Privatleben reanimieren

Hrmpf. Immer noch dieser deprimierende Verlag20-Artikel ganz oben. Aber leider ist bei mir zur Zeit Ideenflaute bzw. vielmehr Zeitflaute. Es ist deutlich zu merken, dass die Blogfrequenz in den Ferien ansteigt. Allerdings arbeite ich daran und versuche, mir Freiräume zurückzuerobern. Zum Beispiel habe ich angefangen, wieder zu joggen. Naja, bin erst zweimal gelaufen, aber heute wird es dann wohl das dritte Mal werden. Und eine Rollenspielgruppe scheint sich aufzutun, in der man dann mal tageweise in eine fantastische Welt abtauchen kann, in der keine Schulen und Klassenarbeiten existieren. Und wenn mir irgendein böser Magier einen Stapel Hefte in den Helden-Rucksack stopft, dann werfe ich ihn in den nächstbesten Fluss.

Gegen eine Ideenflaute hilft aber auch der Besuch fremder Schulen. So hat eine kleine Delegation unserer Schule incl. meiner Wenigkeit das Albrecht-Ernst-Gymnasium in Oettingen besucht und ich muss schon zugeben, dass das sehr anregend war. Man öffnet dort peu a peu die Raumstrukturen und kommt dadurch zwangsläufig zu einem offeneren Unterricht, der nicht auf die frontale Tafel ausgerichtet ist. Ähnliches überlegen wir jetzt auch, helfen sollen dabei Elemente des flexiblen Klassenzimmers. Einiges davon verwenden wir schon, wie z.B. Tische und Stühle, über anderes denken wir nach. Das flexible Tafelsystem ist schon nicht schlecht und die Schüler haben immer wieder mal einen Grund, sich zu bewegen. Gerade bei unserem Doppelstundenraster fällt auch mein Unterricht oft viel zu stubenhockerisch aus. Bei so einem Besuch bekommt man nicht übel Lust, gleich mal die ganze Schule umzugestalten.

Naja, ich fange erst einmal im Kleinen an: Neue Ablagesysteme für Elternbriefe und Arbeitsblätter werde ich anschaffen und evtl. den Gardinentrick anwenden, so das bei unseren Wänden funktionieren mag…

(Entschuldigt diesen unzumutbaren Schreibstil, aber ich habe gerade keine Lust, alles umzuschreiben…)

Helden und Payback

Die Osterferien beginnen und es schüttet aus Kübeln. „Der Held und sein Wetter“ – so lautet der Titel eines Bandes F.C. Delius zu dem wohl bekanntesten literarischen Gestaltungsmittel, und der Held dieses Blogs kann sich glücklich schätzen, dass er dem Regen, der da an die Scheiben prasselt, keine motivische Bedeutung beimessen muss, sonst wären Depressionen vorprogrammiert. Man ist doch ein Held, wenn man ein Blog betreibt, oder? Zumindest im literarischen Sinn, außer Herr Rau, den darf man wegen seines Outfits ruhig auch als Superhelden bezeichnen. 😉

Um ein Held zu sein, muss man aber nicht durch besondere Kräfte glänzen; gerade für frische Junglehrer reicht es oft, Autoren und Herausgeber brauchbarer Unterrichtshilfen zu kennen oder in Schulbüchern wiederzufinden, um neue Helden zu finden. Darum freute ich mich heute ein kleines bisschen, als ich die Werbung von Krapp&Gutknecht ihres Folienkleides entledigt hatte:

Bitte großklicken!

Bitte großklicken!

Jetzt bin ich ja schon versucht, zuzugreifen, nachdem ich schon des Öfteren auf Norberts Blogs sachlich hilfreiche und anregende Ideen, Hinweise und Überlegungen gefunden habe.

Rückzahlung
Die letzten Wochen waren anstrengend und die ein oder andere Superkraft hätte ich da schon gerne zum Einsatz gebracht. Seit gut einem Jahr bin ich jetzt „voll“ dabei und zahle mittlerweile fleißig zurück, was ich im Referendariat bei meinen Ausbildungslehrern an Kredit eingefordert habe: Zwei Unterrichtsbesuche wollten letzte Woche, mit allem, was dazu gehört, betreut werden und zwei Praktikanten bekamen die Gelegenheit, Einblicke in den Unterrichtsalltag eines Deutschlehrers zu gewinnen. Dabei ist es immer wieder spannend, zu beobachten, wie unterschiedlich die jeweiligen Personen auf die Schüler reagieren und  umgekehrt. Eine noch sehr junge Praktikantin hatte schon einen sehr strammen Tonfall und eine (etwas zu) zielstrebige Stundenführung. Beruhigend war, dass die Referendarin alles hervorragend gemacht hat und die Nachsprechung, bei der ich auch anwesend sein sollte, sehr angenehm verlaufen ist, obwohl da im Vorfeld böse Gerüchte kursieren – aber das hatten wir ja schon öfter.

Als Ausbildungslehrer steckt man ja dann doch immer voll drin, immerhin gibt man hier und dort Hinweise und Tipps, überdenkt die Unterrichtsentwürfe und schwebt dabei immer scharf zwischen Hinweisen und Vorsagen, zwischen ins Messer laufen lassen und Raum für eigene Erfahrungen lassen. Das ist nicht immer leicht, denn ist es nicht auch meine Schuld, wenn die Referendarin einen schweren Patzer im Entwurf hat? Aber ist es noch ihr Entwurf, wenn ich ihr dazu den entscheidenden Hinweis gebe? Man balanciert als Ausbildungslehrer ganz schön zwischen Himmel und Hölle. Umso schöner ist es, wenn alles gut geklappt hat!

Die Ferien starten heldenhaft: Als Red-Pencil-Man werde ich jetzt den Horden blauer Klassenarbeitsstapeln zu Leibe rücken!

„Er hat Frontalunterricht gehalten…

… steinigt ihn, steinigt ihn!“ – Ich muss gerade dran denken, als ich Christians aktuelle Gedanken zum Frontalunterricht (eigentlich geht es um Vorträge in der Uni) lese. Ich will hier gar nicht auf den universitären Graben zwischen Theorie und Realität eingehen – Didaktik spielt bisweilen nicht einmal bei den universitären Fachdidaktikern eine Rolle. Nichtsdestotrotz bekommt man auf der Universität mehr oder weniger vermittelt, dass Frontalunterricht Mist ist. Großer Mist. Geradezu lernbehindernd, ineffektiv, kinderfeindlich, schlecht. Offener Unterricht wird gepredigt (und „predigen“ passt ziemlich gut: von oben herab hinabgepredigt hat man ihn), Stationenlernen angeregt, Portfolioarbeit beschworen, Gruppenarbeit stark gemacht, Lernen in Teams beworben, sodass man irgendwann voller guter Vorsätze ins Referendariat startete…

…und es jedesmal mit dem schlechten Gewissen zu tun bekam, wenn man frontale Phasen einbauen musste. Der Lehrervortrag – ein didaktisches No-Go, obwohl sogar von Fachleitern für gut befunden. Viel zu frontal, Schülerquälerei. Stundenlanges Überlegen, wie Schüler Dinge, die ihnen fern liegen, erdacht von Professoren in hohen Elfenbeintürmen, schnell selber „entdecken“ können. Kopfzerbrechen. Schlechtes Gewissen. Kopfzerbrechen. Schlechtes Gewissen. Etc.

Heute in einer Klasse zwei frontal ausgerichtete Stunden gehalten. Eine „aus der Not heraus“, weil mehrere Schüler einen Schulbuchtext nicht verstanden hatten. Ich musste mein Programm umwerfen und wir haben den Text dann kleingehackt. Absatz für Absatz. Zeile für Zeile. Wort für Wort. Meine Herren – ich habe selten so eine hohe Schülerbeteiligung gehabt! Mit Diskussion unter den Schülern, die sich gegenseitig am Text be- und widerlegt haben, ohne mein Zutun. Als Ergebnis haben einige meiner schwächsten Schüler Dinge von sich gegeben, die stolz ihren Weg an die Tafel fanden. Desgleichen in Deutsch – die SuS haben Ergebnisse der Vorstunde zehn Minuten an die Tafel geschrieben, danach Unterrichtsgespräch zum deduktives Erarbeiten dramentheoretischer Begriffe. Wiederum: Eine Beteiligung, dass ich bald vom Pult gepurzelt bin.

Aus solchen Stunden kann ich einfach nicht mit einem schlechten Gewissen gehen. Und wenn mir eine wiederholungsgefährdete Siebtklässlerin ausgehend von einem Text von Pico della Mirandola in eigenen Worten(!) erklärt, dass die Humanisten zur Zeit der Renaissance wollten, dass der „Mensch sich selber modelliert“, dann bin ich überzeugt, dass nicht nur die Starken etwas aus dem Frontalunterricht mitgenommen haben. Klar, Monokultur und so, aber wir sollten uns als Lehrende nie Dogmen unterwerfen. Weder in die eine, noch in die andere Richtung. Und wer mir mit solchen um die Ecke kommt, den kann ich nicht ernst nehmen.

Sinalco statt Cola

Da stehe ich nun vor dem Colaautomaten im Herbergshaus. Sozialkram soll das hier werden, zur Stärkung der Klassengemeinschaft. Ich bin gespannt, aber skeptisch. Nur zwei Stunden Unterricht gebe ich pro Woche in dieser Klasse, aber dennoch bleibt mir nicht alles verborgen. Ob eine dreitägige Fahrt da wohl etwas nützt? „Psychoquatsch“ hatten die Tonangebenden schon verlauten lassen. Der erste Tag ist halbwegs ordentlich über die Bühne gegangen, nun brauche ich ein eiskaltes Getränk für meinen trockenen Hals.  Ich werfe sechzig Cent ein und drücke auf den Knopf, der mir das Coca-Cola-Symbol zeigt. Es rumpelt. Eine Flasche Sinalco liegt im Fach.

In den folgenden Tagen werde ich meine Schüler von ganz anderen Seiten kennenlernen. Einige Einschätzungen werden Bestätigung finden, andere werden ausgeräumt oder durch neue Erfahrungen ergänzt. Einer gewinnt über seine bis dato wenig bekannte künstlerische Ader die Bewunderung seiner Mitschüler und Lehrer. Er scheint auch zu merken, dass er vor mir keine Angst zu haben braucht – er kann mir normal in die Augen schauen und duckt sich nicht weg. Warum das vorher so war – mir ein Rätsel. Ich lerne Gruppenhierarchien kennen und dabei auch etwas über funktionierenden Geschichtsunterricht.

Weiterhin lerne ich, dass Jungs anders zur Ruhe kommen, meditieren oder sich besinnen wollen als Mädels. Sie scheinen peinlich berührt, wenn Chöre Mia-Lieder singen und dazu in einer Kapelle Kerzen flackern und machen dies durch Gekicher und unbotmäßiges Flüstern deutlich. Die Mädchen starren ohne Ausnahme alle andächtig in die Flammen. Erst als die Feuerschale angezündet wird und eine atmosphärische Live-Aufnahme „Nothing else matters“ aus den Boxen strahlt, verstummen auch die Jungs. Warum nicht gleich so? Warum immer dieses Kuschel-Gedöns? (Ich habe das als Schüler auch gehasst!)

Das Gelände, auf dem wir drei Tage wohnen, ist riesig und mit allem ausgerüstet, was man als Lehrer alltäglich erträumt. Schülergruppen können einfach in einen Musik-, Kunst- oder Theaterraum geschickt werden, können sich für Gruppenarbeiten wild verteilen, das große Plenum lässt genug Raum, dass dreißig Menschen sich frei bewegen können. Laptops, Beamer, Fernseher, Videokameras und mehr sind vorhanden, um den Schülern alle Möglichkeiten zu bieten. Ein Traum für den täglichen Unterricht. Drei Teamer kümmern sich um die Schüler – die Lehrer werden rausgehalten, was sich als sinnvoll erweist.

Dann ist es vorbei. Niemand spricht am dritten Tag von „Psychoquatsch“, alle sind begeistert. Die Unterrichtsbeteiligung hat sich spürbar verbessert. Das Klassenklima wohl auch (was aber weiterhin zu beobachten ist). Und Sinalco schmeckt besser als Coca-Cola.

Den Franken näher

Ausgerechnet in der Klasse, in der es in Sachen Disziplin am schwierigsten ist, habe ich einen Geschichts-Fan gefunden. Die Bio-Lehrerin steckte mir, dass eine Schülerin nach der Bio-Stunde meinte, Geschichte sei ihr Lieblingsfach. Strike! Sehr erfreulich, aber vor allem erstaunlich, weil diese Schülerin noch nicht allzu lange in Europa weilt und mich so das Interesse an europäischer Geschichte ein wenig wunderte. Doch im Gegenteil, trotz des sie persönlich nicht betreffenden Themas „Das Christentum als Säule des Mittelalters“ ist sie hochinteressiert. Denn das Nichtbetroffensein ist nur scheinbar nicht vorhanden.

„Da treffen zwei Kulturen aufeinander!“, sagte sie heute in einer Stunde, die sich mit der Missionierung des Frankenreiches beschäftigte, und ich stutzte für eine Sekunde, denn wir hatten bisher eigentlich nicht von „Kulturen“, sondern von „Heiden“ und „Christen“ gesprochen, brav, so wie es auch im Buch steht. Doch natürlich hatte sie recht und genau da lag (und liegt) auch ihr Lebensweltbezug zum Thema „Christianisierung“: Fremde Kulturen prallen aufeinander. Ein Erlebnis, das jemand, der von einem anderen Kontinent, mit anderer Religion und anderen Wertesystemen nach Deutschland gekommen ist, offensichtlich sehr gut nachvollziehen kann. Sie ist den alten Franken vermutlich näher als wir eingeborene Europäer.

Mit Abstand

Die frohe Botschaft vorab: Es ist vollbracht! Ich habe eine Stelle an einem Bielefelder Gymnasium angenommen und brauche im Untertitel des Blogs nicht das Prädikat „arbeitsloser Lehrer auf Jobsuche“ zu führen! Die Zusage war eine große Erleichterung, denn es hätte die festliche Vorweihnachtsstimmung doch um einiges getrübt, wenn die Unsicherheit der Arbeitslosigkeit fürs Jahr 2009 gedräut hätte. Zumal man nach der Hochstimmung aufgrund des erfolgreichen Prüfungstages ungerne in Depressionen verfallen möchte.

Der Prüfungstag
Der Prüfungstag… zu dem wollte ich sowieso noch etwas schreiben – ein langer Text ist dazu schon entstanden – aber mit ein wenig Abstand bloggt es sich doch besser. Doch meine ursprüngliche Einschätzung bleibt: Diese Institution ist unsäglich. Im schlimmsten Fall, welcher bei einem mir sehr gut bekannten Referendar eingetreten ist, hat man anderthalb Jahre lang ordentlichen Unterricht gemacht und steht letztlich dennoch wie ein begossener Pudel da, denn durchfallen kann man am Prüfungstag immer, selbst wenn alle Vornoten „Sehr gut“ sein sollten. Man ist also auf Verderb und Gedeih der Prüfungskommission ausgeliefert – ausgerechnet den Menschen, die, mit Ausnahme des Fachleiters, am wenigsten Unterricht überhaupt gesehen haben.

Was ein Durchfallen dann bedeutet, brauche ich hier wohl nicht noch einmal auszuführen. Verlust an Selbstvertrauen, Zweifel am eigenen Unterrichtsstil, Verständnislosigkeit bei überraschendem Nichtbestehen, 15% weniger Gehalt und nur noch eine letzte Chance, bevor man vor dem Nichts steht, obwohl man jahrelang dafür geschuftet hat. Nichts gegen harte Prüfungsbedingungen, aber wenn so vieles von 90 Minuten abhängt, dann kann man nicht mehr von Objektivität sprechen.

Blick nach vorne
Doch egal. Das Thema ist jetzt durch. Ich kann nach vorne blicken und will auch gar nicht meckern. Immerhin habe ich an meinem Prüfungstag meine neue Chefin kennengelernt, ohne allerdings zu wissen, dass ausgerechnet meine Prüfungsvorsitzende meine neue Chefin werden würde.

Ich freue mich auf meine neue Aufgabe, doch frage ich mich, wie ich ab dem neuen Halbjahr mit dem Fulltime-Job an meiner neuen Schule zurechtkommen werde. Immerhin werde ich dann mehr als das Doppelte an Stunde zu bewältigen haben als das, was ich im eigenständigen Unterricht kennengelernt habe. Ich gehe mal davon aus, dass das harte Monate (Jahre?) werden, bis man das effizient hinbekommt. Neue Schulbücher, neue Kollegen, neue interne Curricula, neue Schüler, ein neues Gebäude, neue Eltern, neue Chefs – das wird aufregend.

Vielleicht habe ich an meiner neuen Schule Gelegenheit, einen Israel-Austausch zu machen, was mich als Geschichtslehrer natürlich brennend interessieren würde (Schaffe ich es wohl, nebenbei Hebräisch zu lernen?). Da ich an einer Ganztagsschule arbeiten werde, überlege ich aktuell, wie ich mich ins AG-Angebot einbringen kann. Eine AG „Experimentelle Archäologie“ fände ich ja mal spannend, aber das lasse ich mir noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen. Immerhin braucht man dafür eine Menge praktische Erfahrung und eine Menge handfestes Material – und an beidem mangelt es mir. Aber toll wäre das… ich denk‘ lieber noch mal drüber nach…

Demnächst steht ein Besuch an meiner alten Uni ins Haus, bei der Lehramtsanwärter mir und einer Mitreferendarin Fragen zum Referendariat stellen können, worauf ich ebenfalls sehr gespannt bin. Ich überlege noch, ob eine kleine Präsentation nützlich sein könnte, denn anderhalb Stunden Frage-Antwort ist ja für beide Seiten sehr ermüdend. Das gilt auch für Studenten. Da ich mein Referendariat insgesamt positiv erlebt habe, kann ich den Studenten doch Mut machen und ihnen Raten, den Panikstuss auf einschlägigen Referendarseiten in den Wind zu schlagen.

Wie auch immer, dieses stressbeladene Jahr neigt sich einem entspannten Ende zu und ich wünsche Euch allen frohe und erholsame Weihnachtsfeiertage!

Erleichternd

Es ist immer wieder erleichternd, wenn Unterrichtsbesuche, die Unzufriedenheit bei mir hervorgerufen haben, von den Beobachtern dann doch positiv eingeschätzt werden. Und wenn die geplante Reihe honoriert wird, in der eine Menge Mühe und Vorbereitung steckt. Manche Reihen werden gerne mal dahinphantasiert (was sich auch gar nicht vermeiden lässt, wenn man Ausbildungsunterricht bei fremden Lehrern macht); diese Reihe jedoch ziehe ich eins zu eins durch und es macht mir großen Spaß, zu sehen, wie die Schüler auf die Stunden reagieren. Lieder des Vormärz begleiten uns bei der Frage nach der Entstehung des Nationalismus im 19.Jahrhundert und diese Lieder geben wirklich einiges her. Hier ist es von Vorteil, dass der Ausbildungslehrer mir mit großer Gelassenheit freie Hand lässt, was durchaus nicht immer der Fall ist.

Positiv ist auch, dass ich in den Nachbesprechungen immer die wesentlichen Kritikpunkte meiner Stunden selber erkennen und Alternativen benennen kann, denn das wird mitbewertet und ist letztlich wichtig für den späteren Beruf. Es geht in den Endspurt – noch zwei Monate bis das Endergebnis steht.

Und während ich mich mit Unterrichtsbesuchen plage, sind die Ersten schon durchgefallen oder mit ihrem Ergebnis äußerst  unzufrieden. Es wäre von Vorteil, unter den ersten Prüflingen zu sein, hat man uns gesagt. An den Ergebnissen sehe ich das noch nicht.

Entwicklungen

Was mir heute im Bus einfiel: Kaum ein Schüler fragt mich noch, ob er auf Toilette darf. Das Bedürfnis zu urinieren, hat mit Voranschreiten des Schuljahres merkwürdigerweise nachgelassen… 😉

Ich muss bei meinen Sechsern nicht mehr laut werden. Das ist wunderbar.

Nach manchmal eher mulmigen Tagen am Anfang (Stimmt mein Konzept? Habe ich das richtige Material? Sind die Ausbildungslehrer mit meinen Aufgabenstellungen einverstanden?) macht es mir in den letzten Wochen richtig Spaß meine Ideen und Stunden an die Schüler heranzutragen. Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie diese reagieren und neue Konzepte und Methoden aufnehmen.

Ich habe das Gefühl, Zehner sind generell motivierter als Elfer oder Zwölfer. Fragt mich nicht, warum. Vielleicht wirke ich auch nur so einschläfernd auf Oberstüfler… 🙄

Einbildungskraft

Ich bin gerade in einem Forum über einen Satz gestolpert, der Robert Schumann zugeschrieben wird. Nein, falsch. Vielmehr bin ich über ein Wort gestolpert, nämlich über das Wort „Einbildungskraft“, dem Schumann eine völlig andere Bedeutung beizumessen scheint als ich. In meiner kleinen und beschränkten Welt bedeutet Einbildungskraft die Fähigkeit, sich im negativen Sinne etwas vorstellen zu können, sich Fähigkeiten oder Ergebnisse zuschreiben zu können, die faktisch in der realen Welt keinen Bestand haben. Einbildungskraft ist Phantasterei. Robert Schumann hat das womöglich anders gesehen:

Nicht allein mit den Fingern mußt du deine Stückchen können, du mußt sie dir auch ohne Clavier vorträllern können. Schärfe deine Einbildungskraft so, daß du nicht allein die Melodie einer Composition, sondern auch die dazu gehörige Harmonie im Gedächtnis festzuhalten vermagst. (Aussensaiter)

Und wenn man dann mit aufgeschlagenen Knien hinter dem Komma auf dem Boden kauert, kommt man ins Grübeln. Welches Verständnis von Einbildungskraft offenbart denn hier der alte Schumann? Sie ist keinesfalls negativ angehaucht, meint nicht das ziellose Phantasieren; vielmehr strotzt sie vor nachahmungswerter Semantik: Sie soll geschärft, also ausgebaut, trainiert werden, sie ist für Schumann eine notwendige Fähigkeit, um ein guter Komponist zu werden.

Betrachtet man das Wort genauer, so steckt insbesondere für Lehrer eine Menge darin. Aktives Lernen umschreibt dieses Wort, indem es die „Kraft“ betont, was Anstrengung und – wiederum- Übung impliziert. Gleichzeitig ist Kraft bei gutem Training etwas, worauf man aufbauen kann, das einem den Umgang mit den Dingen erleichtert, wenn sie einmal gut trainiert ist. Doch was soll da so kraftvoll genutzt werden?

Es ist die „Einbildung“, die Möglichkeit, sich ein Bild im Kopf zu schaffen, sich etwas Abstraktes einzuprägen, ein Abbild im Kopf zu kreieren. Einbildungskraft in diesem Sinne meint etwas ähnliches wie Merkfähigkeit, umschreibt eine Begabung, nicht die überhebliche Kraft, sich Utopisches anzumaßen, sondern beschreibt die Fleißarbeit sich etwas einbilden zu können und das nicht passiv im Sinne von Auswendiglernen, sondern aktiv. Der Komponist muss in der Lage sein, sich im Kopf Dinge dazuzudenken, das vorhandene Bild auszubauen, kraft seiner geübten Fähigkeit alleine kognitiv Bilder zu kreieren, Neues zu schaffen. Es geht also bei einer in diesem Sinne verstandenen „Einbildungskraft“ nicht um Hirngespinste oder fixe Ideen, sondern um eine „harte“ Fähigkeit, nämlich darum, seine Phantasie – für die Harten auch: kognitiven Möglichkeiten – aktiv und produktiv zu nutzen.

Hat man sich dann den Dreck von der Hose geschlagen und die schmerzenden Knie ausgeschüttelt, könnte man auf den Gedanken kommen, dass man Schülern unbedingt diese Einbildungskraft vermitteln muss. Einbildungskraft – ein guter Vorschlag für ein kompetenzorientiertes Curriculum?

Geplatzter Knoten

Peter (Name geändert) ist eher ein zurückhaltender Schüler. Einer, der nicht viel sagt. Einer, der sich nur vorsichtig in das Unterrichtsgeschehen einbringt. Einer, der eher vorliest, als den Unterricht durch Beiträge voranzutreiben.

Bis ich versuche, Figurenträume psychoanalytisch zu betrachten. Schon bei der Einführung der Theorie der Psychoanalyse fällt Peter durch eine ungewohnt häufige Beteiligung auf, hat die Theorie sofort verstanden, erklärt sie bereitwillig seinen Mitschülern, schwimmt wie ein Fisch im Wasser.

Die Stunde darauf, die Interpretation der Träume ist gefragt, präsentiert Peter mit seiner Gruppe ein hervorragendes Ergebnis, widerlegt im Alleingang mit sicherer Leichtigkeit die kritischen Einwände der durchaus selbstbewussten Restgruppe und stellt dabei mein Bild seiner selbst völlig auf den Kopf.

Welcher Knoten ist denn da geplatzt? Hoffentlich bleibt das so!? Hoffentlich kann ich sein Interesse halten…