Kinder jedweden Alters (also bis mindestens 51) ungeeignet. Gegenfrage meinerseits: Ob er denn schon Saw geguckt habe? Ein verlegenes Lächeln folgt, er bejaht, habe einmal zufällig reingezappt und dann schnell ausgeschaltet, weil er sich so geängstigt habe.

Lernzuwachs in dieser unscheinbar verlaufenen Stunde: Fernseher in Kinderzimmern sind Körperverletzung. Eltern, die ihren Kindern solches gestatten, sollte man… vielleicht einfach nur mal „Saw“ zeigen…

Hegemann beim Abendbrot

Da wähnt man, die feuilletonistische Diskussion um das immer weniger mutmaßliche Plagiat Helene Hegemanns sei abgeflacht, Axolotls wieder im Zustandsbereich der Zoologen angelangt und die erhitzten Gemüter abgekühlt, da hebt mich ein Fünftklässler aus den Socken. Nach einem dezenten Hinweis auf unbotmäßiges Abschreiben platzt es freudestrahlend aus ihm heraus: „Da ist doch jetzt diese Siebzehnjährige, die hat sogar ein ganzes Buch abgeschrieben!“ Mit einer Mischung aus gelinder Verzweiflung und gehöriger Faszination nehme ich diesen Beitrag auf. Ein Fünftklässler, der die Hegemann-Debatte gestreift hat.

Was nun? Soll ich diesen Beitrag jetzt damit schließen, dass ich Fräulein Hegemann einen Rüffel verpasse, wegen Verführung Minderjähriger, oder sollte ich darüber philosophieren, dass man als Lehrer doch irgendwie weiß, über was sich die Eltern beim Abendbrot unterhalten? Du kannst entscheiden, lieber Leser: Für Variante 1, klicke auf diesen Link. Für Variante zwei… (hmmm… einen Fortsetzungsbeitrag! Das müsste man wirklich mal machen! Aber heute bin ich zu faul und bitte um Verzeihung.)

Ein Hirnforscher über Jungs

Ein authentischer Mann ist einer, bei dem Denken, Fühlen und Handeln eine Einheit sind. Neurobiologisch spricht man von Kohärenz. Menschen, die diese Kohärenz verkörpern, haben eine besondere Ausstrahlung. Das nennt man Charisma. (…)

Deshalb wünsche ich mir viel mehr erwachsene Männer, die sich für diese Jungs einsetzen. Die sich zur Verfügung stellen. Die diese Jungs einladen, ermutigen und inspirieren, mit ihnen gemeinsam zu entdecken, was Mannsein bedeuten kann. Die mit ihnen auf Berge steigen, in Flüssen angeln, mit modernen Medien irgendetwas Großartiges gestalten, in den Zirkus gehen, was auch immer. Die Hauptsache ist das gemeinsame Erlebnis, dass es Spaß macht, ein authentischer Mensch zu werden. (FAZ)

Steckt darin nun ein überkommenes Männerbild oder vielleicht auch eine Aufgabe für Lehrer? (Ich bin früher oft mit meinem Vater Angeln gefahren und fand es jedesmal totlangweilig. 😉 ) An den Aussagen des Hirnforschers Gerald Hüther gefällt mir insbesondere, dass er nicht ein Primat der Hirnforschung einfordert, sondern selber sagt, dass der Mensch ohne Kultur nicht einmal auf zwei Beinen gehen könne. Das ist doch Balsam auf die Seele des Geisteswissenschaftlers…

Lesens- und bedenkenswert, finde ich.

Hokey und seine doofen Vorurteile

Es war irgendwie offensichtlich. Ich hatte eigentlich gar nichts gesagt, doch irgendwie musste ich es mitkommuniziert haben. Wir stecken gerade am Anfang einer Reihe zum Thema „Kreuzzüge“ und hatten uns Informationen zu Mohammed angeschaut und dabei anhand einer Quelle das Verhältnis zwischen Moslems und Christen reflektiert, als eine Schülerin mit türkischem Aussehen und türkischem Namen einer Antwort vorausschob: „Ich bin ja keine Muslimin, aber…“

Autsch. Erwischt. Denn genau das hatte ich gedacht.

Sinalco statt Cola

Da stehe ich nun vor dem Colaautomaten im Herbergshaus. Sozialkram soll das hier werden, zur Stärkung der Klassengemeinschaft. Ich bin gespannt, aber skeptisch. Nur zwei Stunden Unterricht gebe ich pro Woche in dieser Klasse, aber dennoch bleibt mir nicht alles verborgen. Ob eine dreitägige Fahrt da wohl etwas nützt? „Psychoquatsch“ hatten die Tonangebenden schon verlauten lassen. Der erste Tag ist halbwegs ordentlich über die Bühne gegangen, nun brauche ich ein eiskaltes Getränk für meinen trockenen Hals.  Ich werfe sechzig Cent ein und drücke auf den Knopf, der mir das Coca-Cola-Symbol zeigt. Es rumpelt. Eine Flasche Sinalco liegt im Fach.

In den folgenden Tagen werde ich meine Schüler von ganz anderen Seiten kennenlernen. Einige Einschätzungen werden Bestätigung finden, andere werden ausgeräumt oder durch neue Erfahrungen ergänzt. Einer gewinnt über seine bis dato wenig bekannte künstlerische Ader die Bewunderung seiner Mitschüler und Lehrer. Er scheint auch zu merken, dass er vor mir keine Angst zu haben braucht – er kann mir normal in die Augen schauen und duckt sich nicht weg. Warum das vorher so war – mir ein Rätsel. Ich lerne Gruppenhierarchien kennen und dabei auch etwas über funktionierenden Geschichtsunterricht.

Weiterhin lerne ich, dass Jungs anders zur Ruhe kommen, meditieren oder sich besinnen wollen als Mädels. Sie scheinen peinlich berührt, wenn Chöre Mia-Lieder singen und dazu in einer Kapelle Kerzen flackern und machen dies durch Gekicher und unbotmäßiges Flüstern deutlich. Die Mädchen starren ohne Ausnahme alle andächtig in die Flammen. Erst als die Feuerschale angezündet wird und eine atmosphärische Live-Aufnahme „Nothing else matters“ aus den Boxen strahlt, verstummen auch die Jungs. Warum nicht gleich so? Warum immer dieses Kuschel-Gedöns? (Ich habe das als Schüler auch gehasst!)

Das Gelände, auf dem wir drei Tage wohnen, ist riesig und mit allem ausgerüstet, was man als Lehrer alltäglich erträumt. Schülergruppen können einfach in einen Musik-, Kunst- oder Theaterraum geschickt werden, können sich für Gruppenarbeiten wild verteilen, das große Plenum lässt genug Raum, dass dreißig Menschen sich frei bewegen können. Laptops, Beamer, Fernseher, Videokameras und mehr sind vorhanden, um den Schülern alle Möglichkeiten zu bieten. Ein Traum für den täglichen Unterricht. Drei Teamer kümmern sich um die Schüler – die Lehrer werden rausgehalten, was sich als sinnvoll erweist.

Dann ist es vorbei. Niemand spricht am dritten Tag von „Psychoquatsch“, alle sind begeistert. Die Unterrichtsbeteiligung hat sich spürbar verbessert. Das Klassenklima wohl auch (was aber weiterhin zu beobachten ist). Und Sinalco schmeckt besser als Coca-Cola.

Das erste Mal: Protokoll in der Mündlichen

Zum ersten Mal Protokoll für mündliche Abi-Prüfungen geschrieben. Das war gar nicht soo anstrengend, wie gedacht und gleich heute wurde auch eines meiner Protokolle gebraucht. Nicht jeder war mit seiner Zensur zufrieden. Es war ganz gut, noch einmal Prüflinge in action zu sehen, bevor ich nächstes Jahr meinen eigenen Kurs ins Abi schicke – jetzt weiß ich, was ich denen noch einmal besonders einschärfen muss: Knallt den Prüfern nicht nur Faktenwissen vor den Latz, sondern verknüpft diese Fakten miteinander und kommt zu einem Sach- und Werturteil! Anforderungsbereich 3 ist bei manchen wirklich kaum oder gar nicht erreicht worden – was vielleicht auch am falschen Bild von Geschichte liegen mag. Tränen hat es auch gegeben und ich war dankbar, dass eine der erfahrensten Kolleginnen anwesend war, um die Sache wieder hinzubiegen…

Man lebt sich ein, an der „neuen“ Schule. Ich überlege aktuell, wie ich den Raum für meine neuen Fünfer gestalten kann, wie man ihn „fünferfreundlich“ macht und wie ich meine zurückhaltend-trockene Art, mit der ich in Mittel- und Oberstufenklassen recht gut klarkomme, bei den grundschulgewohnten Zwergen ablegen kann. Ein wenig mehr Herzlichkeit wünschte ich mir manchmal schon, aber da liegt irgendwo ein großer Schatten, über den ich nicht so leicht springen kann…

Die letztwöchige  Klassenfahrt war übrigens spitze. Besonders ein „Problemschüler“ haut jetzt richtig rein und muss nicht immer den Kasper mimen. Bei den Aktionen während der Klassenfahrt konnte er richtig zeigen, was ihm Spaß macht und wo er seine Stärken hat, mit denen er auch ohne Clownsgehabe bei anderen ankommt – das merkt man jetzt. Bilde ich mir zumindest gerade ein.

Weiterhin werde ich ein wenig Web2.0-müde. Neben dem ganzen Alltagsgedöns auch noch den Feedreader checken, die 100 neuesten Tweets lesen, ins Moodle reinschauen, Links folgen, Diskussionen durchdenken und eigene Blogbeiträge schreiben – das ist zu viel für mich. Ich strecke die Waffen und nehme mir von einigen Web-Diensten eine Auszeit. Bloggen werde ich aber weiterhin, zwar wenig fleißig, aber dafür immer wieder mal ein bisschen.

Von wegen Schüler wollen Action…

Da standen wir nun in der lauen Bielefelder Nachtluft, die Menschen strömten durch die großen Türen des Stadttheaters an uns vorbei, hinter uns rauschten die Stadtbahnen. Meine Kollegin und ich waren’s zufrieden und hatten eine gute Vorstellung „Don Karlos“ hinter uns, wenn auch unerwartet modern, doch gerade das sollte unseren Schülern entgegengekommen sein. Oder?

Bestimmt waren es nicht die verzerrte Gitarrenklänge, zwischen einigen Aufzügen eingebracht, die mein gitarrenverliebtes Ohr als rückwärtsgespieltes Tapping erkannte, psychedelisch und verstörend, während sich die drehbare Bühne bewegte und dem Betrachter neue Räume eröffnete. Bestimmt nicht das „Blablabla“, das die Schauspieler mitunter lautstark einwarfen und so lange Dialoge abkürzten.

Vielleicht waren es die Kostüme. Ein Schüler beschrieb die Figuren als aus einem Mafia-Film der 50er-Jahre entsprungen. Unrecht hatte er da nicht. König Philip wirkte in seinem silbergrau glänzenden Anzug wie ein Wirtschaftsboss, vielleicht auch ein wenig wie ein Pate. Seine Schergen Alba und Domingo in ihren schwarzen Anzügen und mit Albas Pistolenholster wie brutale Mafiosi. Posa dagegen schien wie ein Stadtstreicher, wie ein abgerissener Halunke, ein Möchtegern-Punk, in seinem olivfarbenen Unterhemd, der wirren Frisur und dem Fell auf der Schulter.

Vielleicht war es die Körperlicheit der Inszensierung. Wenn Männer sich freundschaftlich und inniglich küssten, wenn Karlos ins Gemach der Eboli eindrang, mit dieser eng umschlungen unzüchtig auf den Boden stürzte; wenn der König seinen nicht mehr jungen Oberkörper entblößte oder wenn die Eboli von Alba und Domingo sexuell genötigt wurd.

Vielleicht waren es die, trotz Kürzungen, immer noch langen Dialoge, die Konzentration und Aufmerksamkeit verlangten, wollte man ihnen folgen. Vielleicht brauchte es dafür manchmal Sentenzen wie Ebolis „Ich habe deinen Mann gefickt“, um die Schüler von Zeit zu Zeit zu wecken und zu entsetzen.

Vielleicht war es auch einfach der Wunsch, den „echten“ Schiller zu sehen, in klassischen Kostümen, in ganzer Pracht, in kunstvoll gestelzter Sprache, dem hohen Ton; vielleicht der Wunsch, Theater zu sehen, das edel und rein ist, frei vom Staub und Schmutz des Alltags. Eine Phantasiewelt, die von untergegangenen Königreichen erzählt, irgendwann in einer fernen Vergangenheit, in der es wundervolle Kleider gab und in der wunderschöne feine Damen und Herren Intrigen spannen, um Freundschaft, Macht und Freiheit rangen.

Reichlich Applaus gab es trotzdem. Und wir haben Montag reichlich Diskussionsstoff. Auch wenn die Rückmeldungen bislang eher von Enttäuschung berichteten.

Das große Schülerauge

Heute. Zweite große Pause. Pausenaufsicht. Ich gehe durch den leeren Flur und bleibe vor Klassenraum XYZ stehen. Ich weiß, darin sitzen noch Schülerinnen einer mir unbekannten Klasse. Sie wissen, dass ich gleich kommen werde. Es ist ein Ritual. Auch heute wieder. Mit einem kleinen Unterschied: Statt schmollend den Klassenraum zu verlassen, schallt es mir entgegen: „Sind Sie umgezogen? Wohnen Sie jetzt in (Stadtteil von Bielefeld)“?
Joa mei! Schülern entgeht einfach nichts. Selbst, wenn sie dich nicht kennen, kennen sie dich.