Ein Plädoyer für das Blog

Herr Larbig macht sich in einem langen Artikel Gedanken über den Stellenwert von Blogs in Zeiten von Twitter, Facebook und Google+. Was haben Blogs zu bieten, angesichts relativ geringer Nutzerzahlen, sprich: weniger Öffentlichkeit und der Konzentration von Debatten auf große Social Networks? Eine gute Frage, die ich mir in letzter Zeit auch immer wieder gestellt habe. Ist es heutzutage noch sinnvoll, ein Blog zu führen? Bitte nicht enttäuscht sein: Ich habe keine Antwort, nur meine Sichtweise.

Von Öffentlichkeit, Offenheit, Reichweite und Authentizität
„Öffentlichkeit“ wird in Diskussionen dieser Art meist mit „Reichweite“ verwechselt. Dieses Blog hier ist viel öffentlicher als mein Facebook-, Google- oder Twitterprofil. Und auch viel offener, denn dank des Archives, das teilweise bis in meine Studienzeit zurückreicht (leider ist durch Bloganbieterpleiten und Systemwechsel einiges verloren gegangen), kann man zumindest in Ansätzen Aspekte meine Persönlichkeit erahnen, politische Haltungen herauslesen, Entwicklungen nachvollziehen, Vorlieben und Abneigungen erkennen. Das wird wohl Facebook und Google selbst dank ihrer unglaublichen Vernetzung mit diversen anderen Diensten gelingen können, kaum aber den einzelnen Lesern bei Facebook oder Google. Und dass ich hier etwas von mir preisgebe, ist auch schon der ganze Sinn der Übung: Ich schreibe zeitweise ganz gerne und da ich kaum zum großen Romancier tauge, schreibe ich hier eben vor kleinem Kreis über einen bestimmten Aspekt meines Lebens. Irgendwann hat meine Bloggerei schließlich damit begonnen, dass ich auf der Suche nach einer Tagebuchsoftware war und bei 20Six gelandet bin und erst später meine Lehramtsinhalte hierhin ausgegliedert habe. Anderen Bloggern wird es ähnlich gegangen sein, zumindest gefühlt habe ich den Eindruck, jemandem in dem, was er schreibt, mehr vertrauen zu können, wenn ich ihn per Blog kenne und nicht nur per Twitter oder Google+. Blogger wirken auf mich authentischer.

Der kleine Kreis
Die Reichweite meines Blogs ist verglichen mit Twitter oder Google+ lächerlich gering. Jedoch sind die Leute, die ich hier erreichen kann, genau die Richtigen. Auch die Suchmaschinen scheinen mir immer präziser die Menschen hier hinzuschicken, die mit meinen Beiträgen wirklich etwas anfangen können. Herrn Larbigs langen Artikel hätte ich auf Google+ wegen seiner Länge in der großen Masse vermutlich einfach überscrollt, so wie ich es heute schon mit einem halben Dutzend mehr oder weniger sinnvoller und sinnloser längerer Beiträge dort gemacht habe. Aber wenn jemand einen Beitrag in seinem Blog postet, dann scheint ihm der Inhalt so wichtig zu sein, dass er ihn nicht im flüchtigen Meer eines Social Networks verschütten möchte.

Dabei ist der „kleine Kreis“ die sichere Bank, eine Gruppe Gleichgesinnter, die, einmal auf den Lehrerberuf bezogen, nicht nur fachlich, sondern auch persönlich etwas mit dem Geschriebenen anfangen kann. Während man bei den Social Networks mit zunehmendem Wachstum zusehen muss, Aufmerksamkeit im doch mehr oder weniger anonymen Tohuwabohu zu erheischen, habe ich hier viel mehr den Eindruck, meine Leser zu kennen, sie einschätzen zu können und bei Debatten entsprechend reagieren zu können. Blogs bieten hier gerade aufgrund ihrer geringen Reichweite vielleicht sogar eine Art „familiären“ Schutzraum, der es eben auch leichter macht, zu diskutieren, strittige Themen anzuschneiden und dem anderen zuzuhören.

Und darum sind und bleiben für mich Blogs die wahren Perlen des Internets, weil ihre Nutzer sich durch ihre in Artikeln gebundene Persönlichkeit (und nicht durch Klarnamen, Profession oder Geburtsurkunde) „authentifizieren“, weil sie Überlegtheit und Ruhe in Produktion und Rezeption zulassen, dabei weniger flüchtig sind,  und weil der Leserkreis, obwohl immer dynamisch, so doch immer irgendwie überschaubar bleibt oder wenigstens scheint.

Im Ergebnis lese ich trotz der Einführung von Google+ seit einigen Wochen wieder viel mehr in „meinen“ Blogs und nehme die flüchtigen Netzwerke eher flüchtig wahr. Und wenn in zehn Jahren die Menschen ihre Twitter-Accounts gelöscht oder Facebook den Rücken gekehrt haben sollten, weil die Karawane ja immer weiter zieht, und Google von Baidu aufgekauft wurde, dann werde ich in diesem Blog immer noch für meine fünf Leser Artikel tippen. Ohne große Reichweite, aber mit großer Freude.

18 Gedanken zu „Ein Plädoyer für das Blog

    • @Oliver
      Wie doof, da hatte ich dir heute schon einmal geantwortet, aber offensichtlich ist die Antwort nicht hier im Blog angekommen… also nochmal etwas kürzer:

      Da ich mit Tante Emma eher etwas Muffiges, Piefiges verbinde, würde ich andere Analogien bevorzugen, wie vielleicht Supermarkt und Fachhandel oder anonyme Großraumdisko und die nette Kneipe um die Ecke.

    • Ginge natürlich auch 🙂 Fand es nur ganz praktisch, weil in einen Einkaufszentrum oft viele verschiedene Händler unter einem Dach versammelt sind – oft überall die gleichen Mainsteam-Filialen oder -Franchisenehmer – während ein Tante-Emma-Laden individueller unterwegs ist. Aber unabhängiges Spezialfachgeschäft ginge wohl als Alternatie durch.

  1. Pingback: Blogs im Diskurs | basic

  2. Der Vorteil der Blogs kann in einem Wort zusammengefasst werden: Freiheit.

    Du hast die Kontrolle über den Inhalt. Das ist mehr wert, als es auf den ersten Blick scheint.

    Darüber hinaus: Nicht nur hier…

    „…kann man zumindest in Ansätzen Aspekte meine Persönlichkeit erahnen, politische Haltungen herauslesen, Entwicklungen nachvollziehen, Vorlieben und Abneigungen erkennen…“

    Und weil dies nicht in standardisierten Formaten sondern in freier Sprache erfolgt, sind diese Daten auch deutlich schwerer automatisch abschöpf- und missbrauchbar.

    • @Hansi
      Das ist auch noch einmal so ein Punkt! Wer wirklich etwas erfahren will, muss schon verflixt lange mitlesen…

      Und umgekehrt: Wer hier als Gast mitliest und kommentiert, braucht keine Sorge haben, dass ich ihm im Netz mittels +1-Buttons und „Likes“ hinterherstalke,

  3. Pingback: Blog-Geburtstag « …Und So Zeug

  4. Pingback: Jubiläum! « …ein Halbtagsblog…

  5. Ja, +1 🙂

    Ich halte es für unangemessen, wenn man Blogs mit Twitter, G+ und Co. vergleicht…. Das sind und werden unterschiedliche Kanäle bleiben.

    Auf die alten Papiermedien angewendet könnte man die Situation mit den Tageszeitungen und den Wochen-/Monatszeitungen vergleichen. Beide haben… hatten ihre Vorteile und Stärken. Eines für das andere aufgeben war nicht sinnvoll.

  6. Ich finde auch, dass man Blogs und die sozialen Netzwerke nicht vergleichen kann. Alle haben ihre Berechtigung, befriedigen verschiedene Bedürfnisse und ziehen unterschiedliche Nutzer an.

    Wenn ich eine Analogie zu den Printmedien ziehe, dann sind Twitter und Facebook für mich wie die BILD-Zeitung (ist nicht wertend sondern beschreibend gemeint). Kurze, das Menschliche ansprechende Inhalte, schnell zu konsumieren, kaum Aufwand aber auch schnell vergessen.

    Anspruchsvolle Blogs sind wie Wochenzeitungen à la ZEIT, FAS oder Magazine wie SPIEGEL oder brandeins. Lange Artikel, die Zeit brauchen zu schreiben und Zeit brauchen zu lesen und zu verdauen.

    Was einen als Leser interessiert oder als Schreibenden, hängt also viel von der Bedürfnislage und dem Ziel ab, Facebook & Co ist wie Fastfood, schnell und billig zu konsumieren, viel Resonanz. Ich habe mal ein Badefoto von mir, auf dem ich gar nicht zu erkennen war, dort gepostet. Das bekam innerhalb von zwei Stunden dreissig Kommentare!

    Eine solche Reaktion würde ich mir auf meinem Blog wünschen. Da sitze ich vier, fünf Stunden an einem Artikel, es kommen auch Kommentare. Aber weniger, später – dafür gehaltvoller. Gehaltvolle Blogs sind eben wie ein sehr gutes Restaurant, da will man auch nur einmal die Woche essen aber nicht jeden Abend.

    Mit meinem Blog verfolge ich zwei Ziele.
    1. Markenbranding als Experte auf meinem Gebiet.
    Darüber füllen sich meine Seminare, bekomme ich Interviewanfragen und sogar einen Buchvertrag.
    2. Leser für psychologische Hintergründe in ihrem Leben zu sensibilisieren.
    Das ist mein Herzensanliegen und den Sinn, den das Bloggen für mich hat – neben der Freude am Schreiben.

    Ich bin auch auf Facebook,Twitter und Google+ sehr aktiv. Das sind für mich wie Infozettel, die man auf der Straße in die Hand gedrückt bekommt, damit man gleich nebenan in den Laden – das ist der Blog – kommt.

    Insofern glaube ich auch, dass Bloggen weiterhin eine Zukunft hat. Es ist nicht ersetzbar, man muss nur seine Ziele klären.

    • Das sehe ich ganz ähnlich. Auch der von dir angesprochene Punkt der Resonanz trifft genau ins Schwarze – leider ertappe ich mich auch oft dabei, wie ich zu einem langen Blogbeitrag einen Kommentar in den Fingerspitzen habe und dann doch zurückzucke, weil entweder schon jemand einen ähnlichen Kommentar gepostet hat oder die Diskussion sich schon in eine andere Richtung entwickelt hat oder ich merke, dass ein fundierter Blogbeitrag eben auch einen fundierten Kommentar verlangt, den ich dann vielleicht gerade nicht auf die Schnelle liefern kann. Da ist die Hemmschwelle bei den schnellen Netzwerken sehr viel geringer.

  7. Pingback: Lehrerzimmer » Archiv » Das Blog ist tot

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