Erklärungsnot

Wie beginnt ein Schultag albtraumhaft:

Der  gut ausgeschlafene Lehrkörper durchschreitet mit raumgreifenden Schritten das Foyer, nickt grüßend hier und da, schwingt den Schlüssel zum Lehrerzimmer voller Elan ins Schloss und wird, kaum dass er die Türschwelle überquert hat, von einem liebenswerten Kollegen angefallen. Dieser hatte vortags Unterricht in der Klasse des (noch) beflügelten Kollegen und kanoniert nun schon, ohne gar das Mantelablegen oder den ersten Kaffee abzuwarten, mit zahllosen Vorwürfen. Die Klasse sei zu laut, die Sitzordnung völliger Mist, der XY würde immer stören und sei obendrein frech, die Tafel sei nicht gewischt gewesen, die YX sei schon wieder ohne Material erschienen und überhaupt gehöre sie auf eine andere Schulform.

Uff. Durchatmen. Nichts anmerken lassen. Den Mantel wirst du schon irgendwie los, die Kaffeemaschine ist nur zwanzig Meter entfernt. Und was war da jetzt genau los?

Okay, ich gebe zu: ich übertreibe hier, wie so oft in diesem Blog. Zum Glück erlebe ich solche Auftritte selten, aber es ist mir durchaus schon ähnlich vorgekommen.  Das Schlimmste an der Sache ist oft, dass ich die Kollegen überhaupt nicht verstehen kann. Ehrlich. Ich frage mich manchmal, ob die überhaupt meine Klasse meinen, aber sie nennen ja Namen!? Wenn ich in meiner Klasse unterrichte, dann haben wir eine angenehme, ruhige Unterrichtsatmosphäre, ich muss nicht laut werden, niemand ruft herein, die Schüler haben ihr Material dabei. Was soll ich den Kollegen sagen? Ich kann ja schlecht lügend beipflichten. Wenn ich aber sage, dass das bei mir nicht der Fall ist und auch der XY sich benimmt, dann komme ich mir wie der großkotzige Oberlehrer vor, der solche Kritik aalglatt an sich abperlen lässt und gleichzeitig noch den Kollegen gegenüber als pädagogischen Nichtskönner dastehen lässt. Das ist ein wirklich blöde Zwickmühle und sie macht mir immer wieder zu schaffen.

Wie reagiert ihr in solchen Situationen? Wie geht ihr mit Kollegen um, die Probleme in eurer Klasse haben, die ihr einfach nicht nachvollziehen könnt?

9 Gedanken zu „Erklärungsnot

  1. Ursache kann meiner Meinung nach die Tatsache sein, dass manche Menschen mehr oder weniger miteinander können aus unterschiedlichsten Gründen. Oder ungünstige Stundenkonstellationen, z.B. dass manche Fächer eher zu Randstunden als andere unterrichtet werden.
    Sollten sich solche Beschwerden häufen, würde ich die angesprochenen Schüler gezielt darauf ansprechen um ihre Perspektive zu erfahren.

  2. Das ist das typische Fachlehrerproblem. Bei uns an der Schule, ist das aber bekannt und da würde es dir auch keiner Übel nehmen, wenn du darauf verweist.
    Die Schüler verhalten sich einfach anders, wenn ein Lehrer nur wenige womöglich sogar nur 1-2 Stunden in der Klasse ist. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Klassenlehrer oder auch Mitteilungen des Fachlehrers an die Eltern der Störer sind da meist hilfreich.

  3. Würde der Kollege so ankommen, wie du sagst, würde ich ernst nicken und mir denken: Memme, wir werden alle gleich bezahlt, also mach deine Arbeit.

    Die Kollegen, die quasi meinen, dass du als Klassleiter für das Verhalten der Schüler verantwortlich bist, immer und überall. Denen nicht in den Sinn kommt, dass sie eventuell selbst die Ursache sind.

    Bei den Kollegen, die ernsthaft ein Gespräch und eine Lösung suchen, wäre ich auch ernsthafter. Dann würde ich auch mal nebenbei mit dem Schüler reden und mich um Ausgleich bemühen.

    Ich habe so etwas erst vor zwei tagen ähnlich erlebt. Aber da hat der klassleiter sich über einen seiner Schüler beklagt, der bei mir normal ist. Ich weiß aber, dass beide sich nicht mögen und der Schüler ihn dauernd provoziert und der Kollege sich provozieren lässt…immer wieder. Was soll man da schon sagen? Ich gehe halt auf Provokationen nicht ein oder mach einen flapsigen Spruch.

  4. Zuhören und ein Ohr leihen. Das tue ich in diesen Situationen gerne. Vielleicht auch auf das ein oder andere Ritual hinweisen, dass mit der Klasse eingebübt worden ist. Formal sitzen die Lehrenden erstmal in einem Boot und kollegiale Hilfe tut Not.

    Aber am Ende muss auch klar werden: Ich löse nicht die Probleme anderer Kollegen. Jeder hat für sich seine Rolle definiert und muss mit den Konsequenzen leben (lernen).

  5. Auf den Klassenlehrer-Bonus hinweisen und anbieten, mit der Klasse zu sprechen. Die Schüler wissen meist ganz genau, warum sie so sind, wie sie sind bei den einzelnen Kollegen und wundern sich, wenn sich die Kollegen untereinander austauschen!

  6. @Matthias @Felix @ Frau Lehmann
    Es ist wahrscheinlich die beste Lösung, auf den Klassenlehrerbonus / Fachlehrermalus zu verweisen und dann eigene Strategien zu erläutern. Aber das tue ich sowieso schon…

    @Thomas
    Wir werden hier in NRW leider nicht alle gleich bezahlt, den Spruch spare ich mir darum lieber. 😉
    Obwohl ich schon den Verdacht habe, dass manche keine klaren Grenzen setzen können / wollen. Aber wie soll man das vermitteln?

  7. wie groß sind denn die unterschiede bei euch? bei uns gibts normalerweise eine stufe unterschied, wenn ein fachlehrer da ist, ist der unterschied größer, aber generell werden (noch) RS-Lehrer hier nach A13 bezahlt.

    und nach langjähriger tätigkeit als verbindungslehrer weiß ich auch: es sind immer dieselben kollegen, mit denen es ärger gibt. und da weiß man i.d.r. auch warum dies so ist.

    ich mag da etwas unsozial klingen – mag sein – insgeheim unterteile ich die kollegen schon manchmal in diejenigen, die insgesamt mehr arbeit wegschaffen als zu erzeugen…und eben die anderen.

  8. Voriges Jahr hat bei einem meiner Ich-kann-(Schule)-Tage die Leiterin einer Berufsschule mit Abstand am meisten mitgeschrieben. Ich dachte zuerst, sie sei da, um etwas über einen effizienten Umgang mit den Schülern zu erfahren. Nein, sie wollte wissen, wie es mit den Kollegen geht.
    Wenn mich ein Kollege so wie Dich überfallen und als erwachsener Mann Kinder verklagen würde, dann wäre es doch angebracht, sich einmal mit liebevoller Zuwendung um seine sich diesen Kindern nicht gewachsen fühlenden Kräfte zu kümmern. In der neuen Ich-kann-Schule wird immer dem zuerst geholfen, der mit dem Problem kommt, und nicht dem, den er zur Bear eitung vorschiebt um von seinen Problemen mit sich selbst abzulenken. Wir hätten das Gros der Schulprobleme nicht oder sehr viel kleiner, wenn wir statt der Schülerförderung uns endlich einmal konsequent um die Lösung der Nöte der Lehrer kümmern würden. Ich grüße freundlich.
    Franz Josef Neffe

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